Wenigstens mit der Wahl ihrer Maschine haben die Freunde moderner Zweitakter keinerlei Schwierigkeiten. Wollen sie deren einzigartig dynamische, herrlich unvernünftige und unharmonische Art der Leistungsentfaltung erfahren, gibt es in Deutschland zur Aprilia RS 250 keine Alternative, von japanischen Grauexporten mit entsprechend kargen Garantieleistungen und den 125er Einsteigermodellen einmal abgesehen. Das Modell des italienischen Herstellers debütierte 1995 mit dem modifizierten V2 -Triebwerk der Suzuki RGV 250, die 1993 vor den strenger gehandhabten Emissionsgesetzen für Zweitakter die Segel gestrichen hatte.
Klein, zierlich, gerade mal 165 Kilogramm schwer und mit 56 PS aus 250 cm³- das entspricht einer spezifischen Literleistung von mehr als 220 PS - hat die RS Qualitäten aufzuweisen, von denen die Viertaktkonstruktionen der beliebteb 600er Supersportklasse nur zu träumen wagen. Allerdings hat der Gesetzgeber für die deutsche Version, die hier ungefähr 1600mal zugelassen ist, zwei ungeregelte Kats verordnet.
Die nervöse Leistungs-Charakteristik des V2 kommt natürlich den beschaulichen Ambitionen der Tourenfahrer nicht entgegen. Für RS-Piloten sind im Prinzip nur zwei Positionen des Gasgriff entscheidend: auf oder zu. In den ersten drei Gängen zieht der Motor ab etwa 7000/min respektabel. In den oberen drei spielt sich die dynamische Art des Vortriebs praktisch zwischen 9000 und 11900 Touren ab, bis der Drehzahlbegrenzer Einhalt gebietet. Diese Art der Leistungsabgabe ist eigentlich nur für einen Einsatzzweck ideal: die Rennstrecke. Denn für die Autobahn gibt es wesentlich bequemere Fortbewegungsmittel, und auf der Landstraße ist man mit dieser Art von Motorradfahren ständig jenseits des Limits.
Nicht zuletzt deshalb, weil das Fahrwerk mit der Motorleistung keinerlei Probleme hat. Die in Dämpfung und Federung vorn und hinten justierbaren Elemente sowie die effektive Dreischeiben-Bremsanlage geben kaum Grund zur Beanstandung. Die Sorge der Aprilia-Piloten gilt eher der längerfristigen Haltbarkeit des Motors. Kolbenschäden innerhalb der ersten 20000 Kilometer sind laut Langstreckentest der Schwester Zeitschrift PS und Lesererfahrungen keine Seltenheit.
Speziell die elektromechanisch angesteuerten Auslaßschieber zeigen häufig Ermüdungserscheinungen. Die Bohrungen der Scherspannstifte in den insgesamt vier Schiebern - zwei in jedem Auslaß - schlagen in der Platte aus. Die ragt dann so weit in den Zylinder hinein, daß sie die Laufflächen der Kolben beschädigen. Aprilia sieht vor, daß sie bei den alle 4000 Kilometer anfallenden Inspektionen auf Verschleiß und richtige Funktion überprüft werden. Da vier neue Schieber rund 950 Mark kosten, kontaktieren viele RS-Piloten die Firma Fischer in Kaiserslautern (Telefon 06 31/2 66 21), die in Kleinserie die Schieber überarbeitet und mit einem soliden Stahlring-Einsatz versieht. Die Kosten pro bearbeitetem Schieber liegen je nach Ausführung zwischen 120 und 170 Mark, die Firma verspricht eine Laufleistung von mindestens 20 000 Kilometern.
Vorsichtige Naturen lassen sowieso bei jeder Inspektion durch Demontage Zylinder, Kolben und Zylinderlaufbahn überprüfen, um Kolbenklemmer oder Schlimmeres zu verhindern. Auch vibrationsbedingt zerbröselnde Kats in der Auspuffanlage sind schon mal der Grund für Kolbenschäden, wenn Stahlpartikel Berührung mit den Kolbenlaufflächen haben. Nach so einem Schadensfall kann man sogar Verständnis für Fahrer aufbringen, die von den Katalysatoren die Schnauze voll haben und für zirka 1600 Mark eine Jolly Moto-Anlage montieren. Die hat keine Kats und steigert die Leistung, hat aber beim TÜV keine Chancen.
Von 1995 bis 1997 wurde die RS praktisch unverändert gebaut. Für 1998 überarbeitete Aprilia seinen kleinen Renner: Mit günstiger plazierten und widerstandsfähigeren Katalysatoren wurden Durchzug und Endleistung noch einmal optimiert worden. Die vordere Upside-down-Gabel hat seither die Verstellung für Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung in beiden Gabelholmen, nicht wie vorher getrennt. Eine neue Verkleidung soll einen noch besseren Windschutz und einen günstigeren cw-Wert ergeben. Die Vorderradbremse läßt sich mit neuer Handpumpe noch besser dosieren. Die Reifenbreite wuchs auf 120 (vorher 110) Millimeter vorn, das Instrumenten-Display weist jetzt einen digital einstellbaren Schaltblitz auf, und die Tankkapazität wuchs um drei auf 19,5 Liter.
Das werden die Fahrer des neuen Modells zu schätzen wissen, so wächst der Aktionsradius auch bei strammer Fahrweise schon mal über die 200- Kilometer-Marke. Denn unter Last säuft der kleine, starke Zweitaker locker zwischen acht und zehn Litern Benzin oder gar mehr auf 100 Kilometer. Auch der Ölverbrauch pendelt sich bei dieser Belastung auf zirka zwei Liter pro 1000 Kilometer ein. Doch Liebhaber dieser Fortbewegungsart nehmen diese unzeitgemäßen Trinksitten in Kauf.
