Dani Pedrosa griff als Erster an. Aus der zweiten Reihe katapultierte sich der Sieger von Laguna Seca mit einem Blitzstart neben Valentino Rossi, der aus der Pole Position gestartet war. Pedrosa, der hier am Sachsenring vor einem Jahr bis zu seinem kapitalen Sturz souverän geführt hatte, wollte unbedingt am Erfolg von Laguna Seca anknüpfen. Mit einem neuen Motor, der bei niedrigen Drehzahlen sanfter einsetzt und das Ausbrechen des Hinterrads aus langsamen Kurven, vor allem in den ersten drei Gängen, verhindern sollte.
Doch schon am Ende der ersten Runde verflog die Euphorie. „In der Zielkurve rutschte das Vorderrad weg, ich war mit dem Lenker fast am Boden und konnte die Honda gerade noch abfangen“, schilderte der kleine Spanier später. Er litt unter mangelnder Stabilität der Vorderpartie seiner Repsol-Honda, hervorgerufen durch mangelnde Harmonie seiner Maschine mit dem einzig tauglich Reifentyp auf dem Sachsenring. Pedrosa fiel auf Rang vier zurück, und obwohl er am Ende Casey Stoner wieder von Platz drei verdrängen konnte und so noch einen Podestplatz sicherte, blieb das Rennen weit hinter seinen Erwartungen zurück: „Immer, wenn ich Druck machte und Rundenzeiten um 1:22 Minuten fuhr, kehrten die Vorderradprobleme zurück. Auch der neue Motor machte nur einen minimalen Unterschied“, klagte er.Statt Pedrosa schien sich diesmal Casey Stoner in Szene setzen zu können. Hartnäckiger als in den letzten Rennen kämpfte er im Spitzenquartett mit, führte gar von der achten bis zur 16. Runde, bis sein Feuer verglüht war. Am Ende musste er nach einem Fehler in der Zielkurve gegen Pedrosa mit Rang vier vorlieb nehmen.
Und dafür gab es eine ganze Reihe von Gründen, nicht nur die seltsame Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die ihn in den letzten Rennen befallen hatte. „Es gab Momente, da war ich schon erschöpft, wenn ich meine Frau auf dem Fahrerlagerroller zum Motorhome chauffierte. Da ging es mir heute schon viel besser“, berichtete der Australier. „Dafür kriegte ich wieder Unterarmkrämpfe, wie in Laguna Seca. Außerdem bekam ich frühzeitig Probleme mit dem Hinterrad. Vor allem in der Linkskurve nach dem Bergabstück keilte das Motorrad fürchterlich aus. Zwei Runden lang versuchte ich, an Rossi dranzubleiben und im gleichen Tempo weiterzufahren, dann sah ich, wie aussichtslos es war.“ Valentino Rossi konnte es recht sein. Stoner und Pedrosa sind klar abgeschlagen im Kampf um den WM-Titel, und das bedeutet, dass sich der achtfache Weltmeister auf eine Strategie konzentrieren kann, die er in all den Jahren seiner Karriere wieder und wieder mit Erfolg angewendet hat: Durchatmen, das Zielfernrohr justieren, alle anderen Rivalen im Feld vergessen und den gefährlichsten Widersacher, den Paradegegner ins Fadenkreuz nehmen. Schon mit dem historischen Überholmanöver in der letzten Runde von Barcelona, mit dem überlegenen Sieg in Assen und Rang zwei in Laguna Seca, wo er Pedrosa an der Spitze unbehelligt ließ, seinen Teamkollegen aber mit Argusaugen bewachte, war klar, dass sich Rossi auf Jorge Lorenzo eingeschossen hatte. Weil der nie klein beigibt, weil er sich immer wieder den Staub abklopft und Rossi von neuem herausfordert, kam es am Sachsenring zum vorläufigen Höhepunkt des Kampfes, in dem beide, jeder auf seine Art, sämtliche Register zogen.
