Manchmal passiert es einfach. Dauerregen. Land unter. Knietief. Und dir bleibt keine andere Wahl als Augen auf und durch. Die Story über einen unfreiwilligen Extremtest, der eigentlich als gemütliche Herbstausfahrt geplant war.
Manchmal passiert es einfach. Dauerregen. Land unter. Knietief. Und dir bleibt keine andere Wahl als Augen auf und durch. Die Story über einen unfreiwilligen Extremtest, der eigentlich als gemütliche Herbstausfahrt geplant war.
Oktober 2004: Auf dem MOTORRAD-Plan steht Herbstausfahrt mit fünf der profiliertesten Bikes aus verschiedenen Kategorien. Die Kernfragen: Wie unterschiedlich wird die gleiche Tour aus den Perspektiven der Fahrer erlebt, und welches Motorrad schlägt sich abseits von Messwerten in der Hölle des Alltags am besten? Das Ziel heißt Borgo Val di Taro, Italien. Laut hochpräziser Wettervorhersage der einzige trockene Ort in ganz Europa. Ein von Kurven umschlungener zudem. Die Motorräder: die luxuriöse BMW K 1200 LT, die extravagante Buell Lightning XB12S, die hypersportliche Kawasaki ZX-10R, die abenteuerliche KTM 950 Adventure sowie die vernünftige Suzuki V-Strom 650.
Parkplatz Bad Dürrheim, A 81. 150 Kilometer sind bereits abgespult, rund 550 liegen noch vor uns. Es gießt wie aus Kübeln. Dazu: Sturm. Der Guss kommt waagrecht. Tropfen wie flüssiges Blei. Das triste Grau des Regens verwischt die Grenze zu den tief hängenden Wolken. Schaurig. Depressiv. Ausladend. Getreu dem Motto »geteiltes Leid ist halbes Leid« lassen wir uns den Fahrspaß nicht vermiesen. Überholen uns wechselweise auf der Autobahn. Winken, gestikulieren. Wringen während der Fahrt Wasserströme aus den Lederhandschuhen. Berechtigte Fragen: Bekommt Rainer es auf der voll verschalten 1200 LT genau so dicke ab wie Michael auf der Buell? Schlafen Georg in seiner Embryonalstellung nicht die Arme ein? Sind die Koffer von Gerds kleiner V-Strom dicht? Wird mich die KTM wieder heimbringen? Sie klappert so merkwürdig. Egal. Das Wetter kann nur besser werden. Schließlich geht es gen Italien.
A1, Ausfahrt Lodi, rund 45 Kilometer südöstlich von Mailand. Es ist dunkel. Wir sind klitschnass und mitten unter einem Wolkenbruch. Innerhalb einer Stunde fallen 38 Liter pro Quadratmeter. Von einer
Straße ist kaum noch was zu erkennen. Fahren in einem See ist angesagt. Auf dessen Grund verbergen sich Bordsteine, Grasnarben, Gullideckel. Absolutes Vertrauen zum Vorderrad ist jetzt wichtiger als jedes zusätzliche PS.
Ein Unglück kommt selten allein: Nur ein einziges Hotel ist bereit, fünf Wassermänner aufzunehmen. Rudimentär bemalter Beton, bröckelige Fliesen, zerfetzte Türzargen, kalte Dusche, Autobahnblick. Schlappe 85 Euro. Ohne Frühstück. Vor dem Zubettgehen erfolgen die besten Tipps zum Trocknen: Stiefel mit Zeitung ausstopfen, Handschuhe föhnen, Jacke und Hose in der Dusche aufhängen, Heizung volle Pulle äh, Moment mal, Rainer?
Rainer ist der Einzige, der trocken ist. BMW? Nein, simple Regenkombi! Trotz aller Membran-Gimmicks: Für solche Gewaltschauer gibts nichts Besseres.
Der nächste Morgen empfängt uns mit zaghaften Sonnenstrahlen. Abfahrt Fidenza. Schnell eine Mittagspizza, dann hinein ins Getümmel. Denn wir sind am Ziel: die Landstraße Nr. 359 zwischen Salsomaggiore und Borgo Val di Taro. Rund 85 Kilometer, zusammengesetzt aus allerfeinsten italienischen Gourmetkurven und -kehren. Es ist wie beim Essen. Wenn man tierischen Hunger hat, schmeckt es doppelt so gut.
