Ducati Panigale V4 S und Ducati 1299 Panigale S
V2 vs. V4

Ducati und der V2-Rhythmus – eine unerschütterliche Allianz. Bis jetzt. Mit der neuen Panigale V4 erfolgt bei den hauseigenen Sportbikes die Wachablösung für den Zweizylinder. Zeit fürs Aufeinandertreffen der Generationen und die Frage, ob der V4 zur neuen Ikone der Italiener werden kann.

V2 vs. V4
Foto: factstudio.de

Win on Sunday, sell on Monday: Wohl kaum ein Hersteller erfüllt diesen Leitspruch so sehr wie Ducati. Rennsport transportiert Emotionen pur, begeistert, verschiebt nüchterne Beurteilungen in gefühlsschwangere Glücksmomente. Darin waren und sind sie in Bologna richtig gut. Die Superbikes der Marke verzierten als Poster Jugendzimmer benzinsüchtiger Teenager wie sonst nur Starschnitte pickeliger Soapstars. Zweirädrige Träume mit vier Heftklammern an den Ecken. Spätestens seit der offiziellen Einführung der ­Superbike-WM 1988 war das so. 1990 holte Raymond Roche auf der 851 den ersten ­Titel für Ducati. In die Liste der Champs auf roten Rennern finden sich bis heute illustre Namen wie Doug Polen, Carl Fogarty und Troy Bayliss ein, um nur einige zu nennen. Den letzten Titel eroberte Carlos Checa 2011 auf der 1098 R. Auch wenn Bologna seit dem leer ausging, beweisen aktuell noch Marco Melandri und Chaz Davies, welches Potenzial im V2 steckt.

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V2 vs. V4
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Grundstock für zahlreiche Rennsiege

Natürlich reichen die straßenzugelassenen Fahrzeuge aus Bologna nicht ganz ans reine Rennpferd heran. Sie bilden aber die leistungsstarke Basis, bilden den Grundstock für die zahlreichen Siege. Was sie in Italien ebenfalls wie aus dem Effeff beherrschen, ist Design. Sie treffen bei Ducati mit der Formensprache sofort ins Herz von Rennsport-Fans. Seit der epochalen 916 bis zur 1299 Panigale. Alle eint dank des V2 eine schmale Taille, bis auf die 999 – die auch formal etwas aus der Rolle fiel – zierten alle formvollendete Einarmschwingen, und auch bei den Auspuff-Führungen kam den Sportbikes oft eine Vorreiterrolle zu. Sie wussten einfach zu betören – immer.

Video zum Vergleichstest der beiden Ducatis

V4 läuft spürbar ruhiger als der Twin

Daran will die neue Ducati Panigale V4 S anschließen. Vorbei die Zeit des V2 bei den Sportbikes, jetzt wird’s vierzylindrig. Wobei man das der V4 S auf den ersten Blick nicht ansieht. Motor und Krümmer verstecken sich größtenteils hinterm immens großen Wasserkühler oder dem Kunststoffkleid. Flüchtig betrachtet verrät nur der Schriftzug auf der sattroten Hülle die wichtigste Änderung des Sportbike-Flaggschiffs von Ducati. Auch der Druck auf den Anlasser gibt das neue Zylinder-Layout nicht auf den ersten Ton preis. Beim Motor griff Ducati zu einem konstruktiven Kniff. Wie die MotoGP-Maschinen zündet der V4 nicht in durch den Zylinderwinkel von 90 Grad vorgegebenen Abständen, sondern weist einen Hubzapfenversatz von 70 Grad auf. Die ersten beiden Explosionen im Motor folgen im flotten 90-Grad-Abstand – und nach weiteren 200 Grad Kurbelwellenumdrehung zünden im gleichen 90-Grad-­Abstand die Zylinder drei und vier. Gerade bei niedrigen Drehzahlen klingt der V4 ­damit dicht am V2. Wohl mit ein Grund, warum Ducati diese Abstimmung „Twin pulse firing order“ getauft hat.

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Das Heck der Ducati Panigale V4 S steigt hinten steiler an als bei der 1299 Panigale S.

