Yamaha R7 und Kawasaki Ninja 650: Vergleichstest

Yamaha R7 und Kawasaki Ninja 650 im Test Vergleich
Sport zum Spartarif

Veröffentlicht am 22.07.2023

Sport und Mittelklasse – eine Kombination, die sich nur schwer unter einen Hut bringen lässt. Warum? Weil Sportler sich zu puren Technologie-Trägern entwickelt haben. Das Problem dabei: So viel Technik kostet. Die 1.000er-Superbike-Riege bewegt sich rund um 20.000 Euro. Mal ein bisschen weniger, mal mehr. Ein Betrag, den nicht alle zahlen können oder wollen, auch wenn ihr Herz für Sportbikes schlägt. Alternativen sind rar. Dort hielt lange einzig Kawasakis Ninja 650 die Race-Fahne hoch (ab 8.595 Euro, inkl. Nebenkosten; Stand Juli 2023). Das änderte sich 2021 mit der neuen R7 von Yamaha (ab 10.259 Euro, inkl. Nebenkosten; Stand Juli 2023). Womit automatisch die Frage auf dem Tisch liegt, wer beim Thema Sport in der unteren Mittelklasse die Nase vorn hat, sich den obersten Platz auf dem Stockerl sichert.

Kupplung verlangt nur minimale Handkräfte

Daher nicht lang rummachen, auf geht’s ins Kurven-Eldorado. Nachdem der Kawa-Twin mit seinen 649 cm³ nach dem Kaltstart noch ein wenig hochdreht, erreichen beide Motoren schnell einen ausgewogenen Ruhepuls. Wahnsinn, wie gut sich die Kupplung der Ninja 650 dosieren lässt. Bei geringsten Handkräften begeistert sie mit einem Druckpunkt, der so klar ist wie das Wasser eines unberührten Bergsees. Da kommt die R7 nicht ganz ran. Bei ebenfalls minimalen Handkräften fehlt ihr das ganz feine Gefühl für den Schleifpunkt. Aber egal, das Testmotorrad besitzt den optional erhältlichen Schaltautomaten für 170 Euro. Mit ihm lassen sich die Gänge nach oben unter Last ohne Griff zur Kupplung wechseln. Das kann die Ninja 650 nicht bieten. Dafür sind bei ihr beide Handhebel einstellbar. Die Yamaha verzichtet kupplungsseitig auf dieses Feature.

Ruhig gleiten Ninja 650 und R7 durch den morgendlichen Stadtverkehr. Umkehrpotenziale liefern ihre Motoren keine. Gut so. Mit leisen 88 dB grummelt die Yamaha im Stand, bei der Kawasaki sind es 2 dB mehr. Voll nachbarschafts- und Tirol-kompatibel.

Schon jetzt fällt auf: Die R7 hat Yamaha konsequent in Richtung Sport getrimmt und dabei auch die Sitzposition nicht ausgelassen. In 830 Millimetern Höhe findet der Hintern seinen Platz, während die Hände auf tief angebauten Stummeln in 880 Millimetern über dem Boden ruhen. Schnellrechner stellen fest: Das sind nur zarte fünf Zentimeter Differenz. Es lastet viel – nicht zu viel – Gewicht auf den Armen des R7-Piloten. Gerade im Stadtgetümmel ohne stützenden Gegenwind ein forderndes Arrangement. Komplett anders gibt sich die Ninja 650. Niedrige 790 Millimeter muss ihr Fahrer überwinden, um Platz zu nehmen. Und ihr Stummel-Rohrlenker sitzt weit über der oberen Gabelbrücke in 98 Zentimetern Höhe. Das sind 190 Millimeter über der Sitzbank. Deutlich entspannter und mit viel weniger Handlast huscht die Ninja 650 so durch jede Lücke, lässt sich spielerisch-lässig dirigieren.

