Die Ducati 899 Panigale machte keine Ausnahme: Wie die meisten anderen Testmotorräder musste sie auf den Prüfstand, bevor irgendetwas anderes mit ihr passieren konnte. Und bevor ein Meter gefahren war, sorgten die dort ermittelten Leistungs- und Drehmomentkurven für Diskussionen. „Die von der Kleinen sind ja genauso wellig wie die von der Großen. Soll das eine homogenere Leistungsentfaltung sein?“, fragten manche.
Der Autor, nach seinem lobenden Fahrbericht in MOTORRAD 23 für einen Moment konsterniert, schaute genauer hin und entdeckte, dass die Wellen in den Kurven der Ducati 899 Panigale zwar demselben Rhythmus folgen wie in denjenigen der 1199, sich aber längst nicht so stark ausprägen. Mehr noch: Der Superquadro-V2 der 899 hat ziemlich genau 75 Prozent des Hubraums des 1199-Motors, der ein 1198er ist. Nach tatsächlich gemessenen Werten liefert der kleinere Motor aber fast über den gesamten Drehzahlbereich mehr als 75 Prozent an Leistung und Drehmoment des großen. Selbst da, wo der Vorsprung des 1198ers am größten ist, etwa im Bereich um 4000/min, sind es genau 75 Prozent, nirgendwo weniger.
Ducati 899 Panigale leichte Vorteile in Sachen Luftkultur
Das macht sich im alltäglichen Fahrbetrieb bemerkbar und bestätigt die Fahreindrücke, welche die Ducati 899 Panigale unter ganz anderen Umständen bei der Präsentation in Imola hinterlassen hat. Weil sie ihre Leistung weniger sprunghaft entfaltet als die 1199 und natürlich insgesamt weniger davon zu bieten hat, fallen die Gegensätze zwischen dem Festhängen im Drehmomentloch und dem Ausbruch motorischer Gewalt bei der 899 längst nicht so krass aus, wie von der Ducati 1199 Panigale gewohnt. Das bringt zwar weniger Erlebniswert, ist aber dort leichter zu fahren, wo Fahren besonders viel Spaß macht: in technisch schwierigen Passagen, wo viel gebremst, hinauf- und heruntergeschaltet und aufmerksam gesteuert werden muss, also in Kurvenkombinationen mit wechselnden Radien.
Auch in Sachen Laufkultur verbucht der 899er leichte Vorteile, und obgleich er mit etwas höheren Drehzahlen gefahren wird, verbraucht er deutlich weniger als sein großes Vorbild – im direkten Vergleich spart er 1,2 Liter auf 100 Kilometer. Die Verbrauchswerte wurden übrigens nicht auf der Standard-Testrunde ermittelt, sondern beziehen die Fotofahrten mit häufigem Beschleunigen, Bremsen, Wenden und abermaligem Beschleunigen mit ein. Sie liegen deshalb höher als bei der gleichmäßig gefahrenen Messprozedur. So oder so, der 899er erweist sich als das effizientere, für den Alltag besser geeignete und nicht nur in der Anschaffung günstigere Triebwerk.
899 mit schlechter dosierbarer Kupplung
Dabei ist die Ducati 899 Panigale dank ihrer etwas kürzeren Übersetzung in der Beschleunigung noch nicht einmal viel schlechter als die allmächtige 1199. Aus der Kurve heraus bleibt die Kleine sogar näher an der Großen dran, als die Messwerte erahnen lassen. Der Grund hierfür ist die beim schnellen Einkuppeln rupfende, gleichsam um vier Zehntel schlechter dosierbare Kupplung der 899, die das Ergebnis bei den Messungen aus dem Stand verhagelt. Ein Nachteil, der sich bis 200 km/h mitzieht.
Wie effizient die Ducati 899 Panigale ihre geringeren Kräfte einsetzt, wird beim Studium der Durchzugswerte deutlich. Von 100 bis 180 km/h im letzten Gang beschleunigt, bleiben die Panigale-Schwestern gleichauf, ab 140 zieht die kleinere gar um eine symbolische Zehntelsekunde davon. Was daran liegt, dass die Hinterradleistung der 899 und damit die Zugkraft wegen der kürzeren Übersetzung bei diesem Tempo sogar leicht über derjenigen der 1199 liegt. Angesichts dessen sei die Prognose gewagt, dass die 899 auch auf kurvenreichen Rennstrecken gegenüber der Ducati 1199 Panigale kaum Zeit verlieren wird. Es braucht schon einen guten und kühnen Fahrer, um die gewaltige Leistung der 1199 in einen angemessenen Vorsprung umzusetzen. Auf der Autobahn gelingt das nur in Sternstunden geringsten Verkehrsaufkommens, auf der Landstraße nie.
In einem Punkt hat sich der Autor bei der Einschätzung der Ducati 899 Panigale gründlich getäuscht: Der kleinere Motor ist nicht leiser als der große. Wahrscheinlich wegen seiner kurzen Gang- und Gesamtübersetzungen produziert er bei einer Nachmessung sogar einen höheren Schalldruck als der 1198er, entwickelt allerdings geringere mechanische Geräusche. Doch Auspuff hin, Mechanik her, beide Panigale bleiben zwar bei der Standgeräuschmessung unter den angegebenen Werten, doch bei der Fahrgeräuschmessung sind sie schlicht viel zu laut. Wohl dem Panigale-Fahrer, der motorradbegeisterte Nachbarn um sich hat, wenn er durchs heimatliche Wohngebiet ballert.
