Zehn Wochen Urlaub, ein fast neues Motorrad – die KTM 790 Adventure – sowie ein Satz frischer Stollenreifen. Und zwei Ideen, wohin die Reise gehen soll: als Anti-Urlaubsziel die Sperrzone von Tschernobyl und ansonsten möglichst abseits der Zivilisation in der vertrackten Bergwelt Vorderasiens möglichst viele Kilometer auf ungeteerten Pisten abzuspulen. Das waren die Zutaten für das anspruchsvolle Abenteuer, das sich der damals 34-jährige MOTORRAD-Leser Sebastian Goeß im Jahr 2019 zumuten wollte. Sebastian hatte damals erst seit 2017 den A-Führerschein, und kurz vor der Reise fuhr er erstmalig im Gelände. Nach 15.000 Kilometern Schotter, Matsch und abenteuerlichen Routen kann er allerdings nicht mehr mit seinem Beginner-Status kokettieren.
Mit dem Motorrad durch Rumänien/Moldawien
Anreise ab Würzburg und Auftakt zur Tour war in Europa, aber ab Rumänien verabschiedet man sich gefühlt vom Kontinent. Hier gibt es noch immer sehr viele kleine Dörfer und
nicht asphaltierte Straßen und hier hatte ich einige Monate zuvor meine Offroad-Premiere! Ich kannte dort also schon einen Mechaniker, der kurz einen Blick auf meine KTM werfen konnte. Mit einem weiteren Kontakt in Cluj habe ich mich auf ein Bier getroffen und dann ging’s weiter in die Republik Moldau. Kurz nach dem Grenzübertritt von Rumänien empfingen mich bereits feinste, endlose Schotterstraßen, auf denen einem höchstens ab und zu ein Pferdegespann entgegenkommt. Viele wissen nicht mal, dass Moldawien zu Europa gehört – tatsächlich kein typisches Reiseland. Absolut nette Leute dort!
Mit dem Motorrad durch die Ukraine (2019)
Von Touren in die Sperrzone rund um das 1986 zerstörte Atomkraftwerk Tschernobyl hatte ich schon vor einiger Zeit gehört; ein Besuch der Zone ist zwischenzeitlich gesundheitlich absolut unbedenklich – die Werte auf unseren Geigerzählern waren nur an einzelnen "Hotspots" leicht erhöht. Dass man einem solchen Ort mit dem nötigen Respekt und einer gehörigen Portion Demut begegnen muss, versteht sich von selbst. Mich hatte es gereizt, auf der Reise außergewöhnliche Erfahrungen zu mmachen,und ich habe zudem ein paar verrückte Bilder als Erinnerung eingefangen. Nach der Ukraine sollte es eigentlich nach Russland und über Tschetschenien nach Georgien gehen. Die nötigen Papiere hatte ich, aber leider genügten die dem Grenzbeamten nicht, diskutieren zwecklos. Plan B: Ab Odessa fährt fast täglich eine Lkw-Fähre nach Georgien. Fahrtdauer: fünf Tage. Der Komfort hielt sich in Grenzen, aber es gab dreimal täglich ein Essen, neue Reisebekanntschaften und viel Wodka mit den Brummifahrern.
Mit dem Motorrad durch Georgien
Müsste ich ein Land meiner Reise als Liebling auswählen – es wäre Georgien. Hier hat einfach alles gepasst: Land, Leute, Kultur und auch die Kulinarik. Da direkte Übertritte von Aserbaidschan nach Armenien und von Armenien in die Türkei nicht möglich waren, musste ich mehrmals zurück nach Georgien. Jedes Mal hatte ich mich wieder darauf gefreut! Ein besonderes Erlebnis war die Fahrt über rumpelige Bergpisten nach Ushguli im Großen Kaukasus, die sicher mit zu den anspruchsvollsten auf meinem Gesamttrip zählte. Auch auf asphaltierten Straßen muss man übrigens immer achtsam sein, hinter jeder Kurve könnte eine Herde Ziegen, Schafe, Schweine oder Kühe lauern. Meine Strategie: hinter einem Lkw herfahren, der langsam vortastend eine Schneise in die mitunter riesigen Herden schafft.
Mit dem Motorrad durch Aserbaidschan
Schlammvulkane? Noch nie gehört. Zumindest bis ich diese im Gobustan-Nationalpark sehen konnte. Die blubbernden und spritzenden Schlammvulkane zu beobachten ist einerseits fast schon meditativ, andererseits ist dieses Naturschauspiel zum Lachen komisch. Auch kurios, aber das Gegenteil von natürlich: die prunkvolle, moderne Hauptstadt Baku. In "Little Venice" kann man auf künstlichen Kanälen Gondel fahren, nachts prägen die bunt beleuchteten "Flame Towers" die Skyline der Metropole.
Mit dem Motorrad durch Armenien
In der gebirgigen Kaukasusregion zwischen Asien und Europa gehörte Armenien seit dem dritten Jahrhundert zu den ersten christlich geprägten Kulturen. Allerdings hatten die Armenier viele Feinde und mussten in ihrer langen Geschichte einige böse Schläge einstecken (Mongolen, Perser, Türken). Die 1922 gegründete Armenische Sozialistische Sowjetrepublik erklärte sich 1991 unabhängig, heutzutage ist man aber immer noch mit Aserbaidschan wegen der Region Bergkarabach zerstritten und mit den Türken ist ebenfalls noch nicht gut Kirschen essen, was zu Grenzproblemen führt. Aber atemberaubende Landschaft mit Straßen wie aus dem Bilderbuch und die lebendige Haupt- und Millionenstadt Jerewan waren für mich die Reise absolut wert.
Mit dem Motorrad durch die Türkei
Die Heißluftballons von Kappadokien im Nationalpark Göreme waren das wohl touristischste Ziel auf meiner Reise. Eigentlich ist Massentourismus nicht so mein Ding, aber es muss ja einen Grund haben, dass Tausende Touris jeden Tag noch vor Sonnenaufgang aus ihren Betten steigen, um Ballon zu fahren oder wenigstens Fotos vom Spektakel zu knipsen. Und so sage auch ich: Das muss man gesehen haben!