Es war fast so international wie ein Superbike-WM-Lauf, dieses 1000er-Masterbike auf dem Eurospeedway Lausitz: Dort trafen sich Fahrer aus Spanien, Schweden, Oberbayern und Schwaben, Reifentechniker aus Italien, ein Fotograf aus Polen und Videofilmer aus Österreich. Die Motorräder kamen aus Japan, Italien und Deutschland, die Reifen aus dem Metzeler-Werk in Hessen. Montiert wurden sie von einem Mechaniker aus Brandenburg. Die Amtssprache war Englisch, das in Dialekten von Süd- über Mitteleuropa bis Skandinavien eingefärbt zu hören war. Und alle arbeiteten Hand in Hand.
Durch die Breite an Erfahrung, Fähigkeiten und Kenntnis gewinnen Testergebnisse an Tiefe. Umso mehr, weil nicht nur die Tester unterschiedlichen Generationen entstammen, sondern auch die Motorräder: Neben die brandneue Yamaha YZF-R1 stellten sich die stark überarbeiteten Modelle Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR und Ducati 1299 Panigale S an den Start. Diese vier geben den Anlass zu diesem Vergleich. Dabei sollte man aber die Suzuki GSX-R 1000 nicht vergessen. Sie hat zwar aktuell ein ABS erhalten, gehört jedoch ebenso zur älteren Generation wie die Honda Fireblade SP. Zwischen ihnen fährt die Kawasaki ZX-10R , ausgerüstet mit ABS und Traktionskontrolle, aber nicht mit der hoch entwickelten Sensorik der brandneuen Bikes.
37 PS zwischen dem stärksten und schwächsten Bike
Leistung und Elektronik – in diesen Bereichen bestehen die größten Unterschiede zwischen älteren und neuen Sportmotorrädern. Diesen beiden Themen wird sich dieser Bericht zuerst widmen, um im zweiten Teil auf die einzelnen Motorräder einzugehen. Sage und schreibe 37 PS liegen das stärkste (BMW S 1000 RR) und das schwächste Motorrad (Suzuki GSX-R 1000) im Leistungsmaximum auseinander. Die „schwächste“ der neuen Maschinen war die Yamaha YZF-R1, die auf dem Prüfstand dieses Mal knapp 199 PS erreichte. Kaum besser als die Suzuki steht hier die Honda Fireblade SP mit 180 PS da. Zumal ihre Leistungs- und Drehmomentkurven fast im gesamten nutzbaren Drehzahlbereich unter denen der Suzuki GSX-R 1000 liegen. Erst jenseits von 10.000/min gewinnt die Blade die Oberhand.
Doch Honda hin, Suzuki her, die Unterschiede zwischen diesen beiden und der Plus/minus-200-PS-Riege sind so groß, dass sie massiv auf das Beschleunigungsvermögen zwischen den Kurven und damit auf die Rundenzeiten durchschlagen. Im Straßenverkehr ist Spitzenleistung auf diesem Niveau sicher kein Thema, auf der Rennstrecke schon. Das gilt für die Messwerte, aber auch für das subjektive Empfinden. Bei der Aprilia RSV4 RF kann man sogar ohne direkten Vergleich den Unterschied zum Vorgängermodell spüren. Man muss sich dazu nur im Bereich von 10.000/min von der RSV4 lustvoll mitreißen lassen.
Video zum Track-Test
Power allein macht sicher nicht schnell, aber viel Leistung hilft auf jeden Fall für schnelle Runden. Das zeigen die vier Neuen aus der 200-PS-Liga, nämlich Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR, Ducati 1299 Panigale S und Yamaha YZF-R1. Vor allem auf dem Eurospeedway, wo im Verlauf einer Runde viermal auf Geschwindigkeiten von 240 km/h oder mehr beschleunigt wird. Die Data-Recording-Kurven der Aprilia RSV4 RF und der Suzuki GSX-R 1000 auf Seite 35 illustrieren dieses Testergebnis mit frappanter Deutlichkeit. Nur die Mitglieder des 200-PS-Clubs kamen unter die Schwelle von 1,47 min, bereits die Kawasaki ZX-10R mit 194 PS lag darüber. Dass sie sich in einem Fall sogar der Honda Fireblade SP geschlagen geben musste, liegt in der Hauptsache an einem von 5000 bis fast 11.000/min anhaltenden Durchhänger ihrer Drehmomentkurve.
