Die Sportler der Alpen-Masters 2012
Das Kabinett der hochalpinen Sportlergrausamkeiten kennt viele Facetten. Das bockharte Federbein der Bimota Brivido ergänzt sich mit der aufrechten Sitzposition zum 1a-Vorschlaghammer für die Wirbelsäule, die Heizspirale namens Krümmer unter der Sitzbank der Ducati Panigale brennt sich in Minutenschnelle durch Lederkombi und Unterhose, der lange Tank der Kawasaki ZZR 1400 mutiert in Kehren auch für große Menschen zur Streckbank und die Brachialbremse der S 1000 RR pumpt in Kombination mit den tiefen Lenkerhälften bei Berg-ab-Bremsungen untrainierte Unterarme regelmäßig auf Popeye-Format auf. Keine Frage: Mit modernen Sportmotorrädern in den Alpen – das ist harte Arbeit, manchmal schmerzhaft und nicht unbedingt so schnell, wie es sich anfühlt. Aber es ist auch ein an Intensität kaum zu überbietendes Motorradgefühl. Es ist einmalig, tief geduckt im Formationsflug die Pässe zu erklimmen, dabei allen Frostausbrüchen und Steinschlägen erfolgreich aus dem Weg zu gehen, virtuos am Kupplungshebel und Gasgriff zu zaubern und als Erster auf der Passhöhe anzukommen. Es ist, wie Sport immer ist. Eine Herausforderung an Mensch und Material.
Keine Frage, hier am Col de la Lombarde und Col de la Bonette sind Fahrer und Fahrzeug extrem gefordert, bei der diesjährigen Sportlerriege auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Beispiel Sitzposition: Natürlich sind sich die diesjährigen Superstars im
Superbike-Hochleistungsfeld, die Ducati Panigale (dieses Mal als Standardversion, also ohne elektronisch einstellbares Fahrwerk) und die BMW S 1000 RR, einig. Tief die Lenkerhälften, hoch die Fußrasten, dabei aber kompakt und versammelt. So erstürmt man auf den Rennstrecken dieser Welt die Pole Position, aber nicht ohne Stress die Gipfel im französisch-italienischen Grenzgebiet. Wobei: Bergan ist die Qual nur halb so schlimm, entschädigt das auf beiden ungemein transparente Gefühl fürs Vorderrad beinahe für die Hans-guck-in-die-Luft-Haltung.
Archiv
Die Leistung der vier Sportler.
Bergab hingegen wünschen sich auch verhinderte Weltmeister die höheren Lenkerhälften der dicken Kawasaki oder – noch besser – den breiten, hohen Superbike-Lenker der Bimota und damit eine bessere Spielübersicht. Deren eigentümliche Mischung aus bärenstarkem Ducati-Twin (der Elf-Grad-Testastretta-Motor stammt aus der Diavel und mobilisiert auf dem MOTORRAD-Prüfstand echte 151 PS), federleichtem Drumherum (vollgetankt 195 Kilogramm), rennstreckenmäßiger Fahrwerksabstimmung und aufrechter Sitzposition ist im Vorfeld ohnehin ein Geheimtipp für hochalpines Geläuf, und die DB9 erfüllt diese Erwartungen voll und ganz. Jedenfalls dann, wenn einzig Fahrdynamik und Erlebniswert zählen. „Wie eine Lawine, nur bergauf“, staunt einer, der zum ersten Mal mit ihr und der Macht dieses V2 konfrontiert wird. In der Tat: Der in Rimini mit einem neuen Mapping versehene Ducati-Twin reißt jeden mit, ganz unabhängig von gerade anliegender Drehzahl und Tempo. Ihre besondere Stärke: bergan aus niedrigem Tempo alle Gegner einzustampfen (siehe Messwerte), die ihr beim diesjährigen Alpen-Masters vor den insektenhaften Doppelscheinwerfer kommen.
Bevor es jedoch so weit ist, will der in den engen Kehren besonders sensible Punkt der Gasannahme umschifft werden, der sich im Feld dieser Leistungsmonster noch mit einer relativ langen Übersetzung der kleinen Gänge paart. Im Fall der Bimota bedeutet das, den überaus harten Leistungseinsatz mit feinfühliger Arbeit an der schwergängigen Kupplung zu begegnen. Das strengt auf Dauer ebenso an wie das harte Federbein oder die brachiale Bremsanlage, weil mangels ABS die Angst vorm Blockieren immer mitfährt.
