Obwohl sie seit einem Jahr nicht mehr produziert wird, ist die Guzzi Sport 1100 neu fast leichter zu finden als gebraucht. Denn wer den Charakter des V2 erst mal schätzt, will ihn nicht mehr missen.
Obwohl sie seit einem Jahr nicht mehr produziert wird, ist die Guzzi Sport 1100 neu fast leichter zu finden als gebraucht. Denn wer den Charakter des V2 erst mal schätzt, will ihn nicht mehr missen.
Das stilbildende Design im Motorradbau kommt aus Italien. Ducati mit der 916 oder jüngst Cagiva mit der MV sind nur die Höhepunkte einer Entwicklung, in der Motorenbau und elegante Form eine faszinierende Verbindung eingehen. Auch die Traditionsmarke Moto Guzzi bot seit 1994 mit der Sport 1100 endlich wieder in gelungener Rückbesinnung auf die markant klassische Linienführung eine Maschine an, von der alte und jüngere Anhänger der Marke hingerissen waren.
Doch wer dem Charme dieser massiven Art von Maschinenbau immerhin stammt der Motor in seiner Urform aus Mitte der 60er Jahre erliegt, sollte a) nicht mit dem Pfennig rechnen müssen und b) selbst gern schrauben wollen und können. Denn die Zuverlässigkeit der japanischen Großserienprodukte haben die Modelle der italienischen Manufakturen leider (immer noch) nicht erreicht. Auf die Sport 1100 trifft das schon darum zu, weil das Werk in Mandello seit Jahren aus finanziellen Gründen wenig Spielraum für Neuentwicklungen und konsequente Modellpflege hat.
Als direkter Nachfolger der Le Mans IV hatte der V2 mit längs liegender Kurbelwelle in der Sport zunächst Vergaser, Ende 1996 wurde die Weber-Marelli- Einspritzanlage aus der Daytona-Reihe adaptiert. Ein Ölkühler und das überarbeitete Fünfganggetriebe komplettierten die Modifikationen des Zweiventil-Triebwerks. Fahrwerkseitig musste die etwas störrische Marzocchi-Telegabel einer Upside-down-Version von White Power weichen, in den neuen Dreispeichenrädern waren die vorderen Bremsscheiben jetzt semi-schwimmend gelagert. 1999 legte Guzzi noch eine Corsa-Sonderserie von 200 Stück mit erleichterter Kurbelwelle und Carillo-Pleueln auf, seit diesem Jahr ist die Produktion eingestellt.
Trotz des klassischen Outfits irritiert den Guzzi-Neuling die Sitzposition. Die Ergonomie ist durch den extrem langen Tank gewöhnungsbedürftig, bei langsamer Fahrt müssen die Hände den Oberkörper stark abstützen. Die Eindrücke kommentiert Guzzi-Händler Peter Lamparth aus Bad Boll trocken: »Fahrer unter 1,80 Meter verrenken sich leicht die Handgelenke. Und den linken Unterschenkel, wenn sie versuchen, auf der Maschine sitzend den Seitenständer auszuklappen.« Trotzdem: Auch kleingewachsenere Piloten kommen außerorts, wenn erst mal der Fahrwind den Oberkörper entlastet, mit der massig wirkenden Maschine gut klar.
Die Sport braucht Raum, erst auf freien Landstraßen kann sie zeigen, was in ihr steckt. Das Fahrwerk bügelt sensibel alles nieder, was sich ihr an Straßenunebenheiten vor die Räder stellt. Die Grundabstimmung der Gabel harmoniert mit dem hinteren White-Power-Federbein. Die Schwäche, die der V2 im unteren Drehzahlbereich zeigt, ist rigideren Emissionsgesetzen zuzuschreiben. Die von MOTORRAD in Augenschein genommene Sport 1100 i hatte zwar die original Lafranconi-Schalldämpfer dran, aber der konservendosenartige serienmäßige Vorschalldämpfer hinter der Ölwanne war einem Tangentiale-Verbindungsstück (450 Mark) und einem anderen Eprom (300 Mark) für die Einspritzanlage gewichen. Damit entwickelt der V2 beim Anfahren deutlich mehr Druck und eliminiert, wenn auch nicht legal, das serienmäßige Leistungsloch bei 4500/min.
Die vorderen Bremsscheiben sind etwas anfällig auf Verzug. Sollten sie nach der dreijährigen Garantie fällig sein, passen auch die vollschwimmenden Gussbremsscheiben der Daytona, die allerdings 150 Mark teurer sind als die Originale. Nicht mehr zeitgemäß: Die Kardanwelle zwischen Getriebe und Hinterrad muss, damit der 160er in der Schwinge Platz hat, ohne Kapselung auskommen. Das heißt, nach jeder Regenfahrt oder alle 1000 Kilometer müssen die Gelenke mit Staucherfett abgeschmiert werden. Das ist in kleinen Mengen (Einkilogrammgebinde) nur relativ schwer zu bekommen.
Die gefahrene Maschine war eine i-Version, Baujahr 1997, 5500 Kilometer gelaufen und wurde für 16000 Mark angeboten. Bei Schraubern sind die älteren und billigeren Vergasermodelle beliebter, weil sich an ihnen mehr selbst machen lässt. Das Angebot ist größer als bei der Einspritzvariante. Wer unbedingt eine Sport 1100 i will, wird bei Händler sicher schneller eine neue (zirka 22000 Mark) finden und vielleicht erfolgreicher handeln als bei einer gebrauchten. Denn die sind Mangelware und daher relativ teuer.
