Premiere: Yamaha YZF-R1
Der überarbeitete Supersportler von Yamaha im Test

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Mit der neuen R1 schickt sich Yamaha an, dem Elite-Club der Supersportler beizutreten. Jetzt sind es fünf Marken, die ihre aktuellen 1000er mit ausgeklügelter Traktionskontrolle ins Rennen schicken. Kann die R1 mit High-Side-Verhinderer punkten?

Der überarbeitete Supersportler von Yamaha im Test
Foto: Yamaha
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Yamaha YZF-R1 2012: Eine retuschierte Frontverkleidung mit LED-Positionsleuchten und einem reflektierenden Streifen unterhalb der Scheinwerfer soll für ein aggressiveres Gesicht sorgen.

Lassen wir MV Agusta mal außen vor - richtig funktioniert hat die Traktionskontrolle der F4 ja bisher nicht -, dann könnte Yamaha mit der neuen R1 zu Aprilia, BMW, Ducati und Kawasaki aufschließen. Die haben bekanntlich dieses elektronische Helferlein, das die Superbikes aus dem Hamsterrad des Stärker-Leichter-Wettrüstens herausbrach und Freunden genussvoller Beschleunigung so etwas wie einen Rettungsschirm für gewagte Attacken bietet.

Jeder Hersteller hat seine eigene Methode; eine Hand voll Sensoren, beim ein oder anderen gyroskopisch, in enger Vernetzung mit den Powertools - entscheidend ist die Programmierung. Konstruktionstechnisch brauchte Yamaha für die TC angeblich nur einen Sensor am Vorderrad neu anzubringen. Den Sensor am Hinterrad für den nötigen Abgleich der Raddrehzahl hatte sogar die Vorgängerin schon. Und die ECU war längst über Sensoren mit der Einspritzung, Zündung und den Drosselklappen verbunden. Wozu engagiert man sich schließlich im MotoGP? Knowhow war nie das Problem. Nun brachten die Europäer als Innovationstreiber den Stein ins Rollen. So unter Druck, setzten sich die Programmier-Experten bei Yamaha hin, konzentrierten ihr Wissen, sammelten Daten und übertrugen diese auf das jüngste Baby.

Unsere Highlights

Der erste „Test-Ride“ auf der GP-Strecke von Valencia sollte nun vor allem zeigen, wie gut die Software-Gurus bei Yamaha sind. Dieser enge Kurs mit vielen vertrackten Kurven, an deren Ausgang beherztes Gasaufreißen für entscheidende Zehntel sorgt, oder dem langgezogenen schnellen Linksbogen über die Kuppe vor Start/Ziel, der Vertrauen in Grip unabdingbar macht, ist perfekt für solche Selbstversuche. Da zu Beginn der Test-Sessions die R1 mit Michelin Power Pure auch noch auf einem reinen Straßenreifen stand, war beten, dass die Jungs ihr Handwerk beherrschen, nicht verkehrt.

Langsames Herantasten: Zwei Einrollrunden sind absolviert, Stufe 6 der TC mit maximaler Regelung angewählt, Hahn auf! Leider ist die TC kein Schutz vor Low Sidern, dem fatalen Gripverlust am Vorderrad, denn an nahezu jedem Kurveneingang meldet die Front von unten nichts Gutes. Genaueres weiß man nicht. Das Gefühl bleibt schwammig, das Feedback mit Serien-Setup und Power Pure wie Fischen im Trüben. Dafür flackert das Kontroll-Lämpchen der TC an jedem Kurvenausgang, stemmt sich die Regelelektronik gegen das niedrige Gripniveau des Straßenpneus in diesen extremen Schräglagen und den bärigen Vortrieb des Vierzylinders. Deutlich ist der Power-Cut zu spüren, am extremsten hinaus auf Start/Ziel, wo die TC außerdem das Vorderrad mit voller Rechnerleistung am Boden hält. Aber es ruckt nicht. Nur Leistung fehlt irgendwie. Also mal Stufe 5 antesten. Aber bevor die Abstufung der TC ins Testerbewusstsein rückt, heißt es leiden unter dem trägen Handling. Die R1 will nicht in die Kurve, schiebt ab Scheitelpunkt - falls man den überhaupt ordentlich trifft - nach außen und quittiert jeden Versuch, das Bike auf eine engere Linie zu ziehen, mit sturer Ignoranz. Hin und wieder droht so die Piste auszugehen. Also abtauchen in tiefere Schräglage, Augen zu und Gasgriff aufziehen. Schlagartig kommt die Erkenntnis: Stufe 5 lässt erheblich mehr Schlupf zu als 6. Das Hinterrad kommt quer, instinktiv geht die Hand vom Gas, fängt sich die Fuhre - der Kampf kann weitergehen.

