Impression Yamaha YZF-R6

Impression Yamaha YZF-R6 Drehzahlgierig und faszinierend

Mit mehr Hubraum kann’s jeder. Aus kleinen Motoren viel Leistung zu holen, ist die wahre Kunst, und in keiner anderen Motorradgattung erreicht sie einen so hohen Stand wie bei den 600er-Supersportlern. Überaus drehzahlgierig, sind sie nicht leicht zu fahren, aber faszinierend.

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Schon die erste Ampel bringt es zutage. Aus Gewohnheit lege ich zum Anfahren eine kommode 1000er-Drehzahl auf und rücke die Kupplung ein. Maaaooooh. Hoppla, schnell die Drehzahl hochpflegen, Kupplung wieder greifen lassen. Der klangstarke Vierzylinder der Yamaha YZF-R6 tönt noch immer wie ein depressives Gespenst und versackt im nächsten Drehmomentloch.

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Na gut, dann eben richtig. Mit grandiosem 7000er-Gebrüll geht die Yamaha YZF-R6 endlich schwungvoll von der Linie. Dafür schüttelt jetzt eine Gruppe von Fußgängern verständnislos die Köpfe. Und ich glaube zu sehen, wie der Autofahrer hinter mir sich bei der nächsten roten Ampel an die Stirn tippt. Soll er doch. Weil es Stuttgart-auswärts die letzte Ampel ist, kriegt er es dafür bei der nächsten Grünphase fünfstellig serviert. Wenigstens freuen sich die Yamaha und ich.

Unten-nichts-und-oben-alles-Charakteristik

Zugegeben, man könnte die Yamaha YZF-R6 auch mit geringerer Drehzahl anfahren, doch das ist mit der energisch zupackenden Kupplung nicht ganz einfach. Wer auf hochgezüchteten Zweitaktern die nötige Skrupellosigkeit im Umgang mit Drehzahlen und das gebotene Feingefühl beim Dosieren der Kupplung gelernt hat, wird das schwache Anfahrdrehmoment der R6 für ein Luxusproblem halten. Doch das sind die wenigsten. Die Mehrzahl der Motorradfahrer, jüngere und ältere, fängt nicht viel an mit dieser Unten-nichts-und-oben-alles-Charakteristik der „kleinen“ Hochleistungsmotoren.

Zum besseren Verständnis: Die 600er schaffen schon lange, was die 1000er-Supersportler erst in jüngster Zeit fertigbringen: Literleistungen von um die 200 PS. Weil sie dafür bei weniger Hubraum höhere Drehzahlen brauchen als die 1000er, liegen die Drehmomentwerte niedriger. Der Gaswechsel der 600er wurde für höchste Drehzahlen optimiert und geht deshalb im unteren Bereich eher träge vonstatten. Die Yamaha YZF-R6 versucht, diesem Problem mit variablen Ansaugtrichtern beizukommen – lange für unten, kurze für oben. Deren Erfolg besteht immerhin darin, dass man lieber nicht wissen möchte, wie es ohne sie wäre. Und nicht zuletzt leidet die Leistungsentfaltung der 600er darunter, dass sie seit Jahren nicht weiterentwickelt wurden. Kawasaki ist die rühmliche Ausnahme.

Zukunft der 600er-Supersportler

Der Grund für die Zurückhaltung der Hersteller liegt im Zusammenbruch der stärksten 600er-Märkte in Europa, Italien und Spanien, im Zuge der Finanzkrise. Junge Leute, die stärkste Gruppe potenzieller Käufer, haben seither am meisten unter Arbeitslosigkeit zu leiden, und als preisgünstige Alltagsfahrzeuge sind Motorräder vom Schlag der Yamaha YZF-R6 zu teuer in Anschaffung und Unterhalt. Ihre Lieblingsdrehzahlen sind im öffentlichen Verkehr auch nur selten zu realisieren. Als einziges wenigstens dem Charakter des Motors gerechtes Habitat bleibt ihr abseits der Rennstrecke nur die deutsche Autobahn. Man sieht: Diese faszinierend zugespitzten Motorräder sind eine vom Aussterben bedrohte Art, die von vielen Seiten unter Druck steht. Aller Voraussicht nach finden die konventionell gebremsten Yamaha YZF-R6 und Suzuki GSX-R 600 ihr Ende, wenn 2017 die ABS-Pflicht für neue Motorräder in Kraft tritt, denn der Anreiz, diese Motorräder mit ABS auszustatten, ist gering. Honda bietet die CBR 600 RR, die schon seit 2009 ABS besitzt, in Deutschland gar nicht mehr an. Hoffentlich überlegen es sich Suzuki und Yamaha anders als befürchtet, und Kawasaki bleibt mit der ZX-6R am Ball.

