Erinnern wir uns: Das Geräuschmessverfahren für die Homologation neuer Motorradmodelle wurde zum 1. Januar 2016 begleitend zur Euro-4 radikal reformiert. Als Basis diente die entsprechende Norm UNECE-R 41.04. Mit dem völlig neuen, anspruchsvolleren Verfahren sollten Motorräder leiser werden. Tatsächlich startete ein Wettlauf der Hersteller hin zum optimalen Einsatz von Auspuffklappen und maximalem Auslegen der Zulassungsbestimmungen.
Der Kniff mit der Klappe
Im Grunde sah es so aus: Das Motormanagement war ausgelegt, um im Bereich des Testzykluses mit Auspuffklappen oder der Drosselklappensteuerung das Geräusch zu regeln. Außerhalb dieser relevanten Fahrzustände konnte sich der Sound dann wieder vom Piano zum Fortissimo steigern. Und was war mit den zusätzlichen Vorschriften für die Ermittlung von Geräuschemissionen? Selbst in den ASEP-Tests waren die Prüfszenarien für jedes Motorradmodell leicht in einer Klappensteuerung zu berücksichtigen.
Im Schnitt leiser geworden
Dennoch werten Kenner der Materie die seit Euro 4 umgesetzte UNECE-R 41.04 als wichtigen Erfolg in Sachen Lärmschutz: "Wir konnten tatsächlich eine Veränderung des Geräuschpegels feststellen", sagt Paul Lohmar, Homologationsexperte des TÜV Rheinland. Doch das Bessere ist des Guten Feindes.
Neue Norm ab 2024
Die UNECE hat die für Motorrad-Geräuschemissionen zuständige Norm im Frühjahr 2021 mit tatkräftiger Unterstützung der Hersteller zu der Version R 41.05. Jetzt ist es Sache der EU-Kommission, bei der Umsetzung von Euro 5+ ihre Verordnung entsprechend zu ändern. Erwartet wird das für den 1. Januar 2024.
Kein Auspuffknallen mehr
Hört sich ziemlich einfach an, ist es aber bei Weitem nicht. Am Fahrgeräusch-Messverfahren mit Grenzwert 77dB(A) ändert sich gemäß UNECE-R 41.05 nichts. Die Stellschrauben bei den sogenannten "zusätzlichen Vorschriften für die Ermittlung von Geräuschemissionen" (ASEP) werden umfangreich justiert. Damit sollen endlich realistische Fahrbedingungen im Homologationsverfahren abgebildet werden. Die wichtigste Änderung ist: Die Messung muss nicht mehr allein bei Vollgas in bestimmten Gängen gefahren werden. Es ist vielmehr jede Gasgriffstellung in jedem Gang Teil der Prüfung. Dazu zählt beispielsweise, ob die Maschine im Schiebebetrieb knallt oder blubbert – so wie es verschiedene Modelle unterschiedlicher Marken zu tun pflegen. Der modellspezifische ASEP-Grenzwert muss über alle Betriebszustände zwischen 10 und 100 km/h eingehalten. Für KTM-Entwicklungschef Philipp Habsburg ist der Hintergrund völlig klar: "Wir müssen Motorradfahren langfristig möglich machen und die Anrainer, die sich zu Recht über Lärm beschweren, zur Ruhe kommen lassen."
So einfach ist es nicht
Weiterer Knackpunkt: Die ASEP-Konformität ist künftig durch tatsächliche Messungen bei technischen Dienstleistern zu belegen. "Bislang reicht es, wenn der Fahrzeughersteller erklärt, dass die Anforderungen erfüllt werden", sagt TÜV-Mann Lohmar. Eine Überprüfungspflicht bestehe zurzeit auf Basis von UNECE-R 41.04 beziehungsweise Euro 5 noch nicht. Die Verpflichtung zum Nachweis der ASEP-Konformität führe ebenso wie der breitere Geschwindigkeitsbereich dazu, dass Schummler keine Chance mehr haben. Die Kehrseite der Medaille: Der ASEP-Check bei technischen Dienstleistern führt zu zusätzlichen Homologationskosten für die Fahrzeughersteller.
Erschwerend kommt hinzu, dass es nur drei zertifizierte und geeignete Strecken für Geräuschmessungen: das Dekra-Testzentrum in Klettwitz am Lausitzring, eine Teststrecke auf dem TÜV-Rheinland-Gelände in Köln sowie die Testanlage der Fakt GmbH im Unterallgäu.
