Kawasaki ZX-4RR, der ZX-6R und der ZX-10R: 3 Ninjas im Vergleich

Kawasaki-ZX-4RR, Kawasaki ZX-6R & Kawasaki ZX-10R
3 Ninjas im Vergleichstest

Veröffentlicht am 04.05.2025

Motorrad-Stammtisch, die Halben fließen, auswendig gelernte technische Daten fliegen durch die Luft, küren Motorräder zu Kaufempfehlungen. Wie das beim flotten Kawasaki-Dreier aussähe? Die 10er ledert sie alle ab. 203 PS und 115 Nm stehen in den technischen Daten. Da gucken Kawasaki Ninja ZX-6R mit 124 PS und 69 Nm in der Spitze sowie die Kawasaki Ninja ZX-4RR mit ihren Maximalwerten von 78 PS und 39 Nm in die Röhre. Urteil gefällt, nächste Halbe, bitte.

Der Wahrheit entspricht das aber nicht. Nur wer’s auf absoluten Topspeed und pure Beschleunigung mit Drehzahlen dicht vorm Begrenzer anlegt, findet mit der Kawasaki Ninja ZX-10R Kawasaki-intern sein Glückskrad. Auf der Landstraße mit knapp 300 km/h über die Geraden bügeln, eben dort, wo der Spaß beim sportlichen Wedeln zu Hause ist? Völlig irrelevant und garantiert keine Zutat, um bei diesem Dreier-Vergleich eine Duftmarke zu hinterlassen. Daher pausiert die Stammtisch-Theorie jetzt, Praxis auf der Straße gibt die Spielwiese vor. Und die liefert einige Überraschungen.

Kurzer Radstand der Kawasaki Ninja ZX-4RR

An der Gabel befestigte Lenkerhälften gehören sowohl bei der Kawasaki Ninja ZX-4RR und der ZX-6R als auch bei der ZX-10R zum Standard. Ihre Sitzarrangements fallen dennoch komplett unterschiedlich aus. Den bequemsten Platz bietet die kleine 400er. Ihre Clip-ons umgreifen die Gabel zwar unter der oberen Gabelbrücke, strecken sich aber per Ausleger nach oben und liegen griffgünstig in 905 Millimetern Höhe. Weil auf ihr der Fahrerhintern 80 Zentimeter überm Grund Platz nimmt, gibt’s eine Lenkerüberhöhung von mehr als 100 Millimetern.

Das freut Nacken und Rücken. Und die Knie – mehr Abstand zwischen Sitz und Rasten bietet keine andere des Kawasaki-Trios. Alles in Butter also? Nicht ganz. Die ZX-4RR fällt mit 1.380 Millimetern Radstand ziemlich kurz aus. Das spiegelt sich auch beim Fahrersitz wider, der ebenfalls ziemlich knapp gestaltet ist, den Piloten in einer Mulde zwischen Tank und Soziuspolster gefangen nimmt. In Jockeyhaltung ducken und mit dem Hintern nach hinten rutschen? Bei ihr fast nicht drin.

Kawasaki Ninja ZX-10R erfordert fokussiertes Fahren

Damit hat die Kawasaki Ninja ZX-6R keine Probleme. 830 Millimeter hoch liegt ihr Arbeitsplatz, die weit nach hinten gekröpften Stummel befinden sich drei Zentimeter weiter unten, die Rasten sitzen bei ihr 45 Millimeter höher als bei der 4er-Schwester. Selbst ohne Sitzprobe wird klar: Hier dreht sich in Sachen Ergonomie alles ums Thema Sport. Fokus Vorderrad. Dennoch taugt die Fahrerintegration der 6er durchaus für ausgedehnte Landstraßenritte.

Bei der Kawasaki Ninja ZX-10R geht’s sitztechnisch noch extremer zu. Die Rasten liegen noch einmal 1,5 Zentimeter höher, die Stummel zehn Millimeter tiefer als bei der 600er-Kawasaki. Dafür sind ihre Lenkerstummel schön weit nach außen ausgestellt, bieten einen breiten Hebel für Druck beim Schräglagenwedeln. Trotzdem: Dieses Arrangement strengt an, erfordert fokussiertes Fahren mit viel Körperspannung, besonders, weil bei Landstraßentempo der stützende Fahrtwind fehlt. Grünes Aua-Programm für gelenkige Sportfans ohne Rückenprobleme.

