Einsteiger-Bikes von Honda und BMW im Test
Honda NC 700 X gegen BMW G 650 GS

Die neue 48-PS-Führerscheinklasse für Einsteiger wirft ihre Schatten voraus: BMW und Honda stellen bereits passende Bikes mit gutmütigen Motoren und unkomplizierter Handhabung zum fairen Preis bereit. Welches Motorrad hat mehr zu bieten?

Honda NC 700 X gegen BMW G 650 GS
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Aller Anfang ist schwer? Das muss nicht so sein. Schon gar nicht, wenn es um einsteigertaugliche Motorräder geht. Leicht ist hier das Schlagwort. Die Anforderungen: geringes Fahrzeuggewicht und leichte Bedienbarkeit sowie unkompliziertes Fahrverhalten. All dies wissen sicherlich vor allem Fahranfänger, die beide Hersteller offenkundig hauptsächlich als Zielgruppe im Visier haben, zu schätzen. Allerdings dürften die beiden vergleichsweise günstigen Bikes sicher auch kostenbewusste Kunden ansprechen, die als Wiedereinsteiger oder gemütlich veranlagte Alltagsfahrer ihre PS-verwöhnten, wilden Zeiten hinter sich haben und sich mit den 48 PS ausreichend motorisiert fühlen. Womit das Thema Gewicht bereits wieder im Spiel wäre. Bei der Honda haben es die 48 Pferde mit strammen 218 Kilogramm plus Fahrer zu tun, was im Vergleich mit der Bayerin schon mal schwerwiegt: Die BMW unterbietet mit 198 immerhin knapp die 200-Kilogramm-Marke.

Hier wie dort kommen Rahmen und Schwingen aus schnödem Stahl zum Einsatz - der Kostendruck lässt grüßen. Die Praxis beweist allerdings, dass auch günstige Lösungen gut funktionieren können. Die NC 700 X, die auf einem Baukastensystem aus Rahmen, Motor und Rädern basiert, das bei gleich drei Modellen Verwendung findet (der NC 700 X, der um 500 Euro günstigeren Naked-Schwester NC 700 S sowie dem Roller Integra), arbeitet mit ungewöhnlichen konstruktiven Lösungen: Der tief nach unten gezogene Gitterverbund-Rahmen, der unter der Sitzbank platzierte Tank und der um 62 Grad nach vorn geneigte Motor rücken den Schwerpunkt näher zur Fahrzeugmitte, Stichwort Zentralisierung der Massen, und schaffen eine ausgewogene Balance. Die wirkt sich positiv auf die Handlingeigenschaften aus, wie der Pilot bereits nach wenigen Metern erfreut feststellt. Angenehm neutral wirkt die Honda von Beginn an, keine Spur von Kippeligkeit oder Nervosität, schnell stellt sich eine Vertrautheit ein, als bewege man die 700er schon seit Jahren.

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Die geringe Sitzhöhe auf der -schmalen, gut ausgeformten und bequemen Bank stellt auch kleinere Fahrer kaum vor Probleme, der angenehm breite Lenker liegt gut zur Hand, die Fußrasten ermöglichen einen entspannten Beinwinkel. Der recht lange Radstand und die knapp 220 Kilo dämpfen die Erwartungen an allzu ausgeprägte Handlichkeit zunächst, doch zeigt sich die Honda in der Praxis handlicher als vermutet. Einlenken und Abwinkeln erfordern wenig Kraftaufwand, Kurvenfahrten keine Korrekturen, die Neue zieht unbeirrt ihre Bahn und irritiert nie mit Mätzchen oder unliebsamen Eigenheiten. Der Motor agiert dabei so unauffällig, dass man ihn meist nur am Rande wahrnimmt. Er startet spontan auf Knopfdruck, nimmt knapp über Standgas ruckfrei Gas an, hackt nicht auf die Kette ein, zieht einfach herrlich gleichmäßig durchs Drehzahlband.