Fahrassistenzsysteme im Generationenvergleich
Während sich die Motormacht fast ungefiltert auf die Rundenzeiten auswirkt, sind die Einflüsse der vielfältigen Fahrassistenzsysteme im Generationenvergleich schwieriger zu bestimmen, weil sie diskret wirken wie eine Serie kleiner Hilfestellungen. Die Versuchsanordnung beim Rundenzeiten-Shootout bestand darin, drei sehr gute und erfahrene Piloten mit neuen, vorgeheizten Reifen bei konstanter Asphalttemperatur auf die Strecke zu schicken und mit jedem Motorrad eine begrenzte Zahl von Runden fahren zu lassen. So ist bestmögliche Vergleichbarkeit gewährleistet. Während fünf solcher „sauberen“ Runden bewegen Fahrer mit den Fähigkeiten von Christian Kellner, Freddy Papunen und Sergio Romero auch ein Motorrad ohne Traktionskontrolle fehlerfrei am Limit, keine Frage. Doch wo immer die Möglichkeit besteht, nutzen sie dabei gerne eine passend eingestellte Traktionskontrolle von hoher Regelgüte, überlassen die Balance am Grenzbereich der Elektronik und konzentrieren sich lieber auf andere Dinge.
Man darf auch nicht vergessen, dass die Superbikes ja nicht einfach so schnell sind. Der höhere Speed wirkt ja in Form von höheren Kräften auf den Fahrer. Und zwar in jedem Moment einer Runde. Kein Wunder, dass man jede Hilfe annimmt, die man bekommen kann. Auf Dauer kommen die Qualitäten der Antiblockiersysteme, Traktions-, Wheelie- und sonstigen Kontrollen erst recht zum Tragen. Etwa in jenen kritischen Nachmittagsstunden an beiden Tagen, als die Tester, mitgerissen von der Dynamik der Motorräder, immer schneller wurden, dabei aber auf arg strapazierte Hinterreifen und ihre eigene aufkeimende Erschöpfung trafen. Dann tauchte plötzlich einer etwas außerhalb des idealen Bereichs in die schnelle Links nach der Start-und-Zielgeraden, traf den kurzen Rechtsbogen nicht mehr richtig und musste über die Innencurbs rumpelnd die folgende enge Links anbremsen. Und der andere erwischte die scharfe Kante eingangs der Zielgeraden zu weit rechts, sodass hier beim Beschleunigen in Schräglage das Hinterrad den Bodenkontakt verlor. In beiden Situationen konnten sich die Fahrer auf die Elektronik verlassen.
Schaltassistenten und Hochschaltassistenten
Als sehr hilfreich erwiesen sich außerdem die Schaltassistenten von BMW S 1000 RR und Ducati 1299 Panigale S. Das gilt besonders beim Anbremsen oder wenn zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kurven noch kurz das Gas aufgezogen, dann aber schnell zurückgeschaltet werden muss. Sie erlauben als Einzige auch das Zurückschalten ohne Kuppeln und funktionieren tadellos. Das System der BMW S 1000 RR noch etwas besser als das der Ducati 1299 Panigale S, was vielleicht am geschmeidigen Vierzylindermotor liegt.
Auch die reinen Hochschaltassistenten von Aprilia RSV4 RF und Yamaha YZF-R1 bewährten sich, insbesondere in den Beschleunigungszonen nach den weit herumgezogenen Kurven acht und neun. Nicht nur deshalb, weil sie die Schaltpausen verkürzen. Mehr noch, weil sie es ermöglichen, bei Volldampf über die Kuppen die auskeilenden Lenker ordentlich festzuhalten. Da geht es nicht darum, den Ansatz zum Lenkerschlagen mit eigener Kraft zu unterdrücken, sondern allein darum, die Hände überhaupt am Lenker zu behalten. Auf Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R und Suzuki GSX-R 1000 wurden die Schaltassistenten vermisst, weil immer zwei Finger der Linken die Kupplung bedienen mussten. Die Suzuki verlangte dabei sogar sehr weites Ziehen der Kupplung, sonst saß der nächsthöhere Gang nicht richtig.