Es gibt nämlich auch gute Gründe für das Fortbestehen der 600er. Das unvergleichliche Fahrgefühl zum Beispiel. Ihre Fahrwerke besitzen die Steifigkeit, ihre Federelemente das Ansprechverhalten und die Dämpfungsreserven echter Sportmaschinen, dabei sind sie noch leichter als die 1000er. Und seit es diese Reifendimensionen gibt, ist mir das Zusammenspiel eines 120/70er-Vorderreifens mit einem 180/55er hinten, Standard in der 600er-Klasse, als das Ideal erschienen. Wunderbare Handlichkeit und satter Grip – es hat lange gebraucht, bis die 190er und 200er mit hohen Querschnitten von 55 oder 60 Prozent der Breite dem nahegekommen sind. Was nicht heißt, dass sie es erreicht hätten. Die Yamaha YZF-R6 führt mir den immer noch vorhandenen Unterschied vor, sobald sie auf kurvigen Straßen unterwegs ist. Egal, ob Landstraße oder Rennstrecke, sie verwöhnt mit einer Kombination von Agilität, Präzision und Kurvenstabilität, die man nicht oft antrifft. Eine lang gezogene Kurve, volle Schräglage, der Fahrer hängt innen neben dem Motorrad, zieht den Motor lustvoll auf und hält trotzdem die enge Linie – es gibt kaum eine Maschine, die ihren Fahrer bei solchen Manövern besser unterstützt. Und wenn, dann kommt sie aus der Gruppe der anderen 600er oder 675er-Dreizylinder.

Moto2-Motoren aus der Honda CBR 600 RR

So sind Motorräder beschaffen, mit denen man als Rennsport-Neuling präzises Fahren und hohe Geschwindigkeiten im Kurveneingang lernt. Und als alter Hase seinen Strich wieder nachschärft. Ein fettes Drehmoment ist da nur im Weg. Nicht ohne Grund entstammt der Einheitsmotor der Moto2-Klasse im Grand Prix-Sport der Honda CBR 600 RR. Im Unterschied zu den Serienmotoren sind lediglich die Zylinderköpfe mit CNC-Maschinen bearbeitet und die Laufspiele von Kolben, Pleuel- und Kurbelwellenlagern auf ein einheitliches Maß gebracht, um gleiche Chancen für alle Fahrer zu schaffen. Hochgetunte Motoren aus der Supersport-WM sind stärker und spitzer als die Moto2-Triebwerke. Vor acht Jahren hatte ich die Gelegenheit, mehrere Motorräder aus der Supersport-WM zu fahren, darunter auch eine Yamaha YZF-R6 des Lorenzini-Teams, mit der Massimo Roccoli auf die Jagd nach WM-Punkten ging. Zu meiner größten Überraschung drehte sie nicht höher als das Serienmotorrad, stattdessen frappierte sie bei denselben Drehzahlen mit einem wahrhaft explosiven Temperament. Was für ein Erlebnis! Dafür ist allerdings ein hoher Preis in Form von erhöhtem Wartungsaufwand zu bezahlen. Nach wenigen Hundert Kilometern müssen zumindest die Kurbelwellen- und Pleuellager getauscht werden, dazu die Steuerkette mitsamt Spanner, eventuell die Ventile. Alles Serienteile, wie es das Reglement vorschreibt. Sie kosten also nicht die Welt, die Arbeitszeit hingegen schon. Aber man muss die Motoren ja nicht bis zu diesem Punkt ausreizen oder in spezielle GP-Chassis stecken, um eine attraktive Nachwuchsklasse zu erhalten.

Die Vorstellung schmerzt, dass ausgerechnet die Motorräder verschwinden könnten, die ein solches Potenzial mitbringen. Vielleicht sollten die Hersteller doch noch einmal investieren, ihre ­Leistungsentfaltung etwas alltagstauglicher und ihre Geräuschentwicklung sozial verträglicher machen. Damit es auch in Zukunft ­Motorräder für die ganz besonderen Dreh-Momente gibt.

Technische Daten R6

Yamaha
129 PS aus 599 cm³. Die bekommt man allerdings erst bei 14.500/min.
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