Überhaupt, die elektronischen Helfer ABS und Traktionskontrolle: für Puristen ein Fluch, in den Alpen ein Segen. Besonders hier, in der Sportlerriege, die ohnehin drei Viertel ihrer Brems- und Motorleistung völlig unnötig den Berg hinaufschultern. Nicht, weil sie schneller machen, sondern weil sich mit ihnen entspannter fahren lässt.
Jahn
Es ist, wie Sport immer ist. Eine Herausforderung an Mensch und Material.
Beispiel Ducati Panigale: Mal abgesehen von dem eingangs erwähnten Dauerfeuer unter der Sitzbank und ihrem wirklich störend lauten Auspuffgeräusch schlägt sich die rote Diva hier erstaunlich gut. Gerade auch, weil ihre Traktionskontrolle beim diffizilen Ritt aus den engen Kehren eine echte Hilfe ist. Einfach Stufe acht einstellen, Vollgas geben und die Elektronik machen lassen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Das viel zitierte Leistungsloch des V2 spielt im richtig engen Geläuf kaum eine Rolle, weil Drehzahlen weit über 4000/min hier in der Regel nicht notwendig sind. Der beherzte Antritt aus ganz niedrigen Drehzahlen hingegen ist hochwillkommen. Und auch, dass die Panigale ohne S spürbar komfortabler abgestimmt ist als ihre Edelschwester, kommt ihr hier entgegen.
Um den Fahrkomfort einer BMW S 1000 RR zu liefern, reicht es trotzdem nicht. Auch wenn die radikale Münchnerin hier im Gebirge keinesfalls zur Sänfte wird. Und dennoch: Gerade im direkten Vergleich zur Ducati fällt auf, dass die BMW alles etwas geschmeidiger kann. Sie geht nach der jüngsten Modellpflege spürbar sanfter ans Gas (auch der schwergängige Gasgriff ist passé), schiebt dank kürzerer Übersetzung gleichmäßiger an, federt hinten spürbar sensibler ein und sattelt mit der Alternativbereifung Conti Sport Attack 2 (im Vergleich zum Metzeler Racetec K3) auch beim Handling nochmals ordentlich drauf, ohne jedoch die in dieser Hinsicht spielerische Leichtigkeit der Duc zu erreichen. Dafür liefert sie das transparenteste Feedback im Feld, überzeugt mit wirksamer, nicht ganz so fein wie bei der Panigale regelnder Traktionskontrolle und famosem ABS, glänzt gemessen an ihrer radikalen Ausrichtung mit echtem Allroundtalent, einer für Superbike-Verhältnisse relativ komfortablen Sitzposition – und scheitert unterm Strich dennoch ganz, ganz knapp an der mächtigen 1400er-Kawa. Ganz einfach, weil sich nach stundenlanger Pässehatz auch der größte Sportfreak einen besseren Fahrwerkskomfort wünscht, als die echten Sportskanonen liefern können.
Die dicke Kawa liefert, und zwar umgehend. Ebenso wie die eine oder andere meditative Ruhephase auf den Verbindungsetappen. Dann schnurrt der bärige Big Block mustergültig vor sich hin, vibriert praktisch nicht, geht geschmeidig ans Gas, ist immer Herr der Lage – und bietet damit unter dem Strich von der An- bis zur Rückreise das breiteste Einsatzspektrum des Quartetts.
Jahn
Die Sportler der Alpen-Masters 2012.
Wie überhaupt die ZZR 1400 insgesamt. Ihr Handling ist gemessen an Masse und Ausmaßen auf erstaunlich hohem Niveau, sie hat mit Traktionskontrolle (nicht so fein regelnd wie bei den Sportlern) und ABS zeitgemäße und ordentlich funktionierende Technik an Bord, bietet guten Wind- und Wetterschutz und bei Bedarf sogar der Sozia ein feines Plätzchen an. Das gibt ordentlich Punkte auf dem Konto, macht die dicke Kawa zum Multitool unter den Sportskanonen. Dafür werden vor allem jene, die gerne zu zweit reisen, Gepäck mitnehmen und eine weite Anreise haben, vermutlich gerne auf das letzte Quäntchen Rückmeldung und Zielgenauigkeit verzichten, zumal die Extremsportler aus Italien und Bayern in dieser Hinsicht nichts, wirklich gar nichts zu bieten haben. Dafür muss der ZZR-1400-Treiber auf das eingangs beschriebene Sportlergefühl verzichten. Auf die Intensität, auf extrovertierten Sportlersound, auf unnachgiebige Härte. Aber irgendwie werden wir ja auch alle nicht jünger, oder?