Es würde hier zu weit führen, all die verschiedenen Modi zu nennen, in denen die einzelnen Fahrer die Motorräder für sich rennen ließen. Tendenziell wurde der Eingriff der Traktionskontrollen weit zurückgenommen, doch niemand wählte die radikalste Stufe oder schaltete sie gar ganz ab.
Skepsis bei den Antiblockiersystemen
Auf mehr Skepsis stießen die Antiblockiersysteme. Nach einigen langen Regelvorgängen des Bosch-ABS der Aprilia RSV4 RF stellte Christian Kellner das System ab, bei der BMW S 1000 RR ist im Slick-Modus das ABS am Hinterrad deaktiviert. Auch die Systeme der Suzuki GSX-R 1000 und der Honda Fireblade SP waren nicht über jeden Zweifel erhaben, sie lassen sich jedoch nicht deaktivieren. Bei der Honda erwies sich die Kombination von hervorragender Bremsstabilität und defensiv regelndem ABS als ungünstig. Seit 2010 wurde die ABS-Software zwar weiterentwickelt, speziell für die SP, doch wie schon bei früheren Rennstreckentests schickte sich die Blade einmal selbst ins Abseits, weil ihre Elektronik einen Überschlag nach vorn befürchtete. Dabei rollte die Fireblade SP allerdings auf einem Hinterreifen der Dimension 200/55 ZR 17, weil der in der K2-Mischung nicht in der unüblichen Honda-Dimension 190/50 ZR 17 produziert wird. Laut Honda sollte die Elektronik der aktuellen Blade jedoch auch andere Reifengrößen verarbeiten können.
Die überaus komplexe Aufgabe, einen wirklich drohenden Überschlag von einer anhaltend starken Verzögerung mit nur leicht geliftetem Hinterrad zu unterscheiden, lösen bis dato die BMW S 1000 RR und die Ducati 1299 Panigale S am besten. Die beiden bleiben selbst bei enormer Verzögerung äußerst stabil auf Kurs.
Aprilia RSV4 ahnt, was der Fahrer als Nächstes tun will
Zeit für die Einzelbetrachtung der Motorräder: Aprilia hat für die Saison 2015 vor allem den Motor überarbeitet und im Vergleich zur 2013er-RSV4 Factory 20 PS an Spitzenleistung gewonnen. Damit geht eine beträchtliche Stärkung des Bereichs ab 10.000/min einher. Unter 4500/min hat die neue RSV4 zwar etwas verloren, doch auf der Rennstrecke kann sie diesen Verlust überspielen. Das Fahrwerk der RSV4 war schon immer außergewöhnlich gut – zielgenau, handlich und stabil. Damit ist die Magie des Aprilia-Fahrgefühls freilich nur schwach beschrieben. Man könnte meinen, dass die RSV4 ahnt, was der Fahrer als Nächstes tun will, und es in genau der richtigen Tausendstelsekunde umsetzt. An den Berührungspunkten zwischen Fahrer und Motorrad scheinen sich nicht nur die normalen sensitiven, sondern auch telepathische Vorgänge abzuspielen.
Hinzu kommt eine ungemein sicher führende Frontpartie. Man kann es sich gar nicht vorstellen, den Grip des Vorderreifens zu überfordern, weil man es vorher spüren würde. Dieses Fahrwerk in Verbindung mit dem erstarkten Motor schafft die Voraussetzung für die hervorragenden Rundenzeiten der Aprilia RSV4 RF. Einen kleinen Fauxpas leistete sich die Testmaschine: Die Kupplung machte wegen einer nicht korrekt gesicherten und daher gelockerten Zentralmutter Probleme und musste getauscht werden. Dafür an dieser Stelle ein Dankeschön an Aprilia-Händler Thomas Grebenstein aus Gera.