Alle Ninjas mit Vierzylinder-Herz

Sowohl bei der Kawasaki Ninja ZX-4RR und der ZX-6R als auch bei der ZX-10R schlägt zwischen den Rahmenzügen ein vierzylindriges Herz. Beim Hubraum hören die Gemeinsamkeiten aber schnell auf. Mit exakt 399 Kubik ist die 4er der kleinste Spross der Sportbande von Kawasaki. Und gleichzeitig der Jubelmeister des Trios. Manierliche 78 PS serviert der Motor bei 14.500/min! Macht beachtliche 195 PS Literleistung. Weil er schon bei niedrigsten Drehzahlen überaus geschmeidig ans Gas geht, ergibt das theoretisch ein nutzbares Drehzahlband von guten 13.000 Umdrehungen. Da wird die Gangwahl zumindest auf dem Papier zur Nebensache. Oder nicht. Warum?

Weil die ZX-4RR mit ihren 78 PS auch 228 km/h schnell rennen soll. Das verlangt nach einer entsprechend langen Übersetzung. Dazu kommt: Ihr Motor entwickelt erst kurz vorm fünfstelligen Drehzahlbereich so etwas wie einen leichten Punch. Im Leistungsdiagramm versteckt sich dieser kleine Boost hinter der gleichmäßig ansteigenden Kurve, im Fahrbetrieb belohnt die 4er aber jeden Ausquetschversuch mit fühlbarem "Extratritt-chen" in den Hintern. Fürs nutzbare Drehzahlband bedeutet das: nix mit unten und Mitte. Nur oben, kurz vorm Leistungszenith, geht’s voran. Da bleiben ziemlich magere 5.000/min unterhalb des Begrenzers als Power-Spielplatz übrig.

Kawasaki Ninja ZX-6R leistet 124 PS

Die Kawasaki Ninja ZX-6R schwingt da eine andere Powerkelle. Kein Wunder bei 124 PS Spitzenleistung. Immerhin fast 50 flotte japanische Pferde mehr als bei der 400er und knapp 207 PS Literleistung – womit sie sogar die ZX-10R knapp übertrumpft. An denen allein die famosen Fahrleistungen der 6er festzumachen, träfe nicht den Kern. Hier lohnt der Blick auf den Topspeed-Wert. Der fällt überschaubare sechs km/h schneller als bei der ZX-4RR aus – trotz der Mehrleistung.

Bei der ZX-6R hat Kawasaki für den Fokus Landstraßeneinsatz auf die Höchstgeschwindigkeit gepfiffen, stattdessen spendierten ihr ihre Väter eine knackig kurze Übersetzung. Bei 100 km/h dreht ihr Vierzylinder über 6.000 Umdrehungen im sechsten Gang, steht bis zu dieser Drehzahl so gut im Futter, dass selbst die Kawasaki Ninja ZX-10R nur schwer einen Weg an ihr vorbei findet. Auf der Landstraße setzt sich die 6er-Kawasaki unter ihren sportlichen Schwestern die Krone auf. Überall jenseits von Enddrehzahl-Beschleunigungsmanövern serviert sie Power satt, zieht vehement-feurig in jedem Gang durch. Nur beim Ansprechverhalten setzt es ein Minus im makellosen Motorzeugnis. Da ruckt’s schon mal, sanfte Lastwechsel meistern die anderen zwei besser.

Ninja ZX-10R mit purer Race-DNA

Wobei die Kawasaki Ninja ZX-10R – trotz der skizzierten Nachteile beim Landstraßenritt – kein schlechtes Motorrad ist. In ihr und besonders in ihrem Getriebe schlummert aber pure Race-DNA. Bis Tempo 150 dreht sie im ersten, während Getriebestufe sechs fast bis zur Zahl 300 auf der Speed-Anzeige reicht. Zieren Curbs die Strecke und ist reine Beschleunigungs-Motorpower gefordert, haut das hin, im echten Leben weniger. Gut lässt sich das an ebenjenem ersten Gang ablesen. Der muss seine maximale Geschwindigkeit von 150 km/h mit der Kraft des bis etwa 13.000/min drehenden Vierers abdecken. Die Kawasaki Ninja ZX-6R fährt da schon fast im dritten Gang. Selbst wenn die 6er-Maximalwerte klar unter denen der 10er liegen, schiebt sie sich in allen Gängen bei landstraßenrelevanten Sprinteinlagen immer mindestens knapp vors Superbike

Im engen Kurven-Hin-und-Her rührt der Schaltfuß des 10er-Fahrers daher öfter im Getriebe als der des 600er-Treibers, braucht’s auf der Großen schon mal einen niedrigeren Gang, um an der ZX-6R dranzubleiben. Was zunächst unglaublich klingt, untermauern die gemessenen Durchzugswerte im dritten und sechsten Gang. Diese scheinbar verkehrte Welt verschiebt sich erst wieder bei hohem Speed oder beim reinen Vorwärtsbolzen an der Drehzahlgrenze pro ZX-10R. Jenseits von 150 km/h haut die 10er ihre überlegene PS-Kraft mit so viel Nachdruck in die Waagschale, dass die 6er – logisch – das Nachsehen hat. Auf der Landstraße allerdings ohne Belang. Darunter, das ist Fakt, muss sich das Superbike der Supersport geschlagen geben.