Moto Guzzi Sport 1100 iTechnische DatenMotorLuftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, eine untenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei über Stoßstangen und Kipphebel betätigte Ventile pro Zylinder, elektronische Saugrohreinspritzung, kontaktlose Transistorzündung, keine Abgasreinigung, Hubraum 1064 cm³, Nennleistung 66kW (90 PS) bei 7800/min, Fünfganggetriebe, Sekundärantrieb über Kardanwelle, E-Starter.FahrwerkZentralrohrrahmen aus Vierkant-Stahlprofilen, Motor/Getriebe mittragend,Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 40 mm, mit verstellbarer Zug- und Druckstufendämpfung, Dreieckschwinge , Zentralfederbein, direkt angelenkt, mit verstellbarer Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse mit Vierkolbensätteln und schwimmend gelagerten Bremsscheiben vorn, 0 320 mm, Scheibenbremse hinten, 0 282 mm, Leichtmetall-Gussräder, Federweg vorn/hinten 130/120 mm.Maße und GewichteSitzhöhe 790 mmTankinhalt/Reserve 19/3 LiterGewicht vollgetankt 230 kgZul. Gesamtgewicht 460 kgTestwerteHöchstgeschwindigkeit 225 km/hBeschleunigung 0-100 km/h 4,4 sekVerbrauch 6,5 LiterKraftstoff SuperErsatzteil-PreiseSturzteileKupplungs-Armatur MarkLenker MarkRückspiegel MarkBlinker vorn MarkTachometer MarkGabelstandrohr MarkSchutzblech vorn MarkVorderrad MarkAuspuff MarkTank, lackiert MarkRahmen komplett MarkVerkleidung:Oberschale MarkJe Seitenverkleidung MarkScheibe MarkVerschleißteileKettenkit MarkBremsbeläge vorn, ein Satz MarkKupplungsbeläge, ein Satz MarkBremsscheibe vorn MarkLuftfilter MarkÖlfilter MarkGaszug MarkTachowelle MarkBatterie MarkGabeldichtring MarkStärken und SchwächenStärkenMotorcharakteristikÜberraschend handliches FahrwerkExotisches ImageSchwächenZugestopfter Serien-MotorUnbequeme SitzpositionOffen laufender KardanTest in MOTORRAD1Test (Vergaser-Version) 23/1994Test (mit Einspritzung) 16/1996Vergleichstest 1/1999Reifenfreigaben Typ VF-66kWvorn hinten120/70 ZR 17 160/60 ZR 17 Pirelli MTR 03/04 Metzeler ME Z2 Front/ME Z2Fußnoten:1Tests können beim Verlag bestellt werden, Telefon siehe Kasten auf Seite xxx.
Die erste Fahrt mit meiner 1100 Sport wurde zum Erlebnis der besonderen Art. Schieberuckeln, ein gewaltiges Drehmomentloch um die 3000/min, Vibrationen, die einen im Stand vom Moped werfen wollten, und Lastwechselreaktionen beim Gaswegnehmen, die meinen Adrenalinpegel auf Schwung brachten. Jetzt verstand ich endlich als alter Reiskocher-Treiber, was Ihr unter Charakter versteht. Einige 1000 Kilometer weiter war das Eprom neu programmiert, eine BOS-Dämpferanalage montiert, dafür wurde auf den Vorschalldämpfer samt Luftfilter verzichtet. Nach 10000 Kilometern mussten die vordere verzogenen Bremsscheiben ausgetauscht werden, gleichzeitig wurde auf Carbone-Lorraine-Sintermetallbeläge umgerüstet. Roland Eisner, DormagenDie meisten der 12000 Kilometer kamen in den Alpen zusammen. An die Sitzposition gewöhnt man sich auf längeren Touren, lediglich in Spitzkehren muss man wegen der Fahrwerksgeometrie weitere Radien fahren. Ein höher gelegter Ölkühler (DÄS) vermeidet nicht nur Steinschlagschäden, sondern hebt auch die Optik ungemein. Bei 7500 Kilometern musste der Hilfsrahmen zwischen Lenkkopf und Motor getauscht werden, weil das Halteblech für die Benzinpumpe abvibriert war. Auch Batterie, Regler und Motorelektronik wurde vorsorglich (auf Garantie) getauscht. Dieter Fehler, SchweinfurtKaufgrund war das zeitlose, eigenständige Design und der bullige Motor mit seiner einfachen Technik. Einziges Zubehör: eine andere Auspuffanlage und ein Ölmessstab mit Temperaturanzeige. Bei 31000 Kilometern verabschiedete sich ein Drehzahlmesser, zwei Züge der schwergängigen Kupplung und ein Anlassermotor. Mit der überschaubaren Technik ist es möglich, die Inspektionen selbst auszuführen. Der unverwechselbare Charakter und der geniale Sound des Triebwerks entschädigt für fast alles. Henning Hassfeld, Uchte
Die Sport 1100 ist auf Deutschlands Straßen ein Exot. Die Gesamtstückzahlen für Vergaser- und Einspritzversion erreichen laut Kraftfahrtbundesamt kaum 500 Stück. Die Schwacke-Liste notiert für die Einspritzversion 1996 (31500 Kilometer) 13700 Mark; 1997 (23100 Kilometer) 15759 Mark; 1998 (14700 Kilometer) 17350 Mark; das Vergasermodell mit entsprechend höherer Laufleistung (Baujahr 1994 bis 1996) wird einen runden 1000 Mark billiger gehandelt. Als Konkurrenz könnten die ähnlich exotische Buell S1 Lightning in Frage kommen, deren ebenfalls 90 PS starkes Triebwerk auf der Harley-Sportster 1200 basiert und mit ähnlichem Temperament aufwartet. Eine modernere Alternative ist die Ducati 900 SS Nuda mit Halbverkleiddung und seit 19xx ebenfalls mit Einspritzung, zwar nominell rund zehn PS schwächer, aber deutlich handlicher und leichter.