PS-Bridgestone-TunerGP 2016 Racing-Aprilia RSV4 R

Aprilia RSV4 R beim PS-Bridgestone-TunerGP
Armada Arrabbiata

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Zuletzt aktualisiert am 09.08.2016

Die Hitliste der Verkaufszahlen führte die Aprilia RSV4 R zwar nie an. Doch trotz des Fehlstarts bei ihrer Präsentation im Herbst 2009, als der internationalen Presse die Motoren wegen fehlerhafter Pleuel reihenweise um die Ohren flogen, hat die RSV4 R eine kleine, aber treue Fangemeinde. Durchschnittlich rollte der Renner in Deutschland zwischen 2010 und 2015 jährlich immerhin 266 Mal vom Hof der Händler. Obwohl immer mehr Hobbyracer mit der Aprilia RSV4 R über die Rennstrecken bügeln, sieht man das Bike dort immer noch vergleichsweise selten. Völlig zu Unrecht! Denn die Aprilia ist ein erstklassiges Wetzeisen, das trotz des jüngsten Ausstiegs aus der Superbike-WM puren Racing-Spirit versprüht. Umso stärker fieberten wir dem TunerGP entgegen, da sich gleich drei Teams mit dem Hammerbike aus Noale angemeldet hatten.

Aprilia RSV4 R von Zweiradtechnik Grebenstein

Nehmen wir uns zunächst die Meistermaschine des diesjährigen Deutschen Langstreckencups (DLC) zur Brust. Nach dem Titel 2014 und dem Vizetitel letztes Jahr schlugen die Jungs und Mädels aus Gera heuer erneut zu: Sieger der Klasse 4, Dritte der Gesamtwertung. „Wir achten besonders auf eine angenehme Fahrposition“, erklärt Teamchef und Aprilia-Händler Karsten Grebenstein. „Dass die Piloten während langer Turns entspannt sitzen, ist extrem wichtig.“ Tatsächlich bietet die Sitzbank (Sebimoto) viel Platz. Kein Vergleich zum Serienbike, bei dem sich Piloten ab zirka 1,80 Metern Körper-größe stark zusammenfalten müssen. Ein weiteres Schlüsselkriterium ist die Zuverlässigkeit. „Die Motor-Hardware ist komplett serienmäßig“, bekennt Grebenstein. „Wir haben den Antrieb lediglich zerlegt, vermessen und akkurat wieder zusammengebaut.“

Änderungen nahmen die Thüringer dagegen an der Peripherie vor. Einspritzdauer und Zündzeitpunkte bestimmt nun die Elektronik aus der Aprilia-Rennabteilung. Obwohl das Elektronik-Kästchen (APX II) allerlei Eingriffe zulässt, fährt das Team mit der Standardeinstellung. „Bei Langstreckenrennen sind umfangreiche Änderungen bei der Elektronik nicht kriegsentscheidend“, weiß der Chef.

Über Sieg oder Niederlage entscheidet allerdings, wie kräftig die Piloten aus den Ecken beschleunigen. In diesem Punkt zeigt die Grebenstein-Aprilia des aktuellen Jahrgangs eine kleine Schwäche. Dem PS-Zeitenjäger und ehemaligen Moto2-WM-Piloten Arne Tode fällt auf, dass sie beim Herauspowern aus Kurven auf der letzten Rille von der Elektronik etwas eingebremst wird: „Trotz deaktivierter Traktionskontrolle spürt man feine Eingriffe, die maximales Beschleunigen verhindern.“ Woher diese Eingriffe letztlich rühren, lässt sich vor Ort nicht bestimmen. Sie spielen sich jedoch offenbar in Bereichen ab, in die Normalsterbliche nicht gelangen. Denn die weiteren PS-Tester stellen kein unerwünschtes Regeln der Elektronik fest. Im direkten Vergleich mit den anderen beiden Aprilias fehlt lediglich etwas Punch ab mittleren Drehzahlen.

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Diesen subjektiven Eindruck bestätigt das Leistungsdiagramm (Seite 41). Der mobile Dynojet-Prüfstand, seit Beginn fester Bestandteil des TunerGP, attestiert der Aprilia 196 PS an der Kurbelwelle. Das ist zwar kein Spitzenwert, die Konkurrenz schickt 201 PS (WSC Neuss) und 205 PS (Peuker & Streeb) ins Rennen. Doch der Grebenstein-V4 serviert seinen Punch schön linear, weder Leistungseinbrüche noch -spitzen stören bei der Hatz durchs Drehzahlband. Auch das spielt bei Langstreckenrennen eine große Rolle. Außerdem geht der Renner fein ans Gas, was die Kondition ebenfalls schont.

