Vor 44 Jahren, auf der IFMA 1974 in Köln, war die Honda GL 1000 mit längsliegendem Vierzylinder-Boxer die Sensation. Erste 1000er aus Japan! Mit Wasserkühlung – erstmals bei einem japanischen Großserienmotorrad, damit den hinteren Zylindern nicht zu warm wird! Erste Kardan-Honda! Drei Scheibenbremsen! Halleluja, was für ein Motorrad. „Die Präsentation der Gold Wing kam einem Erdbeben gleich“, erinnert sich Urgestein Franz Josef Schermer, damals Testchef von MOTORRAD. Auf einem Podest stehend zog die Über-Honda für 9.268 Mark Listenpreis die Massen in ihren Bann. Groß, schwer und mächtig. „Die meisten Besucher standen wie angewurzelt mit Schnappatmung und offenen Mündern vorm Objekt ihrer Begierde“, erinnert sich Franz Josef Schermer. „Das Gedränge war lebensgefährlich, die Messehalle musste zeitweise wegen Überfüllung gesperrt werden.“
Das wussten wohl weder Honda noch die Presse noch die Schaulustigen so recht. Dabei sprach die Modellbezeichnung für sich: GL 1000, GL wie Grand Luxe. Bereits der Prototyp „M1/AOK“ hatte 1972 einen Sechszylinder-Boxer mit fast 1,5 Litern Hubraum. Der Rahmen mit Vorderbau stammte von der CB 750; eine BMW R 75/5 stiftete Schwinge, Kardanantrieb und Sitzbank. Weiße Koffer erinnerten an eine Harley Electra Glide. Doch die Baulänge des Motors war Honda suspekt, der Fahrer rückte damit weit nach hinten. Und mitten in der Ölkrise passte ein Sechszylinder nicht in die Zeit. Oder fürchtete Honda das „Apollo-Desaster“? Ducati fand 1963 keine Reifen für ihren 1260-Kubik-V4, der Prototyp V4. Radialreifen? Noch Zukunftsmusik.

Honda war stets beseelt von der japanischen Philosophie der Perfektion. Dieses Streben verkörpern alle Gold Wings mit vier oder sechs Zylindern. Sie verwöhnen mit legendärer Zuverlässigkeit, unbedingter Wartungsarmut und überragendem Sitzkomfort für die gesamte Besatzung. Hinzu kommt unvergleichliche Laufruhe. Doch wo liegen die feinen Unterschiede in sechs Generationen? Dies untersuchen wir in Uslar. Das liebliche Fachwerk-Städtchen mit nur 15.000 Einwohnern ist der Nabel der europäischen Gold Wing-Welt. Hier offeriert Goldwing Fuchs ständig zwischen 100 bis 150 Neu- und Gebrauchtmaschinen ab der 1500er: Solomaschinen und Gespanne, Trikes mit und ohne Anhänger, Serienbikes und rollende, komplett individualisierte Chromödien.
In gut 30 Jahren Firmengeschichte wuchs der wichtigste Gold Wing-Händler Europas heran, hat Kunden bis nach Russland. Flügel-Mann Tobias Fuchs verfügt über eine komplette, fast ausnahmslos fahrbereite Ahnengalerie von Anfang bis Ende. Daher stellt er heute drei der sechs Maschinen, die 1200er, die 1500er und die erste 1800er. Die drei anderen Boliden besorgte der Gold Wing Club Deutschland GWCD e. V. mit drei seiner 350 Mitglieder. Seine Webseite www.gwcd.net bietet jede Menge Tipps und Infos plus detaillierte Modellhistorie. Carmen Geiger, Urban Schmitz und „Präsi“ Reiner Schwarzkopf bringen 1000er, 1100er und die nagelneue 1800er mit, besten Dank dafür! Treffpunkt ist das Landhotel Am Rothenberg mit prächtigem, 2,5 Hektar großem Garten und Köhlerhütte sowie Cabrio-Bus-Touren zum zünftigen Feiern. Doch wir legen lieber mit sechs „Einspur-Autos“ zur „Seh-Reise“ durch Solling und Weserbergland ab. 30 Zylinder mit fast 8,5 Litern Hubraum starten, säuseln aus stets beidseitigen, geradlinigen Auspuffanlagen.