Sieger Sportler Kawasaki ZZR 1400
Zugegeben, ein waschechter Sportler ist die Kawa nicht. Deshalb schlägt die wuchtige ZZR die asketischen Racer weder auf der Feierabendrunde und schon gar nicht auf der Rennstrecke. In den Alpen aber sticht sie mit Qualitäten, die die Sportsgeister nicht bieten können: Komfort, Laufkultur und gute Manieren.
Bimota DB9 Brivido SC
Jahn
Bimota DB9 Brivido SC: Der bärenstarke Ducati-V2 überzeugt. "Wie eine Lawine, nur bergauf", staunt einer, der zum ersten Mal mit der Macht dieses Motors konfrontiert wird.
Daten
Zweizylinder, 1198 cm³, 162 PS, 128 Nm, 195 kg, Zuladung 145 kg, 20790 Euro
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 6,8 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 264 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 6,7s,
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 4,5 s,
Bremsweg bergab: 29,8 m
Plus
Bärenstarker Ducati-V2 mit modifiziertem Mapping, vorbildlich gleichmäßige Leistungsentfaltung über den gesamten Drehzahlbereich, aktive und bequeme Sitzposition, niedriges Gewicht, feine Details, hoher Unterhaltungswert.
Minus
Extrem hoher Preis, brettharte Federbeinabstimmung, schwergängige Schaltung und Kupplung, nervöser Geradeauslauf und geringe Stabilität in schnellen Ecken, geringer Lenkeinschlag, nicht soziustauglich.
BMW S 1000 RR
Jahn
BMW S 1000 RR: Die BMW macht alles etwas geschmeidiger als die Konkurrenten.
Daten
Vierzylinder, 999 cm³, 193 PS, 112 Nm, 209 kg, Zuladung 196 kg, ABS, Traktionskontrolle, 16100 Euro/17891 Euro*
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 5,8 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 304 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 6,9 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 6,1 s
Bremsweg bergab: 26,3 m
Plus
Trotz straffen Fahrwerks exzellente Rückmeldung, gelungene Sportlerergonomie, Motor mit breitem Drehzahlband, gute Fahrstabilität, berechenbarer Leistungseinsatz, tolle Bremsen.
Minus
Sitzposition nicht gerade kompakt, Lenkerkröpfung ungünstig, spürbares Aufstellmoment beim Bremsen, fährt in engen Kehren gerne die weite Linie.
*incl. ABS und DTC (1230 Euro), Schaltassistent (364 Euro) und Heizgriffe (197 Euro)
Ducati 1199 Panigale
Jahn
Ducati 1199 Panigale: Die rote Diva schlägt sich in den Alpen erstaunlich gut. Gerade auch, weil ihre Traktionskontrolle beim diffizilen Ritt aus den engen Kehren eine echte Hilfe ist.
Daten
Zweizylinder, 1198 cm³, 195 PS, 132 Nm, 195 kg, Zuladung 175 kg, ABS, Traktionskontrolle, 19490 Euro
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 6,1 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 277 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 7,6 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 5,2 s
Bremsweg bergab: 28,3 m
Plus
Tolles Handling, gemessen an früheren Ducati-Verhältnissen bequeme und aktive Sitzposition, feine Regelung von ABS und Traktionskontrolle, nicht ganz so bretthartes Federbein wie an der S-Version, geringes Gewicht.
Minus
Fahrersitz heizt sich extrem auf, der laute Auspuffsound nervt, Federbein zu hart (funktioniert mit zwei Personen jedoch prächtig), Soziussitz unwürdig.
Kawasaki ZZR 1400 (Sieger)
Jahn
Kawasaki ZZR 1400: Ein bäriger Motor und ein für die Fahrzeugmasse gutes Handling sorgen dafür, dass die Kawasaki zum Sieger unter den Sportlern gekürt wird.
Daten
Vierzylinder, 1441 cm³, 200 PS, 163 Nm, 267 kg, Zuladung 176 kg, ABS, Traktionskontrolle, 15595 Euro
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 6,4 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 341 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 8,8 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 5,8 s
Bremsweg bergab: 25,2 m
Plus
Bäriger Motor, der auf wirklich jede Situation die richtige Antwort hat, für die Fahrzeugmasse gutes Handling, bequeme Sitzbank für Fahrer und Sozia, ABS, Traktionskontrolle.
Minus
Sitzposition nicht gerade kompakt, Lenkerkröpfung ungünstig, starkes Aufstellmoment beim Bremsen, fährt in Kehren gerne den großen Bogen, schwer, wenig Zuladung.