Dazu trägt auch das Fahrwerk bei. Zwar rüttelt der Lausitzring mit seinen teils groben Runzeln die Fuhre mitunter ordentlich durch. Eine Schlüsselstelle bildet die mit üblen Buckeln gespickte Zieleingangskurve. Doch letztlich bleibt davon kaum ein Bike verschont. Und was die Aprilia von Grebenstein in den Kurven draufhat, ist einfach herrlich. Sie erlaubt engste Linien, winkelt leichtfüßig und zielgenau ab, auch auf der Bremse. Darüber hinaus liegt sie in Schräglage äußerst stabil und liefert viel Feedback. Für diese Performance modifizierten die Techniker die Serienfederelemente und hoben das Niveau vorn und hinten etwas an. Um genügend Bremsstabilität und Traktion zu konservieren und die Wheelie-Neigung zu minimieren, verlängerten sie außerdem die Kette und rückten das Rad ganz nach hinten.

Zu den wirkungsvollen Änderungen am Fahrwerk mag die stumpfe Bremse nicht so recht passen. Bis auf dickere Scheiben und andere Beläge entspricht die Anlage der Serie. Zwar bleibt der Druckpunkt stabil und auch die Wirkung ist beachtlich. Doch der Kraftaufwand beim Kampfankern ist riesig. „Das ist alles eine Frage der Beläge“, grinst Grebenstein. „Wir fahren Langstrecken-Pads. Die halten locker ein Acht-Stunden-Rennen durch.“

Besonders stolz ist man im Team auf den Eigenbau-Tank (Volumen: 24 Liter) und die ebenfalls selbst entwickelten Schnellwechsel-Vorrichtungen der Räder. „Beim WM-Gaststart letztes Jahr in Oschersleben waren wir beim Boxenstopp Viertschnellste. Ein Komplettservice mit Räderwechsel und Nachtanken dauert im Idealfall nur zirka 20 Sekunden.“ Zum Vergleich: Die Werksteams benötigen für diese Übung 12 bis 15 Sekunden. Auch dieses Jahr plant Grebenstein einen Einsatz in der Magdeburger Börde. Start: 27. August. Wir drücken die Daumen!

Aprilia RSV4 R von WSC Neuss

Als TunerGP-Neuling pilgerte die Firma WSC Neuss in die Lausitz. Im Gepäck hatte Inhaber Roland Matthes eine piekfein aufgebaute 2016er-RSV4 R. Auch der Händler aus Nordrhein-Westfalen beließ die Innereien des V4 im Serienzustand. Er justierte lediglich die Steuerzeiten penibel auf die Werkseinstellung ein. Dazu steckt an dem Bike, wie auch an den anderen beiden Aprilias, ein Volltitanauspuff (EVO) von Akrapovic inklusive Karbon-Endtopf. Bei dieser Maßnahme sind sich die Aprilia-Tuner offensichtlich einig. Die Motorsteuerung übernimmt eine auf die Änderungen abgestimmte Superstock-Werks-ECU. Ums thermische Wohl kümmert sich ein speziell angefertigter, riesiger Kühler. „Er erhöht die Kühlleistung um zirka 35 Prozent“, freut sich Matthes. „Selbst bei Außentemperaturen um 25 Grad kleben wir ihn noch etwas ab. Das Teil hat enorme Reserven.“

Auch Zeitenfahrer Arne hat Grund zum Schwärmen. „Die RSV4 nimmt super Gas an“, strahlt er. „Dadurch kann ich die Leistung am Kurvenausgang perfekt dosieren, was sehr angenehm ist. Zeitenmäßig bringt das aber wohl keine Vorteile.“ Ein Blick aufs Rundenzeitenprotokoll bestätigt seine Vermutung. Die drei Aprilias liegen mit pfeilschnellen 1.43er-Runden sehr dicht beeinander, maximal zwei Zehntel trennen das Trio. Damit reihen sich die Italienerinnen nahtlos ins hochkarätige Superbike-Testfeld des diesjährigen TunerGP ein. Lediglich die bärenstarke Wilbers-BMW S 1000 RR aus der Superbike-IDM (217 PS) und die Klein-Yamaha YZF-R1 (212 PS) schafften 42er-Zeiten (siehe PS 08/2016).

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Diese Dichte belegt die durchweg hohe Qualität der Bikes. Da macht die WSC Neuss-Aprilia keine Ausnahme. Allerdings musste ihr Fahrwerk hierfür deutlich umgekrempelt werden. Die zunächst soft abgestimmten Federelemente bügelten die fiesen Wellen und Kanten des Lausitzrings weg wie keine andere Maschine – top! Dafür fuhr die RSV4 am Kurvenausgang etwas weite Linien, insgesamt hielt sich das jedoch in akzeptablen Grenzen. Erst als unsere schnellen Ex-Racer böse am Kabel zogen, kam das Bike an seine Grenzen. „In der Schikane nach der Gegengerade sackt die Front am Kurveneingang ab. Außerdem knickt das Heck beim Herauspowern an den Kurvenausgängen ein und die RSV4 fährt weite Bögen“, monierten die Rennfahrer einhellig. „Dadurch kann man erst sehr spät ans Gas gehen. Außerdem rührt die Aprilia beim Beschleunigen deutlich mit dem Lenker, und beim scharfen Anbremsen kommt sie quer.“

Uff, ganz schön heftige Kritik! Die Radikalkur erledigt WSC Neuss selbst: Dämpfung der überarbeiteten Federelemente vorn und hinten stark straffen, dazu den statischen Negativfederweg des Federbeins für eine bessere Bremsstabilität von vier auf 18 Millimeter anheben. „Viel besser“, versichern die Racer. „Doch superenge Linien wie die beiden anderen Aprilias erlaubt das Bike immer noch nicht.“ Das mag mit dem um einen Millimeter abgesenkten Schwingendrehpunkt zusammenhängen. Eine flacher stehende Schwinge bietet theoretisch eine bessere Traktion und mehr Stabilität, was aber zulasten des Handlings geht. Doch insgesamt rangiert das Fahrwerk nun auf absolutem Top-Niveau.

