Die Ostalb. Ihr Ruf ist – zumindest im Schwabenländle – nicht der beste. Sie gilt als karg und angeblich sollen die Leute dort sehr einsilbig sein. Der Ostalbkreis, drittgrößter Landkreis Baden-Württembergs, von Norden nach Süden durchzogen von der A 7, ist nichts Gewachsenes, sondern ein Verwaltungskonstrukt der 1970er.
Ostalb: Zwischen Ellwangen und Heidenheim
Auf den ersten Blick wirkt das so einladend wie der Schrecken provinzieller Gewerbegebiete, die man als Motorradtourist möglichst meidet, von denen es dort aber tatsächlich eine Menge gibt. Doch auch die Ostälbler, sofern sie selbst Genuss suchend mit dem Motorrad unterwegs sind, fahren weniger "doahnoah" ("dorthin"), sondern lieber "doanebenum", also "drum herum". Das funktioniert auch gut, denn die Auswahl an kleinen, attraktiven Sträßchen, die sich über die ganze Gegend spannen, ist ausgezeichnet.
Nur am Rande: In der Region um Aalen, der größten Stadt mit 70.000 Einwohnern, waren Anfang der 1960er-Jahre zwei Drittel der Kreisstraßen noch nicht asphaltiert.
Schloss Taxi bei Dischingen
Andys umgebaute Yamaha SR 500 hört sich an, als könne der Auspuff auf kurzem Abstand Löcher in eine Bodendiele schießen. "Alles eingetragen", sagt Andy auf den Stufen einer Gaststätte sitzend. Er ist aus der Gegend und zeigt uns "seine" Alb. Von der Wiese gegenüber blöken ein paar Schafe. Als Andy zum Zaun geht, kommen sie gleich angelaufen, um ihn aus ihren großen Augen anzustarren und sich dann geduldig am Kopf kraulen zu lassen. Schön, die Nähe der Tiere, sie ist besänftigend, und schön auch, weiterzufahren, mit dem Gefühl, dass sie es dort gut haben, auf der Wiese hinterm Schloss Taxis, wo nur selten welche kommen, die einen am Kopf kraulen.
Kloster in Neresheim
Am Morgen war es losgegangen, und eigentlich hatte es auch eine festgelegte Route gegeben. Aber viel glücklicher macht es, von dieser immer wieder abzuweichen und sich irgendwo zu verfranzen, um nach den Überraschungen eines ungeplanten Abstechers die Richtung wiederzufinden. Zum Kloster Neresheim zum Beispiel, dessen spätbarocke Kirche von einem Kunsthistoriker mal als "erschütternd großartig" bezeichnet wurde. Die sieben Benediktiner, die im Kloster noch die Stellung halten, wissen vielleicht einen anderen Weg zum Glück. Beten statt fahren? Kann sein, doch glücklich zu werden scheint auf der Ostalb überall möglich.
Vor ein paar Jahren nämlich haben Meinungsforscher herausgefunden: Von allen Menschen in Deutschland sind, Überraschung, die auf der Ostalb am glücklichsten. Was aber gilt als Glück? In einem der Cafés am Wegesrand jedenfalls könnte man den ganzen Tag zufrieden sitzen, sich durch unzählige Kuchen probieren und sich im Gespräch mit ortsansässigen Gästen vom Glücklichsein anstecken lassen. Passiert dort automatisch.
Flugfeld bei Bopfingen
Wir fahren aber weiter und treffen auf einem kleinen Flugfeld bei Bopfingen auf Michael. Er steht auf dem Sandberg und wundert sich als Flieger gar nicht über das Glück auf der Ostalb. "Kann ich gut verstehen", sagt er und erzählt, wie es sich anfühlt für ihn in einer kleinen Maschine oder einem Segelflugzeug. Schon das Erzählen ist so, als nehme er einen mit in eine andere Welt."Du bist ganz bei dem, was du tust. Du denkst an sonst nix. Der Kopf", sagt Michael, "hat dort Pause." Kennt man das nicht sogar auch ein wenig als Motorradpilot, fragen wir uns.
Nördlinger Ries: 60 Meter tiefer Riesenkrater
Direkt unterhalb des Sandbergs liegt das Nördlinger Ries. "Nicht selten kommen deshalb Busse hierher", erklärt Michael. Die halten am Ende des Flugfelds, und die Reisenden steigen aus, um ihren Blick sehr weit (und damit sehr weit in die Vergangenheit) schweifen zu lassen. Sie sagen "oh" und "ah" und "schön" und sind begeistert, während sie auf die Folgen einer kosmischen Katastrophe gucken. 15 Millionen Jahre ist es her, dass ein kleiner Klumpen aus dem All den großen Knall brachte. Nicht größer als 1,5 Kilometer, aber über 70.000 Sachen schnell war er hier am Rand der Ostalb eingeschlagen.
Mit der enormen Energie von 1,8 Millionen gleichzeitig explodierenden Atombomben, sagen Wissenschaftler, löschte der Asteroid auf der Stelle alles Leben im Umkreis von über 100 Kilometern aus, verglühte selbst und ließ diesen überdimensionalen Suppenteller in der Landschaft zurück, den Rieskrater, 60 Meter tief und 24 Kilometer im Durchmesser. "Ein winziges bisschen nur Richtung Westen", sagt Andy und legt die Stirn in Falten,"dann wäre von einer Ostalb heute nicht die Rede. Es gäbe sie so nicht." Kein Schloss Baldern, kein Aalen und Heidenheim, keine Seen um Ellwangen, keine Bergwerke, keine Köhlereien, kein Limes, keine tiefdüsteren Wälder zwischen Bartholomä und Zang, keine Berge wie Ipf und Kaltes Feld und auch keinen pittoresken Furtlepass.
Erneut bemerken wir unterwegs nicht, wie die Zeit verrinnt, und erkennen, dass die restliche Strecke der vorgenommenen Tour wohl zu viel des Guten wäre. Zum Übernachtungsquartier sind es nur wenige Kilometer. Was soll’s. Morgen ist auch noch ein Tag – und: neuer Tag, neues Glück. Auf der Ostalb garantiert.