Die sechs hubraum- und leistungstärksten Vierzylinder vom Naked Bike bis zum Supersportler im direkten Vergleich. Welcher verkauft seine bombastische Leistung am besten?
Die sechs hubraum- und leistungstärksten Vierzylinder vom Naked Bike bis zum Supersportler im direkten Vergleich. Welcher verkauft seine bombastische Leistung am besten?
Es gibt tatsächlich wenig rationalen Gründe, ein Motorrad mit mehr als 100 PS zu fahren. Macht zwar mächtig Spaß und ist so schön souverän. Braucht aber in Wirklichkeit kein Mensch. Das meinten bis vor einigen Jahren zumindest die deutschen Motorradimporteure und die Versicherer. Ende der 70er Jahre verständigten sich beide auf das viel zitierte Gentlemen-Agreement, die freiwilligen Selbstbeschränkung auf 100 PS, die damals wegen des teils furchteinflössendem Fahrverhaltens einiger Maschine auch durchaus sinnvoll war. Aber die werte Kundschaft war dieser Limitierung in Laufe der Jahre nicht mehr einverstanden. Und fand natürlich bald Mittel und Wege, per Leistungsgutachten und dem Besuch bei TÜV oder Dekra die volle Leistung ihrer Honda Fireblades und Co Schwarz auf Weiß im Fahrzeugbrief zu manifestieren. Die freiwillige Selbstbeschränkung fiel.
Seitdem überbieten sich vor allem die japanischen Hersteller mit immer stärkeren Maschinen. Ein Trend, der offenbar unvermindert anhält, vom Tourer über den Supersportler bis hin zum Naked Bike, untermauert auch von guten Verkaufszahlen. Grund genug, sechs ganz unterschiedliche und vor Kraft nur so strotzende Kandidatinnen gemeinsam zu testen. Ein Konzeptvergleich der besonderen Art, denn dank der neuen MOTORRAD-1000-Punkte-Wertung lassen sich Motorräder ganz unterschiedlicher Ausrichtung nun erstmals in einem einheitlichen Schema miteinander vergleichen.
Wobei nicht schiere Höchstleistung oder Rundenzeiten auf der Rennstrecke zählen, sondern die besten Allround-Eigenschaften. Deshalb liegt das Hauptaugenmerk auf den Themen Fahrwerk, Sicherheit, Alltagstauglichkeit und nicht zuletzt auf der Wirtschaftlichkeit eines Motorrads. Für möglichst objektive und vergleichbare Testergebnisse durchlaufen alle Kandidatinnen den umfangreichen MOTORRAD-Top-Test, wichtige Kriterien sind neben dem Handling (Kasten Seite 22), auch der Bremsentest ( Kasten Seite 27) und die Kreisbahn ( Kasten Seite 29).
Also, wie gesagt, kein gewöhnlicher Vergleich, denn schließlich handelt es sich um sechs der besten und leistungsstärksten Vierzylinder auf dem Markt. Jüngstes Beispiel: die Suzuki GSX 1400. Kaum vorgestellt gewann sie gleich einen Vergleichstest gegen die etablierte Naked- Bike-Konkurrenz (Heft 16/01). Wobei Suzuki ziemlich frech stilistische Anleihen bei der Yamaha XJR 1300 und der leider nicht offiziell in Deutschland erhältlichen Honda CB 1300 nahm und in puncto Hubraum einfach noch etwas draufsetzte. Typisch für ein Naked Bike: Die GSX 1400 beeindruckt weniger mit ihrer Spitzenleistung von gemessenen 110 PS, als mit der Tatsache, dass der Motor ein maximales Drehmoment von satten 128 auf die Kurbelwelle stemmt.
Schon seit 1997 umwirbt Hondas CBR 1100 XX die Tourensport-Fraktion. Das ehedem schnellste Serienmotorrad der Welt setzt dabei auf einen Trumpf, der ihr in vielen Tests tolle Platzierungen beschert hat: ihre Vielseitigkeit. Über die Jahre haben die Honda-Techniker den schnellen Alleskönner gekonnt verfeinert und zwar äußerlich wie innerlich: Eine Saugrohreinspritzung statt Vergasern nebst Sekundärluftsystem (SLS) und G-Kat lassen XX-Eigner recht sorgenfrei in eine noch unsichere Kfz-Steuer-Zukunft blicken.