Heikle Bremsverhalten der Yamaha YZF-R1
In puncto Vorderradführung sind sich die Aprilia RSV4 RF, die Yamaha YZF-R1 und die Ducati 1299 Panigale S ähnlich. Anders als die Aprilia leistet sich die Yamaha aber das schon in den vorangegangenen Tests beschriebene Drehmomentloch, das von etwa 5500/min bis 7200/min und damit in Bereiche reicht, die auch für die Rennstrecke relevant werden. Zwischen 6000 und 8000/min schwingen sich die Kurven der Yamaha YZF-R1 höher hinauf als diejenigen der Aprilia RSV4 RF, die aber jenseits der 10.000er-Marke unwiderstehlich davonzieht. Das ruppige Ansprechverhalten des Yamaha-Vierzylinders, das auch dieses Testexemplar zeigte, war ebenfalls nicht hilfreich bei der Jagd nach schnellen Rundenzeiten. Die faszinierende Laufkultur des Crossplane-Vierzylinders hingegen schon. Der Yamaha-Motor braucht hohe Drehzahlen, aber er liefert sie auch bereitwillig. Und sein besonderer Klang motiviert den Fahrer mehr als eine laute Auspuffanlage.
Ein weiterer Punkt ist freilich auch das in manchen Situationen heikle Bremsverhalten der Yamaha YZF-R1. Mehrere Fahrer hatten ihren „Moment“, wie die englischen MotoGP-Kommentatoren sagen würden. Den Moment nämlich, in dem sie wegen eines rasch steigenden oder seitlich wegdrehenden Hinterrads die richtige Linie nicht mehr trafen. Anders als bei der Honda Fireblade SP und der Aprilia RSV4 RF rührt dieses Verhalten nicht von der Abstimmung des ABS, sondern von der betont frontlastigen Auslegung, der tief gebeugten Sitzposition und dem kurzen Radstand, zusammen mit der Suzuki GSX-R 1000 dem kürzesten des Vergleichs. Obgleich die Aprilia ihre Fahrer genauso radikal über das Vorderrad duckt wie die R1, bleibt sie bei harten Bremsmanövern besser in der Spur.
Schnelle und flüssige Runden mit Ducati 1299 Panigale S
Das tut auch die Ducati 1299 Panigale S. Bei beiden Italienerinnen mag dabei der längere Radstand eine Rolle spielen. Die Besonderheit der neuen Panigale liegt darin, dass man sich ihre Qualitäten in längeren Trainingseinheiten erschließen muss. Zu Anfang kommt man mit dem rumpeligen Motorlauf, der weit vorgebeugten Sitzposition am fast geraden Lenker und der im Race-Modus ziemlich knochigen Federung nicht gut zurecht. Nach und nach lernt man die außergewöhnlichen Führungsqualitäten des Ducati-Fahrwerks zu schätzen, die mächtigen Bremsen, die vielen elektronischen Helfer wie den schon beschriebenen Schaltassistenten. Und das enorme Drehmoment des Motors. So fügt sich dann alles zu wunderbar flüssigen und auch schnellen Runden.
Obwohl die Spitzenfahrer lieber bei der werksseitigen Fahrwerkseinstellung im Race-Modus blieben, stellte der Autor die semiaktive Dämpfung der Ducati 1299 Panigale S in diesem Modus auf die Stufe „softest“ und fand diese Einstellung in den lang gezogenen, welligen Kurven besser, weil komfortabler und immer noch straff. Im Vorfeld dieses Tests hatten Vertreter anderer Hersteller übrigens moniert, dass sich die Panigale mit ihrer Hubraumerweiterung auf 1285 cm³ eigentlich aus diesem Rennstreckenvergleich ausgeschlossen habe, doch wir sind hier nicht bei der Superbike-WM und würden auch gegen einen 1100er-Vierzylinder oder einen 1000er mit Kompressor nichts einwenden. Die Kawasaki H2 stand aber leider noch nicht zur Verfügung.
BMW S 1000 RR beginnt hinten ausgeprägt zu pumpen
Während Aprilia RSV4 RF, Ducati 1299 Panigale S und Yamaha YZF-R1 als radikale Rennmotorräder enormen Körpereinsatz von ihren Piloten verlangen, sind BMW S 1000 RR, Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R und Suzuki GSX-R 1000 konzilianter. Einige Zentimetern mehr Lenkerüberhöhung gegenüber den Sitzflächen ermöglichen eine kommodere Position. Angeführt wird diese Gruppe von der BMW, die ihr Komfortangebot mit ihrem sanft ansprechenden, ungemein drehmomentstarken Motor noch ausbaut. So wird Schnellfahren schon fast bequem, zumal die S 1000 RR durch die Überarbeitung des Fahrwerks auch noch sehr handlich wurde.
