Insta360 One R im Praxistest: 360-Grad-Kamera durchgecheckt

Insta360 One R im Praxistest
360-Grad-Kamera durchgecheckt

Zuletzt aktualisiert am 31.03.2020

Vergangenes Jahr hat sich Insta360 mit der One X einen Namen gemacht: Eine schmale und ungewohnt längliche 360-Grad-Kamera, die viele Funktionen bereithält und tolle Aufnahmen ermöglicht. Nun bringt das 2014 gegründete Unternehmen die One R – mit noch mehr Funktionen, umgänglicheren Abmessungen und einer Besonderheit, die so keine andere Action Cam bietet: ein modulares Stecksystem, durch das sich verschiedene Objektive nutzen lassen. MOTORRAD konnte die Insta360 One R in der Twin Edition mit zwei Objektiv-Modulen bereits in der Praxis testen. Hier lesen Sie unsere Eindrücke zur neuen 360-Grad-Kamera.

360-Grad-Kameras als Evolution der Action Cam

Action Cams sind bei Motorradfahrern beliebt, sei es zur Dokumentation der eigenen Heldentaten oder aber zur Aufzeichnung fremden Fehlverhaltens. Dank der technischen Fortschritte der letzten Jahre sind mit Action Cams mittlerweile tolle Aufnahmen möglich, wie zahlreiche Vlogger, Youtuber und Instagrammer eindrücklich beweisen. Allerdings werden Action Cams bei Motorradfahrern in der Regel am Helm befestigt und filmen dann genau dorthin, wohin auch der Fahrer blickt. Das ist so lange in Ordnung, wie die Action auf und vor dem Bike stattfindet. Die schöne Landschaft liegt aber oftmals links oder rechts neben der Straße. Und gefährliche Situationen mit anderen Verkehrsteilnehmern entstehen mitunter auch von hinten. Wäre doch super, wenn es eine Kamera gäbe, die nach vorn, hinten, links und rechts zugleich filmt … und wo wir schon dabei sind: auch nach oben und unten. 360 Grad eben.

Eine Kamera also, die immer alles filmt – genau das tut die Insta360 One R. Der relevante Bildausschnitt kann dann im Nachhinein vom Postproduzenten oder aber beim Schauen vom Rezipienten gewählt werden. Ein sehr bekanntes Beispiel für den Einsatz einer 360-Grad-Kamera sind die Aufnahmen von Alex Hoffmann bei den Rennveranstaltungen der MotoGP. Zur Streckenvorstellung befestigte er eine 360-Grad-Kamera am Heck seiner Super Duke, die im Fernsehen gezeigten Aufnahmen erschienen anschließend beinahe wie aus einem Computerspiel: Keine sichtbare Halterung, ein extrem großes Sichtfeld und sehr gute Bildstabilisierung. Das alles ist auch mit der Insta360 One R möglich – und wenn wir ehrlich sind: viele solche Funktionen steckten auch schon in der Vorgängerin, der One X. Wo genau also liegen die Unterschiede?

Die One R als Nachfolgerin der One X

Insta360 One R.
Tobias Beyl.

Bereits die One X konnte sich in unseren Praxistests sehr gut schlagen, da sie intuitiv zu bedienen ist und mit wenig Aufwand sehenswerte Videos ermöglicht. Lediglich die ungewohnte Form und die bescheidene Akkulaufzeit konnten kritisiert werden. Dafür überzeugte sie mit ordentlicher Bildqualität, ungewohnten Perspektiven, sehr guter Bildstabilisierung und einem beeindruckenden Dynamikumfang.

Da versteht es sich von selbst, dass die One R als Nachfolgerin alles mindestens genauso gut machen will – und wie unser Test zeigt: Im Wesentlichen auch tatsächlich macht. Auch sie bietet eine sehr gute Bildqualität und einen beeindruckenden Dynamikumfang, auch sie erlaubt ungewohnte Perspektiven und auch sie gefällt mit sehr guter Bildstabilisierung. Zugleich hat Insta360 daran gearbeitet, die eben genannten Kritikpunkte zu beheben. So bietet der Akku nun etwas mehr Kapazität (1.190 statt 1.050 mAh) und damit eine rund zehn Minuten längere Betriebsdauer, in Bälde soll außerdem ein noch größerer Akku erhältlich sein. Der größte Unterschied zwischen Insta360 One X und One R ist aber der modulare Aufbau und die damit einhergehende veränderte Form.