1976: Honda GL 1000 K1 Limited
Dies hier ist keine Ur-Gold Wing „K0“ von 1975. Sondern eine 1976er-K1. Sie hatte erste Verbesserungen wie ein Sichtfenster zur Ölstandskontrolle, einen Abschmiernippel für die Kardanwelle und zwei Helmhaken. Vor allem aber ist das hier eine Limited- Version, von der – je nach Quelle – nur 1.295 bis 3.000 Exemplare gebaut wurden. Davon kamen 500 nach Deutschland. Kennzeichen der LTD: Kastanienbraune Sonderlackierung, golden eloxierte Felgen und Speichen sowie verchromte Motorhalterungen/Kühlerverkleidung. Zudem goldene Zierstreifen und Logos mit Weißkopf-Seeadlern auf den Seitendeckeln, anlässlich 200 Jahre amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Sinnig, dass Carmen Geiger 1986 ein Europa-Modell mit hohem US-Lenker kaufte. Die fröhliche Wingerin verteidigt ihr 42 Jahre altes Naked Bike: „Für die meisten Menschen steht eine Gold Wingfür riesige Verkleidungen, haufenweise Chromund Zusatzscheinwerfer sowie laute Musik.“ Gab es bei den GLs aus den 70ern alles nicht ab Werk.

Carmen kennt ihren Gleiter seit 32 Jahren aus dem Effeff. Summend beantwortet die Benzinpumpe hinter der rechten Zylinderbank das Einschalten der Zündung. Sie fördert den schwerpunktgünstig unterm Sitz bunkernden Sprit zu den vier höher liegenden Vergasern. Die Tankattrappe (obenauf sitzt die Benzinuhr) beherbergt neben Benzin-Einfüllstutzen und gut zugänglichem Luftfilter Limousinen-like auch ein großes, abschließbares Handschuhfach für Kleinkram wie Ersatzzündkerzen und Sonnenbrille. Ferner ruht hier das hochwertig verchromte LTD-Bordwerkzeug sowie ein abnehmbarer Kickstarter.„Angetreten bekommt man den Motor nicht“, berichtet Carmen. Also dann, Knöpfchen drücken. Im Leerlauf rappelt und rasselt der Motor zunächst, trotz einteilig geschmiedeter, gleitgelagerter Kurbelwelle. „Das ist ganz normal“, beruhigt die Besitzerin. „Die Primärkette längt sich mit der Zeit und klappert – das verschwindet, wenn der Motor warm ist.“
Noch braucht der Boxer Feinjustierung per griffgünstigem Choke am Lenker. Endlich passt’s, der Kurzhuber läuft rund. Innovativ: Die gegenläufig drehende Lichtmaschine unterbindet Rückdrehmoment beim Gaswechsel. Sanft, doch nachdrücklich schiebt der seidige Vierzylinder an, ruckelfrei ohne Schluckauf, hängt sanft, doch bestimmt am Gas. Kardanreaktionen sind spürbar. Tempo 100 liegt bei 3.500 Touren im fünften Gang an. Die Gänge klicken sich easy durch. 106 Kilogramm wiegt dieser Kraftwürfel von Motor. Zu jener Zeit waren 82 PS der Hammer für ein Straßenmotorrad. „Dass dieses starke Motorrad als Sportler missverstanden wurde, liegt auf der Hand“, findet Carmen.