Vibrationen sind kaum ein Thema. Sound und satter Schlag allerdings ebenfalls nicht. Dabei wollte Honda dem neu entwickelten Paralleltwin den satten Schlag eines V2-Motors anerziehen: Eine Kurbelwelle mit 90 Grad Hubzapfenversatz nebst einem Zündversatz von 270 Grad soll dies bewirken, eine Ausgleichswelle störende Vibrationen eliminieren. Der äußerst dezente Sound erinnert nur entfernt an einen V2, doch das Ziel des vibrationsfreien Laufs ist zweifellos erreicht. Da ist der BMW-Motor von ganz anderem Kaliber. Der ebenfalls willig startende und spontan sauber Gas annehmende Einzylinder kann sein Singledasein nie ganz verhehlen. Dauerdrehzahlen um 5000/min führen zu heftigem Kribbeln in Händen und Füßen, vor allem jedoch dringen die feinen Vibrationen in die Sitzbank vor und lassen den Fahrerhintern einschlafen. Das entsprechende Autobahntempo 130 gilt es also zu unter- oder zu überschreiten. Erfreulich Eintopfuntypisch gibt sich der 650er beim Antritt aus niedrigen Drehzahlen und am oberen Ende der Skala: Schon ab 2000 Touren lässt sich die BMW ohne Hacken und Ruckeln hochbeschleunigen, legt sich ab 3500/min richtig ins Zeug und dreht willig bis zum Abriegeln bei stolzen 7500/min.

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Honda NC 700 X und BMW G 650 GS - Die beiden ungleichen Schwestern ähneln sich nur auf den ersten Blick.

Der Honda-Twin rennt bereits bei rund 6800/min in den Begrenzer, was häufig zu unerwartet frühen Schaltmanövern zwingt. Umgekehrt erfordert das Runterschalten in den zweiten oder dritten Gang einen derben Tritt und geht nicht so sanft und lautlos vonstatten wie gewünscht. Doch auch das BMW-Getriebe ist kein Vorbild - lange Schaltwege und gelegentlich unsauberes Einrasten verderben auch hier einen besseren Eindruck. Also schaltfaul fahren und häufig den letzten der sechs (BMW: fünf) Gänge drinlassen? Ausprobieren. Showdown auf der Autobahn: Beide Bikes fahren nebeneinander mit Tempo 80, auf Kommando geben die Fahrer Vollgas. Ernüchternd für den Honda-Piloten - er sieht kein Land und die BMW nur noch von hinten. Deutlich zieht die GS davon, als Trost bleibt dem Twin-Reiter einzig der Umstand, dass der quasi als Overdrive ausgelegte sechste Gang zum niedrigen Spritverbrauch, vor allem auf langen Autobahnetappen, beiträgt.

Bei der Ermittlung des Landstraßenverbrauchs kommt die sechste Fahrstufe nur selten zum Einsatz, dennoch kann der Honda-Twin mit sagenhaften 3,5 Litern fast mit dem bekannt sparsamen BMW-Einzylinder (3,4 Liter) Schritt halten.

Apropos Landstraße: Kann die BMW, die ihren Piloten in die deutlich aktivere Sitzposition nah am Lenker zwingt und besseren Knieschluss am schlanken Tank ermöglicht, ihr geringeres Gewicht und die schmalere Bereifung in quirligeres Handling umsetzen? Sie kann. Fällt leichter in Schräglage, lenkt leichtfüßiger ein und erfordert im engen Geläuf mit häufigen Schräglagenwechseln weniger Kraftaufwand. Allerdings geht dies zulasten der stoischen Stabilität, wie sie die Honda zu bieten hat. Die GS wirkt stets etwas nervös, will konzentriert geführt werden und erfordert schon mal eine kleine Nachkorrektur bei zackiger Schräglage. Trotz des großen 19-Zoll-Vorderrads, das eigentlich neutraler führen sollte als das 17-Zoll-Rad der Honda. Hier werden die Endurogene der BMW deutlich, auch wenn sie nun auf Gelände-untauglichen Gussrädern rollt und auf alltagstaugliches Funbike macht. Dem ultimativen Kurvenräubern steht, oder besser gesagt, hängt allerdings der Seitenständer im Weg. Früh schraddelt dessen Ausleger lautstark über den Asphalt - Rechtskurven machen mit der BMW deutlich mehr Spaß.

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Der laufruhige Twin der Honda zieht kraftvoll durch, riegelt aber früh ab.