Unterschiede zwischen One X und One R

Insta360 One R.
Hersteller.

Statt den ungewöhnlichen 115 x 48 x 28 Millimetern der One X misst die Insta360 One R nun 72 x 48 x 32,4 Millimeter, und ist damit ungefähr vergleichbar mit einer GoPro Hero 8 (66,3 x 48,6 x 28,4 Millimeter). Ein weiterer Unterschied der R gegenüber der X ist das Display: Wo die One X ein kleines Schwarz-Weiß-Display zur Anzeige des eingestellten Modus besitzt, ist die One R mit einem richtigen Farbbildschirm ausgestattet, der nicht nur das Live-Bild zeigt, sondern per Touch-Bedienung auch die Änderung aller Einstellungen ermöglicht. Das funktioniert in der Praxis nicht immer perfekt, aber doch ganz gut – zumindest, wenn man sich die verschiedenen Wisch-Gesten und deren Funktion eingeprägt hat. In den meisten Fällen ist die Bedienung über eine Smartphone-App allerdings zielführender. Wie schon für die One X gibt es auch für die One R eine eigene App, jeweils für Android und iOS. Die Verbindung zwischen Kamera und Smartphone funktioniert über WLAN, die Reichweite liegt bei knapp zehn Metern. In der App können dann alle Einstellungen vorgenommen werden, auch eine Live-Vorschau ist gegeben. Derzeit noch nicht möglich ist das Live-Streaming, was bei der One X bereits funktioniert. Diese Funktion soll aber bald kommen. Nutzt man die One R in Verbindung mit der Smartphone-App (oder alternativ einer Apple-Watch oder der optional erhältlichen Smart-Remote), so werden deren GPS-Daten ins Video miteingebunden. Dadurch lassen sich im Nachhinein Infos wie Geschwindigkeit oder Schräglage einblenden. Die One R selbst hingegen hat leider kein GPS-Modul.

Was die One R im Gegensatz zur One X auch nicht hat, ist ein integrierter Stativanschluss. Da die modulare One R aber eigentlich sowieso nur in Verbindung mit dem Halterungsrahmen genutzt werden sollte und dieser über den ¼-Zoll-Anschluss für Stativschrauben verfügt, ist das kein allzu großes Problem. Zugleich macht es dieser Rahmen natürlich etwas umständlich, die Kameramodule zu tauschen oder auch, die Micro-SD-Karte zu entnehmen. Diese verbirgt sich nun hinter einer kleinen Abdeckung, während sie bei der Insta360 One X noch ohne Schutz an der Unterseite eingeschoben wurde. Damit einher geht bei der neuen One R ein Wasserschutz, der Dichtigkeit bis zu fünf Metern verspricht; in Kombination mit dem optional erhältlichen Dive-Case sogar bis 60 Meter. Das konnten wir zwar nicht testen – hallo, wer geht schon mit seinem Motorrad schwimmen?! –, bei Regenfahrten jedoch zeigte sich die One R völlig unbeeindruckt. Und zwar unabhängig davon, ob nun das 360-Grad-Modul oder aber das 4K-Weitwinkel-Modul genutzt wurde. Was genau sich hinter diesen auswechselbaren Modulen verbirgt, erklären wir im nächsten Abschnitt.

Alleinstellungsmerkmal der One R: Ihre Modularität

Insta360 One R.
Tobias Beyl.

Die Insta360 One R besteht im Wesentlichen aus drei Teilen. Als erstes der flache, rote Akku. Dieser bildet zugleich die Basis, auf die eines von derzeit drei erhältlichen Objektiv-Modulen aufgesteckt wird ebenso wie ein weiteres Modul, welches den Prozessor, die Speichereinheit, Bedienknöpfe und das Display beheimatet. Erhältlich ist die One R in verschiedenen Ausführungen, die sich je im Lieferumfang bezüglich der Objektiv-Module unterscheidet. In der von uns getesteten Twin Edition sind das 360-Grad-Modul mit zwei Linsen sowie das 4K-Modul enthalten. Außerdem erhältlich ist derzeit eine Objektiv-Einheit mit größerem und damit lichtstärkerem Sensor. Sie wurde in Zusammenarbeit mit Leica entwickelt und dürfte mit ihren 5,3K-Videos die gewohnte Qualität von Action Cam-Videos nochmals deutlich steigern. Diese 1-Inch-Edition kostet als komplettes Set 599,99 Euro, in der Trio-Edition mit den beiden anderen Kamera-Modulen 829,98 Euro und als einzelne Ergänzung 319,99 Euro. Die von uns getestete Twin-Edition liegt bei 509,99 Euro, die reine 360-Edition bei 489,99 Euro und die reine 4K-Variante bei 339,99.