Innovativ sitzen Achtscheiben-Ölbadkupplung sowie Fünfganggetriebe unterm Motor. Sie rücken den Fahrer weiter nach vorn, senken den Schwerpunkt des 295-Kilo-Brockens. Der nur im Vergleich mit seinen Nachfolgern zierlich wirkt. Prima passt die Sitzposition auf Carmens Guiliari-Sitzbank („zu dem Bürzel hat mich eine Kawasaki Z 1000 inspiriert“): aufrecht-souverän. Touring-Tugenden. GT mit der GL. Die 1000er ist die einzige der sechs Gold Wings, bei der man nach der Fahrt auch mal das Helmvisier putzen muss. Mäßig verzögern die simplen Einkolben-Sättel vorn. Nach all den Jahren hat der Oldie bloß gut 90.000 Kilometer auf der Uhr. Carmen schont ihn: „Wenn man zu schnell fährt, schaukelt sich das Motorrad auf.“ Schon seinerzeit galt das Fahrwerk in schnellen (Autobahn-)Kurven als überfordert. Mensch und Maschine konnten gefährlich ins Schwimmen kommen. Nahe Vmax, die magische „200“ knackte sie trotz vollmundiger Versprechungen nicht ganz, pendelten manche 1000er mitunter entsetzlich. „Immer dann, wenn von außen Störeinflüsse hinzukamen, wie etwa Längsrillen, Fahrbahnabsätze oder Wirbelschleppen von Lkw“, erinnert sich Franz Josef Schermer. Drei spektakuläre Unfälle ohne Fremdeinwirkung, einer davon tödlich, machten die Gold Wing berüchtigt. Stets waren dabei lenkerfeste Verkleidungen der Firma Krauser montiert, von deren Montage Honda Deutschland seinen Kunden abriet. Dennoch musste Honda Schadenersatzzahlung leisten. Produkthaftung.
1983: Honda GL 1100 DX
Im Jahr 1980 löste die GL 1100 die 1000er ab. Sie traf auf Yamaha XS 1100, Kawasaki Z 1300 (mit Sechszylinder!) und Suzuki GS 1000. Für Sport oder Sport-Touring hatte Honda seit 1978 CB 900 F Bol d’Or und den Sixpack CBX 1000 am Start. Also konnte sich die Gold Wing auf ihre wahre Bestimmung konzentrieren, mutierte vom super Tourer zum Super-Tourer. Vom Start weg gab es zwei neue Gold Wings auf identischer Basis: eine nackte GL 1100 und für die USA, wo ab Modelljahr 1981 komplett produziert wurde, eine GL 1100 Interstate, benannt nach der dortigen Bezeichnung für Autobahnen. Interstate-Insignien wareneine Touren-Verkleidung im Stil der kleinen Schwester CX 500 Silver Wing plus Koffer und Topcase. Luxus ab Werk.

Für Europa mit seinen sportlicheren Fahrer-Naturellen gab es eine dritte Version, die GL 1100 DX – mit Verkleidung, aber ohne Gepäckboxen. Solch eine DX hat Gold Wing-Kenner Urban Schmitz mitgebracht, eine 83er mit 84er-Erstzulassung. Er besaß in seinem bewegten Leben schon rund 30 Gold Wings. „Diese hier war eigentlich für meine Frau.“ Auch in Europa ließen sich Koffer, Topcase und Träger „für 2.500 bis 2.800 Mark ordern“. Ventile mit Kipphebeln und Einstellschrauben stellt Urban daheim selber ein. Glanzpunkte setzt die DX-Ausstattung mit automatischer Blinkerrückstellung, zwei Staufächern sowie Voltmeter und Zeituhr in der Verkleidung. Satt-dumpf klingt die zweite Generation, richtig kernig aus den originalen, nun komplett verchromten Schalldämpfern.
Der aufgebohrte Motor bietet mit kleineren Vergasern mehr Bumms als die der 1100er. Die hatten mit Beschleunigerpumpe zwar die gleiche Spitzenleistung, aber hier gibt es nun zehn Newtonmeter mehr. Das spürt man trotz Mehrgewicht als stärkeren Schub in der Mitte. Zudem dreht der 1100er freier hoch, läuft klasse. Auch hier glänzt das Oldie-Getriebe mit leichter Betätigung. Tempo 100 im fünften Gang sind lediglich irgendwas zwischen nur 3.600 und 3.700 Touren. Im Inneren des Motors tat sich viel: gesteigertes Öl- und Kühlwasser-Volumen, vergrößerte Ventile, verstärkte Kurbelwelle, neue Nockenwellen mit schärferen Steuerzeiten, stärkere Lichtmaschine, standfeste Kupplung und vor allem eine hochwillkommene elektronische Zündung.