Wie die BMW-Ingenieure es schaffen, aus dem fast schon bulligen Serien-Vierzylinder auch noch kaum fassbare 212 PS an Spitzenleistung zu holen, wissen wir nicht. Die Motorenbauer der übrigen Hersteller offenbar auch nicht. Trotzdem kann die BMW S 1000 RR ihrer Konkurrenz auf der Rennstrecke nicht enteilen, ja sie muss sich in Sachen Rundenzeiten hinter der Aprilia und der Ducati einordnen, etwa gleichauf mit der Yamaha. Das liegt hauptsächlich am merkwürdigen Verhalten der Hinterradfederung. Beim Beschleunigen in Schräglage beginnt die BMW S 1000 RR hinten ausgeprägt zu pumpen. Das geht rasch bis auf den Reifen durch, und dann keilt sie regelrecht mit der Hinterhand aus. Das behindert die Fahrer in den Beschleunigungszonen, wie eine Data-Recording-Aufzeichnung von Kurve acht zeigt. Ab dem Scheitelpunkt beschleunigen Aprilia und BMW S 1000 RR parallel, doch an einem bestimmten Punkt verhält die BMW kurz, während die Aprilia weiter an Tempo zulegt. An der gleichen Stelle nahe der Curbs ist die Aprilia kurz darauf 177 km/h schnell – übrigens auch die Suzuki –, während die BMW hier nur 171 km/h erreicht. Sie holt den Vorsprung zwar wieder auf, kann aber aus ihrer überlegenen Leistung in dieser Situation wie auch nach den folgenden Kurven keinen Vorteil ziehen.
Experimente mit der individuellen Einstellung der semiaktiven Dämpfung konnten das Pumpen nicht gänzlich abstellen. Am mildesten trat es noch mit Zug- und Druckstufe in der Einstellung – 4 auf. Das lässt vermuten, dass die Ursache weniger in einer zu weichen Grundabstimmung, sondern eher in einer unpassenden Verstellkurve zu suchen ist. Ob sich eine BMW S 1000 RR mit konventionellem Fahrwerk besser verhalten würde?
Honda Fireblade SP hält Lenkung am ruhigsten
Mehr Spitzenleistung würde das Fahrwerk einer Honda Fireblade SP wohl kaum überfordern. Im Drehzahlbereich, mit dem man aus Kurven beschleunigt und dem Fahrwerk richtig Druck macht, drückt die Fireblade schon jetzt im Kreis der Stärksten kräftig mit. Und wenn die anderen auf dem geraden Weg zur nächsten Kurve davonziehen, ist auch sie mit kurzen Wheelies unterwegs, wird von den Bodenwellen ebenso hart angerempelt, hält aber von allen die Lenkung am ruhigsten. Die Fireblade war die erste Sportlerin mit einem elektronisch angesteuerten Lenkungsdämpfer, und der funktioniert – per Onboard-Video dokumentiert – noch immer am besten. Die Bremsstabilität wurde schon lobend erwähnt, noch besser ist, dass sie nicht durch ein stures Lenkverhalten erkauft wird. „Sie fährt schöne, enge Linien, das Handling kann genau so bleiben“, stellte Christian Kellner fest.
Die gemeinsam erstellte Wunschliste für die Honda Fireblade SP lautet: zeitgemäße Sensorik, ein leichteres, weniger defensives ABS, Traktionskontrolle, ein Schaltassistent. Mehr Leistung. 195 PS mit fülliger Drehmomentkurve würden ja reichen, falls man sich weiterhin Honda-typisch in Zurückhaltung üben wollte. Ach ja, und ein sanfterer Lastwechsel wäre auch ganz angenehm.