Beim mit nominell 178 PS derzeit stärkste Serienmotorrad der Welt, der Kawasaki ZX-12R sollen U-Kat und SLS die Schadstoffemission mindern. Die Höchstgeschwindigkeit, beim letztjährigen Modell noch mit stolzen 308 km/h im Kfz-Brief vermerkt, wird im Modelljahr 2001 auf 298 km/h elektronisch abgeriegelt, der Tacho endet bei 300. Ein Umstand, den selbst ein bekennender Speedfreak verschmerzen wird. Viel wichtiger erscheint da, dass gezielte Modellpflegemaßnahmen, wie zum Beispiel das etwas höher gelegte Heck, das Fahrverhalten des 249 Kilogramm schweren Brockens nun deutlich homogener gestalten.
Satte 48 Kilogramm weniger wiegt die Suzuki GSX-R 1000. In Verbindung mit einem nominell 160 PS starken Vierzylinder sorgt sie bei der Sportfraktion für schlaflose Nächte. Die epochale Honda CBR 900 RR Fireblade war prägend für die 90er, zu Beginn des neuen Jahrtauschend heißt der Maßstab bei den Supersportlern GSX-R 1000. Dass sich mit einem potenten Sporttriebwerk noch eine ganze Menge mehr anstellen lässt, zeigt Yamaha mit der FZS 1000 Fazer. Vom Erfolg der kleinen 600er beflügelt, pflanzte Yamaha den superkräftigen und mit leichten Modifikationen versehenen YZF-R1-Antrieb in einen Stahlrohrrahmen und schuf drum herum ein kommodes Umfeld. Eine echte Alternative für all jene, denen Supersportler auf Dauer zu unbequem sind, die aber auf Kraft im Überfluss nicht verzichten möchten. Druck in allen Lebenslagen, den kann auch ein Tourenfahrer gut gebrauchen. Schließlich ist man auf großer Fahrt oft zu zweit und mit viel Gepäck unterwegs.
Das weiß auch Yamaha und bescherte der Welt den bislang stärksten und sportlichsten Tourer, die FJR 1300. Mit 275 Kilogramm bringt die 1300er zwar deutlich mehr auf die Waage, als erste Gerüchte aus Japan vermuten ließen, dennoch dokumentieren allein die sehr guten Fahrleistungen, was für ein großer Wurf Yahama gelungen ist. Was vor allem am potenten Triebwerk der FJR liegt, das mit Saugrohreinspritzung, SLS und G-Kat aufwartet. Dieser Vierzylinder gibt sich nicht gerade als Schmusekätzchen, was für Yamaha ziemlich untypisch ist. In Sachen Laufruhe macht er nämlich nicht die allerbeste Figur. Praktisch über seinen gesamten Drehzahlbereich macht der Vierventiler trotz zweier Ausgleichswellen mit Vibrationen auf sich aufmerksam, ab 160 km/h kommen noch Schwingungen aus dem ansonsten angenehm unauffälligen Kardanantrieb hinzu. Sicherlich hilfreich wäre es in diesem Zusammenhang, wenn Yamaha an einen drehzahlsenkenden sechsten Gang gedacht hätte, gerne auch als Overdrive ausgelegt. So jedoch muss die FJR mit einem etwas hakeligen, aber präzise arbeitenden Fünfganggetriebe auskommen. Hat da in der Entwicklungsabteilung etwa jemand Zweifel an der Potenz des Triebwerks gehabt? Der kompakt bauende Motor kann mit seinem Antritt aus dem tiefsten Drehzahlkeller selbst mit dem aggressiven und ultrastarken Triebling der Kawasaki ZX-12 R locker konkurrieren und das will etwas heißen. Mit einer in der Welt der Tourer bislang nicht für möglich gehaltenen Agilität drückt das Triebwerk der FJR 1300 vorwärts. Und verliert auch jenseits der 6000/min-Marke keinesfalls die Lust, sondern dreht fröhlich bis in die Nähe des Begrenzers weiter. Schon der Motor der FJR 1300 offeriert mehr Sportsgeist, als man zunächst von der dicken Yamaha erwartet hätte.
Hohe Drehzahl, das ist nicht die Welt der Suzuki GSX 1400. Wer würde das von einem klassisch auftretenden Naked Bike auch verlangen? Ihr mit SLS ausgerüsteter Motor verfügt dafür praktisch ab Standgas über Kraft im Überfluss, überzeugt dazu mit einem weichen Ansprechverhalten und einer guten Laufkultur. Wahrhaft etwas für den Gourmet, nichts für Fastfood-Fans. Auf Überfluss setzt der luft/-ölgekühlte Vierzylinder leider auch, wenn es um den Spritkonsum geht: Im Schnitt jagt die Einspritzung pro 100 Kilometer nämlich knapp sieben Liter in die Zylinder.
