Vergleichstest Zweizylinder

Vergleichstest Zweizylinder Moment mal...

Da war doch was. Richtig. Abseits fein säuberlich austarierter Schwungmassen und perfekter Funktionalität produzieren vier andersartige Twins haufenweise Dreh-, Kipp-, Aufstell- und natürlich Glücksmomente.

Moment mal... fact

Schronk. Rigoros reißt der Anlasser die fette Kurbelwelle samt Gefolge aus ihrer Lethargie. Maschinenraum an Brücke: Motor läuft. Ein ganz normaler Morgen an Bord einer Buell Firebolt XB9R und Moto Guzzi V11. Etwas weniger ruppig erwachen Ducati 900 SS und BMW R 1100 S. Und rollen geschmeidiger vom Hof als die zunächst noch etwas verschlafen vor sich hin polternden Stoßstangen-Aggregate aus Milwaukee und Mandello. Immerhin – wirklich zickig gibt sich keiner der Charakterköpfe. Egal, ob mit oder ohne Kaltstarthilfe versehen, nach kurzer Phase innerer Sammlung sind alle vier bei der Sache und kokettieren vergnügt mit ihrer Andersartigkeit.
Beispiel Buell Firebolt. Mächtige Alubrücke plus blubberndes Harley-Herz umspielt von knappem Plastikmini. Tina Turners goes Britney Spears. Erik Buell stellt die Zweiradwelt auf den Kopf: Der Hauptrahmen ist Spritfass, die Schwinge Öltank. Sekundärantrieb per Zahnriemen, direkt mit dem Felgenring verschraubte, 375 Millimeter messende Bremsscheibe plus innenumfassende Sechskolbenzange. Beschleunigt wird das Ding von einem Milwaukee-V2, die Abgase verlassen donnernd ein Wahnsinns-Ofenrohr.
Geht das gut? Na klar. Leichtfüßig verlässt der Twin den Drehzahlkeller, schnalzt auf 3000/min, hangelt sich widerwillig über ein ausgeprägtes Drehmomenttal, um ab 5000/min noch mal richtig loszulegen. Indes, mit gemessenen 88 PS und genauso vielen Newtonmetern reißt hier kein Leistungs- und Drehmomentmonster am Riemen. Objektiv jedenfalls. Subjektiv schiebt der neu konstruierte, trotz zeitgenössischer Zutaten wie Saugrohreinspritzung in Fallstromanordnung und modifizierter Zylinderköpfe fast vorsintflutlich anmutende 985-cm3-Vau wie ein Großer und überschwemmt die 206 Kilo leichte Firebolt mit einer Woge prallen Schubes. Überdies reagiert die Einspritzung sanft, der Zahnriemen macht Lastwechseln den Garaus, und die Uniplanar genannte Motoraufhängung – ein trickreiches System aus Streben und Gummilagern – filtert Vibrationen in Fahrt weitgehend aus. Trotz dieser Flexibilität spielt das Aggregat eine im Wortsinn tragende Rolle und nimmt sogar die Schwinge auf. Verrückt, oder?
Einen Tick härter lässt der Guzzi-V2 seine maximal 89 Cavalli auf den Kardan los. Was unter anderem am überfallartigen Druckpunkt der Einscheiben-Trockenkupplung der Scura liegt. Metallisch hart pulsierend pflügt der 1064-cm3-Vau in ausgeprägten Wellen durchs Drehzahlband. Und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Es wird dermaßen authentisch angesaugt, verdichtet, gezündet und ausgepufft, dass ihm die Schwächeperiode bis 5000/min verziehen sei. Zumal der Zweiventiler stets spontan auf Kommandos am leichtgängigen Gasgriff reagiert, trotz satter Schwungmasse freudig losdonnert und um 7000 Touren noch mal herzhaft nachbrennt. Mittragend im Zentralrohrrahmen verschraubt, künden kräftige Vibrationen vom unvollkommenen Massenausgleich, das rechtsdrehende Kippmoment beim Gasgeben von der längsliegenden Kurbelwelle.
Damit kennen sich BMW-Treiber ebenfalls bestens aus, in Sachen Kippmoment macht der mittragende 1100er aus seinem Bauprinzip keinen Hehl. Nur den theoretisch perfekten Ausgleich der Massenkräfte und weitgehenden Ausgleich der Massenmomente kann der sportliche Boxer nicht in die Praxis retten. Zwar dreht er hurtig obenraus, schickt jedoch stets prickelnde Schwingungen in Lenker und Verkleidung, die ab 6000/min sehr präsent werden. Gottlob wirft er sich bereits ein Stockwerk tiefer mit Schmackes ins Zeug und schiebt die Fünf-Zentner-Fuhre dezent brummend voran. Allerdings ohne das kultverdächtige Holterdipolter der beiden anderen Stoßstangen-Twins. Was nichts daran ändert, dass der 99 PS und 96 Newtonmeter starke teutonische Vierventiler alle drei Konkurrentinnen eintütet. Zumindest in Sachen Fahrleistungen und Emissionen. Die BMW operiert als einzige mit G-Kat, während die Konkurrenz lässig ohne Filter raucht.
Immerhin, wo Rauch ist, ist auch Feuer: siehe Ducati. Deren 83 PS starker Zweiventil-Desmo brennt mit heller Flamme durchs komplette Drehzahlband und hat sogar die pubertäre Prügelei unterhalb 3000/min abgelegt. Spitzkehren und Stadtverkehr verlieren ihren Schrecken, stattdessen macht sich der V2 mit Einspritzung freudig aus der Airbox röhrend auf gen 8000er-Marke. Ohne auf dem Weg dorthin in irgendwelche Löcher zu purzeln. Drüber wird’s zäh, an den Begrenzer stoßen nur unsensible Ignoranten.
Die sind bei unserer Twin-Combo ohnehin an der falschen Adresse, schließlich verlangen die Bezeichnungen R, S, Sport und Supersport nach relativierender Betrachtung. So klauen etwa rotzfreche vierzylindrige 600er den dicken Pötten mit Leichtigkeit Meter respektive Sekunden. Draufsetzen und losheizen geht schon gleich gar nicht. Wem das egal ist, der möge weiterlesen, wem nicht, erst recht. Dicke Twins vermitteln nämlich etwas Besonderes. Zum Beispiel das Glücksgefühl nach einer perfekt gemeisterten Kurvenkombination. Wenn alles passt. Wer hingegen seinen Einsatz verpasst, erntet harsche Dissonanz. Nicht erst bei jesusmäßigen Tempi, sondern schon beim nettem Landstraßenswingen.