Insta360 One R.
Tobias Beyl.

In der Ausführung als 4K-Edition entspricht die One R weitgehend den Fähigkeiten einer GoPro, auch Bildstabilisierung und Slowmotion-Fähigkeiten bringt die Kamera mit. Leider ist der Bildwinkel aber nicht so weit wie bei der GoPro im Superview-Modus, der für Motorradfahrer und die Nutzung als Helmkamera sehr nützlich ist. Dadurch sieht man unserer Meinung nach zu wenig vom Motorrad und der Umgebung, weshalb wir im Folgenden vor allem auf das 360-Grad-Modul eingehen werden. Wie sich die One R mit 4K-Modul in der Praxis gegen die GoPro schlägt, darauf gehen unsere Österreichischen Kollegen von 1000PS detailliert ein. Gefallen hat uns die Möglichkeit, GPS-Daten in der Postproduktion einzublenden. Dies setzt allerdings voraus, dass erstens die App bei der Bearbeitung nicht abstürzt (was sie regelmäßig tat) und dass zweitens die Aufnahme vom Smartphone aus gestartet wurde, damit die GPS-Infos vom Handy in die Aufnahme integriert werden können.

Für Motorradfahrer ist das 360-Grad-Modul definitiv die sinnvollere Investition, da hiermit ohne großen Aufwand verschiedenste Aufnahmen möglich werden. Im folgenden Clip war die Kamera ein Stück vor der Brust des Fahrers befestigt, alle Wechsel der Perspektive, der Blickrichtung und des Bildwinkels, wurden erst im Nachhinein in der Software am PC gewählt.

Bevor wir im Folgenden weiter auf die Eigenheiten und Besonderheiten der One R mit dem 360-Grad-Aufsatz eingehen, seien an dieser Stelle die technischen Daten der Kamera vorgestellt. Wie sich die verschiedenen Varianten der One R untereinander und auch zur Vorgängerin One X unterscheiden, darüber gibt deshalb die folgende Tabelle Auskunft.

Immer alles im Blick

360 Grad-Aufnahmen müssen nicht zwangsläufig mit einer VR-Brille angeschaut werden. Auch wenn es sehr reizvoll ist, als Zuschauer selbst entscheiden zu können, wohin man blicken will, wird diese Art von Videos in der Praxis wohl eher nur einen Teil der Produktionen ausmachen. Stattdessen ist es der Videoproduzent selbst, der von dieser Möglichkeit profitiert: Er muss nun nicht mehr im Voraus entscheiden, wohin er die Kamera richtet. Nach vorne, um die Straße filmen zu können? Oder doch seitlich, um die atemberaubende Landschaft zeigen zu können? Oder womöglich mit Blick vom Lenker zurück, um sich auch mal selbst formatfüllend abbilden zu können?

Der Hauptvorteil von 360 Grad-Aufnahmen gegenüber den gewohnten, GoPro-typischen, ultra-weitwinkligen Aufnahmen im 16 zu 9-Format ist: Die gewünschte Perspektive und das passende Format kann völlig unproblematisch im Nachhinein gewählt werden, in der Postproduktion. Dies macht sich die One R insbesondere in Verbindung zu dem optional erhältlichen Invisible Selfie Stick zunutze, den die Software automatisch aus den Aufnahmen herausretuschiert. Die One R wird einfach am Ende dieses Sticks befestigt und dann in die Nähe dessen gebracht, was gefilmt werden soll. Dies kann der Tacho oder das eigene Hinterrad sein, es kann aber auch jemand anderes sein, den man beispielsweise beim Trialen aus halbwegs sicherer Entfernung filmen möchte.