Ebenfalls sehr trinkfreudig gibt sich die Kawasaki ZX-12R, die sich schon bei durchweg verhaltener Landstraßenfahrt immer um die sechs Liter gönnt. Ein typisches Kawasaki-Triebwerk: In bester Tradtion des Hauses agiert der Motor sehr kraftvoll und spontan, mag sowohl schaltfaul im unteren Drehzahlbereich dahingleiten, kann aber auch bei Bedarf und genügend Auslauf so vehement und ohne Unterlass an der Kette zerren, das man dieses Erlebnis in Worten beinahe nicht zu schildern vermag. Vor allem nach solchen Vollgasetappen neigt die ZX-12 R beim Schließen der Drosselklappen selbst bei hohen Drehzahlen zum Konstantfahrruckeln. Vibrationen sind unter allen Lastzuständen zwar präsent, treten jedoch in durchweg tolerierbarem Maß auf. Sicherlich kein Glanzpunkt: das Getriebe. Zwar erübrigt sich häufiges Schalten wegen der überbordenden Leistungsfülle, dennoch ärgert die zwar präzise, aber ziemlich hakelig und geräuschvoll werkelnde Schaltbox.
Was besonders im direkten Vergleich mit den butterweich flutschenden Schaltboxen der Honda CBR 1100 XX und der Yamaha FZS 1000 Fazer auffällt. Die Fazer. Grinst einen mit ihrem charakteristischen Doppelscheinwerfer frech an. Tut so, als könne sie kein Wässerchen trüben, schnurrt vibrationsarm und mechanisch sehr leise vor sich hin, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Kunststück, denn einen sogenannten Allrounder, zu dieser Gattung zählt sich die Yamaha, mit derart viel Leistung gab es bis dato auch noch nicht. Wobei hier wohlwollend vermerkt werden sollte, dass sie nicht über den gleichen unglaublichen und zugleich brandgefährlichen Drehmomentberg im unteren Drehzahlbereich verfügt, wie ihre Schwester YZF-R1. Und das ist gut so. Weil es die Nerven und das Hinterrad schont. Dennoch sprechen ihre Fahrleistung Bände, vor allem die Durchzugswerte überzeugen und verblüffen zugleich. Die kurz übersetzte Yamaha toppt selbst die Kawasaki oder die Suzuki GSX-R 1000. Ebenfalls erfreulich: das mit Gleichdruckvergasern bestückte und dementsprechend weich ansprechende Triebwerk braucht weniger Sprit als die per Saugrohreinspritzung versorgten Vierzylinder ihrer Konkurrentinnen. Verglichen mit der Suzuki auf der Landstraße zwar nur Winzigkeit, aber immerhin.
Der Vierventiler der GSX-R 1000, schlichtweg eine Wucht. Schon allein vom Klangerlebnis her. Aggressiv und fordernd zugleich signalisiert er bedingungslosen Einsatzwillen. Taugt aber für eine untertourige Fahrweise, weil das Triebwerk zwei Seelen in einer Brust trägt: Die Antrittstärke eines modernen Zweizylinders im unteren Drehzahlbereich kombiniert die Suzuki mit der unbändigen Drehfreude eines 750er-Vierzylinders. Wenns denn sein muss, marschiert das 998 cm³ große Triebwerk nämlich mit Leichtigkeit über die 10000/min-Marke, die Durchzugs- und Beschleunigungswerte sprechen Bände. Dabei glänzt das relativ hart ans Gas gehende Triebwerk über sein gesamtes Drehzahlband mit einer erstaunlichen Laufruhe. Noch kultivierter geht nur die relativ sparsame Honda CBR 1100 XX zu Werke. Lediglich im unteren Drehzahlbereich dringen ganz leichte Vibrationen in die Lenkerhäften durch. Dafür gibt sich der Vierzylinder in diesen Regionen auch nicht ganz druckvoll wie der hubraumschwächere Motor der Suzuki. Die Stärken des Honda-Triebwerks liegen im Bereich von 3000 und 8000/min, sie verträgt angesichts der dann offerierten Leistung ebenfalls eine schaltfaule Fahrweise. Wobei angemerkt sei, dass häufiges Schalten in Anbetracht des tollen Getriebes und der leichtgängigen Kupplung mächtig Spaß macht.
