Recht haben und Recht bekommen
Motorradfahren und Verkehrsrecht

Trotz aller Vorsicht kommt es immer wieder zu strittigen Situationen im Straßenverkehr. Hier stehen Antworten auf häufige Fragen und Beispielurteile.

Motorradfahren und Verkehrsrecht

Winterreifen

Leser: Die StVO schreibt in § 2 Absatz 3a vor, dass bei Kraftfahrzeugen die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen ist, wozu insbesondere eine geeignete Bereifung gehört. Wie soll ich mich da als Biker, der kein Auto besitzt und auf sein Motorrad angewiesen ist, verhalten? Was, wenn mich die Polizei anhält und die Reifen meines Motorrads, für das es gar keine Winterreifen gibt, als nicht tauglich einstuft?

Andreß: Entgegen landläufiger Meinung gibt es in Deutschland keine generelle Winterreifenpflicht. § 2 Absatz 3 a StVO verlangt nur, dass die Bereifung an die Wetterverhältnisse angepasst ist. Solange die Straße schnee- und eisfrei ist, wird jeder Reifen geeignet sein. Bei schneebedeckter Fahrbahn ist man sich darüber einig, dass Reifen mit der Kennzeichnung „M+S“ oder dem so genannten „Schneeflockensymbol“ geeignet sind. Es dürfen auch andere „geeignete Reifen“ verwendet werden. Die Anforderungen an diese sind: grobes Profil und eine den niedrigen Temperaturen angepasste Gummimischung. Eine gesetzliche Regelung oder Norm gibt es nicht. Letztlich ist es eine Einzelfallentscheidung, ob Reifen geeignet sind oder nicht. Wer sein Motorrad nicht entsprechend ausrüstet, muss auch dann, wenn es keine zugelassenen Stollen- oder Winterreifen für das Fahrzeug gibt, mit einem Verwarnungsgeld von 20 Euro rechnen. Mit Behinderung wird ein Bußgeld in Höhe von 40 Euro fällig, plus ein Punkt im Verkehrszentralregister. Bei einem Unfall kann es deutlich teurer werden, zudem riskiert man den Schutz der Vollkaskoversicherung und im Haftpflichtfall eine schlechtere Quote.

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80 km/h bei Nässe

Leser fragen – der Anwalt Antwortet: Ralf Andreß, Rechtsanwalt und 2Räder-Verkehrsrechtsexperte, www.kanzleihga.de.

Leser: Auf etlichen Autobahnabschnitten gelten 80 km/h bei Nässe, so zumindest schreiben es die Verkehrszeichen vor. Aber wie wird "Nässe" definiert? Wenn es regnet? Wenn Wasser auf der Straße steht? Sobald die Straße leicht feucht ist? Oftmals scheint nach abziehenden Schauern schon längst wieder die Sonne auf eine abtrocknende Fahrbahn, und ich bin unsicher, was mich bei einer Radarkontrolle erwartet.

Andreß: Eine gesetzliche Definition gibt es nicht. Die Straße ist dann nass, wenn sie mit Wasser überzogen und nicht nur feucht ist oder nur in Spurrillen oder Pfützen Wasser steht. Um das festzustellen, gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Wenn es die messenden Beamten meinen.
  2. Wenn es das Gericht meint.
  3. Den eigenen gesunden Menschenverstand einsetzen.

Geschwindigkeitsbeschränkung

Leser: Wie muss ich mich verhalten, wenn ich mit meiner Hayabusa auf der Autobahn mit Vmax, also rund 300 km/h, an einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h vorbeibrause? Muss ich eine Vollbremsung einleiten? Ab wann nach dem Schild darf die Polizei eine Radarfalle aufbauen? Schließlich dauert es ja einige Meter, bis ich auf 120 km/h abbremsen kann. Mit anderen Worten: Ab wo ist das Tempolimit rechtskräftig?