Kuppeln, Schalten. Gezieltes Bremsen. Kokettieren mit Grip. Lässige Wucht der Beschleunigung. Das Wiegenlied der Schräglage. Dazu Verkehr wie beim Finale der Fußball-WM wir sind allein. Allerdings war der letzte Winter nicht tatenlos und hat seine Frostkrallen in den Asphalt geschlagen. Die rissige, mit Senken und Überhöhungen gespickte Strecke ähnelt einer zerbombten Achterbahn und überführt jedes Fahrwerk. Während die KTM-Federelemente sämtliche Bodenangriffe abwehren, denke ich an Michael und die ultrakurzen Federwege der Buell. Und an Rainer, der seinen 400-Kilo-Dampfer auf Kurs halten muss.
Alles nur Kinderkram gegen das, was uns am dritten Fahrtag erwartet. Die kleine Straße zum Paso di Brattello ist im Blättermeer versunken. Zwar hat der Herbst seine schönsten Farben ausgepackt, doch leider auch Unmengen von Laub und Kastanien von den Bäumen geschüttelt. Regen und Reifen haben daraus eine teilweise zentimeterdicke, hochglitschige Masse geformt, die die komplette Straße bedeckt. Das Fahren gleicht einem Drahtseilakt ohne Netz. Vorsichtig tasten wir uns voran.
Auf dieser Tour kommen alle Umstände zusammen. Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, immer schon mal wissen wollten, wie viel Liter Öl eine KTM aus dem Haarriss des Öldruckschalters verliert oder ob eine extrem mager laufende Buell Höhenluft verträgt, ZX-10R-Fahrer bei Glatteis um Hilfe schreien, es Menschen gibt, die eine V-Strom 650 attraktiv finden oder ob man von der Sitzheizung der BMW K 1200 LT Brandblasen bekommt, dann blättern Sie um. Am Ende dieses Abenteuers werden alle Fragen beantwortet sein.
Daheim steht eine zu kickstartende Early-Shovel, Baujahr 1966, eine 99er-Speed Triple, eine W 650 sowie eine 900er-Martin-Honda. Kruder Mix, oder? Was ich damit sagen will: Beim Biken
geht es für mich um den Aha-Effekt. Ich nehme Platz und warte, was das Motor-
rad mir erzählt. Denn jede Maschine weiß eine Geschichte.
Wenn auch mitunter eine merkwürdige. Als die Motorräder verteilt werden, hab ich, so mein erster Gedanke, das Glück des Jahrhunderts. Regen, Sturm, Schneefallgrenze 700 Meter. Alle Daten sprechen für die K 1200 LT. Sitzheizung, beheizte Griffe, elektrisch verstellbare Scheibe, was-
serdichte Koffer plus Topcase und eine
riesige Verkleidung, hinter der selbst die Stiefel trocken bleiben sollten.
Bleiben sie auch. Zum einen, weil
sie hundertprozent wasserdicht sind, zum anderen, weil die Verkleidung tatsächlich
einen exorbitant guten Wind- und Wetterschutz bietet. Mit meinen 1,80 Metern kann ich über die voll ausgefahrene Scheibe gerade so hinwegschauen. Deren Verwirbelungen sorgen dafür, dass das Helmvisier stets tropfenfrei bleibt. Manko: Selbst in der untersten Position der Scheibe ist die Sicht auf das, was direkt vorm Vorderrad passiert, eingeschränkt.
Die Schattenseiten der ganzen elektrischen Zaubereien offenbaren sich in der ersten Pause. Wenn sich die Fernbedienung der Zentralverriegelung im Tankfach wegschließt oder man sie schlicht in der Hosentasche unter der Regenkombi vergisst. Darüber kann man noch lachen.
Über andere Dinge nicht. Die Metzeler ME 880 Marathon bevorzugen trockene Straßen. Nässe treibt dem Fahrer Angstschweiß aus allen Poren. Bei Spurwechseln, Bitumenstreifen oder wechselndem Fahrbahnbelag zappelt der Wal wie eine
Forelle. Ins Schwitzen kommt man außerdem beim Einparken und Wenden. 392 Kilogramm wiegt der bayerische Edeltourer. Und besitzt, bedingt durch Topcase, Verkleidungsschnickschnack, Koffer und Tank, einen recht hohen Schwerpunkt. Kombiniert mit einem schlechten Gefühl fürs Vorderrad, haben die hundert Wendemanöver unter dem Wolkenbruch in Lodi meine Klamotten mehr von innen als außen durchnässt.