Überhaupt wirkt diese XX wie aus einem Guss. Gut, wie schon in vorangegangenen Tests sorgt das serienmäßige Verbundbremssystem CBS in speziellen Situationen für Kritik. Mit ihrer Kombi-Bremse verzögert die Honda in normalen Situationen auf der Landstraße sehr stabil und mit wenig Handkraft. Dafür vergibt MOTORRAD denn auch zehn Extra-Punkte. Unter extremer Belastung jedoch verwässert der Verbund von vorderer und hinterer Bremsanlage das Gefühl für den Grenzbereich (siehe auch Kasten Seite 27), was zu Abzügen im Punkt Dosierbarkeit führt. Für die nächste Modellpflege steht deshalb ein serienmäßiges ABS auf dem Wunschzettel, das seine Qualitäten bereits bei der Honda Gold Wing unter Beweis gestellt hat.
Worauf sich Honda wirklich hervorragend versteht? Auf eine gelungene Fahrwerksabstimmung, die viel beschriebene Balance. Das zeigt sich in den guten Werten der XX beim Fahrtest. Der erneut die landläufige Meinung widerlegt, dass ein geringes Gewicht und eine extreme Fahrwerksgeometrie oder ein hoher, breiter Lenker zwangsläufig ein spielerisches Handling garantieren. Die Honda CBR 1100 XX präsentiert sich auf der Teststrecke auf der Schwäbischen Alb als ein toller Kompromiss. Egal, welche Kurvenradien, egal, welcher Streckenzustand, die Honda fährt nach einem kräftigen Zug an den über der Gabelbrücke platzierten Lenkerhälften souverän und zielgenau über den Asphalt, die gut ansprechenden und ausreichend komfortablen Federelemente bringen dem Fahrer viel Feedback und damit letztlich Sicherheit.
Lediglich das superbe und sehr stabile Fahrwerk der Suzuki GSX-R 1000 vermittelt mehr Transparenz, also das einmalige Gefühl, eins zu sein mit dem Motorrad. Auch wenn die R über ein erstaunlich hohes Maß an Alltagstauglichkeit verfügt, muß ihr stolzer Besitzer dennoch eine gewisse Leidenfähigkeit mitbringen. Natürlich fährt sich die Suzuki auf engen Strecken trotz einer relativ kommoden Sitzhaltung anstrengender, schmerzen vor allem nach längeren Bergabpassagen der Nacken und die Handgelenke. Auch klar, dass alle Maschinen in diesem Vergleich über Leistung im Überfluss verfügen. Alle meistern den Alltag spielerisch im letzten Gang. Aber keine bringt diese Tatsache so imposant rüber wie die Suzuki, die einen in eine scheinbare Schwerelosigkeit versetzt. Die Kawasaki ZX 12-R fährt sich im Vergleich ruppiger, hemdsärmeliger, wirkt grober. Will bewusst von einer Ecke in die nächste getrieben werden, verlangt dabei mehr Konzentration, um auf Kurs zu bleiben, verzeiht einen Fehler bei der Linienwahl nicht so gern. Überzeugt dafür mit deutlich mehr Komfort, einem tollem Windschutz und referenzverdächtigem Licht.