Für bessere Bremsleistung der 1100er sorgen Doppelkolbensättel und größere Scheiben vorn. Auch wenn sie etwas viel Handkraft erfordern. Über das Motorrad sind nun also immerhin sechs standfeste Bremskolben verteilt, satte 50 Prozent Zuwachs. Richtig bequem und komfortabel empfängt die breite, längs verschiebbare „King-and-Queen“-Sitzbank den Po. Noch dazu viel niedriger als die einfache Bank der 1000er. Ferner sind die Rasten tiefer, der Kniewinkel entspannter. Passt. Perfekt liegt der geschwungene Lenker zur Hand. Und die Verkleidung schützt trotz der vom deutschen TÜV gekappten Scheibe effektiv vorm Wind. Das Fahrwerk gibt sich stabiler (flacherer Lenkkopf, längerer Radstand und Nachlauf), dazu noch komfortabler. Deutlich mehr Reserven bieten die luftunterstützten Federbeine. Eine sehr gute Wahl sind die Reifen: Michelin Pilot Activ waren in MOTORRAD 6/2017 die besten getesteten Diagonalreifen. Honda verbaute Mitte/Ende der 70er-Jahre „Comstar-Räder“. Bei ihnen waren Blechpressprofile mit der Nabe und luftdicht, also für schlauchlose Reifen geeignet, mit der Alu-Felge vernietet. Das sah nicht unbedingt hochwertig aus, war kaum leichter als ein Speichenrad und bei losgerüttelten Nietverbindungen nicht reparabel. Comstar-Räder gab es bereits bei der GL 1000 K3 mit eckigem Tank.
1986: Honda GL 1200 Aspencade SE-i
Zum letzten Mal beließ es Honda von 1984 bis 1987 beim Grand mit Vieren, in Form der 1200er. Bereits die 1100er im Jahr 1982 etablierte allerdings die Modellvariante „Aspencade“ – eine Hommage an die Aspencade-Rallye, ein riesiges Motorradtreffen. Sie war eine besonders hochwertig verar-beitete, opulent ausgestattete „Interstate“. Dazu zählten Soundanlage und ein bordeigener Kompressor, mit dem sich im Stand die Druckluft in der Gabel und in den Federbeinen regulieren ließ. Klar, dass auch die 1200er aus dem Fuchs’schen Museum über solche Insignien verfügt. Doch das ist eine ganz besondere Goldene Schwinge von 1986: eine Special Edition mit bloß 1985 und 1986 verbauter elektronischer Einspritzung – eine SE-i.

Gar nicht so einfach, den elfenbeinfarbenen Ohrensessel zu entern. Das rechte Bein muss irgendwie an der Rückenlehne des plüschigen Fahrersitzes vorbeigefädelt werden. Niedriger als bei den beiden Vorgängern liegt dessen Oberkante. Geschafft, Brücke geentert. Hinter dem potenziellen Passagier türmt sich eine wahre Schrankwand auf, aus riesigem Topcase und Ablagefächern rundum. Obacht, der Seitenständer klappt von alleine an. Weit kommen mir die Lenkerhälften entgegen. So könnte man endlos fahren. Start! Kein Choke, kein Stress. Sofort verwöhnt der Kraftwürfel mit gleichmäßig-tieffrequentem Leerlauf. Der Ruhepuls der heutigen 1800er liegt höher. Zudem ist die GL 1200 die erste Gold Wing mit wartungsfreien Hydrostößeln, die auch die Sechszylinder übernahmen. Die erstmals hydraulische Kupplung der 1200er kommen lassen. Einfach samtig, diese Laufkultur. Sanfter kann ein Vierzylinder nicht laufen. Das hat seinen ganz eigenen Charme. Das Federbein hat bereits eine Memory-Funktion für individuelle Voreinstellungen. Der fünfte Gang ist ein echter Overdrive, ein Schongang. Tempo 100 entsprechen nur 3.050 Umdrehungen. 94 PS und satte 108 Newtonmeter sind ein starkes Plus gegenüber der kurzhubiger ausgelegten 1100er. Alles so schön smooth hier. Verdammt komfortabel und amimäßig weich gedämpft. Ganz Gleiter eben. Doch noch Luft ins Federbein pumpen? 130 kannst du mit offenem Visier fahren.