Fast unüberwindbare Dämpfungskraft der ZX-10R

Neben den Motoren zählt bei der Landstraßen-Performance vor allem die Abstimmung der Fahrwerke der drei Kawasakis, die nun in den Vordergrund rückt. Da die Kawsaki Ninja ZX-10R gerade schon an der Reihe war, darf sie als Erste ran. Wer im Stand versucht, ihre Gabel zusammenzupressen, scheitert. Mit fast unüberwindbarer Dämpfungskraft widersetzt sich die 47er-Upside-down-Forke mit Ausgleichsbehälter am Gabelfuß dem Versuch, ihre 120 Millimeter auch nur ansatzweise auszunutzen. Die "Balance Free Fork" nutzt einen durch Stickstoff unter Druck gesetzten, geschlossenen Öl-Dämpfungskreislauf, der nicht mit Luft in Berührung kommt. Ähnlich hart gibt sich der hintere Dämpfer, sackt nur wenig unterm aufsitzenden Fahrer zusammen. Ein Folterinstrument? Nein, nicht wirklich.

ZX-10R erfordert engagiertes Fahren und klare Impulse

Zwar spielt das Fahrwerk der Kawasaki Ninja ZX-10R nie die Komfortkarte, verlangt Nehmerqualitäten vom Piloten, wenn die Reifen auf Unebenheiten treffen. Federbein und besonders die Gabel sprechen aber unwahrscheinlich sensibel an, gleiten souverän über Flickstellen und verschreiben sich mit jedem Shimplättchen der unbedingten Stabilität. Auf der Bremse, beim Rausfeuern, über Holperpisten – nie verliert die ZX-10R die Beherrschung. Auf der Landstraße bringt sie nichts in Verlegenheit. Für Fans glasklarer Rückmeldung eine Offenbarung, die aber beherzten Einsatz an den Lenkerstummeln und engagiertes Fahren einfordert. Unbeirrbar hält die 10er die Linie. Um mit dem vollgetankt 208 Kilogramm schweren Superbike in Schräglage abzutauchen, sind aber ein klarer Impuls und Kraft gefordert.

Kawasaki ZX-6R befolgt Korrekturen willig

Wer’s beim Schräglagenspaß fluffiger mag, greift besser zur Kawasaki Ninja ZX-6R. Die winkelt deutlich agiler ab, wehrt sich nicht gegen Kurskorrekturen im Kurvenverlauf. Wer beispielsweise mit der großen Kawasaki den Radius einer sich zuziehenden Biegung nicht perfekt trifft, hat alle Hände voll zu tun, sie in die neue gewünschte Richtung zu zwingen, während die 600er Korrekturen der Linienwahl willig befolgt.

Dabei tasten ihre Federelemente die Straße fast so fein ab wie die der Kawasaki Ninja ZX-10R, geben sich insgesamt aber noch nachgiebiger und komfortabler. Für den zügigen Landstraßenschwung entpuppt sich das Setup als gute Wahl, bügelt Verwerfungen gekonnt glatt, leitet weniger Impulse an den Fahrer weiter, verzichtet dafür aber auf die unerschütterliche Stabilität der großen Schwester. Für die Landstraße dennoch der passende Kompromiss. Wer’s härter mag, trimmt ihr voll einstellbares Fahrwerk in diese Richtung, während die Federelemente der ZX-10R Änderungen in Richtung Komfort nur in geringem Maße zulassen.

Kawasaki Ninja ZX-4RR mit höchstem Komfort des Trios

Für Setup-Spielereien bietet die Kawasaki Ninja ZX-4RR etwas weniger Basis zum Austoben. Ihre 37er-Upside-down-Gabel erlaubt nur Anpassungen der Vorspannung, beim Federbein hinten darf daneben auch mit der Dämpfung von Zug- und Druckstufe gespielt werden. Im direkten Vergleich mit ihren Schwester-Bikes setzt die 4er bei der grundsätzlichen Abstimmung ihrer Federelemente auf die gleichen Tugenden wie beim Sitzarrangement. Den Aspekt Härte lässt sie links liegen, nutzt lieber ihre 120 und 124 Millimeter Arbeitsweg an Gabel und Federbein schwungvoll aus, um mit dem höchsten Komfort des Trios zu glänzen.

Allerdings ist es bei der Abstimmung von Gabel und Dämpfer wie so oft im Leben: Der beste Kompromiss gewinnt. Vor allem vorn hat die ZX-4RR den Brems- und Gewichtskräften in Schräglage nur wenig entgegenzusetzen. Wer möglichst spät den Anker reinhaut, um ja keinen Meter mit der 400er zu verlieren, presst die Gabel auf Block. Am Kurvenausgang wartet dann ein ähnliches Bild: Beim Übergang von kurzer Roll- in die Beschleunigungsphase staucht es das Federbein hinten zusammen. Über die Dämpfung lässt sich das mildern, komplett abstellen aber nicht.