Alltagstauglichkeit, ganz klar die Domäne der Yamaha FJR 1300. Was man von einem Motorrad ihrer Preisklasse aber auch erwarten darf. Wirklich erstaunlich jedoch, wie sie mit den bekannten Vorurteilen gegenüber Tourern aufräumt. Und zwar ein für alle Mal. Von wegen, solche Maschinen taugen eigentlich nur zum gemütlichen Reisen und eiern durch Kurven, dass einem die Lust aufs zügige Fahren von alleine vergeht. Diese Yamaha verfügt nämlich über ein toll abgestimmtes Fahrwerk mit reichlich Reserven nicht nur, was den Komfort betrifft. Sie fährt sich für ihre Gewichtsklasse sehr direkt und lässt sich präzise einlenken, die gebotene Schräglagenfreiheit reicht allemal aus, um den Kurvenspaß so richtig auszukosten gerne auch mit zwei Personen. Ein Punkt, in dem sie ihrer Markenkollegin FZS 1000 Fazer deutlich voraus ist. Schade, dass Yamaha sich beim Allrounder in Sachen Zweipersonentauglichkeit nicht etwas mehr Mühe gegeben hat, sowohl was die Abstimmung des hintere Federbeins anbetrifft, als auch den Sitzkomfort. Und den kläglichen Windschutz, wenigstens bietet Yamaha eine höhere Tourenscheibe als Zubehör an. Ansonsten wäre die Fazer nämlich eine noch gelungenere Kombination von Sport und Tour. Sie fährt zwar weder so superpräzise und direkt wie die Suzuki GSX-R 1000, noch tritt sie so ausgewogen auf wie die Honda CBR 1100 XX. Dafür hat das Yamaha-Funbike etwas herrlich Unvernünftiges an sich. Wie charakterisierte es Kollegin Monika Schulz einmal: »Irgendwann legst du dich mit der Fazer auf die Klappe und du weißt nicht mal warum.« Gemeint war damals die kleine Schwester FZS 600. Gilt jedoch auch uneingeschränkt für die 1000er. Der mächtige R1-Antrieb in Verbindung mit ihrem unscheinbaren Äußeren lässt nämlich jede Menge Raum für Fehlinterpretationen. Aber unterschätzen sollte man die Fazer, den Wolf im Schafspelz nie. Beim allzu übermütigen Gasgeben aus den Ecken heraus malt sie nämlich gerne schwarze Striche auf den Asphalt, der Grad zwischen exstatischem Fahrspaß und einem schmerzvollen Abstieg wird dementsprechend schmal.
Solch heiklen Momenten setzt man sich auf der Suzuki GSX 1400 eigentlich nie aus. Das mächtige Naked Bike strahlt mit seiner Bierruhe vor allem eins aus: Gelassenheit. Hochleistungsport auf der Autobahn überlässt sie den anderen, sie fühlt sich lieber der vielleicht schönsten Sache der Welt verpflichtet: Genussvollem Dahingleiten über Landstraßen, ohne Stress und Hektik. Verwöhnt den Fahrer dabei mit ihrer erstaunlichen Handlichkeit und dem fein abgestimmten, gut ansprechenden Fahrwerk. Kleine Schwächen, wie die leichten Pendelbewegungen um die Längsachse, die vor allem in schnelleren Kurven auftreten, sieht man ihr deshalb gerne nach. Sie will es nämlich gar nicht allen Recht machen. Everybodys darling heißt in diesem Vergleich die Yamaha FJR 1300, mit Ausnahme des nicht lieferbaren ABS wahrscheinlich das derzeit kompletteste Motorrad.
Mit der Honda XX verhält es sich wie mit einem guten Wein: Über die Jahre hat der Sporttourer an Qualität gewonnen. Wie die Yamaha FJR 1300 präsentiert sie sich mit einer zeitgemäßen Gemischaufbereitung nebst G-Kat und SLS, ihre Fahrleistungen sind auch weiterhin mehr als ausreichend. Das Fahrwerk bietet einen guten Kompromiss aus Handlichkeit, Stabilität und Komfort, die Lenkpräzision ist schlichtweg begeisternd. Ein serienmäßiges ABS wäre für die XX das berühmte Tüpfelchen auf dem i.
Das kompletteste, das vielseitigste Motorrad gewinnt diesen Vergleich. Die FJR 1300 überzeugt mit ihrem bärenstarken Vierzylinder, der allerdings etwas laufruhiger sein dürfte. Mit ihren Fahrleistungen und ihrem guten Fahrwerk dringt sie in Bereiche vor, die bislang der Sportfraktion vorbehalten waren.Auf dem Wunschzettel für das nächste Modelljahr stehen der sechste Gang und ein ABS in diesen Punkten hat die Tourer-Konkurrenz aus Bayern nämlich die Nase noch vorne.
Markante Details in der Punktewertung kurz und knapp erklärt.