Dennoch: Der V4 läuft spürbar ruhiger als der Twin. Dessen deutlich schmaleres Drehzahlband – er dreht bis knapp über 11.000/min – bei gleicher Höchstgeschwindigkeit erfordert eine längere Übersetzung als beim V4. Der streckt im sechsten Gang erst bei sagenhaften 15.000 Umdrehungen die Segel, in den Gängen darunter sind es 500 Touren weniger. Hinzu kommt, dass der V2 eine sehr gleichmäßige Spreizung der Gänge aufweist, einfach weil man ihn aufgrund der eingeschränkten Laufkultur in den unteren Gängen nicht beliebig lang übersetzen kann. Im Klartext: Der V2 läuft in der Stadt bei 50 km/h lieber im zweiten als im dritten Gang. Wäre sein erster Gang rennmäßig lang ausgelegt, käme bestenfalls der Zweite zum Einsatz. Der V4 meistert diese Herausforderung gesitteter, erlaubt innerorts Gangstufe drei ohne Murren. Die große Geschmeidigkeit ist ihm aber weiterhin fremd. Zumindest bei tiefen Drehzahlen.

Wie viel Power schlummert im V4?

Ab 6.000 bis 7.000 Umdrehungen ändert sich der Charakter. Dann werkelt der V4 viel gesitteter. Und mit fast unbändiger Kraft, während die Ducati 1299 Panigale S ihren rauen ­Motorlauf nie so ganz ablegt. Wie viel Pow­er im V4 schlummert? Einfach einen Blick auf die Fahrleistungen werfen. Und einen kurzen Moment wundern, weil die Ducati Panigale V4 S beim Beschleunigen bis 140 km/h hinter der 1299 Panigale landet. Die Ursache: Eine beim Rennstart ohne elektronische Fahrhilfen mäßig dosierbare, rupfende Kupplung trifft auf Leistung en masse. Trotz einem gegenüber der 1299 um über 30 auf 1469 Millimeter gewachsenen Radstand und einer Gewichtsverteilung, die 53,5 Prozent der vollgetankten 201 Kilogramm auf dem Vorderrad versammelt: Der vordere Pneu knallt einem bei der V4 schneller ins Gesicht, als einem lieb ist. Daher fällt der Spurt bis Tempo 100 mit 3,4 Sekunden für einen Supersportler verhalten aus. Die 1299 erledigt das mit 3,2 Sekunden schneller. Auch bei ihr lastet viel Gewicht vorne. 194 Kilogramm wiegt sie vollgetankt, 53,1 Prozent drücken aufs Vorderrad – das Mehrgewicht der V4 geht zu einem guten Teil auf den Motor zurück. Was dem V2 beim Sprint aber mehr hilft, ist die besser dosierbare Kupplung. Dank Schaltautomaten mit Blipper-Funktion bei beiden Bikes hat die linke Hand bei den nächsten Gangwechseln Pause. Und je höher das Tempo wird, je ruhiger das Vorderrad der V4 über den Asphalt hechtet, je mehr schiebt sie sich in den Vordergrund.

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Einstellungssache: Wie weit das Vorderrad beim Beschleunigen nach oben schießt, lässt sich bei der V4 in acht Stufen justieren.

So stürmt die Ducati Panigale V4 S trotz verpatztem Sprint auf 100 nach nur 7,1 Sekunden die 200er-Marke, benötigt von 100 auf 200 km/h mickrige 3,7 Sekunden! Die Ducati 1299 Panigale S meistert das erst nach 4,3 Sekunden. Eine ordentliche Differenz. Die fällt bei den Durchzügen noch eindrucksvoller aus. Schneller packt kein anderes Serienbike diese Messungen. Damit setzt der V4 ein dickes Ausrufezeichen, das sich auch beim Fahren mit jedem Meter mehr manifestiert. Im dritten Gang aus der Kurve raus, und der V4 fegt dir selbst unterm Helm die Haarpracht mit Wucht nach hinten, kennt ab der Drehzahlmitte nur noch eine Richtung: vorwärts, mit fulminanter Power und Drehfreude. Wobei fairerweise festgehalten werden muss, dass der V4 das sonst übliche Liter-Limit in dieser Klasse mit 1.103 cm³ sprengt. Heruntergerechnet auf den vollen Liter Hubraum würde er 194 PS mobilisieren. Aber das ist in diesem Moment irrelevant, weil die Landstraße das Zuhause der Panigale V4 S ist. Für Wettbewerb und die Superbike-WM kommt noch eine 1000er-Panigale mit Vierzylinder-V-Aggregat.

Zurück zur Landstraße

Damit all die Power des V4 nicht zu unrühmlichen Abgängen führt, besitzt Ducatis Speerspitze gleich ein ganzes Arsenal an elektronischen Fahrhilfen, genau wie die Ducati 1299 Panigale S. Bei beiden gehören ein mehrstufiges Kurven-ABS von Bosch, eine einstellbare Traktionskontrolle, verschiedene Fahrmodi sowie das semiaktive Öhlins-Fahrwerk zum Equipment. Gabel und Dämpfer lassen sich bei der Ducati Panigale V4 S zudem an verschiedene Szenarien wie Bremsen, Beschleunigen und Kurvenfahrt anpassen. Dieses Feature fehlt der 1299 Panigale. Ein Vorteil, der allerdings nur auf dem Racetrack zum Tragen kommt.