Die Honda bleibt stets gelassen und glänzt mit ordentlicher Schräglagenfreiheit und stoi-scher Stabilität in Kurven. Mit etwas mehr Kraftaufwand will die NC 700 in Kurven geworfen werden, doch nimmt man dies gern in Kauf, weil die Honda so herrlich neutral einlenkt und präzise auf der gewählten Linie bleibt. Kaum Wahlmöglichkeiten bietet das Fahrwerk: Lediglich die Vorspannung des Federbeins kann verstellt werden, bei der BMW lässt sich immerhin zusätzlich noch die Zugstufendämpfung justieren. In beiden Fällen ist die Grundabstimmung gelungen, spricht die Gabel ordentlich an und bieten die Federelemente ausreichend Dämpfungsreserven. Wobei sich die Honda bei Soziusbetrieb im Unterschied zur BMW gänzlich unbeeindruckt zeigt und nichts von ihrem souveränen Fahrverhalten einbüßt. Dies gilt auch für die Bremsleistung der zunächst misstrauisch beäugten Einzelscheibe der Honda. Schnell vergisst man den Wunsch nach einer zweiten Scheibe, wenn man erst mal die zupackende, gut dosierbare CBS-Verbundbremse (beim Tritt aufs Pedal der Hinterbremse wirkt einer der drei Kolben vorn mit) erlebt hat und deren Standfestigkeit wohlwollend registriert. Das ABS regelt zuverlässig in kurzen Intervallen, teilt aber die Regelvorgänge recht deutlich mit. Noch deutlicher spürbar arbeitet das ABS der BMW, deren Doppelkolbensattel etwas zahnlos wirkt. Echten Biss und klaren Druckpunkt vermisst der GS-Pilot, die Vorderbremse wirkt stumpf, die hintere leistet keine große Hilfe. Löbliches Relikt aus der GS-Offroad-Vergangenheit: Per Knopfdruck lässt sich das ABS abschalten. Ohne Speichenräder und mit nur mittelprächtigen Federwegen (vorn 170, hinten 165 mm) hält sich die Geländetauglichkeit dennoch in Grenzen, mit nur 182 Kilogramm Zuladung leider auch ihre Reisetauglichkeit. Die Honda böte mit 209 Kilo die nötige ordentliche Zuladung, doch der Tankstutzen unterm Soziussitz zwingt zum Abschnallen eventuell darauf verzurrter Gepäckrollen, und ein aufgeschnallter Tankrucksack führt das aufklappbare Staufach ad absurdum.

So betrachtet empfehlen sich die beiden 48-PS-Flitzer vor allem als vielseitige, wendige alltagstaugliche Fast-Alleskönner, die mit sparsamen Motoren und sehr niedrigen Kaufpreisen nicht nur Einsteigern die Möglichkeit bieten, ein gutes und zugleich günstiges Bike zu erwerben. Denn vor allem der Anfang sollte nicht schwer und schon gar nicht teuer sein.

MOTORRAD-Punktewertung / Testergebnis

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Der kräftige Einzylinder von BMW ist drehfreudig, vibriert jedoch deutlich.

Motor
Single oder Zweisamkeit: Der drehfreudige BMW-Einzylinder benötigt Drehzahlen, sorgt dann aber für gute Fahrleistungen bei geringem Spritverbrauch. Vibrationen können ab 5000/min lästig werden. Sie kennt der laufruhige Honda-Twin nicht. Der kräftig von ganz unten anschiebende Zweizylinder scheut hohe Drehzahlen und nippt so sparsam am Sprit wie die BMW. Dabei hilft der sehr lang übersetzte sechste Gang, der jedoch auch die Schuld an den mäßigen Durchzugswerten trägt.
Sieger Motor: BMW

Fahrwerk
Präzise und unbeirrbar zieht die Honda ihre Bahn - egal, ob in Schräglage durch die Kurve oder mit Vollgas geradeaus. Selbst mit Beifahrer. Die durchaus handliche Honda muss sich in Sachen Leichtfüßigkeit zwar der BMW geschlagen geben, doch wirkt die GS stets nervöser, anfälliger für Einflüsse und setzt vor allem lästig früh mit dem Seitenständer auf. Die Grundabstimmung beider Fahrwerke geht in Ordnung, die BMW bietet etwas umfangreichere Einstellmöglichkeiten.
Sieger Fahrwerk: Honda

Alltag
Komfortable Alltagsbegleiter sind sowohl BMW als auch Honda. Sie schenken sich hier nicht viel - beide bieten nur dürftigen Windschutz und höchstens durchschnittliches Licht. Der Fahrer ist auf der Honda bequemer untergebracht, der Beifahrer auf der BMW. Wer große Reisen mit Sozius plant, sollte sich die geringe Zuladung der BMW genau ansehen. Wer häufig in der City parkt, wird das Staufach für den Helm bei der Honda zu schätzen wissen, die zudem etwas liebevoller verarbeitet ist.
Sieger Alltag: Honda