LeistungsentfaltungAm imposantesten: das Suzuki GSX-R Triebwerk. Unglaublich spontane und dennoch kontrollierbare Leistung in allen Lebenslagen, dicht gefolgt von der aggressiven Kawasaki und dem ruhigen, bulligen Charakter der Yamaha FJR 1300.Stabilität in KurvenAuch hier setzt das sehr steife Chassis der GSX-R 1000 den Maßstab, knapp vor der sehr gut ausbalancierten Honda CBR 1100 XX. Überraschend gut: der Tourer Yamaha FJR 1300Verzögerung/HandkraftReferenzverdächtig: die Yamaha FZS 1000 Fazer, sowohl was die Verzögerungswerte als auch die Dosierbarkeit ihrer vorderen und hinteren Bremsanlage betrifft.Fern/-AblendlichtDie derzeit besten Serienscheinwerfer der Welt besitzt die Kawasaki ZX-12 R, der Freiflächenscheinwerfer der Suzuki GSX 1400 ist dagegen nur Durchschnitt.Theoretische ReichweiteFahren statt tanken: Die Yamaha FJR 1300 zieht dank ihres relativ sparsamen Triebwerks und eines 25-Liter-Tanks auf langen Strecken allen davon.SitzkomfortAuch hier überzeugt der Tourer von Yamaha sowohl den Fahrer wie auch den Sozius. Für einen Sporttourer überdurchschnittlich: die Honda CBR 1100 XX. Abstriche dagegen beim Supersportler Suzuki GSX-R 1000.WindschutzVorbildlich: das elektrisch verstellbare Windschild der Yamaha FJR 1300. Ebenfalls Klasse: der Windschutz auf der pfeilschnellen Kawasaki ZX-12 R und der Honda.VerbrauchDie mit Gleichdruckvergasern ausgestattete Yamaha FZS 1000 Fazer ist am sparsamsten, die per Saugrohreinspritzung versorgten 1400er von Suzuki sehr durstig.Inspektionskosten Die beiden Yamahas mit konkurrenzlos günstigen Inspektionsrichtwerten und 10000-Kilometer-Intervallen. Das freut den Kunden und bringt den Yamaha-Mechaniker ins Schwitzen.
Immer nur im Kreis herum? Was bringt das? Nun, dem Tester Schwindelgefühle und jede Menge Erkenntisse. Denn in der Kreisbahn (Durchmesser 46 Meter) testet MOTORRAD eine Vielzahl von Kriterien. Dazu zählen der Grip der Erstbereifung und Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage, die sich nur hier vergleichbar und relativ gefahrlos testen lassen. Quasi als zusätzliche Hürde wirken zwei Bodenwellen, die hohe Anforderungen an die Stabilität der Fahrwerke und die Eigendämpfung der Reifen in großer Schräglage stellen. Auch in der Kreisbahn gilt: Die gefahrene Höchstgeschwindigkeit wird zwar dokumentiert (siehe Kasten), in die Wertung fließen aber ausschließlich die subjektiven Eindrücke der Tester ein, gesammelt auch auf der mehrere hundert Kilometer umfassenden Testroute, auf der auch die Schräglagenfreiheit überprüft wird.Kawasaki ZX-12 R: Respekt, das stärkste Serienmotorrad der Welt verfügt über eine gute Stabilität auf welliger Bahn, die Fußrasten setzten selbst im Soziusbetrieb erst in extremer Schräglage auf. Kaum Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage. Honda CBR 1100 XX: Super Vorstellung, die hervorragend ausbalancierte XX fährt sehr stabil und gibt ihrem Fahrer viel Rückmeldung, ihr straffes Fahrwerk tendiert eindeutig in Richtung Supersport. Die langen Nippel an den Rasten schränken die Schräglagenfreiheit etwas ein lassen sich aber im Bedarfsfall leicht entfernen. Gute Wahl der Erstbereifung: Dunlop D 205 in Sonderspezifikation. Kaum Aufstellneigung, gute Eigendämpfung und genügend Gripreserven. Suzuki GSX 1400: Ebenfalls viel Grip und Eigendämpfung dank Bridgestone BT 020, Rasten, Seiten- und Hauptständer setzten in Linkskurven zum Teil hart auf. Gute Kurvenstabität, Lastwechselreaktionen stören jedoch. Suzuki GSX-R 1000: Standesgemäß schnell, sehr stabil und neutral, selbst mit griffiger Erstbereifung Bridgestone BT 010 lässt sich die Schräglagenfreiheit nicht ausloten, keine aufsetzenden Teile. Yamaha FZS 1000 Fazer: Gute Stabilität, auch bei Lastwechseln und Wellen, allerdings setzen Rasten, Ständer und Auspuff in maximaler Schräglage auf. Yamaha FJR 1300: Gute Kurvenstabilität auf Wellen, setzt gutmütig mit Rasten und Seitenständer auf, dennoch sind erstaunlich hohe Kurvengeschwindigkeiten möglich.