Das gilt erst recht für die Bremse. Das System stammt von Brembo und umfasst Pumpe (Racing PR19), Sättel (Racing XA7G) und 6,5 Millimeter dicke Scheiben. Die Beißer sind der Hammer: ultrastabiler Druckpunkt, supertransparent, extrem wirkungsvoll, unkaputtbar. Das hat allerdings seinen Preis. Das Komplettsystem kratzt schon an der 15 000-Euro-Marke – man gönnt sich ja sonst nichts.

Aprilia RSV4 R von Peuker & Streeb

Solch teure Komponenten kommen bei der Aprilia RSV4 RR Racepack (Baujahr 2015) des baden-württembergischen Händlers Peuker & Streeb nicht zum Einsatz. Dennoch überzeugt auch ihr Bremsenmix aus mit Titankolben ausgestatteten Originalsätteln, 17er-Brembo-Brems­pumpe (Kraft-Wege-Verhältnis einstellbar) und 5,5 Millimeter starken Moto Masters-Scheiben. Selbst harte Bremsattacken steckt diese Kombi klaglos weg. Lediglich Einfinger-Bremser wünschen sich etwas giftigere Beläge und mehr Biss – reine Geschmackssache.

Eine fahrwerkstechnische Besonderheit bietet die Motoraufhängung der Aprilia. Der Antrieb steckt etwas tiefer im Rahmen, wovon sich Techniker und Ex-Racer Michael Rapp eine enge Linienwahl und besseres Handling verspricht. Tatsächlich sticht die Italienerin – ähnlich wie das höhergelegte Grebenstein-Bike – auf der Wunschlinie und supereasy in die Ecken. Kurventanz vom Feinsten! Offenbar führen bei dem Superbike mehrere Wege zum Ziel.

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Unterschiedliche Einstellmöglichkeiten bieten auch die IMA-Zubehör-Gabelbrücken. Ihr Versatz („Offset“) lässt sich variieren, was sich auf die Geometrie (Nachlauf, Radstand) auswirkt. „Wir haben hin und her probiert, doch die Standardposition funktioniert am besten“, schlussfolgert Rapp.

Auch beim Setup der Federelemente experimentierte der Fahrwerksspezialist. Mit ähnlichem Erfolg wie anfänglich WSC Neuss: top bei Bodenwellen, flop in Kurven. Obwohl die Buckelpiste dazu verleitet, darf man das Fahrwerk in der Lausitz nicht zu weich abstimmen. Im Zweifelsfall lieber etwas Unruhe in Kauf nehmen und dafür lasergenau und mit reichlich Dämpfungsreserven fürs Herausballern aus den Ecken um die Piste jagen. Das gilt auch für den bereits erwähnten, heiklen Streckenabschnitt am Eingang Start/Ziel.

Erst nach dem Event erfuhr der Autor von einer geheimen Linie in dieser Passage: möglichst lange möglichst weit innen bleiben. Mist, warum hat das keiner früher gesagt! Beim nächsten Ausflug in die Lausitz muss ich diese Linie unbedingt ausprobieren!

Bis es so weit ist, widmen wir uns dem Antrieb. Wie die beiden RSV4 der Konkurrenz kommt auch dieses Bike ohne aufwendiges Motortuning aus. „Werks-Racingteile packen zwar richtig Leistung in den V4“, weiß der Peuker & Streeb-Techniker. „Doch dann muss der Motor alle 2500 Kilometer überholt werden, was ziemlich aufwendig und teuer ist. Für Hobbyracer lohnt sich das einfach nicht.“ Recht hat er. Zumal das Triebwerk auch ohne kostspielige Spezialteile formidabel puncht und seine 205 Pferde wunderbar gleichmäßig von der Leine lässt. Dazu geht die Italienerin fein ans Gas – zumindest im Fahrmodus „S“. Möglich machen das ein überarbeitetes Lufteinlasssystem und ein durchsatzfreudiger Luftfilter, wie er auch in der Superbike-WM eingesetzt wird. Außerdem steckt eine Racing-Lichtmaschine im Motor, wodurch der Antrieb schneller hochdreht. Das Ganze sauber mit einem Power Commander im Verbund mit der Stock­sport-ECU abgestimmt, fertig ist der Rennstrecken-Brenner. Extrascharf – wie die beiden anderen.