Ducati 1199 Panigale im Test handlicher
Am Abend vor der Fahrpräsentation in Imola hatte Ducati-Chef Claudio Domenicali der Ducati 899 Panigale ein Fahrverhalten bescheinigt, das weniger zugespitzt sei als das der 1199, weniger auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Spitzenfahrern, sondern eher auf die Anforderungen von Amateuren zugeschnitten. Um im direkten Vergleich nachvollziehen zu können, was er damit gemeint hat, steckten die MOTORRAD-Tester auf dem Toptest-Gelände einen kurzen Rundkurs mit einigen engen und zwei etwas schnelleren Kurven ab. In rascher Abfolge und hoch konzentrierter Dosis waren zackige Schräglagenwechsel, Bremsen in die Kurven hinein und kräftiges Beschleunigen in Schräglage gefordert.
Tatsächlich erwies sich die Ducati 1199 Panigale bei diesem Fahrprogramm als das in einem speziellen Sinn handlichere Motorrad. Aus der Mittellage heraus klappte sie schneller in die Kurven als die 899 und behielt diese leichte Hyperagilität bis in tiefste Schräglagen. Sie wollte immer noch tiefer hinunter und musste mit ausgeprägten Lenkbewegungen in die Kurve hinein davon abgehalten werden. Eine Auslegung, die es erlaubt, im Scheitelpunkt engste Radien zu fahren, aber auf dem Weg vom Einlenkpunkt bis dorthin vom Fahrer ein untrügliches Gefühl für die Haftgrenze des Vorderreifens verlangt. Denn wenn der zu rutschen beginnt, ist der Grenzbereich sehr schmal.
Harmonischeres Lenkverhalten bei der kleinen Panigale
Im Unterschied dazu signalisierte die kleine Panigale den Eintritt in den Bereich jenseits der 50 Grad Schräglage durch einen gewissen Widerstand, den sie noch tieferen Schräglagen entgegensetzte. Die Lenkbewegungen, mit denen sie in die Mittellage zurückgeholt werden konnte, waren deutlich geringer. Was dazu führt, dass sich die Ducati 899 Panigale mit geringerer Anstrengung fahren lässt. Die Unterarme und der Schultergürtel des Fahrers sind weniger stark belastet, und er kann es sich erlauben, weiter vorausschauend zu fahren, anstatt sich während langer Sekunden auf seinen Vorderreifen zu fokussieren.
Alles in allem wird das Lenkverhalten der Ducati 899 Panigale als harmonischer empfunden. Es passt auch besser zur geringeren Leistung, die auf der Rennstrecke mit einem runden Fahrstil und hohen Kurvengeschwindigkeiten effizienter in schnelle Rundenzeiten umgesetzt werden kann, während die brachiale Beschleunigung der Ducati 1199 Panigale spitzere Linien in den Kurven verlangt. Schön wäre es jetzt, wenn die fahrwerksgeometrischen Unterschiede zwischen den Panigale-Schwestern diese mit Sorgfalt herausgefahrenen verschiedenen Charakteristiken erklären könnten.
Lösung in der Bauart der Reifen?
Doch leider ist das Gegenteil der Fall. Die Ducati 899 Panigale weist den steileren Lenkkopf (65,5 statt 65 Grad), den kürzeren Nachlauf (96 statt 100 Millimeter) und Radstand auf (1426 statt 1437 Millimeter). Außerdem trägt sie auf einer schmaleren Felge einen schmaleren Hinterreifen. Der hat zudem noch ein hohes 60er-Profil, wölbt sich also stark auf. Alles Fakten, die eigentlich leichteres Einlenken begünstigen müssten. Die Höhe des Hecks, vom Mittelpunkt der Hinterradachse bis zum gleichen Referenzpunkt an der Heckverkleidung gemessen, war bei beiden auf den Millimeter genau gleich. Was könnte also der Grund sein für die fulminante Handlichkeit der Ducati 1199 Panigale? Die drei Kilogramm weniger Gewicht, welche die 1199 dank ihrer Magnesium-Motordeckel, der leichteren Räder und des Alu-Rahmenhecks auf die Waage bringt, wohl eher nicht.

Wahrscheinlich liegt die Lösung des Rätsels in der Bauart der Reifen. Der Pirelli Supercorsa SP, Erstausrüstung auf der Ducati 1199 Panigale, ist nahe verwandt mit echten Rennreifen; vor allem der Vorderreifen ist für hohe Lenkpräzision unter hohen Belastungen optimiert, wie sie zum Beispiel beim kräftigen Bremsen kombiniert mit energischem Einlenken auftreten. Solche Reifen besitzen daher einen stabileren Unterbau als Straßenreifen von der Art des Diablo Rosso Corsa auf der Ducati 899 Panigale. Der wiederum bietet Vorteile beim Komfort und bei der Geradeauslaufstabilität. Das schafft er dank eines eher nachgiebigen Unterbaus und, daraus folgend, besserer Eigendämpfung des Reifens. Bei Belastungen von der oben beschriebenen Art bildet er allerdings eine breitere Aufstandsfläche aus als ein Sportreifen.