Mit der Kawa locker-flockig durch Kurven

Bald verschwindet das letzte Vierrad aus dem Sichtfeld, öffnet sich endlich die Landschaft. Wie von selbst gleitet die Ninja 650 durch die ersten Bögen, gefällt mit narrensicherem Fahrverhalten. Dank passend gewähltem, schmalem hinterem Pneu im 160er-Format gelingen Richtungswechsel mit der Kraft eines kleinen Fingers, wischt die Kawasaki locker-flockig durch Kurven. Mit ihrem 180er-Reifen achtern braucht’s auf der R7 mehr Engagement. Nein, der neue Yamaha-Sportler ist nicht unhandlich, im Vergleich zur Kawasaki verlangt er fürs gleiche, lässige Tempo durch Biegungen aber eine fokussiertere Haltung, mehr Konzentration.

Die kann der Yamaha-Treiber uneingeschränkt dem Straßenverlauf widmen, weil sein CP2 getaufter Antrieb mit 270 Grad Hubzapfenversatz und 689 Kubik immer und überall zur Stelle ist, mustergültig, lastwechselarm, antrittsstark. Der wie viele weitere Teile aus der nackten MT-07 übernommene Motor ist so etwas wie der ungekrönte König der Mittelklasse-Aggregate. Er fegt so unangestrengt durchs Drehzahlband, muckt bei niedrigen Drehzahlen nicht auf und beschwert sich auch nicht, wenn es in Richtung maximaler Power von 73 PS bei 8.750 Umdrehungen geht. Ein motorischer Freund, und zwar ein richtig guter.

Ähnliches trifft auf den Twin im Gitterrohrrahmen der Ninja 650 zu. Allerdings fehlt dem Zweizylinder etwas der Feinschliff, diese potente Unaufgeregtheit des Yamaha-Antriebs. Kaum winkt der Kawasaki-Motor niedrigen Drehzahlen zum Abschied, fängt er an zu dröhnen und zu schreien. Auch Vibrationen baut er in sein Hochdrehpotenzial ein. Nicht umsonst hat Kawasaki massive Ausgleichsgewichte unter die Rasten der Ninja 650 geschraubt.

73 zu 68 PS und 189 zu 195 Kilogramm

Aufgeregt flackert der Drehzahlbegrenzer im TFT-Cockpit der Kawasaki, bittet um den nächsten Gang. Wer den Twin sportlich-rasant rund ums Landstraßen-legale Speedlimit ausquetscht, pendelt immer zwischen den Gängen zwei und drei. Ein Spiel, das die Kawasaki gerne mitmacht. Und ein bisschen Sport muss ja sein, schließlich trägt sie die an die ZX-10R erinnernde Verkleidung und das Namenskürzel Ninja nicht einfach so. Der Yamaha genügt beim ebenso freudigen Kurvenglühen meist die zweite Gangstufe. Ihre Endübersetzung fällt etwas länger aus. Sie kommt bis Tempo 100 mit einem Schaltvorgang weniger aus. Das hat auch fahrdynamische Konsequenzen. Bei den Spurtprüfungen hängt die R7 die Ninja 650 ab, weil sie bei recht ähnlicher Power (73 zu 68 PS) und nur geringen Gewichtsunterschieden (189 zu 195 Kilogramm vollgetankt) weniger Gangwechsel benötigt. Beim Durchzug gibt’s dafür direkt die Quittung. Die längere Übersetzung lässt die Yamaha hinter die Kawasaki zurückfallen. Aber wer ist mit diesen beiden quirligen Heißspornen schon immer im höchsten Gang unterwegs? Eben, jetzt auf zum freudigen Tanz am Schräglagenlimit.