Es gibt auch positive Überraschungen. Trotz magerer Federwege von 102 Millimetern vorn und 130 hinten schwebt das
Ungetüm komfortabel über welligsten
Asphalt. Sogar die Härtestrecke zwischen Pellegrino und Bardi, mit ihren Senken und Aufbrüchen, steckt das Fahrwerk locker weg. Die Maschine bleibt zielgenau, stellt sich beim Bremsen kaum auf, die Schräglagenfreiheit allerdings könnte etwas größer sein. Genauso wie der Druck aus dem Keller. Erst ab 5000/min zieht die Wuchtbrumme richtig an. Unpassend für einen gemütlichen Tourer.
Den Alptraum schlechthin erlebe ich am dritten Fahrtag jenseits der Alpen. Regen. Zermatschte Kastanien. Laub. Schmierseife bietet mehr Grip. Auf einmal mutiere ich zum Fremdkörper auf diesem Boliden. Fahre Schritttempo. Schicke Stoßgebete, nicht bremsen zu müssen. Aufgrund des Bremskraftverstärkers haut die 1200 LT
urplötzlich den Anker dermaßen in den
Boden, dass selbst das ABS keine Rücken-deckung gewährt. Wenn eine halbe Tonne auf zwei Streichholzschachtel großen
Gummiflächen über Schmierseife balanciert wird, reicht der Hauch einer falschen Bewegung, und schwuppdiwupp...
Was also hat mir die BMW K 1200 LT erzählt? Bei Nässe und Kälte tröstet sie
mit CD-Wechsler, Heizgriffen, Sitzheizung und Wetterschutz. Bei Sonnenschein sowieso. Dann überrascht der 0,4-Tonner trotz Masse mit erstaunlich dynamischem Motorradfeeling.
BMW K 1200 LT: Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, wassergekühlt, 116 PS, 1171 cm3,
Kardan, Gewicht vollgetankt* 392 kg, Tankinhalt 23 Liter, Preis Testmotorrad inkl. Nebenkosten 22461 Euro
Eine Warnung vorab: All jene, die sich dem Ethos der Leistungsgesellschaft bedingungslos unterworfen haben, sollen hier aufhören zu lesen. All jene, die auf
der Autobahn der Vernunft durchs Leben eilen und denen unauffälliges Funktionieren zu Weg und Ziel zugleich geworden sind, sollen gleich umblättern.
Denn da macht die Buell XB12S nicht mit. Sie lässt das Diktat unauffälligen Funktionierens hinter sich und erhebt
gerade die Auffälligkeit zur Funktion. Das kann man mögen oder eben nicht. Fakt aber ist: Was auffällt, regt an, und es regt auf. Mit einem Wort: Es unterhält.
Eine lange Autobahnetappe zum Beispiel, gefahren im ekelhaftesten aller vorstellbaren Wetter, bietet auf der Buell herzerwärmende Momente. Wenn das Tempo unter hundert fällt, der Drehzahlmesser irgendwas zwischen 2000 und 2500 Umdrehungen anzeigt und dann das Gas
aufgezogen wird. Wenn der Langhuber losrumpelt, satt aus diesem Kanonenrohr von Auspuff brummt und in immer schnellerer Folge sanft den Beat der Verbrennung in das Sitzkissen trommelt, dann bringt das ein Gefühl von »mein Motorrad und ich ich und mein Motorrad«, das keine Vollverkleidung, keine Sitzheizung und keine 160-PS-Leistungsspitze jemals zu erzeugen imstande sind. Vielleicht liegt es daran, dass sich auf der Buell bockhartes
Federbein hin oder her 300, 500 und
sogar 700 Kilometer völlig schmerzfrei absitzen lassen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Sitzbank schlicht bequem ist, obwohl sie nicht danach aussieht.
Weil jedoch wohl niemand eine XB12S kauft, nur um sich von ihrem Motor den Allerwertesten massieren zu lassen, ein weiteres Beispiel, eines aus dem Stadtverkehr. Wo sich die unglaublich kompakte Buell einem Roller gleich durch den
Verkehr dirigieren lässt. Wo es zwar nach kurzer Zeit schon schmerzt, an den Kupp-
lungshebel zu langen und ihn zum Lenker zu zerren. Wo jedoch unmittelbar darauf
jeder Schmerz vergessen ist, wenn im Leerlauf an der Ampel stehend dieser Klotz zitternd das Versprechen bulliger Kraft wummert. Und dieses Versprechen hält, sobald die Kupplung einrückt.