Vorhang auf für Erik Buells Feuerbolzen. Unverschämt steil der Lenkkopf, kurz der Nachlauf und der Radstand. Garanten für schwerelose Handlichkeit? Von wegen. Für die Firebolt gilt: ohne Einsatz kein Gewinn. Kompakt-sportlich, dennoch für Minis und Lulatsche gleichermaßen bequem, hockt der Pilot quasi auf der Gabelbrücke. Und muss die Firebolt mit festem Griff an den Lenkerstummeln und innigem Kontakt zum anschmiegend geformten Rahmen dirigieren. Am liebsten in langgezogenen Bögen über gut gepflegten Asphalt. Hier liegt die Buell, einmal auf Kurs gebracht, so stoisch, als ob die höchst filigranen Räder wie übermächtige Kreisel agierten. Sobald der Fahrer nun jedoch die - angenehm dosierbare - Einscheibenbremse vorn anlegt, ist dieses Phänomen schlagartig beendet. Die XB9R richtet sich auf, drängt zum Kurvenaußenrand, will plötzlich ganz weit ausholen.
Mit anderen Reifen als den montierten Dunlop D 207 F Y/U kriegt man die Sache in den Griff, wie ein Quercheck zeigte. Ebenso die Tendenz, sich bei Bodenwellen oder Spurrillen in Schräglage aufzustellen. Allzu holpriges Terrain ist trotzdem nicht die Welt der Buell, Vorder- und Hinterrad erscheinen dort bisweilen unsynchronisiert, die angepeilte Linie verschwimmt. Vor allem, wenn sich trotz eines beflissen sausenden Lüfters das Federbein durch stauende Motorwärme erhitzt und die Dämpfung nachlässt, gerät die Heckpartie in Wallung. Umso mehr ist Präzision und Rhythmusgefühl beim Piloten gefragt. Auch beim Gangwechsel, denn nachlässiges Rumswitchen, womöglich ohne Kupplung bringt nichts außer gewaltige Unruhe. Die Betätigung von schwergängiger Kupplung und Fünfganggetriebe will mit Gefühl und angemessenen Pausen vorgetragen werden, dann arbeiten die mächtigen Schwungmassen des Harley-Trumms für und nicht gegen den Akteur.
Dieses Rezept führt bei der Guzzi ebenfalls ans Ziel. Zwar gefällt die V11 mit einem recht exakten Getriebe, der harte Lastwechselschlag plus Kardanaufstellmoment verlangen jedoch nach flüssigem, vorrauschauenden Fahrstil. Alles vor dem Einlenken ordnen und dann mit Zug ums Eck rauschen. Unerwünschte Reaktionsmomente bleiben außen vor, der über den langen Tank gespannte Fahrer kann die hecklastige, 246 Kilogramm schwere Scura mit wenig Kraftaufwand an den hoch montierten Lenkerenden um die Kurve lassen. Dabei gewähren die Bridgestone BT 020 mehr Grip, als es den bei forcierter Fahrt aufsetzenden Fußrasten und dem Seitenständer lieb ist.
Sobald Buckelpisten auf dem Programm stehen, stemmt sich der verstellbare Öhlins-Lenkungsdämpfer Kickback-Tendenzen wirksam entgegen, gegen die leichte Pendelneigung ist er allerdings machtlos. Toll verrichten die fein ansprechenden, voll einstellbaren Öhlins-Federelemente ihren Job - bei der weltweit auf 600 Stück limitierten Sport Scura serienmäßig an Bord. Egal, ob beim Bremsen oder auf Unebenheiten, speziell die wunderschöne Upside-down-Gabel saugt Unebenheiten samtig auf und hält stets Reserven parat.
Damit kann auch die Ducati-Front dienen. Einen Tick weniger sahnig, dafür deutlich progressiv abgestimmt, hält das Showa-Teil grundehrlichen Bodenkontakt und geht selbst beim heftigen Bremsen nicht auf Block. Mit einem über das Öhlins-Federbein angehobenem Heck wird die 900 SS sogar richtig handlich, ohne in puncto Stabilität fühlbar zu verlieren. Erst gnadenloses Beschleunigen auf welliger Piste lässt die Front etwas nervös werden. Unerfreulicher sind die Schmerzen in den Handgelenken, insbesondere bei langsamer Fahrt oder bei hartem Griff zu den wirksamen Brembos. Für ein Landstraßenmotorrad liegen die Stummel schlichtweg zu tief. Ansonsten stimmt das Package: drahtiger Körperbau, gleichmäßiger Punch, speziell im mittleren Drehzahlbereich, agiles und transparentes Handling. Spaß pur. Nur die zeitig rutschenden Michelin TX15/25 bremsen gemeinsam mit dem irgendwann schrappenden Seitenständer allzu ungestüme Schräglagenexzesse.
Komfortabel über der vergleichsweise ausladenden Kunststoffkarosse thronend, kommt man sich an Bord der BMW regelrecht entkoppelt vor. Logisch, bemüht sich vor allem die Paralever-Frontpartie, die Stöße selbst mieser Straßenoberflächen in ihrem Federbein rückstandsfrei in Wärme umzuwandeln. Konstruktionsbedingt bleibt diese Fähigkeit sogar beim harten Verzögern erhalten, so dass etwa Bodenwellen beim Bremsen ihren Schrecken verlieren. Dort sind höchstens die Regelvorgänge des – aufpreispflichtigen – Integral-ABS zu spüren. Das Heck absorbiert Schläge nicht ganz so feinfühlig, Kardan plus gewichtsträchtige Hebelei fordern ihren Tribut. Trotzdem, je schlechter die Piste, desto eher fährt die R 1100 S voraus. Dafür kann sie nicht mit der unbeschwert frechen Handlichkeit einer Scura oder 900 SS dienen.
Letztere taugen übrigens – wenn auch begrenzt – zum Soziustransport, müssen sich in diesem Metier dennoch der BMW geschlagen geben. Diese lädt sogar zu ausgedehnten Trips samt Passagier und Koffern. Ein Gepäckträger an Buell, Duc oder Guzzi? Welch grausiger Gedanke. Aber wer braucht für sonntagmorgendliche Glücksmomente auf der Hausstrecke schon Koffer und Heizgriffe?