Großes Potential steckt in der Suzuki GSX-R 1000
Abgesehen vom letzten Punkt würden Suzuki-Fans für die GSX-R 1000 wahrscheinlich eine ähnliche Wunschliste zusammenschreiben und mit drei Ausrufungszeichen versehen. Denn bei Suzuki war man in letzter Zeit noch weniger geneigt als bei Honda, in die Weiterentwicklung der Sportler zu investieren. Dabei bietet dieSuzuki GSX-R 1000 eine sehr gute Basis, wie neben dem Data-Recording auch das Fahrgefühl bestätigt. Kurveneingangs, in der Mitte und in einem weiten Bereich der Beschleunigungszone fährt die betont handlich ausgelegte Suzuki ohne Schwierigkeiten mit der Aprilia RSV4 RF mit. Die Dämpfung musste dafür bis an den Rand des Einstellbereichs gestrafft werden, aber nicht darüber hinaus. Und seit ABS an Bord ist, traut sich Suzuki sogar, bissige Bremsbeläge einzubauen.
Kawasaki ZX-10 R mit Drehmomentschwäche
Es gibt zwei Gründe dafür, dass die Kawasaki ZX-10 R sich wie die Antithese von Suzuki GSX-R 1000 und Honda Fireblade SP fährt: Lenkkopfwinkel und Nachlauf. 65 Grad sind ungewöhnlich flach, 107 mm ungewöhnlich lang. So fährt die ZX-10R vorbildlich stabil, hat aber beim Einlenken oder in den drei engen Haken des Lausitzrings echte Nachteile. Die bereits beschriebene Drehmomentschwäche wird zudem durch die lange Übersetzung der unteren Gänge in ihrer Wirkung verstärkt, sodass die Kawasaki als Einzige in den engen Ecken vor der Gegengeraden oder in der Schikane vor Start/Ziel in den ersten Gang zurückgeschaltet werden muss. Wahrscheinlich könnte sie auf einem flüssiger gesteckten Kurs mit schnellen Kurven ihre Fahrstabilität und ihre beachtliche Spitzenleistung besser zur Geltung bringen, die harschen Lastwechsel besser verbergen.
Faszination Supersportler, Faszination Rennstrecke
Dieser Supersportler-Track-Test von Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR, Ducati 1299 Panigale S, Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R, Suzuki GSX-R 1000 und Yamaha YZF-R1 soll nicht enden ohne die Schilderung einer Situation, die viel aussagt über die Faszination der Supersportler: Es war am Nachmittag des zweiten Tages, als einer der Tester eine Pause brauchte, nachdem er vier Motorräder hintereinander gefahren hatte. Er setzte sich in die Box, nuckelte an einer Wasserflasche, knabberte an einer Banane, transpirierte vor sich hin und starrte ins Leere. Auf der Zielgeraden kreischten zwei Vierzylinder mit höchsten Drehzahlen vorbei, von der anderen Seite war das Grollen der Ducati zu hören, die sich von Kurve zu Kurve katapultierte. Es wirkte wie ein Signal. Unwiderstehlich angezogen griff sich der Mann Helm und Handschuhe, stieg auf das nächste Motorrad und brauste davon. Zur nächsten schnellen Runde.
Reifen beim Rennstrecken-Test

Sie haben sich einen Extra-Text verdient, die Metzeler Racetec RR, auf denen dieser Test gefahren wurde. Weil sie sehr gut mit allen Motorrädern harmonierten, hervorragenden Grip boten und selbst in stark malträtiertem Zustand auf hohem Niveau gut kontrollierbar blieben. Zum Einrollen und Abstimmen der Motorräder kam am ersten Tag der Racetec RR in der harten K3-Mischung zum Einsatz, der auch uneingeschränkt für den Straßenbetrieb zugelassen ist. Schon dieser Reifen erntete einhelliges Lob, selbst von den Profis.
Die Rundenzeiten wurden am folgenden Tag auf neuen Pneus in der K2-Mischung ermittelt, die auf dem Lausitzring für etwa eineinhalb Sekunden pro Runde gut sind. Auch sie hielten für den Rest des Tages durch, ohne dramatisch an Grip zu verlieren. Und überhaupt: Was diese Reifen können, muss man sich als Hobbyrennfahrer erst erschließen. Aber bitte mit hoher Konzentration und in kleinen Schritten. Dann sind Staunen und maximale Fahrfreude garantiert.