ZX-4RR gibt sich als Kurvenfloh

An die Performance der Kawasaki Ninja ZX-6R und ZX-10R reicht die kleine Ninja nicht heran. Dafür begeistert sie mit mühelosem Lenkverhalten. Sorgte die 6er an dieser Stelle im Vergleich mit der 1.000er-Kawa schon für ein Aha-Erlebnis, treibt die ZX-4RR ihrem Piloten pure Handling-Freudentränen ins Gesicht. Schmaler 160er-Pneu hinten, zarte 191 Kilogramm vollgetankt und kurzer Radstand machen die lütte Kawasaki zum Kurvenfloh, ohne dass sie je ins Nervöse abdriftet. Eng, weit, viel oder wenig Schräglage – mit der ZX-4RR schnellt das Schräglagen-Gaudi-Barometer automatisch ganz nach oben.

ZX-10R mit semiradialen Bremspumpe

Weil das Thema Bremsen schon auf dem Tisch liegt: Alle drei stoppen bei Bedarf mit Vehemenz. Feine Unterschiede liegen allenfalls im Detail. Mit zwei 290er-Scheiben vorne besitzt die 400er-Kawa zwar die kleinsten Bremsteller, muss aber am wenigsten Gewicht zum Anhalten bringen. Im Vorderrad der Kawasaki Ninja ZX-6R sitzt eine 310er-Doppelscheibenanlage, während die 10er-Kawasaki pizzagroße 330er-Scheiben spazieren fährt. Alle drei weisen radial angebrachte Bremssättel auf, die aber von unterschiedlichen Bremspumpen unter Druck gesetzt werden.

An der Kawasaki Ninja ZX-4RR greift der Pilot zu einer axialen, an der ZX-6R zu einer radialen und an der ZX-10R zu einer semiradialen Bremspumpe. Semiradial deshalb, weil der Hebel nicht senkrecht, sondern leicht schräg die Kraft auf den Bremskolben der Pumpe weitergibt. Da bei allen das ABS mit einer Einstellung auskommen muss, ergeben sich Differenzen beim Verzögern am Limit eher durch die Fahrwerks-Hardware als durch die Bremskomponenten. Hier brilliert vor allem die Gabel der Kawasaki Ninja ZX-10R, die mit ihren Reserven selbst bei harten Stopps das Vorderrad sauber führt. Allenfalls einen Hauch nachgiebiger erledigt das die ZX-6R-Forke, während die 400er-Kawasaki den Bremskräften nur wenig Gegenhalt liefert. Dennoch: Selbst im Karacho-Landstraßenmodus taugen alle drei Stopper bestens, arbeiten zuverlässig und sicher.

Kawasaki ZX-4RR für 9.600 Euro

Auf einem ziemlich ähnlichen Niveau liegt das grüne Trio unter dem Aspekt Ausstattung. Vier Fahrmodi, einstellbare Traktionskontrollen, Konnektivität, TFT-Displays und Schaltautomaten einen sie alle. Wer lässig über die Autobahn cruisen möchte, erledigt das mit dem Tempomaten der Kawasaki Ninja ZX-10R besonders locker. Ihren Schwarzen Peter sammelt die große Grüne allerdings noch beim Blick auf die Kosten ein. Höchster Verbrauch (5,8 Liter) und mehr als 20.000 Euro Basispreis schieben sie in Richtung Traumbike für wenige.

Mit 5,5 Litern schlürft die Kawasaki Ninja ZX-6R zwar ähnlich kräftig am Lebenssaft aus dem Tank, dafür rückt der Kawasaki-Händler sie schon für 12 600 Euro raus. Die Zeiten, in denen 600er und 1.000er nur wenige Euros trennten, sind passé. Noch eine Spur günstiger ist die Kawasaki Ninja ZX-4RR. Für 9.600 Euro steht sie in der Liste, nuckelt zudem am genügsamsten am Sprit. 4,4 Liter auf den 100 Landstraßenkilometern der Verbrauchsrunde machen sie zur "grünsten" Wahl des Trios.

Kawasaki ZX-6R punktet auf der Landstraße

Ohne Frage faszinieren alle drei Ninjas, punkten besonders unter einzelnen Aspekten. Wenn jetzt wirklich die Kawasaki-Fee vorbeikäme, sähe der grüne Traumsportler wohl so aus: Handling, Bequemlichkeit und Kosten der ZX-4RR, Motor der ZX-6R, Gabel, Stabilität und Stummelstellung der ZX-10R. Bis diese Ninja vom Himmel fällt, tut’s aber auf der Landstraße die ZX-6R – und zwar richtig gut.