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1. Platz - BMW R 1100 S

Punktsieg für die BMW. Mit dem leistungsstärksten Motor samt G-Kat, Antiblockiersystem sowie umfassendem Komfortangebot legt sie die Hürde für die Konkurrenz ziemlich hoch. Doch auch abseits vernunftorientierter Betrachtung kann der Sportboxer punkten, denn insbesondere auf schlechten Straßen verweist er sogar manch vermeintlichen Supersportler auf die Plätze.

4. Platz - Buell XB9R Firebolt

Es ist kein Spaß, die Firebolt ins unnachgiebige MOTORRAD-Punktekorsett zu quetschen. Sie ist einfach zu crazy. Wer’s trotzdem ganz genau wissen will, schaue auf Seite 25, allen anderen sei ein Besuch beim Buell-Dealer ans Herz gelegt. Schließlich sieht der ultrakompakte Donnerbolzen mit den coolen Features nicht nur scharf aus, sondern fährt auch so.

2. Platz - Ducati 900 SS

Ducati hat die 900 SS mit feinem Händchen abgestimmt. Der größte Desmo-Zweiventiler steigt jetzt ohne Murren in den Drehzahlkeller, und mit angehobenem Heck geht die routiniert verarbeitete Supersport wie’s Messer um die Ecken. Nicht umsonst gewinnt sie das Fahrwerkskapitel. Ihre vornübergebeugte Sitzposition erfordert allerdings Leidensfähigkeit.

3. Platz - Moto Guzzi V11 Sport Scura

Ausgerechnet in puncto Alltagstauglichkeit fährt die Scura einen Teilsieg ein. Wo das V11-Sondermodell mit feinem Karbonschmuck plus edlen Öhlins-Federelementen doch geradewegs in die Herzen selbst der allergrößten Pragmatiker zielt. Und diese schon wegen ihres enorm präsenten V2 auch erobert. Doch warum soll es das gute Stück nur 600mal geben?

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