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Yamaha YZF-R1 2012: in dieser Ansicht bekommt der Betrachter einen ersten Eindruck von der modifizierten Auspuffanlage, die jetzt sechskantige Endkappen trägt.

Es bleibt ein Kampf - besser: Krampf, denn das Fahrverhalten ist grausam, der Grip mehr als mau und dazu macht die Bremse auch nicht die beste Figur. Sie ist teigig und unpräzise zu dosieren. Die Yamaha-Verantwortlichen haben ein Einsehen und ziehen mit dem Power One von Michelin endlich einen astreinen Rennreifen auf.

Krasser könnte der Gegensatz kaum ausfallen. Jetzt fährt die R1 endlich wie ein Sportmotorrad. Zwar ist sie nach wie vor kein Handlingswunder, aber mit deutlich weniger Einsatz lässt sie sich zielgenau durch die Kurven zwiebeln und reagiert auf Korrekturen der Linienwahl. Das Feedback ist ebenfalls besser. Das geänderte Setup macht sich positiv bemerkbar. Außerdem sind die Sinne jetzt endlich empfangsbereit für den Motor, der nach wie vor begeistert. Dieses Gefühl kennen R1-Fahrer schon, denn am Antrieb mit dem charakterstarken Hubzapfenversatz hat sich zum Vorgängermodell kaum etwas verändert. Die Einspritzdüsen zerstäuben gröber - die Düsenlöcher sind weniger, dafür größer geworden - und das Steuergerät wurde überarbeitet. So zieht der Motor mit kernigem Sound von unten heraus durch und nimmt das Gas im Standard-Mapping sauber an. Mit der Traktionskontrolle als Sicherheitsnetz wünscht man sich gerade auf der Rennstrecke mitunter ein noch satteres Zupacken beim Öffnen der Drosselklappen. Das bietet Modus A, der dann aber sehr präzises Fahren nötig macht, sonst springt die R1 im falschen Moment etwas zu forsch ans Gas. Das sonore Brummen des Triebwerks suggeriert gemütliche Spazierfahrt, was sich spätestens am Bremspunkt als Irrtum herausstellt, denn mit Wucht kommt die Yamaha dort angeflogen. Wer sich an dieses Phänomen gewöhnt hat, empfindet diesen Motor als stressfreien Powerpack.

Und die Traktionskontrolle? Funktioniert bestens! Bis hinab zur Stufe 3 traut sich der Autor, öffnet entschlossen die Brause und staunt über die immense Traktion mit diesem irren Gefühl der Unverwundbarkeit - trotz steigendem Vorderrad. Mit dieser Traktionskontrolle, dem Blick über den neu geschnittenen Tank und die aggressiv anmutende Gabelbrücke bekommt Yamahas neuer Slogan „born from MotoGP“ tatsächlich einen Inhalt. Bei der Bremse lässt sich mit Belägen experimentieren und die Standardreifen reißt auf der Rennstrecke sowieso jeder runter.

Technische Daten

Yamaha
Yamaha YZF-R1, Modell 2012: Die neue R1 bekommt eine Traktionskontrolle.

Antrieb 
Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 133,9 kW (182PS) bei 12500/min*, 115,5 Nm bei 10000/min*, 998 cm3, Bohrung/Hub: 78,0/52,2 mm, Verdichtung: 12,7:1, Zünd-/Einspritzanlage, 45-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung, Sechsgang-Getriebe, Kette

Fahrwerk 
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66 Grad, Nachlauf: 102 mm, Radstand: 1415 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/120 mm

Räder und Bremsen 
Leichtmetall-Gussräder, 3,50 x 17/6,00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 310-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten

Gewicht (vollgetankt)  214 kg*
Tankinhalt: 18 Liter Super
Grundpreis  Kein endgültiger Preis bekannt

Die aktuelle Ausgabe
PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023