Andreß: Eine Vollbremsung sollte Ihnen nicht passieren. Sie müssen Ihre Geschwindigkeit nicht nur den Sichtverhältnissen, sondern auch Ihren Fähigkeiten anpassen, § 3 Absatz 1 StVO. Sehen Sie eine Geschwindigkeitsbeschränkung nicht oder zu spät, waren Sie zu schnell. Zu schnell ist immer eine schlechte Ausrede, weil es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Eine Vollbremsung müssen Sie nur dann nicht einleiten, wenn die Geschwindigkeitsbeschränkung aus anderen Gründen zu spät zu sehen war. Die Geschwindigkeitsbeschränkung gilt ab dem Verkehrszeichen. Polizeiliche Richtlinien regeln Mindestentfernungen. Diese betragen zwischen 150 und 200 Meter. Bei besonderen Umständen, beispielsweise einem Kindergarten am Ortseingang, kann auch früher geblitzt werden.

Aussage gegen Aussage

Ein Autofahrer, der nach links in einen Feldweg abbiegen wollte, kollidierte mit einem Motorradfahrer, der dazu ansetzte, ihn zu überholen. Da beide Beteiligten die Situation unterschiedlich schilderten, stand bei dieser Klage Aussage gegen Aussage: Der Linksabbieger berichtete, er habe links geblinkt, das Tempo verringert und sich auf dem linken Teil der Fahrbahnspur eingeordnet, während der Motorradfahrer noch weit entfernt gewesen sei. Der Motorradfahrer hingegen schilderte, dass das vor ihm fahrende Fahrzeug unvermindert langsam gefahren sei und auch keinen Blinker gesetzt habe. Aus diesem Grund habe er sich zum Überholen entschlossen. Da keine Zeugen zugegen waren, konnte der Unfall nicht mehr aufgeklärt werden. Daher hat das Gericht zunächst geprüft, ob ein so genannter Anscheinsbeweis – nach aller Erfahrung spricht der Anschein dafür, dass es sich so verhalten hat – zugunsten einer Partei greifen würde. Da dies nicht der Fall war, teilten die Richter die Haftung zu je 50 Prozent auf beide Parteien auf.

(OLG Celle vom 19. 12. 2007, AZ.: 14 U 97/07)

Auspuff-Manipulation

Die Betriebserlaubnis eines Motorrads erlischt nur bei nachweislich willentlich vorgenommenen Umbauten und nicht, wenn Querbleche an einem Schalldämpfer mit EWG-Zulassung (EG-Betriebserlaubnis) infolge von Korrosion oder Alter abfallen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Az.: 1 Ss 30/05, vom 8. 2. 2006

Drängler

Ein Pkw-Fahrer, der sich durch ein Motorrad am Überholen gehindert fühlt, darf keine Drängelmanöver mit Minimalabstand unternehmen. Kommt es dabei zum Sturz des Motorradfahrers mit Verletzungen, ist von bedingtem Tötungsvorsatz und von Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung auszugehen.

Bundesgerichtshof, Az.: 4 StR 109/05, vom 28. 7. 2005

Motorradkauf

Ein Motorradkäufer, der sein Fahrzeug bei „ebay“ von privat erwirbt mit der Angabe „Kilometerstand: 30000“ und dem Hinweis „Motorrad wird ohne Gewähr verkauft“, kann die Rückabwicklung des Kaufs verlangen, wenn sich herausstellt, dass das Fahrzeug in Wahrheit 30000 Meilen (48280 Kilometer) Laufleistung aufweist.

Bundesgerichtshof Az.: VIII ZR 92/06, vom 29. 11. 2006

Haftung nach Unfall

Stürzt ein Motorradfahrer nach einer unnötigen, unvorhersehbaren Vollbremsung des vor ihm fahrenden Pkw, muss der Autofahrer zwei Drittel des Schadens tragen. Der Biker trägt ein Drittel, da sein Sicherheitsabstand so groß hätte sein müssen, dass sicheres Bremsen möglich gewesen wäre.

Landgericht München I, Az.: 17 O 2088/05, vom 7. 8. 2006

Diebstahl

Ein Motorrad mehrere Tage auf einem ungesicherten öffentlichen Parkplatz abzustellen, ist grob fahrlässig. Unter Umständen muss die Kaskoversicherung jedoch trotzdem das gestohlene Krad ersetzen – wenn nämlich nicht feststeht, wann der Diebstahl erfolgte. Kann der Diebstahl auch schon am ersten Tag erfolgt sein, ist die Fahrlässigkeit nicht der Grund für den Diebstahl.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Az.: 12 U 15/02, vom 20. 6. 2002

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Erscheinungsdatum 15.09.2023