In einer solchen Situation ist es anstrengend genug, neben dem Trial-Motorrad herzulaufen und die Kamera in die richtige Richtung zu halten. Dann auch noch sicherstellen zu müssen, dass die Kamera in die richtige Richtung zeigt, ist beinahe unmöglich. Mit der 360-Grad-Kamera hingegen ist es überhaupt kein Problem, im Nachhinein immer genau den richtigen Bildausschnitt zu wählen. Dank einer Auflösung von insgesamt 5,7 K (5760 x 2880 Pixel) bei 30 Bildern pro Sekunde ist auch ein Ranzoomen in der Postproduktion gut möglich, ohne gleich Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen. Anders sieht es aus, wenn man Zeitlupenaufnahmen nutzen möchte: 100 fps, was in der Nachbearbeitung eine vierfache Verlangsamung ermöglicht, nimmt die Kamera nämlich nur mit 3008 x 1504 Pixeln auf. Der Slow-Motion-Effekt wirkt dadurch recht pixelig, wenn man einen etwas engeren Bildausschnitt wählt. Sehr gut zeigt sich das zu Beginn des folgenden Clips:

Die Vorzüge des 360-Grad-Moduls

Natürlich kann die Insta360 One R auch als normale Helmkamera genutzt werden, auch hier zeigt sich aber das 360-Grad-Modul deutlich vielseitiger als der 4K-Aufsatz. Außerdem sind eindrucksvollere Aufnahmen möglich, wenn die Kamera nicht direkt am Helm, sondern mit etwas Abstand befestigt wird. In der folgenden Aufnahme wurden die beiden im Motorcycle-Bundle enthaltenen Verlängerungen zwischen Kamera und Helmbefestigung genutzt. Dadurch schwebt die One R ein Stück oberhalb des Kopfes und ermöglicht somit schönere Perspektiven, als wenn die Kamera direkt am Helm befestigt ist und dieser dadurch immer störend im Bild zu sehen ist.

Aus aerodynamischer Sicht und bezüglich der Sicherheit ist diese Befestigung natürlich eher bedenklich. Deshalb haben wir die meisten unserer Aufnahmen auch nicht im Öffentlichen Straßenverkehr aufgezeichnet. Insbesondere die weiteren Beispiele würden wir so niemals auf der Straße filmen, da stets der etwa ein Meter lange Invisible Selfie-Stick genutzt wurde. Wie das folgende Video zeigt, sind damit zwar wirklich einmalige Aufnahmen möglich, zugleich erhöhen sich die Abmessungen des Motorrads aber auch erheblich. Außerdem ist durch die Kombination aus motorradtypischen Vibrationen und einem sehr langen Hebelarm das Risiko, die Kamera zu verlieren, wesentlich erhöht.

LOG, LUT und der Look eines Videospiels

Falls Ihnen die faden Farben im eben gezeigten Clip aufgefallen sind: Die One R erlaubt Aufnahmen im sogenannten Log-Format. Dies erlaubt das Festhalten eines wesentlich größeren Dynamikumfangs, erfordert aber eine Nachbereitung am PC. Insta360 bietet ein speziell entwickeltes LUT (Lookup-Tabelle) an, welches beispielsweise im Schnittprogramm Adobe Premiere für das Color Grading genutzt werden kann und die Farben und Kontraste entsprechend korrigiert. Das Video sieht dann beispielsweise so aus wie unser folgendes Beispiel, in dem trotz direktem Gegenlicht das Bild weder überbelichtet ist noch die dunklen Bildbereiche ihre Details verlieren:

Eine Art der Aufnahme, die im Öffentlichen Straßenverkehr zwar halbwegs sicher sein dürfte, von der Rennleitung aber sicherlich trotzdem nicht allzu gern gesehen wird, ist die Nutzung mit einem speziellen Nierengurt. An diesem lässt sich dann der Invisible Selfie-Stick befestigen, der auch nicht zwangsläufig auf die volle Länge ausgezogen werden muss. Die dabei entstehenden Aufnahmen haben den bereits weiter oben erwähnten Computerspiel-Look und erinnern an Games wie Grand Theft Auto.

