Kollege Rainer Froberg fährt jeden Tag Motorrad. Bei Wind und Wetter, das ganze Jahr. Auf seinem Weg zur Arbeit hat er sie entdeckt: eine Gruppe cooler Jungs, die mit seltener Hingabe auf einem Privatgelände ihre eigene Enduroschule etabliert haben. Sie sind zwischen 15 und 19 Jahre alt und zeigen eine Begeisterung für Motorräder, die man generell schon fast abhandengekommen glaubte. Die man dieser Generation in derartiger Intensität nicht zugetraut hätte. Jede freie Minute stecken die Jungs in ihre Maschinen und das Gelände. Nachmittags ab vier, halb fünf geht es los: Sie kommen auf ihren 125er-Enduros, manche auch schon auf dicken Viertaktern der Halbliterklasse. Unter ihren Jacken Schaufeln und Hacken, eine Shisha im Rucksack und Kuchen oder Pralinen von spendablen Omas.
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Jugend im Endurofieber
KTM gegen World of Warcraft
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Dann wird die Arbeit verteilt, werden dem Brachgelände Anlieger und Sprungschanzen abgerungen. Mit Geduld und Hingabe wird gehackt, geschüppt, bis der Schweiß fließt. Die Jungs wechseln sich ab. Immer wieder befahren sie die Strecke, testen ihre topografischen Veränderungen. Zeit für Frotzeleien gibt es genauso wie für die Wartung der Motorräder, die mit sichtlichem Stolz besessen werden. Wie selbstverständlich werden auch Fahrtipps, Übungsrunden und Experimente in die Nachmittage und Abende eingebaut. Von Orientierungslosigkeit oder medialer Verblendung keine Spur, diese Jungs leben, was sie da grade tun, mit jeder Faser.
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Fahrkompetenz, Wettbewerb und soziales Miteinander
Ziele sind Fahrkompetenz, Wettbewerb und soziales Miteinander, jeder Einzelne strahlt das aus. Und die Fortschritte sind beträchtlich. Der 18-jährige Marco, der eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker macht, beherrscht seine KTM EXC 520 auf hohem Niveau. Wie seine Kumpels steckt er jeden Cent in die Maschine, die Motorradbegeisterung hat er von seinen Cousins und dem Vater geerbt. Klar, dass seine Familie das Projekt Enduro-Meister unterstützt, ideell und finanziell, aber einen guten Teil der notwendigen Ausgaben für Maschine, Ersatzteile und Ausrüstung leistet Marco von seinem Gehalt. Seine Schrauberkenntnisse sind gefragt, wenn es um Reparatur, Tuning oder Umbereifung geht.
Auch der 19-jährige Felix erwog eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker, wird aber nun BWL studieren. Wie Marco zeigt Felix außergewöhnliches Fahrkönnen auf seiner blauen Yamaha TTR 600. Als er acht Jahre alt war, hatte ihn sein Vater zu einer Cross-Veranstaltung in die Stuttgarter Schleyerhalle mitgenommen. Der Startschuss für Felix’ Motorradleidenschaft. Seine Yamaha zieht Runde um Runde, driftet, springt, wheelt, Felix will gar nicht mehr absteigen. Ähnlich wie der 16-jährige Alexander, der nur ein Hobby zulässt: Motorrad fahren. Sein Vater hatte ihn angesteckt, und seitdem steckt er, der just eine Ausbildung zum Metzger begonnen hat, seine bescheidenen Mittel komplett in die 125er-KTM.
Mit dem Hercules-Mofa um den Kurs
Väter sind anscheinend noch öfter schuld an der Motorradbegeisterung ihrer Söhne. Auch bei Markus, 17, war es so. Sein Vater besitzt zwei Maschinen, die bewegt werden wollen. Markus macht eine Ausbildung zum KFZ-Mechaniker, bezahlt seine grüne Kawasaki selbst und spielt nebenher noch Handball. Bei Tim, 16, Schüler, waren es der Vater und Marco, die ihn auf die hochbeinige schwarze 125er-Sachs brachten. Unermüdlich prügelt er seine Enduro um den selbst gezimmerten Kurs. Nebenhobby: Fußball.
Auch Luca spielt Fußball. Als 15-jähriger Schüler ist er der Quereinsteiger in die Clique. 125er darf er noch nicht bewegen, immer nur mitfahren reicht ihm nicht. Die Lösung ist ein altes Hercules-Mofa, eine M5 mit zwei Gängen, die er einem Inder für 200 Euro abkauft. Die anderen feuern ihn an, wenn er sein Mofa um den Kurs treibt und es schafft, an den Sprunghügeln kurz das Vorderrad zu lupfen. Klar wird gelacht, aber nicht höhnisch oder spöttisch. Lucas Kumpel und Schulkamerad ist Tom, der mit 16 eine KTM EXC 125 bewegt und damit schöne Wheelies an den Schanzen produziert, die im Laufe der Trainingssessions immer höher und sicherer aussehen. Das kann man übrigens bei den meisten anderen auch beobachten.
Offroad-Sport statt Bildschirm
Doch zurück zu Tom. Bei ihm geht die Zweirad-Initialzündung von einer alten Kreidler Flory aus, die seit Jahren in der Scheune seines Großvaters steht. Was sich ändert, als Tom sie das erste Mal zum Laufen bringt. Wenn er durch ist mit der Schule, möchte Tom in den „kaufmännischen Bereich“. Und er will baldmöglichst unbedingt Supermoto fahren lernen. Beeindruckend ist seine Disziplin beim Pistenbauen, vor allem die Befestigung der Sprungschanze liegt ihm am Herzen.
Der 19-jährige Florian macht eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme. Schon als kleines Kind nimmt ihn sein Vater auf dem Motorrad mit und infiziert ihn mit dem Zweirad-Bazillus. Sobald er 16 ist, macht er den Führerschein und kauft das erste Bike. Jetzt steckt er einen idealistisch hohen Teil seiner Ausbildungsvergütung in das Hobby Motorradfahren.
Tief beeindruckt beobachten wir das Treiben auf der Selfmade-Piste. Wenn noch mehr Jugendliche so viel Herzblut investieren wie die Enduro-Clique mit ihrer selbst gebauten Piste, müssen wir uns um die Zukunft der Motorradszene keine Gedanken machen. Und das Brennen für den Offroad-Sport ist definitiv gesünder, als vor dem Bildschirm zu hängen. Findet übrigens auch die Redaktion. Allzeit gute Fahrt, Jungs!