Ratgeber: Richtig Bremsen, Teil 1 - ohne ABS

Ratgeber: Richtig Bremsen
Das Motorrad richtig abbremsen

Zuletzt aktualisiert am 21.07.2011

Ein Motorrad sicher abzubremsen ist eine komplexe Sache im alltäglichen Verkehr und erst recht bei einer Vollbremsung in einer kritischen Situation. Mehrere Aktionsebenen bilden ein schwieriges Handlungsmuster, dessen einzelne Bestandteile schrittweise erlernt und geübt werden müssen. Mit zunehmender Routine greifen all diese Aktionen zeitlich ineinander, und die Abläufe automatisieren sich. Klingt kompliziert? Ist es auch. Die richtige Bedienung von Hand- und Fußbremshebel ist nur eine von mehreren Aufgaben, die der Fahrer bewältigen muss. Wie gut eine Bremsung gelingt, wird bereits durch seine Sitzposition und Körperspannung beeinflusst. Wer auf der Maschine herumlümmelt wie auf einem Sofa, wird Schwierigkeiten haben, diese während einer Bremsung auf Kurs zu halten.

Es gilt, die richtige Mischung aus Körperspannung und Lockerheit zu finden. Also Knie an den Tank, Oberkörper aufrecht und Arme angewinkelt lassen. Wer hierbei verkrampft und sein Gewicht mit durchgestreckten Ellbogen auf dem Lenker abstützt, fühlt nicht, was das Vorderrad gerade macht und kann auch nicht mit dem nötigen Feingefühl reagieren. Ebenso wichtig ist die richtige Blickführung. Da mögen sich die Baumwipfel noch so schön im frisch aufpolierten Tank spiegeln, beim Bremsen heißt es: Kopf hoch und Blick weit voraus. Das unterstützt den Gleichgewichtssinn und das Gespür für Fahrzeugreaktionen. Beim Bremsen in Notsituationen ist es enorm wichtig, den Blick vom Hindernis zu lösen. Wer es in Schreckstarre fixiert, rammt es meist auch. Wer dagegen in die freie Lücke schaut, findet den Ausweg.

Jetzt heißt es zupacken! Ohne ABS wirds dabei kniffelig. Ein blockiertes Vorderrad führt schnell zum Sturz, da es keine Seitenführungskraft übertragen kann. Wenn kein System davor schützt, muss der Fahrer also selbst antiblockierend tätig werden. Der Reifen kann umso mehr Bremskraft auf die Straße übertragen, je mehr Gewicht auf ihm lastet. Aufgrund der dynamischen Radlastverteilung beim Bremsen verlagert sich das Motorrad immer weiter nach vorne. Im Extrem lastet das gesamte Motorradgewicht mitsamt dem des Fahrers, Beifahrers und Gepäcks auf dem Vorderrad. Reißt der Fahrer ruckartig am Bremshebel, blockiert das Vorderrad, noch bevor sich genügend Gewicht nach vorne verlagert hat. Steigert er den Bremsdruck dagegen kontinuierlich, innerhalb etwa einer halben Sekunde, hat das Vorderrad genügend Zeit, die Last aufzunehmen, und der idealerweise warme Reifen kann sich mit der Fahrbahn verzahnen. Also die Bremse erst leicht anlegen und dann immer stärker zupacken, ganz nach der Maxime, so schnell wie möglich und so behutsam wie nötig.

Wer die Hinterradbremse einen Sekundenbruchteil vor der vorderen betätigt, gewinnt zusätzliche Stabilität. Das Motorrad zieht sich dadurch auch hinten in die Feder, das Hinterrad kann ein wenig länger führen und Bremskraft übertragen. Wie MOTORRAD bei vielen Bremsmessungen festgestellt hat, lässt sich so ein kleiner, aber reproduzierbarer Gewinn beim Bremsweg erzielen, vor allem bei leichten Enduros oder Supersportlern, die zu Stoppies oder gar Überschlägen neigen. Aus diesem Grund betätigt das Combined ABS von Honda CBR 600 RR und Fireblade auch dann die Hinterradbremse, wenn der Fahrer nur am Handbremshebel zieht. Dieser Ablauf ist für jede Art von Bremsung richtig. Alltags-, Not- oder Rennstreckenbremsung unterscheiden sich letztlich nur in der Dosierung des Bremsdrucks.

Sollte es dann doch zum Blockieren des Vorderrads kommen, schützt nur das blitzschnelle Lösen der Bremse vor dem drohenden Sturz. Das erfordert zwar Überwindung, stellt jedoch die einzige Möglichkeit dar, die Kontrolle über das Motorrad zurückzugewinnen. Wer das Rad während der gesamten Bremsung kurz vor der Blockiergrenze hält, bremst perfekt.

Das Hinterrad spielt beim Bremsen eine untergeordnete Rolle. Es wird durch die Radlastverschiebung immer mehr entlastet, sodass es nur noch geringe Brems- und Seitenführungskräfte übertragen kann. Das führt zu einer erhöhten Blockierneigung, mit der auch am Hinterrad nicht zu spaßen ist. Ein unbedachter, ungeschickter Lenkimpuls kann in dieser Situation dazu führen, dass die Maschine mit dem Heck seitlich ausbricht, und schon bei moderater Schräglage sorgt ein blockiertes Hinterrad für deftige Rutscher. Im Zweifel die Hinterradbremse nach dem anfänglichen Impuls also lieber unterbremst lassen. Optimal wäre auch hier, sich knapp vor der Blockiergrenze zu bewegen.

Insgesamt hat richtiges Bremsen viel mit Routine zu tun. Selbst wenn alles passt, ist es wichtig, die Reaktionen des Motorrads frühzeitig zu erfühlen. Um dieses Gefühl zu schulen und den Handlungsablauf zu automatisieren, braucht es viel Übung. Die ist mit Umsicht und unter bestimmten Bedingungen im normalen Verkehr möglich, sollte jedoch am besten bei Sicherheitstrainings erfolgen.

Aufbau des Bremsdrucks

Das Diagramm zeigt den idealen Druckaufbau an Vorder- und Hinterradbremse bei einer Vollbremsung. "Normales" Bremsen sollte genauso ablaufen. Einen Sekundenbruchteil bevor er die Vorderradbremse betätigt, tippt der Fahrer die Hinterradbremse an. Dadurch zieht sich das Motorrad auch hinten in die Feder und bleibt während des Bremsens etwas länger stabil. Durch die Verzögerung verlagert sich das Gewicht nach vorne, die Bremskraft am Handhebel kann dadurch im Verlauf der Bremsung beträchtlich gesteigert werden. 

MOTORRAD-Tipp

Gutes Bremsen beginnt beim richtigen Sitzen. Knieschluss und Körperspannung helfen, möglichst wenig Gewicht am Lenker abzustützen. Den Bremsdruck schnell und kontinuierlich aufbauen statt ruckartig am Hebel ziehen. Das verhindert ein Blockieren. Wenn es doch passiert, Bremse kurz lösen und neu anlegen.