Honda RC213V-S im PS-Fahrbericht
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Bitte gut festhalten, allen Leistungsdaten und der Papierform zum Trotz: Honda hat seine Ankündigungen wahr gemacht und mit der Honda RC213V-S tatsächlich eine käufliche MotoGP-Maschine für die Straße gebaut.

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Foto: Honda

Eigentlich ist es unfair, dem Leser mit einem Motorrad den Mund wässrig zu machen, das er aller Wahrscheinlichkeit nach nie kaufen oder auch nur sehen oder anfassen kann. Denn allein der Preis von 188.000 Euro plus 12.000 Steine für den Race-Kit stellen eine mächtige Hürde dar. Kann man die nehmen, muss man immer noch eine von 250 Stück ergattern. Denn mehr Exemplare werden von der Honda RC213V-S nicht gebaut.

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Und genau drei von ihnen stehen nun für eine kleine, handverlesene Journalistenschar bereit für einen exklusiven Test. Zwei im Straßenoutfit, ­eine Honda RC213V-S ist mit dem kompletten Race-Kit bestückt.

In Handarbeit von speziell geschulten Spezialisten gefertigt

Nun gab es schon einmal eine V4-MotoGP-Replika. Sie hörte auf den Namen Desmosedici RR und kam 2007 von Ducati. Doch ist die Honda RC213V-S ungleich näher dran am Original, sozusagen eine 1:1-Kopie, die auf Bestellung in Handarbeit von speziell geschulten Spezialisten gefertigt wird. Abseits von regulären Produktionsstraßen und Schlagschraubern. Und nur eine pro Tag. 

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine MotoGP-Replika, die nur zugunsten der Lebensdauer und des Einsatzes auf der Straße ein paar kleinere Änderungen erdulden musste. Licht und Spiegel müssen sein, klar. Das teure Seamless-Getriebe und der für die exorbitanten Drehzahlen notwendige pneumatische Ventiltrieb bleiben den echten Werksrennern vorbehalten. Ebenso Delikatessen wie die Kolben mit nur zwei Ringen. Rahmen, Schwinge, Tankform, Verkleidung, alles entspricht dafür wieder weitgehend dem Original. Logisch, dass da kein Platz für ein ABS war. Auch ansonsten stimmt praktisch alles mit dem Original überein, bis hin zu den Dimensionen von Wandstärken und Lagern des Motors. Was eben Zugeständnisse bei der Leistungsausbeute erforderlich macht. Schließlich heißt nicht jeder Márquez und hat sieben Motoren pro Saison zur Verfügung.

Elektronik stammt im Grunde von den WM-Maschinen ab

Doch angesichts von lediglich 159 straßenlegalen PS gab es rasch kritische Stimmen, die auch durch den Verweis auf lediglich 170 Kilo Leergewicht nicht zu dämpfen waren. Was zählt, ist letztlich auf dem Platz. Und da darf die Honda RC213V-S nun zeigen, ob ihre Erbauer nicht vielleicht doch ein wenig zu dick auftrugen, als sie die Leistungs-Fetischisten mit der Ansage zu beschwichtigen versuchten, die RC213V-S werde die Fahrdynamik eines MotoGP-Renners bieten. Der V4 knurrt in der Boxengasse von Valencia verhalten, hörbar mahlt die Trockenkupplung, es kann losgehen. Das rennmäßig gestufte Getriebe mit ellenlangem ersten Gang eines solchen besitzt sie schon mal. Mit lange schleifender Kupplung geht es hinaus auf die Strecke. Die Elektronik stammt im Grunde von den WM-Maschinen ab. Achtstufige Traktions- und Wheelie-Kontrolle, dreistufige Motorbremse und drei Power-Modi lassen sich in fünf verschiedenen Maps frei kombinieren und abspeichern.

Das erste Beschnuppern findet noch mit gebremstem Schaum, sprich Power-Mode zwei statt. Der Schaltautomat ermöglicht zwar kein Herunterschalten ohne Kupplung – wohl auch wegen der Lebensdauer des Getriebes. Doch beim Hochschalten flutschen die Gänge unglaublich buttrig hinein, klasse! Der V4 reißt in dieser Einstellung noch keine Bäume aus, hängt aber fein am Gas, dreht schmusig und gleichmäßig hoch. Vielleicht war dieser Start von Honda bewusst so gewählt. Denn statt auf dem Schielen nach der Leistung liegt nun der Fokus ganz darauf, wie das Bike durch die Kurven hechtet. Und da bleibt einem ab der ersten Runde die Spucke weg. Federleicht zappt sich die Honda RC213V-S von einer Biegung zur nächsten, folgt mühelos den zartesten Lenkbefehlen. Im Grunde genügt es, das Körpergewicht etwas zu verlagern und die Honda rauscht intuitiv in die richtige Richtung. Donnerwetter, das hat wirklich etwas von der Kurvenwilligkeit eines MotoGP-Renners.

Fahrwerksabstimmung der Honda RC213V-S recht soft

Nur etwas mehr Druck wäre jetzt schön, also für den zweiten Durchgang flugs Power-Mode eins gewählt und wieder raus. 159 PS lassen einen bei einer 1000er normalerweise nicht vor Ehrfurcht auf die Knie sinken, doch jetzt ist auf einmal richtig Leben in der Bude. Unterhalb von 8000/min hält sich der V4 noch etwas zurück, weshalb in der ein oder anderen engen Ecke der erste Gang herhalten muss, doch ab dieser Marke legt die Honda RC213V-S richtig los. Mit Verve zerrt sie voran, nicht gewalttätig, aber nachdrücklich. Dreht locker und völlig gleichmäßig bis zum roten Bereich bei 12.000/min. Das passt jetzt zur atemberaubenden Wendigkeit der Honda. Mit Schmackes raus aus einer langen Linkskurve, mit kessem Schwung durch die folgende Rechts-Links-Kombination und dann tief in die folgende Rechts hineinbremsen und immer tiefer abwinkeln. Selbst auf der Bremse sträubt sich die Honda nicht gegen die Schräglage, sondern zieht sich und ihren Piloten förmlich in die Kurve hinein. Kein anderes Serienmotorrad lässt sich so feinfühlig und mit minimalem Kraftaufwand durch die Radien dirigieren. Das können auch 30 zusätzliche PS nicht aufwiegen.