Statt 19 und 17 Zoll wie die Räder von 1000er und 1100er messen die Gussfelgen der GL 1200 nur noch 16 Zoll vorn und winzige 15 hinten. Sie war gereift, endgültig abgebogen auf die US-Highways. Schade, keine Kassette dabei, dabei habe ich noch viele aus den 80ern. So bleibt das Radio-/Kassettendeck von Panasonic arbeitslos. Die vier über Front und Heck verteilten Lautsprecher lassen sich selektiv ansteuern. Umso mehr vermeldet das digitale Dashboard vom Reisecomputer. Was für ein Mäusekino: Verbrauch (momentan/Durchschnitt), Reichweite, verbleibender Tankinhalt, eingelegter Gang, Drehzahl als Zahlenwert und LCD-Balken, Öldruck, Fahrzeit, US-Zeitzone. Der Tacho zeigt wahlweise in Meilen oder Kilometern an. Und natürlich ist ein Tempomat Ehrensache bei diesem Technologieträger. Mitte der 80er-Jahre war das ein Bote aus der Zukunft, eine S-Klasse auf zwei Rädern. Nach Deutschland wurde die GL 1200 SE-i offiziell nie importiert, wohl aber in die Niederlande. Außerhalb Europas gab es auch ganz nackte 1200er. Klar hat Fuchs so ein seltenes Exponat im eigenen Museum.

1988 GL 1500 SE 1988 läutete eine neue Gold Wing-Ära ein, die bis Ende 2000 währte. Ein Sechszylinder-Boxer, wie beim Ur-Prototypen, hatte es endlich in die Serie geschafft. Das war nicht einfach ein Zylinderpaar mehr. Das war eine neue Dimension an Laufkultur und Luxus, Drehmoment und Dominanz. Ein sanfter Riese. Und ein Dickschiff pur, eckig und imposant. Dabei war der kantige Klotz geschmeidig wie ein Jaguar. Allen Betrachtern war sofort klar: Ein neuer Stern war aufgegangen am Tourer-Himmel. Einmal den Motor gestartet, und du bist dem heiseren Porsche-Sound komplett erlegen. Nicht laut, nicht aufdringlich, einfach nur souverän. „Wer den Sechszylinder kennt, will meist keinen Vierzylinder mehr“, berichtet Dennis Kaiser von Goldwing Fuchs über dieses sensationelle Sahnestück von einem Motor. Bei laufendem Flat-Six fällt eine hochkant auf den Tank gestellte Euro-Münze nicht um, heißt es beim Winger Club. Wird schon stimmen.
Die Hubzapfen der Zylinder 1 und 2, 3/4 und 5/6 sind jeweils um 180 Grad versetzt, die drei Zylinderpaare untereinander um 120 Grad. Daraus ergibt sich eine perfekt gleichmäßige Zündfolge. Und dann erst das turbinenartige Hochdrehen. Motiviert und direkt hängt der Vergaser-Motor mit je einer Gemischfabrik links/rechts am Gas. Liegt es an kleineren Einzelhubräumen als beim 1200er-Vierer? Prozentual ist der Sechszylinder langhubiger ausgelegt. Wichtig im Hier und Jetzt: Als Rangierhilfe ist die per Seilzug betätigte Rückfahrhilfe an Bord. Maßstäbe setzte die Zuverlässigkeit der 1500er: „Wenn dieser Motor Öl verbraucht, ist er kaputt“, sagt Tobias Fuchs übers „immer noch sehr beliebte“ Vehikel. Nominell 100 PS und 150 Newtonmeter waren top für einen Tourer. Erneut sank das Drehzahlniveau auf nur 2.750 Touren im finalen, als Overdrive ausgelegten fünften Gang bei Tempo 100. Nerven und Sprit sparen. Bei unteren Drehzahlen bis hin zur oberen Mitte ist richtig Dampf im Kessel.