Dabei kommt richtig Bewegung in die Kawasaki. Ihre Gabel sowie das Federbein gleiten zwar kommod über schlechten Asphalt, ist sportliche Dämpfung gefordert, fehlt’s aber an Reserven. Das Setup der Gabel ist fix, am Federbein lässt sich nur die Vorspannung anpassen. Und das auch nur nach aufwendiger Demontage von Seitendeckel und Elektrik-Bauteilen. Das dürfte gern einfacher gelingen. So bleibt’s dabei: Bei sportlichem Tatendrang rauscht die Ninja ziemlich flott durch ihren Federweg. Muss der Dämpfer dann ab dem Scheitelpunkt die Flieh- und Antriebskräfte durch ordentlich Zug auf der Kette ausgleichen, wird’s hinten gautschig. Trotz federleichter Handlichkeit verrutscht so schon mal der Kurvenausgang, fällt die Linie weiter aus als gedacht. Bis zu gemäßigt sportlichem Treiben spielt die Ninja 650 zuverlässig mit, wer gern mit den tiefen Rasten über den Teer kratzt, muss sich aber auf ein ausgeprägtes Fahrwerks-Auf-und-Ab einstellen.

Yamaha R7 reservenreich-straff abgestimmt

Bei der Yamaha ist das anders. Sie gleitet bei moderatem Tempo manierlich über den Asphalt, besonders ihre Gabel saugt jeden Buckel handschonend in sich auf, ohne Feedback vermissen zu lassen. Sein Potenzial offenbart das Fahrwerk aber erst so richtig, wenn das Tempo höher wird. Mit reichlich Luft unter den hohen Fußrasten gesegnet, trifft die R7 jeden Scheitelpunkt ganz nach Fahrerwunsch und prescht beim Rausbeschleunigen aus Ecken stabil und wackelfrei selbst bei vollem Motoreinsatz auf der gewünschten Linie Richtung Kurvenausgang. Ihr Dämpfer, der sich in Vorspannung und Zugstufe justieren lässt, ist reservenreich-straff abgestimmt. Noch nicht so unnachgiebig, dass es einem den Rücken malträtiert, aber deutlich härter als das Kawasaki-Pendant. So muss der R7-Pilot mit weniger Komfort leben, erntet dafür aber ein deutliches Plus an Stabilität und Präzision.

Die liefert die Yamaha auch auf der Bremse. Von einer radialen Handpumpe unter Druck gesetzt, zwacken ihre radialen Bremssättel herzhaft in die zwei 298er-Scheiben an der Front. Mit fein ertastbarem und konstantem Druckpunkt ist die Anlage ein sicherer Stopp-Garant für Zwei-Finger-Verzögerer. Auf dem Papier kommt die Anlage der Kawasaki nicht ganz so hochwertig daher. Axial verschraubte Sättel sitzen über zwei 300er-Scheiben, für Druck in der Bremsleitung sorgt eine einfache, axiale Pumpe. Unterm Strich liefern die Kawasaki-Stopper aber eine Performance nur knapp unterm Yamaha-Niveau. Auch bei der Ninja 650 genügen zwei Finger, um den grünen Springinsfeld zu verzögern. Was dagegen für beide gilt: Ihre ABS regeln zwar sicher, aber stellenweise mit groben und recht langen Intervallen. Hier dürften sie gern nachlegen. Genau wie bei den elektronischen Helferlein. ABS, bei der Yamaha noch der Schaltautomat – und die Liste ist zu Ende. Fahrmodi, Traktionskontrollen oder Ähnliches fehlen. Ob es die braucht? Oberflächlich betrachtet vielleicht nicht, wer das Thema Sport ernsthaft angeht, kommt um Assistenzsysteme aber nicht herum. Wobei dann der prima Einstandspreis der Mittelklasse-Sportler wohl nicht zu halten wäre. Ein Teufelskreis.

Wenn’s ums Geld geht, ziehen beide die Asse aus dem Ärmel. Ab 7.695 Euro steht die Ninja 650 beim Händler, ab 8.999 Euro die R7. Allein das Fahrwerk rechtfertigt den Aufpreis. Dazu schlürfen sie mit rund vier Litern auf 100 Kilometern zurückhaltend am Spritvorrat – gut für Reichweiten jenseits der 300 Kilometer. Und die nimmt man gern am Stück, weil beide nicht nur Sport zum Spartarif bieten, sondern echte Spaßgranaten sind.