Doch bei aller faszinierenden Wendigkeit, die Fahrwerksabstimmung ist recht soft, die mächtigen Brembo-Sättel nehmen die 5,5 Millimeter dicken Bremsscheiben verlässlich, aber ohne dieses unnachgiebige, brachiale Zupacken in die Zange, das es für Ausbremsmanöver auf der letzten Rille braucht. Und die Bridgestone RS10 grippen zwar recht ordentlich, die knackige Präzision echter Rennpellen bieten sie aber nicht. Keine Frage, die Honda ist zwar ein Dynamiker par excellence, der beim Kurventanz jede herkömmliche Serien-1000er alt aussehen lässt. Aber auch ganz in japanischer Tradition auf maximale Umgangsformen für den Straßeneinsatz getrimmt. Eine megascharfe Rennfeile ist sie so (noch) nicht ganz. Aber es fehlt ja noch was. Genau, im Hintergrund wärmen die Mechaniker mit satten Gasstößen eine Honda RC213V-S mit Renn-Kit an. Die Nackenhaare stehen stramm. Schaurig-schönes MotoGP-Brüllen entweicht den beiden Titanauspuffen. Zusammen mit dem Kit-Steuergerät, Kabelbaum und großem Ansaugkanal entlocken sie der GP-Replika 215 PS und senken das Gewicht laut Honda auf 160 Kilogramm trocken – mit Anlasser. Das aktuelle Gewichtslimit in der MotoGP liegt bei 158.

Mit Renn-Kit nicht mehr weit vom GP-Renner entfernt

Da erscheinen 215 PS plötzlich in einem ganz neuen Licht. Gänsehaut macht sich breit. Die Honda RC213V-S reißt sich vollends die Maske herunter und zum Vorschein kommt tatsächlich eine Rakete, die nicht mehr weit von einem GP-Renner entfernt ist. Ab sofort darf das Kürzel RC213V-S als Synonym für absolute Kurvengier durchgehen.

Obwohl das softe Setup unverändert blieb, knallt die Honda RC213V-S haarfein auf der angepeilten Linie in die Ecken, hält sie mühelos, wechselt Schräglage und Linie auf leichteste Gewichtsverlagerung hin. Zieht staubtrocken Schräglagenwechsel durch, alles gepaart mit dem Gefühl, dass da noch weit mehr über das Limit des Fahrers hinaus ginge. All das macht sie schlafwandlerisch, wie wir das bisher bei noch keinem Serienbike erlebt haben.

Volle Konzentration ist gefordert!

Die Gabel saugt Bodenwellen förmlich auf, und die nun mit bissigen Racing-Bremsbelägen bestückten Stopper packen blitzartig, unnachgiebig und dabei haarfein dosierbar zu. In Sachen Handling spielt die Honda RC213V-S in einer eigenen Liga, die auch kein sorgsam aufgepäppeltes Superbike von der Stange erreicht. Weil bei ihr nur dran ist, was nötig ist. Jedes Teil sitzt dort, wo es für optimale Gewichtsverteilung und Balance nötig ist. Und sämtliche Fahrwerksteile sind mit maximaler Präzision und minimalen Toleranzen gefertigt, ohne Rücksicht auf Rotstift schwingende Controller. Was letztlich eben seinen Preis hat.

Dazu feuert der entkorkte V4 der Honda RC213V-S jetzt mit grandiosem Gebrüll bis 14.000/min hinauf und katapultiert das Fliegengewicht derart mühelos von einer Kurve zur nächsten – volle Konzentration ist gefordert! Und wenn die Traktionskontrolle mal eingreifen muss, dann macht sie das mit sanfter Hand.

Die Diskussionen um Leistung hin oder her sind längst verstummt. Zu beeindruckend die Vorstellung, welche die Honda RC213V-S da abliefert. Und dass sie dieses Fahrgefühl und ihre traumhafte Verarbeitung auf die Straße transportiert, gibt dem Ganzen einen Extra-Kick. Jedoch nur dem, der das Glück und das nötige Kleingeld hatte, um eine zu ordern. Denn die Bestellfrist für eine der 250 gebauten Maschinen ist abgelaufen. So eint sie auch das mit ihrem MotoGP-Vorbild: Nur wenige kommen in den Genuss, sie zu fahren.

Technische Daten Honda RC213V-S

Honda
188.000 Euro in der Basisvariante bzw. 200.000 Euro mit Race-Kit sind eine Hausnummer.

Fazit

Honda
Die Fahrdynamik ist berauschend, auch wenn im Vergleich zum MotoGP-Racer doch ein paar PS fehlen.

Honda hat nicht zu viel versprochen. Die Honda RC213V-S liegt in der Tat nah am MotoGP-Racer. Auch wenn dazu ein paar PS und etwas Maximaldrehzahl fehlen. Die Fahrdynamik, die sie bietet, ist berauschend und trennt sie von herkömmlichen Serienbikes. Die unglaublich edle Verarbeitung sowieso. Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind und man würde sich wünschen, auch andere Hersteller hätten den Mut dazu. Unser Neid gilt denjenigen, die eine RC ihr Eigen nennen und sie auch bewegen.

Die aktuelle Ausgabe
PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023