Noch schöner wäre das, wenn sich in das Wummern nicht stets ein anderes
Geräusch mischte, das so gar nicht zu
diesem Motorrad passen will. Ein Summen, in etwa wie das einer Trockenhaube oder eines Haarföhns der Lüfter für den hinteren Zylinder. Läuft und läuft und
läuft und nervt. Nervt mehr, viel mehr, als das zwischenzeitliche Konstantfahrruckeln oder die manchmal, wegen der mageren Motorabstimmung im unteren Bereich, unwillige Gasannahme.
Die indes bringt am Scheitelpunkt
enger Kehren die ein oder andere Über-
raschung mit sich. Erster oder zweiter Gang, Hand an der Kupplung, Fuß auf der Bremse die Schwungmasse bändigend und dann will der Haufen anstatt auf die Gerade rauszuziehen stumpf nach innen
fallen. Es ist von daher gar nicht mal schlecht, dass die Buell auf kurviger
Landstraße ohnehin ein Handling an den Tag legt, mit dem nach Betrachtung der Fahrwerksdaten absolut nicht zu rechnen war. Theoretisch: handlich, flink, mühelos. Praktisch: Zwang, rackern, Arbeit, alle Hände voll zu tun. Denn in eine Richtung zu laufen, die mit der Ideallinie wenig zu tun hat, findet die XB12S tausend Gründe. Das heißt aber auch: Sie bietet tausend Chancen, das wunderbar befriedigende Gefühl zu erleben, ihr schließlich doch den eigenen Willen aufgezwungen zu haben. So mögen andere Motorräder schneller sein, kommoder, handlicher, bedienungsfreundlicher und weiß der Teufel was. Man könnte sogar sagen, dass andere Motor-
räder besser seien als die Buell XB12S. Unterhaltsamer sind sie sicherlich nicht.
BUELL XB12S: Zweizylinder-Viertakt-45-Grad-V-Motor, luftgekühlt, 101 PS, 1203 cm3,
Zahnriemen, Gewicht vollgetankt* 209 kg, Tankinhalt 14 Liter, Preis inkl. Nebenkosten 11809 Euro
Ernst gemeinte Frage: Steigt man durch die extrem sportliche Sitzhaltung nach vier Tagen ab und läuft wie ein Schimpanse? Schließlich muss ich mich bis jetzt kaum bewegen, könnte leicht
einrosten. Mit 120 km/h geht es durch die Regendecke. Das entspricht bei der Kawa 3500/min im sechsten Gang. Und fühlt sich durch die wahnwitzigen 175 PS so an, als sei man auf der Standgasdüse unterwegs. Überholen? Auch im letzten Gang genügt ein ultrakurzer Dreh am Gasgriff.
Unser Ziel liegt rund 700 Kilometer
von Stuttgart entfernt. Eigentlich... wenn
man die Schilder ignoriert... nur bei den Autobahnkurven ein wenig Speed rausnimmt... Zahlstellen... zwei Schweizer Zollstationen... schätzungsweise in vier Stunden könnte ich da sein. Aber wir
fahren ja gemeinsam. Soundmäßig hat die ZX-10R allerhöchsten Unterhaltungswert. Bassig brummt es aus der Airbox, aus dem Schalldämpfer grollt das Lied der Macht. Immer wieder lasse ich mich zurückfallen und ziehe voll auf, genieße die enorme
Beschleunigung und den aggressiven Sound. Im mittleren Drehzahlbereich als Sturm, der in einem schreienden Orkan bei 13000/min endet. Übrigens: Es reicht aus, den Gashahn zur Hälfte zu öffnen, schon dreht das Hinterrad auf der überfeuchten Autobahn durch. Kann nur besser werden.
Wird es aber nicht. Beim Wolkenbruch in Lodi zählt nur eines: Vertrauen zum
Motorrad. Wendemanöver, anfahren, beschleunigen ich bin heilfroh, auf der
ZX-10R zu sitzen. 198 Kilogramm vollgetankt, 820 Millimeter Sitzhöhe, Schenkel und Rahmen sind wie miteinander verschweißt, sehr gutes Feedback durch die Gabel, wunderbar dosierbare Kupplung und Gasannahme, ultrakompakte Abmaße wie eine zierliche 600er die Zehner wird zu einem Teil von mir. Einzig der kleine Lenkeinschlag stört mitunter.
