Fahrbericht Derbi 125

Fahrbericht Derbi 125 Zwergenaufstand

Derbi-Werksfahrer Yoichi Ui machte den etablierten Teams von Honda und Aprilia Beine und preschte mit der spanischen 125er nur haarscharf am WM-Titel vorbei. MOTORRAD probierte den roten Renner aus.

»Mit sechs Nullen wird man nicht Weltmeister, so einfach ist das.« Harald Bartol, Konstrukteur der pfeilschnellen 125er-Derbi zieht sachlich und ohne Wehmut Bilanz der Saison 2000. In fünf der sechs punktelosen Grand-Prix-Einsätzen stürzte Draufgänger Youichi Ui, lediglich einmal spielte die Technik in Form einer defekten Batterie verrückt. Dass Ui trotz der Rennstürze mit nur 13 Punten Rückstand den Vize-Titel sicherte, hat der Japaner in erster Linie seiner feuerroten Derbi zu verdanken. Einem Paket aus genial ausgetüftelter Zweitakt-Power und konsequenter Optimierung bei Chassis, Bremsen und Aerodynamik.

Doch bevor wir neugierig in die Tiefen der Technik abtauchen, zwänge ich mich ins Leder, verknote die Glieder zum Klappmesser und fädel mich in den schnellen GP-Kurs von Barcelona ein.
Es kommt eigentlich selten vor, dass sich 171 Zentimeter Körpergröße nur mit Mühe hinter der Verkleidung verstauen lassen. Aber auf der 125er-Derbi ist alles zwei Nummern kleiner, kürzer, schmaler. Und leichter.
So definieren die 70 Kilogramm Motorrad das Wort Handling komplett neu. Es eiert und kippelt, auf stramme Lenkbefehle reagiert der GP-Floh mit völlig überzogenem Richtungswechsel. Nein, langsam fahren kann und will die Derbi nicht. Sie liebt das straff gespannte Gasseil, nicht zucken und zögern, einfach umlegen, nicht mit Kraft, sondern mit weichen Impulsen, den liegenden Oberkörper über den zierliche Tank gebeugt, so geht das. Sauber rollen lassen, in weichen Bögen dahersegeln, den Motor mit Drehzahl bei Laune halten, nur keine Hektik verbreiten.
Über 10000/min kommt der Derbi-Single flott aus dem Quark und tritt gewaltig an, bei 13500/min ist Schicht, was aber weiters nicht stört. Gas einfach stehen lassen, kurzer Tritt auf den Ganghebel, und der elektronische Schaltautomat macht den Rest. Knochenhart holpern die White-Power-Federelemente mit ihren 95 und 100 Millimeter kurzen Federwegen durch die schnellen, welligen Kurven, es zittert und bebt, der Horizont verschwimmt. Egal, stehen lassen, die Dunlop-Gummis werden’s schon richten. Alles verlieren – nur nicht den Schwung. Denn mit dem Schwung kommt der Spaß, finden Fahrer und Bike zum Rhythmus und der Ideallinie. Bremspunkte gewinnen an Bedeutung, mit brillanter Rückmeldung und Dosierung beißen die niedlich kleinen Nissin-Bremssättel zu. Und gerade, wenn’s richtig Laune macht, ist Schluss, Ende, Aus. Freundliche Mechaniker klauen mir nach acht Runden die Derbi unterm Hintern weg, fingern mit verschmitztem Grinsen an der Elektronik des Datenspeichers. Ich hab`s geahnt: Alle Peinlichkeiten sind aufgezeichnet. Jeder Haken, jedes Zucken, jeder Durchhänger im Drehzahlband. Und es fehlen lächerliche 20 Sekunden zur Pole-Position. 2.13,03– das reicht nicht mal bei Regen zur ersten Reihe.
Anders herum gefragt: Wie kommt die 125er-Derbi auf 1.52er-Rundenzeiten? Mit den 52 PS zum Beispiel, die Harald Bartol in Feinarbeit aus dem Einzylinder herauspresst. Im Verein mit bester Aerodynamik und dem zierlichen Japaner Ui im Sattel rennt die Derbi am Ende der langen Zielgeraden unglaubliche 225 km/h.
Als Basis für die standfeste Leistung favorisiert der Ex-GP-Fahrer Bartol ein stabiles Kurbelgehäuse, das – im Sandgussverfahren hergestellt – auch unter maximaler Belastung formhaltig bleibt, wodurch leistungshemmende Verspannungen im Kurbeltrieb ausgeschlossen werden.
Auf ein wasserumspültes Kurbelgehäuse, wie es bei Aprilia verwendet wird, verzichtet Bartol ganz bewusst. »Erstens leidet darunter die geforderte Stabilität, und zweitens ist die Kühlwirkung aus dem Motorkreislauf zu gering , um die Motorleistung positiv zu beeinflussen«, erläutert er seine Konstruktion.
Ein weiterer Schritt zur effizienten Leistungsausbeute ist die Getriebeschmierung mit kleiner Ölpumpe. Nur 340 cm³ Schmierstoff versorgen das Sechsgang-Kassettengetriebe, wodurch Ausgleichswelle und Primärzahnräder nicht im Ölbad, sondern nur im Ölnebel rotieren und sich Pantschverluste minimieren.
Bei den eigentlichen Leistungsteilen, also Zylinder, Kopf, Vergaser und Auspuff, geht der österreichische Konstrukteur eher konventionelle Wege. Fünf Überströmkanäle transportieren das Gemisch in den Brennraum, der von einem Klopfsensor überwacht wird. Kündigt sich über die elektronische Erkennung die materialmordende Selbstentzündung an, im Fachjargon als Detonation bezeichnet, regeln sich Zündzeitpunkt und Gemischzusammensetzung am 39er-Keihin-Vergaser in Sekundenbruchteilen so ein, dass der Motor kühler läuft, sprich: Die Frühzündung wird zurückgenommen, das Gemisch über eine Powerjet-Düse angereichert.
Einlassseitig strömt die an der Verkleidungsfront angesaugte Luft durch eine riesige Airbox und den weit aufgespreizten Vergaser-Lufttrichter zur Membransteuerung. Nicht in einzelne Segmente aufgeteilt, sondern als einheitliche Kohlefaserplatten ausgeführt, regeln die beiden Membranzungen den Gasfluss zum Kurbelgehäuse. Der über den Fahrtwind erzeugte Staudruck in der Airbox hebt die maximale Motorleistung ab etwa 200 km/h um etwa ein PS an. Das jedoch nur, wenn Vergaser und Zündung auf elektronischem Weg für die zusätzliche Luftmenge getrimmt werden.
Fahrwerksseitig geht Derbi mit den zwei winzig kleinen Bremsscheiben am Vorderrad eigene Wege. Insgesamt sind die beiden Bremszangen zwar 100 Gramm schwerer als die Vierkolbenanlage der Konkurrenz, doch verringern sich die rotierenden Massen. Das ist ein entscheidender Faktor fürs Handling, der Unterschied durch die 200er-Scheiben gegenüber den üblicherweise verbauten 320-Millimeter-Scheiben ist beträchtlich. Gleichzeitig bleibt die Telegabel durch die gleichmässige Belastung der symmetrisch montierten Bremsanlage von Verwindungen verschont, was der Lenkpräzision und Dosierbarkeit beim Einlenken zugute kommt. Geschmiedete Magnesiumräder vom Formel-1-Lieferanten BBS und eine im Windkanal optimierte Verkleidung sind weitere Pluspunkte der Derbi 125. Doch die, da ist sich Technik-Chef Bartol sicher, werden bereits in der nächsten Saison von einigen Konkurrenten übernommen. Oder besser: kopiert. Doch die Pfeile, die Derbi im Köcher hat, sollten genügen, um auch in der Saison 2001 den etablierten Werks-Teams Paroli zu bieten.