Kleinigkeiten führen zu Unterschieden
Und die wiederum ist der Grund für den sich fühlbar vergrößernden Widerstand gegen tiefste Schräglagen. Vielleicht spielt ja auch ein scheinbar banaler Unterschied wie das unterschiedliche Bezugsmaterial des Fahrersitzes eine kleine Rolle. Die Dauertest-1199, die für diesen Vergleich ihre kleine Schwester begleitete, besitzt noch einen Fahrersitz der ersten Serie. Er ist mit einem sehr glatten Material bezogen; der Fahrer rutscht also bei der leisesten Verzögerung auf den Tank und bringt so dynamisch viel Gewicht nach vorn. Der neu geformte und zehn Millimeter höher aufgepolsterte Sitz der Ducati 899 Panigale hat einen raueren Bezug; man kann sich deshalb beim Bremsen weiter hinten halten, statt mit höherer Vorderradlast und steilerer Lenkgeometrie die Kurven zu attackieren. Klingt wie zu weit hergeholt? Schon möglich. Aber gerade die beiden Panigale lehren, dass sich Kleinigkeiten zu fühlbaren Verhaltensunterschieden aufsummieren.

Grundsätzlich ist die Ducati 899 Panigale mit demselben Paket an elektronischen Fahrhilfen ausgestattet wie die 1199. Das Anzeigeinstrument aber, mit dessen Hilfe sie eingestellt werden, ist bei ihr ziemlich frugal gestaltet – schwarz auf grau. Zaubert die Elektronik der 1199 die einzelnen Themen des Einstellmenüs mehrfarbig, groß und ausgeschrieben aufs Display, begnügt sich die 899 zunächst mit ein paar Strichlein. Klickt man sich Strich für Strich hindurch, erscheint zum Beispiel ein maulfaules „rm“, was bei der Ducati 1199 Panigale „riding mode“ heißt. Das wirkt dann doch ein wenig lustlos. Die paar Buchstaben mehr hätten die Software-Spezialisten von Ducati auch für die 4200 Euro weniger ins Programm schreiben können. Platz genug wäre auf der grauen Fläche allemal.
Für die Leichtmetall-Fetischisten und um zu zeigen, wie weit ins Detail die Produktplaner bei der Kostenersparnis gehen, sei hier noch auf das Halteblech des Sitzpolsters hingewiesen. Bei der 1199 Panigale besteht es aus sorgfältig bearbeitetem Alublech,
die Ducati 899 Panigale trägt an dieser Stelle ein dünnes, verzinktes Stahlblechteil.
Kleine Panigale ist gediegen und reichhaltig ausgestattet
Ansonsten ist die Ducati 899 Panigale so gediegen und reichhaltig ausgestattet, dass man schon sehr penibel sein muss, um gegenüber der 1199 Panigale etwas zu vermissen. Am allerwenigsten die Einarmschwinge, die höchstwahrscheinlich sogar schwerer ist als die neu konstruierte Zweiarmschwinge der kleineren Panigale. Einarmschwingen benötigen für die gleiche Steifigkeit mehr Material, und auch die mit großem Durchmesser ausgeführten mehrreihigen Wälzlager des Radträgers sind schwerer als simple Standard-Radlager einer Zweiarmschwinge.
Die aufwendigere Beschichtung der Gabelgleitrohre bei der 1199, ihre größeren Bremsscheiben oder -zangen waren während der Testfahrten nicht zu spüren. Selbst nach schnellen Zwischenspurts auf der Autobahn verzögerte die einfachere Bremsanlage der Ducati 899 Panigale so sicher und standfest, wie man es sich nur wünschen kann. Und weder die stämmige Gabel der 1199 Panigale (Gleitrohrdurchmesser 50 Millimeter) noch die dünnere 43er-Gabel der 899 konnte eine allmählich aufkommende Unruhe in der Lenkung auf Autobahnen mit Betonplattenfahrbahn verhindern. Eine Vergleichsfahrt auf einer Autobahn mit nahtlosem Belag absolvierten beide Maschinen dann aber mit tadelloser Hochgeschwindigkeitsstabilität.
Fazit

Für eingefleischte Ducatisti ist das Thema dieses Vergleichs wahrscheinlich akademisch: Keiner von ihnen wird auf die Exklusivität und die motorische Urgewalt der Ducati 1199 Panigale verzichten, nur um 4200 Euro zu sparen und es hier und da etwas einfacher zu haben. Wer es nicht ganz so heftig liebt, sondern lieber durch Effizienz und harmonisches Zusammenspiel mit seinem Motorrad schnell wird, ist allerdings mDucati 899 Panigaleit der besser bedient. Abseits vom Streben nach Rennstrecken-Performance erweist sie sich auch als das alltagstauglichere Motorrad.