Fahrer, Strecke, Daten

Obgleich er ein pfeilschneller Fahrer ist, kommt unser spanischer Kollege Sergio Romero in einem Punkt unserer Vorstellung vom „Normalfahrer“ recht nahe: Er reagiert sensibel auf Details und Eigenschaften, die ihm an einem Motorrad merkwürdig vorkommen. Das zeichnet einen guten Tester aus. Wenn er also mit der BMW S 1000 RR so nahe an die Zeiten von Christian Kellner und Freddy Papunen herankommt wie mit keiner anderen Maschine, mit der Ducati 1299 Panigale S aber so weit weg bleibt wie mit keiner anderen, dann sagt das viel aus über den Charakter der Motorräder. Die BMW macht es einem leicht, schnell zu fahren, die Ducati muss man sich in einem langen Gewöhnungsprozess erschließen. Wesentlich länger als eine Outlap, drei gezeitete Runden und die Rückkehr in die Box dauern.

Zur Erklärung der Tabelle mit den Rundenzeiten: Die in Klammern unter der jeweiligen Zeit stehende Ziffer bezeichnen den Platz, den jedes Motorrad in der individuellen Rangfolge eines jeden Fahrers einnimmt. Alle drei Fahrer haben also mit der Aprilia RSV4 RF ihre persönlich schnellste Zeit erzielt, mit der Suzuki GSX-R 1000 ihre langsamste und so weiter.
Analysiert man die Werte in der ganz unten stehenden Geschwindigkeitstabelle, scheint das Geheimnis des Aprilia-Erfolgs ganz leicht erklärbar zu sein: Abgesehen von einem einzigen Punkt, an dem sie zumindest nicht langsamer ist als die Konkurrenz, ist sie überall sonst die Schnellste. Das spricht für ein geglücktes Gesamtpaket, das die Konkurrenz in dieser Ausgewogenheit nicht zusammenbringen konnte.
Die Referenzpunkte eins bis vier bezeichnen jeweils das Ende der Beschleunigungsphasen, sind aber auch Ausdruck der Vorgeschichte. Zum Beispiel erklärt sich die trotz überlegener Motorleistung geringere Geschwindigkeit der BMW S 1000 RR an Punkt eins durch das im Testbericht beschriebene Pumpen der Hinterhand, das die S 1000 RR in der welligen Sektion eingangs der Zielgeraden stark bremste.
Der Lausitzring

Diesen Anblick vergisst man nie mehr, surreal wie in einem Videospiel: mit Vollgas entlang der riesigen Haupttribüne des Lausitzrings zu donnern. Sie ist 368 Meter lang und 35 Meter hoch, fasst allein 25.000 Zuschauer. Majestätisch dreht sich dahinter das fast 200 Meter hohe Windrad im brandenburgischen Himmel. Diese Erfahrung kann jeder machen. Von Anfang Mai bis Ende September gibt es immer montagabends von zirka 18 bis 21 Uhr Freies Fahren. 15 Minuten mit straßenzugelassenem Motorrad kosten 19 Euro, 5er-Tickets 90 Euro und 10er-Tickets 160 Euro, erhältlich vor Ort und unter www.lausitzring-shop.de
Ferner bietet Deutschlands vierte und östlichste permanente Rennstrecke auch professionelle Sportfahrertrainings von April bis September. Instruktoren vermitteln eingeteilt nach Fahrlevel die richtige Linie. Infos: www.lausitzring.de/motorradtrainings. Es hat schon Charme, dort am Fahrkönnen zu feilen, wo bereits seit der Eröffnung im August des Jahres 2000 die Internationale Deutsche Motorrad-Meisterschaft (IDM) gastiert und auch schon Rennen der feurigen Superbike-WM starteten.
Cross-Strecke, Seenlandschaft, Besucherbergwerk
Vom Streckenrestaurant „Speedway Inn“ auf der Haupttribüne genießt man einen guten Überblick über die beeindruckende Rennstrecke. Sie bietet insgesamt zehn Streckenvarianten: vom 3,2 Kilometer langen Trioval im US-Stil bis zur 11,3-Kilometer-Langstrecke unter Einbeziehung eines Test-Ovals neben der eigentlichen Rennstrecke.