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Der V2 stampft mit sattem Schlag durch Kurven, verlangt Konzentration, will ein Stück weit bezwungen werden.

Was dagegen auf der Landstraße und der Rennstrecke gerne goutiert wird, ist die Bremsperformance der beiden. Die hat ­Ducati bei der V4 mit Brembos Stylema-Bremszangen nochmals geschärft. Bei der Ducati 1299 Panigale S rotieren die 330er-Scheiben noch zwischen den hochwertigen M50-Zangen aus gleichem Haus, bei der Ducati Panigale V4 S wird es noch eine Stufe hochwertiger. An der Wirkung und der Dosierbarkeit ändert das aber nichts, weil sich optimal einfach nicht toppen lässt. Und dieses Adjektiv beschrieb schon die Bremsanlage der 1299 Panigale. Diesseits der Rennstrecke tut man dabei gut daran, zum defensivsten ABS-Mode zu greifen, weil die schärferen Einstellungen ohne Hinterrad-Abhebeerkennung auskommen. Wie bisher schon hat der Ducatista dabei die freie Wahl, die hinter den drei Fahrmodi Race, Sport und Street hinterlegten Werte für TC, ABS und Co. nach eigenen Wünschen zu ändern. Dem Spieltrieb sind keine Grenzen gesetzt.

Schräger Spaß in Hülle und Fülle

Der wird jetzt auf der Landstraße ausgelebt. Schrägen Spaß jenseits von Ortsschildern bieten beide in Hülle und Fülle. Dass sie ähnlich einlenken, stabil Kurven umrunden, sie bei der Handlichkeit nichts trennt, überrascht nur im ersten Moment. Denn angesichts konservativerer Fahrwerkseckdaten wie längerem Radstand und Nachlauf, sowie einem halben Grad flacheren Lenkkopfwinkel, sollte man ein etwas ruhigeres Handling vermuten. Dank viel abstimmungstechnischer Feinarbeit, die in ausgezeichneter Balance und Gewichtsverteilung mündet, ist das Gegenteil der Fall. Woran auch die rückwärts drehende Kurbelwelle, die vor allem der Wheelie-Neigung entgegen wirkt, einen kleinen Anteil haben dürfte. Zudem maßschneiderte Pirelli der V4 hinten einen Supercorsa SP im Format 200/60er, während die 1299 auf einem 200/55er-Pneu rollt. Was in Summe die Ducati Panigale V4 S in Sachen Handling und Agilität auf das Niveau der Ducati 1299 Panigale S hebt.

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Die 1299 Panigale S trieb die V2-Motorkonfiguration bis ins Extreme. Es ist klar, dass die Panigale V4 S kein leichtes Erbe antritt.

Das gilt auch beim Blick aufs Preisschild. Für 26.190 Euro stand die nicht mehr erhältliche Ducati 1299 Panigale S zuletzt im Showroom, 27.990 Euro kostet die neue Ducati Panigale V4 S. Mit einem Verbrauch von 5,6 Litern auf der 100-km-Runde läuft sie auch hier auf 1299er-Niveau durchs Ziel. Der V2 begnügte sich mit einem Deziliter weniger. Schön: Obwohl der V4 der erste Motor von Ducati mit dieser Konfiguration ist und drehzahljubelnd wie kein zweiter zu Werke geht – an den Inspektionsvorgaben ändert sich nichts. Wie bisher heißt es: alle 12.000 Kilometer zur Durchsicht, alle 24.000 Kilometer zur Ventilspielkontrolle.

Und, was bleibt am Ende?

Mit der Ducati Panigale V4 S hat Ducati das eigene Sport-Aushängeschild auf ein neues Niveau gehoben. Hat ihm noch mehr Sportlichkeit eingeimpft, gleichzeitig den Umgang im Alltag spürbar verbessert. Und das alles, ohne die Emotion zu vernachlässigen, den satten Schlag der Zylinder aufzugeben. Ob das genügt, um beim Aufeinandertreffen mit den Mitbewerbern der 1000er-Sportler-Riege zu bestehen? Die Auflösung folgt in Kürze, wenn es auf der Landstraße und der Rennstrecke rund geht.