So hatte Lorenzo die Pole Position eigentlich schon in der Tasche, als Rossi in den letzten Runden der Qualifikation auf nasser Piste nochmals über eine halbe Sekunde wegfeilte. Jedem anderen hätte er den Teilerfolg Pole Position vielleicht überlassen, doch Lorenzo schenkt er keinen Zentimeter, keinen Sekundenbruchteil, will nach den traumatischen Niederlagen des ersten Saisondrittels zu keinem Zeitpunkt mehr Zweifel aufkommen lassen, wer der wahre Chef im Ring ist. So auch im Rennen. Rossi mag die erste, besonders winklige Sektion des Sachsenrings nicht, weshalb er am Start hellwach war wie selten, den Start gewann und als Spitzenreiter in die erste Kurve einbog. Die gleiche Stelle nutzte er in der vorletzten Runde dann zur entscheidenden Attacke auf Lorenzo. Während sich der Spanier leicht verbremste, huschte Rossi innen vorbei und holte sich den nächsten Sieg. Allerdings gab Lorenzo auch da noch nicht klein bei, war beim Herzschlagfinale auf Armlänge neben dem Weltmeister, querte die Linie nur 99 Tausendstelsekunden später als Rossi. Viele Beobachter wunderten sich, warum Lorenzo nicht schon früher zu kontern versucht hatte: Er hatte sich mal wieder an seiner Boxentafel verlesen und vor der letzten Runde gedacht, es seien noch zwei zu fahren.
So oder so: 99 Tausendstel, das bewies einmal mehr, wie gleichwertig die beiden Yamaha-Piloten sind. „Das ganze Rennen über habe ich versucht, aus seinem Windschatten auszuscheren und beim Anbremsen an ihm vorbeizugehen. Als es so weit war, riskierte ich alles: Die Vordergabel ging auf Block und fing zu rattern an, und ich glaube, das ist der Punkt, an dem Valentino immer noch einen kleinen Vorteil hat, beim Bremsen am absoluten Limit. Er war mir an allen Bremspunkten überlegen“, berichtete Lorenzo. „Als ich vorn war, gab er sein Maximum und fuhr schneller, als wenn er selbst in Führung lag. In der letzten Runde hat er alle Türen zugeknallt, und ich versuchte, weitere Bögen zu fahren und ihn mit mehr Schwung auf der jeweils nächsten Geraden zu erwischen. Doch es hat nicht geklappt.“ Längst gibt sich Lorenzo nicht mehr mit zweiten Plätzen zufrieden. Wie Rossi will auch er ständig beweisen, wer der Stärkere, der Schnellere ist. Dabei geht es um Sport, um Ruhm, aber auch um Verträge und viel Geld. Kurz vor dem Sachsenring-Grand Prix sickerte durch, dass Lorenzo eine hochdotierte Offerte von Repsol-Honda in der Tasche hat, wo der spanische Mineralölgigant eine Option bei HRC wahrnehmen und ein drittes Motorrad ins Rennen schicken würde. Persönlicher Sponsor von Lorenzo wären dabei die Mobilfunker Telefonica, die sich 2002 aus der Motorrad-Weltmeisterschaft zurückgezogen hatten.