Technische Daten Derbi 125

Motor: Wassergekühlter Einzylinder-Zweitaktmotor, Hubraum 124,8 cm³, Bohrung x Hub 54 x 54,5 mm, keine Auslasssteuerung, Membransteuerung ins Kurbelgehäuse, Mischungsschmierung, ein Keihin-Flachschiebervergaser mit elektronisch gesteuertem Power-Jet, 0 39 mm, Ramair-System mit elektronisch geregelter Gemischanreicherung,CDI-Kennfeldzündung, Detonations-Sensor am Zylinderkopf, eine zahnradgetriebene Ausgleichswelle. Kraftübertragung: Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsgang-Kassettengetriebe mit Ölpumpe. Sekundärantrieb über Rollenkette ohne O-Ringe.Leistung: 52 PS bei 12500/minFahrwerk: Aluminium-Brückenrahmen, Motor mittragend, White-Power-Upside-down-Gabel, voll einstellbar, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Schwingendrehpunktverstellbar, White-Power-Zentralfederbein, voll einstellbar, über Umlenkhebel betätigt, Federweg vorn/hinten 95/100 mm.Doppelscheibenbremse vorn, 0 200 mm, Nissin-Zweikolbensättel, Scheibenbremse hinten, 0 190 mm, geschmiedete BBS-Magnesium-Räder, Dunlop-Slicks vorn 9/78-17 Zoll, hinten 12/59-17 Zoll, Fahrwerksdaten: Radstand 1215 mm, Lenkkopfwinkel 68 Grad, (plus/minus 0,5 Grad variabel) Nachlauf k. A., Gewicht 70 kg. Kontakt: Derbi Nacional Motor, S.A. Mollet de Valles, E-08107 Martorelles (B). Internet: www.derbi.com

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