Ein weiteres wichtiges und sicherheitsrelevantes Testkriterium: die Bremsen. Um für alle gleiche Bedingungen zu schaffen, erfolgen die Versuche auf einem abgesperrten Testgelände. Die wichtigsten Kriterien: Bremsstabilität und die Bremsverzögerung, die mit beiden Bremsen erreicht werden kann, dokumentiert durch das spezielle Aufzeichungsgerät VZM 300, sowie durch eine Lichtschranke und die Wegstreckenmessung. MOTORRAD errechnet die mittlere Bremsverzögerung und den Bremsweg aus 100 km/h (siehe auch unten stehende Tabelle). Weitere Fragen: Wie hoch sind die benötigten Handkräfte? Neigt die Bremsanlage bei hoher Beanspruchung zum Fading?Bei extremer Verzögerung kommt das Verbundbremssystem der Honda CBR 1100 XX nicht an die Bremswege der Konkurrenten heran. Der Grund: Den Testern fehlt das letze Quäntchen Gefühl für die Blockiergrenze des Vorderrads. Zudem fällt die Dosierung der Bremse mit dem Fuß schwerer als bei den konventionellen Systemen. Bei der Kawasaki ZX-12 R bewegen sich Dosierbarkeit und Wirkung der vorderen Bremse auf sehr hohem Niveau, aber das Heck reagiert bei Vollbremsungen leicht unruhig, wenn auch immerhin ohne heftiges Stempeln. Die hinteren Stopper agieren stumpf und lassen sich schlecht dosieren.Was zumindest zu Beginn der Bremsung auch für die vorderen Stopper der Suzuki GSX-R 1000 gilt, erst mit zunehmender Handkraft verzögert die 1000er nämlich gut und stabil. Das Hinterrad steigt dabei jedoch leicht auf und tendiert, bedingt durch den Einsatz der hinteren Bremse, zum Stempeln.Auf der Höhe der Zeit präsentiert sich die Suzuki GSX 1400: Ihre Bremsanlage verlangt zwar nach vergleichsweise höheren Handkräften, spricht jedoch fein an und verzögert vorne wie hinten sehr gut. Das Vorderrad neigt gelegentlich zum Stempeln. Dererlei Tendenzen sind der Yamaha FZS 1000 Fazer fremd. Sie glänzt mit hervorragender Dosierbarkeit der vorderen und hinteren Bremse, phantastischen Verzögerungswerten und bleibt stabil auf Kurs. Etwas irritierend: die flexible Lenkerbefestigung, die den Lenker leicht nach vorne kippen lässt. Ebenfalls gut: die Vorstellung der gewichtigen Yamaha FJR 1300. Allerdings lässt sich ihre vordere Bremsanlage nicht so klasse dosieren, wie die bauähnlichen Vierkolbensättel der Fazer, zudem ist eine relativ hohe Handkraft nötig.
Größtes Plus der Kawasaki: ihr urgewaltiger Motor, der Kraft im Überfluss in wirklich allen Lebenslagen produziert. Das stärkste Serienmotorrad der Welt kommt nicht so geschliffen und fein wie die Honda daher, sie verlangt einen aktiviven, zupackenden Fahrer. Ihr etwas rustikaler Charakter gefällt dennoch. Was nicht zuletzt am guten Fahrwerk, einer tollen Mischung aus Komfort und Stabilität, den Top-Bremsen und der überdurchschnittlichen Alltagstauglichkeit liegt.
Auf der Rennstrecke fährt sie alles in Grund und Boden. Und auch auf der Landstraße lässt sich erfahren, warum. Suzuki gelang mit der GSX-R 1000 eine geniale Synthese aus einem nahezu unerschütterlich stabilen Fahrwerk und einem ultrapotenten Triebwerk kombiniert mit Fahrbarkeit. Damit setzt sie bei den Supersportlern den Maßstab. Diese Kompromisslosigkeit zieht Abstriche in Sachen Komfort nach sich, dennoch überzeugt die Suzuki mit einer guten Alltagstauglichkeit.
Suzukis drehmomentgewaltiger Wonneproppen schert sich nicht um sportliche Höchstleistung, sondern bringt einen zurück zum Wesentlichen: dem Genuss am durchweg beschwingten Motorradfahren ohne einen dabei auch nur im geringsten Maß zu stressen. Für einen 260 Kilogramm schweren Brocken besitzt die GSX 1400 nämlich ein wirklich außerordentliches Handling, hinzu kommen ein gut abgestimmtes Fahrwerk mit ausreichenden Reserven und eine zupackende Bremsanlage.