Am nächsten Morgen: ZX-10R-Wetter. Trocken, leicht bewölkt, 20 Grad. Die
Emilia Romagna empfängt uns mit erotischen Kurven. Der Gag bei der Hyper-Kawa: Theoretisch könnte ich die gesamte Tour im ersten Gang zurücklegen. Der
geht nämlich bis 150 km/h. Doch das
gut zu schaltende Sechsganggetriebe ist verführerisch.
Ebenso wie die Kurven der Landstraße 359. Ich versuche, den Supersportler auf der Ideallinie entlangzupfeffern. Klappt allerdings nicht. Immer wieder sind Kurskorrekturen erforderlich. Mit dem spitz konturierten Dunlop D 207 RR-Vorderreifen neigt die Kawa ab einer gewissen Schräglage dazu, plötzlich in die Kurve zu kippen. Das passiert selbst auf aalglatten Straßen. Hier im Achterbahngeläuf, mit all den
Bodenwellen und Senken, gesellt sich ein weiter Faktor hinzu, der das Treffen der Ideallinie zum Lottogewinn macht. Die
extrem straffe Grundabstimmung der
Federung reicht jede Senke, jede Kante, jede Bodenwelle in Form von Unruhe in den Bewegungsablauf weiter. Auf Landstraßen dritter Ordnung hat man auf der ZX-10R nichts zu lachen.
Gleiches gilt auf äußerst rutschigem Untergrund. Denn die Bremse lässt sich zwar sehr gut dosieren, ist jedoch giftig. Und die Leistung? Einfach drei Gänge
höher fahren als normal. Dann slidet oder bricht das Hinterrad nicht aus. Ob ich
tauschen würde? Objektiv gesehen ist der Supersportler alltagstauglich. Hat durchdachte Gepäckhaken, perfektes Startverhalten und optimale Gasannahme, ist extrem leicht und handlich. Trotzdem wäre ich am liebsten KTM gefahren. Deren
Fahrwerk wird mit jeder Situation spielend fertig, und die Sitzposition ist entspannter. So sah es zumindest aus. Übrigens: Nach rund 40 Stunden im Sattel der Kawa läuft man nicht wie ein Schimpanse.
KAWASAKI ZX-10R: Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, wassergekühlt, 175 PS, 998 cm3,
O-Ring-Kette, Gewicht vollgetankt* 198 kg, Tankinhalt 17 Liter, Preis 13115 Euro
Man darf sich nichts vormachen. Die Adventure ist ein Sportbike. Ultrastraffe Sitzbank, Sportfahrwerk, Sportmotor, sportliche Sitzhöhe. 880 Millimeter, um genau zu sein. Um es noch deutlicher zu sagen: Man geht in den Laden, blättert
13 Riesen auf den Tresen, ballert den 22-Liter-Tank randvoll und fährt zur nächsten Pharaonen-Rallye. Tuning nicht erforderlich. Obwohl, bei der mageren Reichweite von 360 Kilometern bei verhaltener Fahrweise... aber lassen wir das. Es gibt
Zusatztanks.
Regel Nummer eins beim KTM-950-Fahren: Ohren zu und durch. Irgendjemand in Mattighofen fand Steuerkettenspannung per Öldruck hipp und konstruierte die Dinger in den 75-Grad-V-Motor. Nach jedem Abstellen des Bikes, dann nämlich, wenn das heiße Öl sich irgendwo im Rumpf und Reservoire der Trockensumpfschmierung herumtreibt und nicht druckbereit im Spanner harrt, scheppert der 950er-Motor fünf bis fünfzehn Sekunden lang, als würde das Getriebe zwei Sack Zimmermannsnägel durchkneten. Auch über knackende, metallisch-harte Geräusche sollte man hinweghören. Was immer es ist, es scheint den zierlichsten V2 seiner Klasse nicht im Geringsten zu stören. Warten wir es ab. Noch 13000 Kilometer, dann hat unser Dauertestmotorrad die 50000 runter und wird komplett zerlegt.