Sicherheit
Wer bremst, gewinnt: zumindest das Vertrauen des Fahrers. Hier liegt die CBS-Kombibremse der Honda klar vorn - bessere Wirkung, klarerer Druckpunkt, feinere Dosierbarkeit und souveräneres, weniger aufdringliches Regelverhalten des ABS. Letzteres lässt sich übrigens bei der BMW abschalten.
Sieger Sicherheit: Honda

Kosten
Günstiger geht‘s kaum: Auch nach dem Kauf sind die Kosten gering. Extreme Spritknauserer sind beide, die Honda muss noch seltener zur Inspektion. 
Sieger Kosten: BMW/Honda

Preis-Leistung
Die Honda gewinnt nicht nur nach Punkten (der Kaufpreis fließt hier nicht ein), sondern lockt auch mit günstigem Preis - eine Hammer-Kombination.
Sieger Preis-Leistung: Honda

max. Punktzahl BMW G 650 GS Honda NC 700 X
Gesamtwertung 1000 592 607
Platzierung 2. 1.
Preis-Leistungs-Note 1,0 1,8 1,2

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Am Ende hat die ausgewogene Honda immer die Nase vorn.

Testergebnis

1.Honda NC 700 X
Einstand gelungen. Die neue Honda glänzt mit kultiviertem, durchzugsstarkem Twin, narrensicherem Fahrverhalten, verlässlichen Bremsen und sauberer Verarbeitung - und das alles auch noch zum Schnäppchenpreis von knapp über 6000 Euro. Hut ab.

2.BMW G 650 GS
Die kleinste GS kann noch immer mit dem starken, drehfreudigen und sehr sparsamen Einzylinder und ihrer enormen Handlichkeit überzeugen. Die schlappen Bremsen der inklusive ABS stramme 1500 Euro teureren GS und der früh aufsetzende Ständer kosten wertvolle Punkte.

Technische Daten

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Tank? Attrappe. Ins Staufach der NC 700 X passen Einkäufe oder ein Helm.

BMW G 650 GS Honda NC 700 X
Motor
Bauart Einzylinder-Viertaktmotor Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor
Einspritzung Ø 43 mm Ø 36 mm
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung  Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Bohrung x Hub 100,0 x 83,0 mm 73,0 x 80,0 mm
Hubraum 652 cm3 670 cm3
Verdichtung 11,5:1 10,7:1
Leistung 35,0 kW (48 PS) bei 6500/min 35,0 kW (48 PS) bei 6250/min
Drehmoment 60 Nm bei 5000/min 60 Nm bei 4750/min
Fahrwerk
Rahmen Brückenrahmen aus Stahl Gitterrohrrahmen aus Stahl
Gabel Telegabel, Ø 41 mm Telegabel, Ø 41 mm
Bremsen v/h Ø 300/240 mm Ø 320/240 mm
Assistenzsysteme (ABS optional) Verbundbremse, ABS
Räder 2.50 x 19; 3.50 x 17 3.5 x 17; 4.5 x 17
Reifen 110/80R 19; 140/80R 17 120/70 ZR 17; 160/60 ZR 17
Bereifung Metzeler Tourance EXP Bridgestone BT 023 „G“
Maße + Gewichte
Radstand 1477 mm  1540 mm 
Lenkkopfwinkel 61,9 Grad 63,0 Grad
Nachlauf 113 mm 110 mm
Federweg v/h 170/165 mm 154/150 mm
Sitzhöhe** 790–820 mm 825 mm
Gewicht vollgetankt** 198 kg 218 kg
Zuladung** 182 kg 209 kg
Tankinhalt 14,0 Liter 14,1 Liter
Serviceintervalle  10000 km 6000 km
Preis 6900 Euro 5990 Euro
Preis Testmotorrad 7501 Euro*** 5990 Euro
Nebenkosten 264 Euro 265 Euro
MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* 170 km/h 160 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h 5,1 sek 5,5 sek
0–140 km/h 11,3 sek 12,3 sek
Durchzug
60–100 km/h 5,7 sek 7,7 sek
100–140 km/h 7,5 sek 14,5 sek
Verbrauch
Verbrauch Landstraße 3,4 Liter/Normal 3,5 Liter/Super
Reichweite Landstraße 412 km 403 km

*Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen; ***inkl. ABS mit Warnblinkanlage (404 Euro), Heizgriffe (197 Euro); 3 Leistung an der Kurbelwelle. Messungen auf dem Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5%

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023