Die Fazer verbindet die Kraft eines Supersportlers mit guten Allroundeigenschaften. Ihr bäriges und laufruhiges, von der R1 abgeleitetes Triebwerk überzeugt in diesem Vergleich mit den besten Durchzugswerten und mit einem günstigen Verbrauch. Ihre Talente kämen noch besser zu Geltung, wenn Yamaha etwas mehr Liebe zum Detail zeigen würde. Wünschenwert wäre vor allem eine straffere Abstimmung des hinteren Federbeins, ein bequemerer Soziusplatz und ein deutlich verbesserter Windschutz.
Von großer Bedeutung und mit viel Aufwand verbunden: der Handling-Test. Wichtige Fragen sind hierbei: Lenkt das Motorrad präzise ein? Wie leicht gehen Schräglagen- und Richtungswechsel von der Hand? Wie hoch ist der Kraftaufwand? Und wie ist es um die Soziusqualitäten bestellt? Die Testmannschaft überprüft alle Motorräder während einer genau definierten Testrunde auf der Schwäbischen Alb, die von engen Kehren über langsame und zügige Wechselkurven bis hin zu schnellen, weiten Radien alles parat hält, was die Straßen im normalen Motorradfahrerleben auf Lager haben. Quasi als Pendant zur Teststrecke, zur Abrundung und Überprüfung der Ergebnisse, prüft MOTORRAD das Handling anschließend noch auf abgesperrter Strecke mit zwei unterschiedlichen Parcours: einem weiten, langsamen und einem engen, schnellen Slalom. Die unten aufgeführten Zeiten und Geschwindigkeiten geben zwar einen grundsätzlichen Anhalt über die Handlings-Eigenschaften, für die Punktewertung zählt jedoch einzig und allein der subjektive Eindruck der Testmannschaft, die auf der Testrunde gewonnen wurden.Honda CBR 1100 XX: Sie benötigt zwar einen kräftigen Lenkimpuls, fährt sich dafür aber sehr präzise, neutral und stabil. Auch mit zwei Personen liefert die Honda eine tadellose und zielgenaue Vorstellung ab, einzig die harten Lastwechsel in langsamen Passagen sind gewöhnungsbedürftig. Die mächtige Kawasaki ZX-12 R verlangt ebenfalls nach hohen Lenkkräften, verstärkt noch durch ihren überbreiten 200er-Hinterreifen, kompensiert diesen Nachteil aber mit ihrem antrittstarken Motor. Im langsamen Slalom, also langen S-Kurven, fährt die ZX-12 R am Umkehrpunkt einen relativ engen Bogen. Störend wirken sich bei solch niedrigen Tempi lediglich ihre harten Lastwechsel aus.Langer Radstand, größter Nachlauf und hohes Gewicht: Dennoch gibt sich in diesem Vergleich die Suzuki GSX 1400 am handlichsten auch zu zweit. Sie glänzt dank ihrer stabilen Gabel mit guter Lenkpräzision, aber bei harten Last- und Schräglagenwechseln treten spürbare Kippbewegungen um die Längsachse auf, sowohl in schnellen als auch in langsamen Bögen. Die reinrassige Supersportlerin Suzuki GSX-R 1000 entpuppt sich dagegen nicht gerade als Handlingstar, Kurswechsel erfordern viel Kraft. Dafür verhält sie sich auch bei harten Schräglagenwechseln selbst im Zweipersonenbetrieb unübertroffen fahrstabil und zielgenau. Die Yamaha FZS 1000 Fazer vermittelt in schnellen Schräglagenwechseln wegen des in Gummi gelagerten Lenkers ein indirektes Lenkgefühl, sie federt zudem weit ein. Zu zweit fährt sich die Fazer trotz maximal angehobenen Hinterteils zu hecklastig, was die Zielgenauigkeit verringert und die Lenkkräfte über die Maßen erhöht. Ihre Tourenschwester Yamaha FJR 1300 überrascht dagegen mit einer guten, ausreichend straffen Abstimmung, sie fährt handlich und stabil. Daran ändert sich auch zu zweit nichts, man spürt den Beifahrer quasi überhaupt nicht. Lediglich die Schräglagenfreiheit leidet etwas unter dem zusätzlichen Gewicht, die schwere Yamaha setzt leicht mit den Rasten und dem Hauptständer auf.