Auf dem rund 4 km2 großen Areal des EuroSpeedways Lausitz liegt sogar eine 1,8 Kilometer lange Enduro-/Motocross-Strecke, die mittwochs, samstags und sonntags Freies Training anbietet. Daneben offeriert der Verein Race and Style Lauchhammer e. V. freitags von 16 bis 18 Uhr Geländetraining für Kinder, bei dem Quads, Kinder-Crosser und Bekleidung gestellt werden. Auch sonst bietet die Region zwischen Dresden und Berlin viel: Aus ehemaligen Flächen des Braunkohle-Tagebaus entstanden 20 Seen mit rund 140 Quadratkilometern Wasserfläche. Das Lausitzer Seenland als Europas größte künstliche Gewässerlandschaft lädt zum Wasserwandern und Übernachten ein, im Norden schließt sich der Spreewald an. Infos: www.reiseland-brandenburg.de
Beeindruckende Industriekultur: Im Besucherbergwerk F60 in Lichterfeld steht ein 502 Meter langer, 11.000 Tonnen schwerer Gigant der Technik. Die ehemalige Abraumförderbrücke F60 vermittelt die Geschichte des Braunkohlenbergbaus in der Lausitz. Infos: www.f60.de. Stilvoll ist das streckeneigene „Hotel/Restaurant Landhaus“. Es bietet 16 schöne Doppelzimmer ab 44 Euro und feine Küche zu kleinen Preisen. Tel. 03 57 54/64 30, www.landhaus-meuro.de
MOTORRAD-Testergebnisse
1. Aprilia RSV4 RF
Die Aprilia RSV4 RF ist ein mit höchster Konsequenz gestaltetes Rennsportpaket. Vom kompakten, enorm erstarkten V4-Motor bis hin zum fein ausbalancierten Fahrwerk und der ausgefeilten Elektronik. Selten war ein Testsieg so eindeutig.
2. BMW S 1000 RR
Mit vergleichsweise bequemer Sitzhaltung, sanften Lastwechseln und bestens abgestimmten elektronischen Helfern kommt die BMW S 1000 RR auch den Fahrern weit entgegen, die nicht der Profiliga angehören. Der überlegene Motor steht dazu nicht im Widerspruch.
2. Ducati 1299 Panigale S
Punktgleich Zweite mit der machtvollen BMW S 1000 RR – Respekt! Bei diesem Vergleich geht es vor allem um das Potenzial für schnelle Rundenzeiten, und davon besitzt die Ducati 1299 Panigale S jede Menge. Es zu nutzen, erfordert jedoch enormen Einsatz.
4. Yamaha YZF-R1
In der Auslegung des Fahrwerks geht die Yamaha YZF-R1 den gleichen Weg wie die Aprilia RSV4, bleibt aber einen Fußbreit zurück. Größer ist der Abstand bei den Kriterien Leistungscharakteristik und Ansprechverhalten. Mehr Schub von unten würde auch auf der Rennstrecke helfen.
5. Honda Fireblade SP
Hauptverantwortlich für den Rückstand der Honda Fireblade SP auf die Spitze ist der Motor, dem es ab 9000/min schlicht an Leistung fehlt. Dass die Fireblade trotzdem zäh an der stärkeren Kawasaki ZX-10R hängt, spricht für die hohen Qualitäten von Fahrwerk und Bremsen.
5. Kawasaki ZX-10R
Punktgleich mit der Honda Fireblade SP, wenn auch bei den Rundenzeiten einen Tick schneller. Wahrscheinlich haben ihre Erbauer die Getriebeabstufung im Hinblick auf die hochgetunten Superbikes gewählt, im Serientrimm fehlt es der Kawasaki ZX-10R an Drehmoment.
7. Suzuki GSX-R 1000
ABS allein macht nicht schnell. Die Suzuki GSX-R 1000 braucht mindestens 20 PS mehr im oberen Drehzahlbereich. Die dazu nötige Weiterentwicklung, in deren Zug man ihr auch eine zeitgemäße Elektronikausstattung spendieren könnte, hat sie längst verdient.
Die im Track-Test auf dem Lausitzring ermittelten Messdaten von Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR, Ducati 1299 Panigale S, Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R, Suzuki GSX-R 1000 und Yamaha YZF-R1 bekommen Sie mit dem 18-seitigen Test als PDF zum Download hier.