Natürlich lassen sich diese Aufnahmen im Nachhinein sowohl am PC oder Mac als auch am Smartphone bearbeiten. Nervigerweise bieten die verschiedenen Systeme teils unterschiedliche Funktionen, die Auswahl von Blickrichtung und Sichtfeld ist aber überall möglich. Dadurch können selbst bei unveränderter Position der Kamera unterschiedliche Ansichten genutzt werden. Im folgenden Videoclip ist die One R wieder per Selfie-Stick am Rücken des Fahrers befestigt, neben der Third-Person-Ansicht wird hier aber auch die Funktion Tiny Planet genutzt.

Beeindruckende Bildstabilisierung

Während die Bildstabilisierung des 4K-Moduls zwar gut ist, aber nicht ganz so gut wie die der GoPro Hero 8 Black, zeigt sich die Insta360 One R mit dem 360-Grad-Aufsatz sehr unbeeindruckt von Erschütterungen. Im folgenden Videobeispiel haben wir die Kamera wieder per Invisible Selfie-Stick an dem speziellen Nierengurt befestigt, diesmal jedoch nicht nach hinten gerichtet, sondern schräg nach vorn und leicht nach unten. Natürlich würde diese Kameraposition die mögliche Schräglage sehr beschränken, uns ging es hier aber nur darum zu prüfen, wie die an einem langen Hebel befestigte One R mit den bei einem Wheelie entstehenden Erschütterungen umgeht und wie sie bei einer Notbremsung reagiert.

Trotz der Erschütterungen bietet die Kamera eine sehr ruhige Aufnahme. Leicht störend fällt hingegen der helle rechte Bildbereich auf: Da eine Linse der Kamera eher nach vorn, die andere eher nach hinten gerichtet war, hatte natürlich nur die hintere Linse mit Gegenlicht zu kämpfen. Daher kommt es beim sogenannten Stitching, also dem "Zusammennähen" oder Zusammenfügen der beiden Einzelaufnahmen, zu einer deutlich wahrnehmbaren Trennlinie. In diesem Beispiel fällt auch erneut auf, dass die GPS-Daten leider nicht mit dem Video synchron sind. Zwischen sichtbarem Anhalten und der Reaktion der Geschwindigkeitsanzeige liegen mehrere Sekunden.

Ebenfalls auffällig: Die eher schlechte Tonqualität der Insta360 One R. Zwar besitzt das Hauptmodul mit dem integrierten Display zwei Mikrofone, diese sind allerdings äußerst anfällig für Windgeräusche und Erschütterungen. Selbst bei langsamen Geschwindigkeiten wie im nächsten Beispielvideo ist der Motor daher kaum zu hören, stattdessen drängen sich Knackgeräusche und Rauschen in den Vordergrund. Abhilfe könnte bald ein externes Mikrofon bieten, dass über den in der Kamera integrierten USB-C-Anschluss genutzt werden kann. Viel spannender dürfte aber die ebenfalls versprochene mögliche Verwendung von Bluetooth-Mikrofonen sein. Dies stellt Insta360 in Aussicht, es wird aber noch eine Weile dauern. Derweil sollten Motorgeräusche oder aber die eigenen Kommentare für den Vlog am besten über eine separate Aufnahmelösung aufgezeichnet werden.

Bild hui, Ton pfui. Und die Software?

Neben der schlechten Tonqualität bei schnellem und bei langsamem Tempo zeigt dieses Video auch deutlich: Die Vorzüge der Insta360 One R liegen zwar wahrlich nicht im Audiobereich, sehr wohl aber im visuellen. Nicht nur verfügt die Kamera über eine ausreichend hohe Auflösung, ein relativ gutes Stitching und einen beeindruckenden Dynamikumfang, auch die Möglichkeit der im Nachhinein variabel wählbaren Perspektive macht einen guten Eindruck. Dafür liefert die Kamera aber natürlich nur das Rohmaterial, die weitere Arbeit übernimmt eine Software. Dabei ist es egal, ob nun das Insta360 Studio am PC oder die entsprechende App auf dem Smartphone, sie alle bieten mehrere vorgefertigte Bildwinkel wie Fischauge, Weitwinkel, Natürlich oder Tiny Planet. Die Wahl der Blickrichtung erfolgt in der Software durch Klicken und Ziehen mit der Maus, dann müssen im FreeCapture-Modus Keyframes erstellt werden. Insta360 verspricht auch die Nutzung einer Künstlichen Intelligenz, die automatisch die besten Szenen bestmöglich in Szene setzt, doch leider ist diese Funktion in der PC-Software noch nicht zu finden. Am Smartphone hingegen gibt es diese Funktion, außerdem sind hier auch Vorlagen und das sogenannte Shot-Lab integriert:

Insta360 One R.
Tobias Beyl.