Solche Banalitäten lassen sich ausgleichen. Mit Ohrenstöpsel beispielsweise. Andere nicht. Da war zum einen die schlechte Gasannahme auf den ersten 500 Regenkilometern. Oder der Ölverlust von 1,2 Litern. Laut Werkstatt ein gebrochener Kupferdichtring unter dem Öldruckschalter. Junge, muss da drin ein Druck herrschen. Übrigens... sie ölte danach schon wieder. Es war der Schalter, heißt es nun. Oder
die rupfende Kupplung. Ist vor kaum 5000 Kilometern erneuert worden, danach nur von introvertierten Praktikanten gefahren und hinterlässt dennoch den Eindruck, als habe Fabrizio Meoni sich mit ihrer Hilfe hundertmal aus dem Tiefsand buddeln müssen. Wie unbedeutend wirken da nicht funktionierende Blinker, Tankwandungen, die so obskur geformt sind, dass die Brühe an der Zapfsäule jedesmal im hohen
Bogen herausspritzt, schlechtes Kaltstartverhalten oder letztlich ein Wendekreis, den man von der K 1200 LT erwartet?
So viel Schatten gibt nur eine hell strahlende Sonne. Regel Nummer zwei beim KTM-Fahren: Vertrauen. Vertrauen deshalb, weil man sich in jedweder Situation bedingungslos auf den Alm-Öli ver-
lassen kann. 950 Adventure fahren ist
geil. Regen? Pirelli MT 90 mit ausreichend Negativ-Profil und sagenhaftem Feedback. Landstraßen sechster Ordnung? 230 Millimeter Federweg stehen vorn wie hinten zur Verfügung. Sensibel im Ansprechverhalten, durchschlagsicher, äußerst stabil. Wenden in tiefer See, Angasen über
glitschige Ebenen? Das Vorderrad scheint direkt mit den Händen verbunden zu sein. Nie hat man das Gefühl, die Kontrolle über dieses Motorrad zu verlieren. Das Fahrwerk der KTM vermittelt ultimative Sicherheit. Selbiges gilt für die unter jeglichen Umständen bestens dosierbaren Bremsen. Jeder, der Dynamik liebt, sich mit der
Sitzhöhe arrangieren kann, einen gierigen Motor sexy findet und sportlich unterwegs sein möchte, wird nach einer Probefahrt wochenlang das Lächeln im Gesicht haben. Es ist dann völlig gleichgültig, ob es Hunde und Katzen regnet. Mir jedenfalls. Die KTM mag etwas für Verrückte sein. Oder Exoten. Sie wird nie jemand überzeugen, der die Propeller-Brille trägt oder die Bedingung stellt, der Motor müsse 100000 Kilometer pannenfrei laufen. Aber sie wird garantiert all jene glücklich machen, die nie erwachsen werden wollen, die Motorradeln nicht nur als Fortbewegung, sondern als dynamischen Zeitvertreib sehen.
KTM 950 Adventure: Zweizylinder-Viertakt-75-Grad-V-Motor, wassergekühlt, 98 PS, 942 cm3,
O-Ring-Kette, Gewicht vollgetankt* 226 kg, Tankinhalt 22 Liter, Preis inkl. Nebenkosten 13039 Euro
Es gibt Motorräder, denen verzeiht man alles. Sie sind so schön, dass
einem das Herz vor Freude zu hüpfen beginnt, sobald man das Garagentor öffnet. Wen stört es da, dass der Motor ein Drehmomentloch hat, die Sitzposition nach
wenigen Kilometern unbequem wird, es
zu zwicken beginnt oder das Getriebe hakt? Mit der Suzuki V-Strom 650 verhält es sich genauso. Nur umgekehrt.
Sie ist hässlich. Irgendwie stimmen die Proportionen nicht. Vorne mit einer futuristisch wirkenden Verkleidung nebst Riesen-Spritfass aufwartend, erscheint das Heck zu niedrig, eingeknickt. Fast könnte man meinen, Langfinger hätten über Nacht das Federbein geklaut. Das Koffersystem aus dem Suzuki-Regal verunstaltet die Linie komplett. Zudem bauen die Behälter so breit, dass ein Durchwuseln im Stadtverkehr zur nervenaufreibenden Zielübung wird. Die Kunststoffnase zur Arretierung des Koffers, die bereits am dritten Testtag das Zeitliche segnet, macht die Sache nicht erfreulicher.
Hat man auf der V-Strom Platz genommen, verblasst dies alles. Überraschend handlich lässt sie sich bewegen, unkompliziert erledigt sie alle Aufgaben, die ihr zugemutet werden. Egal, ob es darum geht, auf langen Autobahnetappen flott Meter zu machen oder auf Passstraßen ambitioniert Kurven aller Radien zu durchräubern.