Leiser muss realistisch sein
Der europäische Motorradherstellerverband ACEM hat maßgeblich an der Überarbeitung der Homologationsnorm mitgewirkt. Die Hersteller haben die aktuelle UNECE-R 41.05 mit angeschoben. Haben sich die Klappenvirtuosen etwa vom Saulus zum Paulus gewandelt? Wohl notgedrungen, gilt es doch, mit diesem verbesserten Prüfverfahren künftig inakzeptable Geräuschpegel zu vermeiden. Über der gesamten Branche schwebt nämlich das Damoklesschwert einer Absenkung des Fahrgeräusch-Grenzwerts. Der Grund: Die EU setzt zwar das technische Verfahren laut UNECE-R 41.05 in Kraft, kann aber die vorgeschriebenen Grenzwerte selbst festlegen. "Wir sind mitten in der Diskussion", sagt Christoph Gatzweiler vom Industrieverband Motorrad. Eine Absenkung des Fahrgeräusch-Grenzwerts sei aber höchst wahrscheinlich. "Die Frage ist nur, um wie viel", so Gatzweiler. Und mit Blick auf die geänderten ASEP-Regeln sagt Philipp Habsburg: "Es hat wenig Sinn, Grenzwerte zu senken, ohne die Rahmenbedingungen an das reale Fahren anzupassen und überprüfbar zu machen."
ACEM
Die Grenze ist erreicht
Eine aktuelle ACEM-Studie zeigt, dass ein um fünf Dezibel gesenkter Grenzwert den Herstellern einen enormen Aufwand abverlangen würde. Diese untermauern ihre Position mit Erkenntnissen der TU Graz. Dort wurde das Fahrgeräusch von acht unterschiedlichen Motorrädern nach der aktuell gültigen Geräuschemissionsnorm ermittelt. Anschließend wurden jeweils Endschalldämpfer, Motor und der Ansaugtrakt mit Schalldämm-Matten umbaut, um diese Geräuschquellen auszuschalten. Mit jeder Dämmstufe wurden die Geräuschmessungen wiederholt. Nach Kapselung der kompletten Maschine waren der Endantrieb und das Abrollgeräusch der Reifen bei einer Messung mit konstant 50 km/h die Hauptgeräuschquellen. KTM-Entwicklungschef Habsburg stellt deshalb klar: "Irgendwann bringt es nichts mehr, die Auspuffanlage leiser zu machen." Die Ursprungsidee der EU, im Zuge von Euro 5+ den Geräuschgrenzwert von 77 dB(A) auf 72 dB(A) zu senken, ist laut ACEM technisch und wirtschaftlich nicht darstellbar.
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Fazit
Bisher haben die Hersteller selbst uns, die Halter, in die Verantwortung gezogen, wenn Motorradgeräusche im echten Leben zu Diskussionen führten. Doch ein real zu lautes Motorrad wird selbst mit zarter Hand getrieben immer mal wieder die Ohren der Anwohner stören. Und mit zu laut wahrgenommenen Krädern wurde die Stimmen nach noch schärferen Grenzwerten ebenfalls lauter. Doch: aktuell 77 dB(A) Fahrgeräusch sind beim Zweirad schwer zu toppen, da die mehr oder weniger freiliegenden Endantriebe und unverkleidete Reifen schon im Vorbeirollen allein fast so laut sind.
Um der drohenden Überregulierung der EU vorzukommen, haben die Hersteller das aktuelle Messverfahren der realen Fahrgeräusche ASEP komplett umgekrempelt und sich selbst recht arg beschnitten. Durch das Erweitern des Geschwindigkeitsbereichs und der Vielzahl möglicher Fahrzustände während der Prüfung müssen neue Motorradtypen ab 2024 deutlich öfter und länger leise sein, was das genaue Gegenteil zu heute ist, zumindest für Typen mit hoher Spitzenleistung und Auspuffklappe.
Nun wird es ab 2024 nicht schlagartig ruhig im Revier. Bis die neuen Modelle mit der neuen Norm im Programm den Markt durchdringen, wird es noch Jahre dauern, aber der Weg ist etwas ebener: Motorrad fahren muss weiterhin möglich sein, und zwar in einer gesunden Beziehung zur Umwelt.