Natürlich sind gebrauchte RS aus den Jahrgängen 1995 bis 1997, weil zahlreicher und schon betagter, günstiger zu erwerben als das neue Modell. Allerdings sollten Kolben, Zylinder und Auslaßschieber einer Kontrolle unterzogen werden, damit keine Durstrecke wegen frühen Motorinfarkts droht.
Lesererfahrungen
Die Leidenschaft zur Aprilia RS 250 wird durch Kolbenschäden auf eine harte Probe gestellt.
9000 Kilometer hatte ich Riesenspaß. Die Freude wurde allerdings getrübt, als Kolben und Zylinder durch zerriebene Kat-Metallpartikel gefressen hatten. Auch zwei Auslaßschieber zeigten schon beginnenden Verschleiß. Die Schäden wurden auf dem Garantieweg problemlos behoben. Seitdem benutze ich die italiensichen Auspuffbirnen ohne Kat, um solchem Ungemach vorzubeugen.Alex Dech, UntereisesheimNeukauf einer RS 250 Biaggi-Replica im Juli 1997, bis heute 16000 Kilometer. Bei 8000 Kilometern einmal eine kleine Inspektion, Auslaßschieber unverändert gelassen. Gleich beim Neukauf wurden die beiden Auslaßkammerdeckel gegen welche von Suzuki Rennsport (ET Nr. 11240 - 22D40) für 87 Mark ausgetauscht. Die haben einen Ablauf mit Schläuchen und Rücklaufventil, die in einem Auffangbehälter zusammengeführt werden. Inzwischen wurden 1,5 Liter Ölgemischpampe daraus entsorgt, die bei den Originaldeckeln in den Kammern verkokelt wären. Michael Binz, PüttlingenMeine RS 250, Baujahr 1995, erwarb ich mit 8000 Kilometern für 7300 Mark. 10 000 Kilometer weiter habe ich eine Tonne Normalbenzin, einen Kolben, 18 Liter vollsynthetisches Zweitaktöl, sechs Pirelli MTR 02/ 01, fünf Gabeldichtringe, ein Federbein, Lenkkopflager, Bremslichtschalter, Tachoschnecke, Glühlampen, Bremsbeläge, Verkleidungshalter, einen Kickstarter und mal eben 200 Mark Taxigeld verbraten.Christian Hügel, BerlinNach einem Kolbenklemmer mit siebenwöchiger Reparaturdauer mußte etwas passieren. Ich baute das italienische Originnal ohne Katalysatoren an. Mittlerweile hat meine RS 25000 Kilometer ohne weitere Schäden, allerdings mit penibler Kontrolle der Auslaßschieber gelaufen.Meike Börm, Altenholz
Daten Aprilia RS 250
Aprilia RS 250Technische DatenMotorWassergekühlter Zweizylinder-Zweitakt-90-Grad-V-Motor, Membraneinlaß, Schieber-Auslaßsteuerung, Getrenntschmierung, zwei Mikuni-Flachschiebervergaser, 0 34 mm, kontaktlose Kondensatorzündung, ungeregelter Katalysator, Hubraum 249 cm3, Nennleistung 56 PS (41 kW) bei 11000/min, Sechsgangganggetriebe, O-Ring-Kette.FahrwerkBrückenrahmen aus Alu-Profilen, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 41 mm, Zweiarmschwinge aus Alu-Profilen, Zentralfederbein, Doppelscheibenbremse vorn mit Vierkolbenkolbensätteln, Scheibenbremse hinten, Leichtmetall-Gußräder, Federwerg vorn/hinten 120/130 mmMaße und GewichteSitzhöhe 760 mmTankinhalt/Reserve 16,5/3 LiterGewicht vollgetankt 168 kg TestwerteHöchstgeschwindigkeit solo 197km/hBeschleunigung 0-100 km/h solo 5,2 sekBenzinverbrauch 6 bis 12 l100 kmÖlverbrauch 2,0 l/ 1000 km Kraftstoff Normal Ersatzteil-PreiseSturzteileHandbremsarmatur 353 MarkTachometer 396 MarkGabelgleitrohr 425 MarkSchutzblech vorn 140 MarkVorderrad 686 MarkAuspuffanlage komplett mit Kat 3158 MarkTank, lackiert 954 MarkRahmen komplett 1908 Mark:Verkleidungsoberteil 396 MarkJe Seitenverkleidung 342 MarkVerschleißteileKupplungsbeläge, ein Satz 238 MarkBremsscheibe vorn 330 Markein Kolben 133 Markein Zylinder 685 Markein Aulaßschieber 238 Mark Stärken und SchwächenStärkenLeistungsstarkes TriebwerkErstklassige HandlichkeitDrei Jahre GarantieSchwächenSensibler, anfälliger MotorGewaltige TrinksittenNur für Einpersonenbetrieb Test in MOTORRAD1Test 4/1995Vergleichstest 8/1995Vergleichstest 20/1995Vergleichstest 17/1996Vergleichstest 15/1997Test 5/1998Konzept-Vergleich 12/199 Reifenfreigaben Typ LD01vorn hinten110/70 ZR 17 150/60 ZR 17 160/60 ZR 17 Dunlop D 204, Dunlop D364, Metzeler ME Z1, Pirelli MTR 01/02Schwacke-Gebrauchtpreise1995: (32 500 Kilometer) 7100 Mark1996: (24 100 Kilometer) 8200 Mark1997: (15 700 Kilometer) 9400 Mark Fußnoten:1Tests können beim Verlag bestellt werden, Telefon siehe Kasten auf Seite xxx.