Dabei meistert ihr recht straffes Fahrwerk selbst Straßen dritter Ordnung, ohne dass die Plomben aus den Zähnen gerüttelt würden. Es hält sogar Reserven bereit,
die gelegentliche Ausflüge auf Schotter
erlauben. Auch bei unserer Hotelsuche, im nächtlichen Stadtverkehr und bei Dauer-
regen, kann man sich blind auf die V-Strom verlassen. Wäre die Sitzposition noch
stärker vorderradorientiert ich könnte auf
einem Bierdeckel wenden.
Die mit nassem Laub gepflasterten Wege, die ein gehöriges Maß an Fingerspitzengefühl erfordern, bewältigt die
V-Strom mit Bravour. Unterstützt wird sie durch ihre mit viel Negativprofil gesegneten Bridgestone TW 101/152. Sie bieten
ordentlich Grip, ohne sich durch ein
lästiges Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage hervorzutun. Die Bremsanlage wiederum überzeugt mit viel Transparenz. Der Druckpunkt der vorderen Doppelscheiben-Anlage könnte für Fans der
letzten Rille zwar klarer definiert sein, aber sie legt schön gleichmäßig an Bremsleistung zu und kapituliert auch auf langen Passabfahrten nicht. Die Hinterradbremse unterstützt das Ganze wirkungsvoll.
Als Sahnestückchen entpuppt sich
der Zweizylinder. Er bietet viel Druck schon aus niedrigen Drehzahlen, ohne dass
ihm obenraus der Dampf ausgehen würde. Die Wahl des passenden Räderpaares im exakt zu schaltenden Sechsganggetriebe wird damit oftmals zur Frage des persönlichen Geschmacks. Einzig die etwas ungehobelten Lastwechsel stören in engen Kehren. Doch mit gekonntem Einsatz der leichtgängigen Kupplung lässt sich die saubere Linie retten, die sonst vom ruckartigen Leistungseinsatz vereitelt wird.
Gewiss gewöhnungsbedürftig, doch Laufkultur und Leistungsbereitschaft des
Suzuki-Aggregats entschädigen dafür auf eindrucksvolle Art und Weise.
So mausert sich die V-Strom durch ihre Unkompliziertheit beim Fahren zum Multitool für fast alle Wege, zum Schweizer
Taschenmesser auf zwei Rädern. Sie ge-
fällt durch ihre gut schützende, verstell-
bare Verkleidung, Vertrauen erweckendes Handling, ihren spritzigen und schadstoffarmen Motor sowie günstigen Preis. Und die Optik? Die trickst man aus fährt man mit der V-Strom, kann man sie nicht sehen. Freudiges Herzklopfen beim Garageöffnen hin oder her.
SUZUKI V-Strom 650: Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, wassergekühlt, 67 PS, 645 cm3, O-Ring-Kette, Gewicht vollgetankt* 214 kg, Tankinhalt 22 Liter, Preis inkl. Nebenkosten 7120 Euro
Kübelweise Regen, rund 40 Fahrstunden in vier Tagen trotzdem beklagte niemand Beschwerden am Allerwertesten. Obwohl, der des KTM-Piloten wies eine leichte Rötung auf. Und der ZX-10R-Fahrer jammerte über Handgelenkschmerzen und Nackenprobleme die supersportliche Sitzposition fordert ihren Tribut. Knieprobleme traten ausgerechnet auf der, so
sollte man meinen, hyperbequemen BMW K 1200 LT auf. Des Fahrers Kommentar: »Der Sattel der K zementiert die Sitzposition. Das wird irgendwann ungemütlich.« Der V-Strom-Fahrer fand den Kniewinkel auf Dauer unangenehm. Und der Buell-
Pilot war hinten feuchter als vorn.
Zurück zur Kernfrage der Geschichte: Mit welchem der fünf Bikes übersteht man die Hölle des Alltags am besten? Unter
extremen Umständen bewährt sich das am wenigsten Extreme. Ein leicht zu handhabendes Motorrad ohne Eigenarten mit ausreichend Wetterschutz, dessen Motor niemanden überfordert, der aber allen Belangen gerecht wird. Und das ist in diesem Feld die Suzuki V-Strom 650. Über deren Optik freilich kann man sich streiten.