Gleichzeitig legte Yamaha schon vor Wochen ein Angebot zur Vertragsverlängerung vor, bei dem sich Lorenzo mit Almosen abgespeist wähnt. Dreieinhalb Millionen Euro stehen auf dem Papier, Lorenzo findet, er sei sechs Millionen wert. Dafür dreht auch er seine Runden ständig am absoluten Limit, und deshalb lässt er gelegentlich schon mal fallen, die Motorräder seien nicht so gleich, wie sie von außen aussehen. Rossi habe im Zweifelsfall stets aktuelleres Material zur Verfügung. Eine neue Kupplung, die Rossi schon in Barcelona einsetzte, erhielt Lorenzo zum Beispiel erst am Sachsenring. Und dort, am Sachsenring, fuhr Rossi mit einer neuen Kurbelwelle, die Lorenzo noch nicht hatte. Doch tatsächlich geht es um kleine Detailmodifikationen – und Rossi lässt mittlerweile keine Chance aus, Lorenzos Feilschen um den eigenen Marktwert und das Nörgeln über die Technik im Psychokrieg gegen ihn zu wenden. „Lorenzo kam bei Yamaha an und dachte: Ich werde Valentino schlagen und seine Nummer-1-Position an mich reißen“. Doch ich habe ein Verhältnis zu Yamaha, wie es Lorenzo nicht hat“, erklärte Rossi nach seinem Sieg. „Ich bin 2004 zu Yamaha gegangen, als das Motorrad eine Gurke war und das Team zwölf WM-Jahre hintereinander in den Sand gesetzt hatte. Gemeinsam haben wir hart gearbeitet, haben ein gutes Motorrad gebaut, zusammen viele Rennen gewonnen und die Yamaha auf das höchste Niveau gebracht. Lorenzo braucht sich nicht einzubilden, dass er ankommt, sich auf das Motorrad setzt, ein paar Rennen gewinnt und nach zwei Jahren so wichtig wie Valentino Rossi sein kann. Ich weiß nicht, ob die ganze Diskussion daher rührt, dass er mehr Geld verdienen oder einen besonderen Status erreichen will, doch ehrlich: So lange ich bei Yamaha bin...“ Rossi ließ den Satz unvollendet, doch die Drohung wurde dadurch nur noch offenkundiger: Bei Yamaha kann es keine zwei Könige geben.
Rossi wäre Lorenzo am liebsten los. „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich wahrscheinlich zu Honda gehen. Mir ist das Siegen bei Honda seinerzeit immer leicht gefallen. Hier bei Yamaha bin jedoch ich die Nummer eins, und ich werde noch drei, vier Jahre weitermachen“, hatte Rossi schon am Freitag verraten. Vor dem folgenden GP in Donington Park sah es aus, als gerate der Brand außer Kontrolle, denn italienische Medien behaupteten, Rossi habe Lorenzo als eingebildetes Großmaul bezeichnet. Lorenzo blieb dennoch diplomatisch, machte gleichzeitig aber klar, dass er sich von Rossi in keinem Punkt einschüchtern lässt. „Er war acht Mal Weltmeister und hat solche Sachen nicht nötig, um zu beweisen, dass er der Bessere ist. Er hat immer die Form gewahrt, auf sehr elegante Weise, und diese Erklärungen passen nicht zu seinem Stil“, erklärte der Mallorquiner vorsichtig. Klarer formulierte er seinen Standpunkt zur Position im Team: „Wenn wir schon über die Vergangenheit reden, dann möchte ich festhalten, dass auch er seinerzeit von Doohan ein siegfähiges Motorrad übernommen hat. Jetzt passiert mehr oder weniger das Gleiche.“ Die Fortsezung des epischen Duells eine Woche später in Donington Park fiel dann allerdings ins Wasser. Beide Kampfhähne stürzten unabhängig voneinander auf regenasser Fahrbahn und machten den Weg frei für den ersten MotoGP-Sieg von Repsol-Honda-Junior Andrea Dovizioso. Ebenfalls dem Regen zum Opfer fiel das Comeback von Ralf Waldmann. Der mittlerweile 43-jährige, vor sieben Jahren zurückgetretene 20-fache GP-Sieger stürzte als Ersatzfahrer im 250er-Kiefer-Racing-Team für den verletzten Russen Leonov schon in der dritten Runde von seiner Aprilia. Noch kürzer war das Rennen für die deutschen 125er-Helden Sandro Cortese, Jonas Folger und Stefan Bradl. Das Trio wurde Opfer eines Massensturzes in der ersten Runde.
MotoGP Sachsenring/D : Die Schlacht um die Macht