Diese Vorlagen fügen ausgewählte Videoschnipsel auf je unterschiedliche Art und Weise zusammen, wie es eben zum gewählten Einsatzzweck passt. Dies macht es beispielsweise möglich, nach einer Motorradtour in kürzester Zeit ein eindrucksvolles Video zu erstellen – beziehungsweise vielmehr: erstellen zu lassen. Die App verbindet die Aufnahmen mit passenden Übergängen, auch die Länge und Geschwindigkeit der Clips wird ansprechend gewählt.

Insta360 One R.
Tobias Beyl.

Ein weiteres Highlight der App ist das sogenannte Shot Lab. Hier sind besondere Aufnahmen möglich, die ohne Unterstützung durch die App schon tiefergehende Erfahrungen im Videoschnitt erfordern würden. Für Motorradfahrer sind diese zwar leider nur zu einem Teil interessant, da die meisten Möglichkeiten einen stehenden, springenden oder laufenden Menschen benötigen, doch Auto TimeShift und Starlapse können auch für Biker spannend sein.

Natürlich ist zu erwarten, dass mit Erscheinen der Kamera die Sozialen Medien erstmal gesättigt sein werden mit exakt diesen vorgefertigten Shots, doch eine nette Spielerei ist es allemal.

Eigentlich sollten die Sterne in dieser Aufnahme zwar durchgehende Linien ziehen, wir waren aber bereits glücklich, dass überhaupt ein brauchbares Video entstanden ist. Denn – und das ist unser ganz großer Kritikpunkt an der One R – die Apps zeigten sich höchstgradig unzuverlässig. Auch die Unterschiede zwischen der Android- und der iOS-Version sind verwirrend. So lassen sich in der Apple-Version die Star-Trails an- oder ausschalten, in der Android-Variante der App sind sie immer an. Das Scannen von Aufnahmen durch die sogenannte Künstliche Intelligenz dauerte in beiden Apps ebenfalls unterschiedlich lange. Oder eigentlich: Die Android-App war nach über zwölf Stunden teilweise noch nicht fertig, wo die iOS-App nur etwa zwölf Minuten brauchte. Ein ähnliches Bild zeigte sich mitunter beim Exportieren. Das heißt aber nicht, dass die Android-App per se schlechter ist als die iOS-Variante, denn beide Apps beendeten sich sehr regelmäßig von selbst, egal ob nun eine etwas aufwändigere Tätigkeit von ihnen verlangt wurde oder ganz einfach nur das Abspielen eines Videos. In unserem Test kamen dadurch so viele Frustmomente zusammen, dass wir die Videos letztendlich nur noch am PC bearbeitet haben. Hier fehlen allerdings einige der Funktionen, welche die Apps an sich so besonders machen. Beispielsweise können die in den Videoclips hinterlegten GPS-Daten nicht eingeblendet werden, eine besonders für Motorradfahrer aber natürlich sehr tolle Funktion. Auch die Anpassung der Wiedergabegeschwindigkeit ist in der PC-Software nicht möglich. Ein weiterer Vorteil der Apps gegenüber der PC-Software ist die Nutzung des im Smartphone integrierten Gyro-Sensors. Somit kann dort die Perspektive "on the fly" beim Abspielen des Videos gewählt werden, indem einfach das Smartphone gedreht und geneigt wird. Am PC müssen dafür Keyframes erstellt und anschließend die Übergänge dazwischen angepasst werden. Dass auch das funktionieren kann, zeigt das folgende Videobeispiel:

Weitere Probleme

Die Bedienung über den Touchscreen ist etwas fummelig, aber zumindest ohne Handschuhe machbar. Die Bedienung über die App funktioniert gut. Und die Bedienung via Sprachbefehle schlecht. Tatsächlich haben wir es während unserer Tests nur ein einziges Mal geschafft, dass die Kamera auf unser Wort hin ein Foto aufgenommen hat. Die App-Abstürze haben wir zwar bereits erwähnt, diese waren aber so häufig und nervtötend, dass wir sie gerne noch ein zweites Mal kritisieren. Die mäßige Tonqualität wurde ebenfalls bereits angesprochen. Außerdem ist die Kamera nicht sonderlich auskunftsfreudig darüber, ob die Aufnahme gerade läuft oder nicht. Denn nach kurzer Zeit schaltet sich das Display normalerweise ab (lässt sich aber deaktivieren), auch die an der Vorderseite angebrachte LED gibt dann aber keinen Hinweis darauf, ob die Aufnahme läuft oder nicht. Da insbesondere mit einer zu langsamen Speicherkarte die Aufnahme regelmäßig abbricht, wäre ein Hinweis hier schön. Bleibt als weiterer kleiner Kritikpunkt noch die Tatsache, dass die Kamera bei leerem Akku erstmal gut zehn Minuten am Strom hängen möchte, bis sie sich nach dem Einschalten nicht direkt wieder ausschaltet. Diese Zeitspanne könnte gerne etwas kürzer ausfallen.

Wo viel Schatten ist, muss auch Licht sein

Tatsächlich beziehen sich die meisten Kritikpunkte auf die Software beziehungsweise die Apps und deren zuverlässige Nutzung am Smartphone. Zum Einsatz kamen bei uns ein iPhone 8 mit iOS 13.4 und das Xiaomi Mi 9 Lite mit Android 9. Ganz sicher wird Insta360 hier mit Updates schnell nachbessern. Auch was die PC-Software angeht, wird deren Funktionsumfang sicherlich noch erweitert werden. Insofern hoffen wir, dass die Kritik an der Software nur eine vorübergehende Momentaufnahme darstellt. Und das bringt uns zu den wirklichen Stärken der Insta360 One R, nämlich einerseits die Hardware und andererseits die Qualität der Aufnahmen. Zwar konnte uns das 4K-Modul nicht restlos überzeugen, da der Sichtbereich doch etwas zu eng gewählt ist. Andererseits hat uns daran gefallen, dass es in beide Richtungen mit der Haupteinheit kombiniert werden kann und somit das Display entweder wie üblich nach hinten zeigt oder aber in dieselbe Richtung gerichtet ist wie das Objektiv. Gerade beim Vloggen oder bei Selfies ist das sehr nützlich.

Auch das mit Leica entwickelte 1-Zoll-Modul macht uns sehr neugierig und das 360-Grad-Modul funktioniert in der Praxis sehr gut. Die Aussicht auf weitere Module in der Zukunft, beispielsweise auch ein größerer Akku, macht die Modularität der One R umso wertvoller. Das 360-Grad-Modul beeindruckt derweil nicht nur mit einer enormen Vielseitigkeit, was die nachträgliche Auswahl der Perspektive angeht, es bietet auch eine ausreichende Auflösung und einen hohen Dynamikumfang. Zwar gestaltet sich die Befestigung am Motorrad oder am Helm etwas umständlicher, um ihr volles Potenzial nutzen zu können, dann jedoch sind Aufnahmen möglich, die mit einer gewöhnlichen Action Cam nicht erzielt werden können. Da Blickrichtung und Bildausschnitt erst im Nachhinein gewählt werden können, darf die Kamera beim Fahren einerseits getrost vergessen werden, andererseits können aus einer Aufnahme bei Bedarf auch mehrere unterschiedliche Videos generiert werden: Mal mit Blick nach vorn, mal mit Blick zurück auf den Fahrer. Und mal mit Blick zur Seite in Richtung Sonnenuntergang oder Bergpanorama.

Weitere Infos

Noch bis zum 12. April ist die Insta360 One R als Motorcycle Kit leicht vergünstigt erhältlich. Enthalten ist die One R als Twin Edition, also mit 4K-Objektiv und 360-Grad-Modul, dazu der Invisible Selfie-Stick, eine 32 GB Micro SD-Karte sowie das komplette Motorcycle Bundle. Dieses wiederum besteht aus zahlreichen Halterungen, Adaptern, Klebeflächen, Verlängerungen und einem nützlichen Werkzeug zum Anziehen und Lösen der Schrauben. Weitere Infos dazu gibt es unter https://store.insta360.com/onermotorbike.