Die Zündfolgen im Vergleich

Zwei Zylinder mehr und trotzdem liegt der V4 akustisch dicht beim V2. Eine bewusste Entscheidung von Ducati. Erst explodiert das Luft-Benzin-Gemisch im ers­ten Zylinder, nur 90 Grad später zündet es im zweiten. Danach herrscht für 200 Grad Kurbelwellendrehung Ruhe, bevor Zylinder drei bei 290 und Zylinder vier bei 380 Grad gezündet werden. Und dann: Pause.

Ducati, MOTORRAD
Zündfolge der V4 (o.) und V2 (u.).

Wer die Zündfolge mit den Abständen beim V2 vergleicht, erkennt Ähnlichkeiten. Der 90-Grad-Zündabstand des V4 kommt einem beim Fahren im unteren Drehzahlbereich fast wie ein einziger Schlag vor, Ähnliches gilt für die Zündungen von Zylinder drei und vier. Nicht ohne Grund nennt Ducati diese Zündfolge des V4 „Twin pulse firing order“. Als Big-Bang-Auslegung soll sie die Reifen schonen und an den V2 erinnern. Von dessen Sound können sie in Bologna dann doch nicht so ganz lassen.

MOTORRAD-Testergebnis

Ducati 1299 Panigale S
Sie trieb die V2-Motorkonfiguration bis ins Extreme, paarte kurzen Hub mit unglaublicher Bohrung. Das wirkte sich auch aufs Fahrerlebnis aus: fordernd, bisweilen anstrengend. Sie war kein einfacher Spielgefährte, aber ein faszinierender. Ließ die glücklich zurück, die mit ihr Kurven perfekt trafen.

Ducati Panigale V4 S
Sie tritt kein leichtes Erbe an. Schließlich prägte der Sport-V2 Ducati wie kein anderer Antrieb. Und dennoch: Die Zeichen für eine gelungene Wachablösung stehen gut, weil der V4 die Panigale noch besser macht. Er impft ihr mehr Pow­er ein, bietet das ausgewogenere Fahr­erlebnis und kann auch Alltag.

Technische Daten und Messwerte

Ducati Panigale V4 S Ducati 1299 Panigale S
Motor Bauart Vierzylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor
Einspritzung 4 x Ø 52 mm 2 x Ø 68 mm
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping) Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping)
Bohrung x Hub 81,0 x 53,5 mm 116,0 x 60,8 mm
Hubraum 1.103 cm³ 1.285 cm³
Verdichtung 14,0:1 12,6:1
Leistung 157,5 kW (214 PS) bei 13.000/min 145,0 kW (197 PS) bei 10.500/min
Drehmoment 124 Nm bei 10.000/min 137 Nm bei 8.750/min
Fahrwerk Rahmen Frontrahmen aus Aluminium, Motor mittragend Monocoque aus Aluminiumguss
Gabel Upside-down-Gabel, Ø 43 mm Upside-down-Gabel, Ø 43 mm
Lenkungsdämpfer elektrohydraulisch elektrohydraulisch
Bremsen vorne/hinten Ø 330/245 mm Ø 330/245 mm
Assistenz-Systeme ABS, Traktionskontrolle ABS, Traktionskontrolle
Räder 3.50 x 17; 6.00 x 17 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 200/60 ZR 17 120/70 ZR 17; 200/55 ZR 17
Bereifung Pirelli Supercorsa SP Pirelli Supercorsa SP
Maße + Gewichte Radstand 1.469 mm 1.437 mm
Lenkkopfwinkel 65,5 Grad 66,0 Grad
Nachlauf 100 mm 96 mm
Federweg vorne/hinten 120/130 mm 120/130 mm
Sitzhöhe* 825 mm 830 mm
Gewicht vollgetankt* 201 kg 194 kg
Zuladung* 169 kg 176 kg
Tankinhalt/Reserve 16,0 Liter 17,0 Liter
Service-Intervalle 12.000 km 12.000 km
Preis 27.990 Euro 26.190 Euro
Nebenkosten 305 Euro 305 Euro
Messwerte Höchstgeschwindigkeit* 299 km/h 299 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h 3,4 sek 3,2 sek
Beschleunigung 0-140 km/h 4,9 sek 4,6 sek
Beschleunigung 0-200 km/h 7,1 sek 7,5 sek
Durchzug 60-100 km/h 2,7 sek 3,1 sek
Durchzug 100-140 km/h 2,7 sek 2,9 sek
Durchzug 140-180 km/h 2,8 sek 3,8 sek
Verbrauch Landstraße/100 km 5,6 Liter 5,5 Liter/Super
Reichweite Landstraße 286 km 309 km

MOTORRAD-Messungen, *Herstellerangabe

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023