Test Honda CBR 900 RR Fireblade
Eilige Drucksache

Ein Anruf aus Italien: die Einladung zum ungestörten Rendevouz mit der Honda CBR 900 RR Fireblade. Die Folge: der erste Test.

So eine Chance darf man sich nicht entgehen lassen. 15. Februar 2000, Claudio Corsetti, Testchef von der befreundeten italienischen Motorrad-Zeitschrift Moto Sprint, ist am Telefon: »Hallo Deutschland, kommt nach Bologna, wenn ihr eine Fireblade testen wollt.« Ohne Dreiwege-Kat zwar, aber schließlich sollte auch die ein oder andere grau importierte CBR 900 RR den Weg nach Deutschland finden. Und die Gelegenheit für eine erste Standortbestimmung. Ab nach Italien, die Fireblade wartet. Deren unmissverständlicher Auftrag: die Lücke zur Yamaha R1 und Kawasaki ZX-9R schließen. Die alte Fireblade, lange Jahre unangefochtene Königin der supersportlichen Big Bikes und von 1992 bis 1999 immer weiter verfeinert und verbessert, konnte dem Druck der beiden Konkurrentinnen nicht mehr standhalten.
Bologna, Italien. Volltanken, das kostbare Stück, und ab auf die Waage: Fahrfertig 198 Kilogramm. Wow. Die Blade sprengt die magische 200-Kilogramm-Schallmauer. Eine Yamaha R6 wiegt gerade mal zwei Kilogramm weniger. Dann der Leistungsprüfstand. Aus Aktualitätsgründen ausnahmsweise nicht der sonst von MOTORRAD verwendete Bosch-Prüfstand, sondern der unserer italienischen Kollegen. Deshalb auch die Angabe der Leistung am Hinterrad, nicht wie sonst die der korrigierten Leistung an der Kupplung. Sobald die deutsche Fireblade-Version mit Kat zur Verfügung steht, wird MOTORRAD die Honda erneut messen. Versprochen. Ob sie dann mehr als die in Italien gemessenen 133 Pferdestärken am Hinterrad (rund 140 an der Kupplung) auf die Prüfstandsrolle drückt? Leistungsfetischisten werden jetzt sicher etwas enttäuscht sein. Immerhin verspricht Honda 152 PS für die CBR 900 ohne Kat.
Bitte das Weinen um einige vorenthaltene Pferdchen einstellen, Jungs und Mädels: Diese Blade geht nämlich wie die Feuerwehr. Wer’s partout wissen will, den katapultiert sie in neun Sekunden von 0 auf 200 km/h, erst bei 274 km/h endet der Vortrieb, bis zu diesem Finale furioso dreht der Vierzylinder atemberaubend ohne spürbares Leistungsloch lustvoll an den Begrenzer. Hand aufs Herz: Mehr als genug Leistung fürs ganz normale Motorradfahrer-Leben, das sich in den allermeisten Fällen auf der Landstraße abspielt.
Und dort gibt dieses radikal anmutende, zierliche Motorrad eine prächtige Figur ab – einen maß- und respektvollen Umgang mit dem Gasgriff vorausgesetzt. Dann nämlich erschließt sich einem schnell, dass die Blöde mit ihrem bärenstarken, überraschend sanft ansprechenden Triebwerk und dem jetzt noch besser schaltbaren Getriebe auch zum genussvollen Dahingleiten, dem Power-Cruisen der ganz besonderen Art, taugt.
Für einen Supersportler diesen Kalibers darf die Sitzposition als durchweg gelungen bezeichnet werden. Da zwickt’s nicht gleich in den Kniekehlen, müssen die Beine dank des schmalen Tanks nicht ungebührlich weit gespreizt werden, schmerzen nicht schon vor dem Aufsitzen die Handgelenke. Und das trotz der unter der oberen Gabelbrücke angebrachten Lenkhälften. Vibrationen? Spürbar in Lenkerenden und Fußrasten, aber nie nervend. Windschutz? Auch der fällt vergleichsweise gut aus. Nicht minder alltagstauglich: das für die Blade charakteristische Staufach unterm Soziussitz, da gab Honda sich traditionsbewusst.
Nicht so bei einer anderen Tradition. Das über Jahre verwendete 16-Zoll-Vorderrad nebst 130/70-ZR 16-Pneu musste einem 17-Zöller mit der gebräuchlicheren Reifen-Dimension 120/70-ZR 17 weichen. Ein dickes Lob dafür. Das früher immer wieder kritisierte kippelige Einlenkverhalten, die fehlende Zielgenauigkeit der Alten – keine Spur mehr davon. Auch auf holprigen Strecken findet die CBR 900 nun problemlos ihren Radius, fährt sich zudem angenehm neutral und handlich, wenngleich sie trotz ihres niedrigen Gewichts die spielerische Leichtigkeit einer Supersport-600er nicht errreicht. Die nicht zu straff abgestimmten Federelemente bieten genügend Komfort und, fast noch wichtiger, Rückmeldung für den Fahrer. Das flößt auf Anhieb Vertrauen ein. Und auch das Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage, bei früheren CBR 900-Modellen ein Knackpunkt, hält sich in absolut tolerierbaren Grenzen. Überhaupt, die vordere Bremse: was ganz was Feines. Nicht zu aggressiv im Ansprechverhalten, liefern die Nissin-Vierkolbenzangen bei Bedarf exakt dosierbare, brachiale Verzögerung.
Lenkerschlagen, bei allen Supersportlern dieser Liga ein Thema, ist auch der Honda nicht fremd. Welch Wunder, bei derart imposanten Leistungs- und Gewichtsdaten. Beim härteren Beschleunigen auf welligem Asphalt neigt die dann federleichte Front der CBR zu einem leichten Zucken, aber während des gesamten Tests – und bei durchaus zügigem Tempo – trat das ungeliebte Phänomen nie in bedrohlichem Ausmaß auf. Ein anderes, bereits vom Vorgängermodell bekanntes leider schon: zu viel Spiel im Antriebsstrang, untermalt von einem metallischen Klackern, spürbar beim Fahren durch enge Kehren. Vermiest einem ab und an den ansonsten leicht von der Hand gehenden sauberen Strich.
Wie sie sich auf der Rennstrecke und gegen die lieben Konkurrentinnen schlägt? Gemach, gemach, liebe Leute. Der große Vergleichstest folgt in Kürze. Die Kollegen Lindner und Co. scharren schon mit den Hufen.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023