Als die neue Aprilia-V4 kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres zum ersten Mal erwischt wurde, handelte es sich um »prototipo zero«. Mittlerweile geriet »prototipo 01« vor die Linse eines ambi-tionierten Erlkönigjägers, und die heimlich geschossenen Fotos zeigen noch immer große Ähnlichkeit mit dem Null-Prototyp. Die Gehäusedeckel des Motors erscheinen gleich, ebenso Auspuff, Rahmen, Schwinge und Gabel. Und die Verkleidungskuppel stammt ebenfalls noch von der RSV 1000. Gleichwohl erlauben die neuen Bilder interessante Rückschlüsse.
Der größte Unterschied zwischen damals und heute betrifft nämlich die Seitenteile der Verkleidung. Im Winter noch kantig, zerklüftet und mit großen Öffnungen, heute geschlossene Flächen mit nur einem großen Auslass auf jeder Seite. Dafür insgesamt knapper geschnitten. Ihre Form entspricht keiner der bislang gesehenen Varianten, auch nicht der in MOTORRAD 14/2007 gezeigten Computerretusche, die ja immerhin auf einem Foto des sogenannten Clay-Models beruht.
Folgende Hypothese drängt sich auf: Aprilia untersucht den Temperaturhaushalt des Motors im eingebauten Zustand und optimiert die Luftführung des gesamten Systems, also im Zusammenspiel aller beteiligten Nebenaggregate. Ein Vergleich mit den Fotos des »prototipo zero« in Front-ansicht erlaubt die Vermutung, dass der Kühler mit einer enorm großen Fläche, nebenbei bemerkt inzwischen konfiguriert ist. Nun gilt es, die beim Durchströmen der Lamellen aufgeheizte Luft effizient abzuführen. Das heißt, ohne dass die Airbox, der Rahmen, das Federbein, empfindliche Elektronikteile und nicht zuletzt der Fahrer unnötig viel Hitze erdulden müssen. Dieses Ziel kollidiert mit dem Streben nach guter Aerodynamik, die glatte, geschlossene Flächen verlangt. Allem Anschein nach suchen die Aprilia-Techniker momentan den besten Kompromiss.
Die Hypothese von dieser ganz eigenen Klimaforschung wird auch gestützt durch den Anblick eines merkwürdig verlegten Sensorkabels. Es verläuft von der Wasserpumpe entlang des nach vorne oben verlaufenden Kühlwasserschlauchs und fällt ins Auge, weil es bei knackiger Linksschräglage durchgescheuert zu werden droht. Das von schräg oben aufgenommene Foto offenbart auch eine mächtig breite Tankoberseite der V4-Maschine. Weil der Motor und die aufgesetzte Airbox sehr hoch bauen, muss der Benzinvorrat offensichtlich in die Breite verteilt werden.
In jüngster Zeit sind Gerüchte aufgekommen, denen zufolge das Projekt im Rückstand sei, weil die Leistungsausbeute beträchtlich hinter der angepeilten Marke zurückbleibe. Der angebliche Grund dafür wäre besonders prekär, nämlich die durch den engen Zylinderwinkel von 65 Grad beeinträchtige Führung der Einlasskanäle. Wie zu erwarten widerspricht der technische Direktor von Aprilia, Romano Albesiano, vehement, und seine Gründe klingen plausibel. »Der enge Zylinderwinkel würde uns nur dann beeinträchtigen, wenn die Bohrung wesentlich größer wäre. Doch wie schon im Winter betont: Wir bauen kein MotoGP-Triebwerk, unser V4 hat lediglich etwas mehr Bohrung als die aktuellen serienmäßigen Reihenvierzy-linder aus Japan.«
Mit dem Prototyp der NA 850 Mana verfolgt Aprilia ein anderes Erkenntnis-interesse, will mit dem späteren Serien-motorrad ja auch einen ganz anderen als den Sportlermarkt bedienen. In Italien verkaufen sich derzeit vor allem Naked Bikes und Roller, und die Mana ist die perfekte Verbindung dieser beiden Ansätze. Weil sie aus ihrem von einem Rollertriebwerk inspirierten Einnocken-Zweizylinder keine rekordverdächtige Leistung holen muss, sondern sich mit rund 75 PS begnügt, kennt sie keine Hitzeprobleme. Bei ihr dürfte vor allem das Automatikgetriebe im Fokus der Testabteilung stehen. Es soll entweder ganz ohne Zutun des Fahrers die Übersetzungen wechseln oder wahlweise per Knopfdruck am Lenker oder mit einem normalen Fußschalthebel. So verwundert es nicht, am rechten Schwingenarm des fotografierten Testmotorrads, in diesem Fall die Antriebsseite, ein rotes Sensorkabel zu erblicken, das irgend-welche Daten übermittelt.
Dass ein Automatikgetriebe nicht unbedingt etwas mit gemütlichem Fahren zu tun haben muss, zeigt der Tester der Mana sehr eindrucksvoll. Seitenständer und Schalthebel setzen jedoch in Links-kurven der Schräglage enge Grenzen, wie leicht zu erkennen ist. Beim Aufbau des Prototyps muss die Zeit so knapp gewesen sein, dass sie nicht einmal zum Lackieren des Gitterrohrrahmens ausreichte; im Bereich um den Lenkkopf haben die Stahlrohre schon Flugrost an-gesetzt. Vielleicht hat die Eile damit zu tun, dass die Präsentation der Mana in den September vorgezogen wurde.
Der dritte Erlkönig dieser Geschichte, die KTM Duke III, wird offiziell erst im November auf der Messe in Mailand präsentiert. Vorher ist noch ein anderes Mitglied der 690-Familie dran, die 690 Enduro. Mehr über sie wird in der nächsten MOTORRAD-Ausgabe zu lesen sein. Wobei auch jener Duke-Prototyp kaum noch getarnt wirkt, der einem aufmerksamen MOTORRAD-Leser erst nach dem fotografischen Abschuss entkommen konnte. Eigentlich fehlt nur noch die Serienlackierung. Der Auspufftopf mitsamt Mündungen unter dem Motor scheint gesichert, eventuell bekommt er noch eine zusätzliche Verkleidung im Bereich der hinteren Aufhängungen. Sie sehen zwar nicht mehr provisorisch, aber auch nicht besonders ästhetisch aus.
Aprilia RS 1000 V4, NA 850 Mana und KTM Duke III bei Tests erwischt : Heiße Phase
Die Tests der neuen Aprilia V4 seien in der heißen Phase, so ein Aprilia-Techniker. Ob das etwas mit den Temperatursensoren am Prototyp zu tun hat? Noch heißer scheinen das Automatik-Motorrad Mana und die KTM Duke zu sein. Sie werden im Herbst präsentiert.