Dieses Ausstellungsstück ist ein spätes Exemplar von 1999, mit nur 4.370 Kilometern auf der weiß unterlegten Runduhr. „Das war ein Scheunenfund“, sagt Dennis.Das Fahrwerk wirkt stabiler und zielgenauer als bei der 1200er – die Raddurchmesser wuchsen wieder an, auf 16 Zoll hinten, 18 vorn. So ist es seither Gold Wing-Standard. Imposant fällt der Fahrkomfort aus. Jedoch merkt man der Front an, dass ziemlich viel Last auf der Gabel ruht. Heftig sind 1,70 Meter Radstand. Mit an Bord: Kombibremse. Obacht: Die Reifen Dunlop K 177 sind gute 18 Jahre alt. Und jederzeit für einen überraschenden Rutscher zu haben. Eile mit Weile, das ist das Gold Wing-Prinzip. In der Ruhe liegt die Kraft. 1988 schwang noch der TÜV die Paragrafen-Keule: Er ließ offiziell nur Maschinen mit gekappten Scheiben und Topcases flach wie ein Pizzakarton ins Land. Sah armselig aus und hattekaum Nutzwert. Schon damit wog der dicke Brummer 387 Kilogramm. Nachgerüstet an diesem einige Kilo schwereren Exemplar mit US-Topcase samt Rückenlehne und Lautsprechern ist Kurvenlicht vor jeder Zylinderbank. Es lässt sich per Blinkerschalter zur besseren Ausleuchtung zuschalten.
Neben der 1000er ist die 1500er wohl der Goldflügel mit größtem Kult-Potenzial. „Für viele Leute ist die 1500er DIE Gold Wing überhaupt“, sagt der GWCD-Vorsitzende Reiner Schwarzkopf. Die 1500er diente als Organspender für die F6C, den coolsten Cruiser überhaupt. Honda ruhte sich nie aus, entwickelte die Gold Wing beständig fort, baute sie weiter. Wer redet heute noch von Kawasaki Voyager, Suzuki Cavalcade oder Yamaha XVZ 12 T? Für Honda waren und blieben die großen Tourer einfach wichtiger.
2001: Honda Gold Wing 1800
Kann ein rundliches Motorrad die Quadratur des Kreises hinbiegen? Ein Konzept aus den frühen 70ern ins neue Jahrtausend tragen? Ist es paradox, wenn es gleichzeitig sicherer sein soll und sauberer, aber auch dynamischerund fahraktiver, luxuriöser und komfortabler? Kein Problem, die neue Gold Wing 1800 konnte das. Mit Einspritzung und G-Kat, ABS und reichlich Elektronik. Willkommen am Mehr! Drehmoment gab es nun auf dem Niveau eines Schaufelraddampfers: 167 Newtonmeter bei nur 4.000 Touren; die Nennleistung wuchs auf 118 PS bei schonenden 5.500 Umdrehungen. Das ist Dynamik, gepaart mit herrlicher Gelassenheit. Für Spötter: Der Sechszylinder ist schmaler als jeder BMW-Zweizylinderboxer mit gerade mal knapp zwei Dritteln des Hubraums. Noch Fragen? Okay, er baut länger. Und beim Rangieren merkt man die 421 Kilo, Airbag inklusive, Leistungs-Gewicht. Ein Camaro ist eben kein Ford Focus. Gold Wing-Witz gefällig? „Sechsganggetriebe – fünf vorwärts, einer zurück.“ Mit einem verheißungsvollen „Vrrrouummm“ nimmt der cremige Flat-Six die Arbeit auf.

Niemals dringen störende Vibrationen zum Fahrer vor. Eher begeht ein Honda-Ingenieur Harakiri. Vom ersten Moment an serviert das Trieb-Werk seine Kraft unnachahmlich ruhig und beruhigend. Tempo 100 sind bloß 2.600 Touren im als Overdrive ausgelegten fünften Gang. Sanftmut trifft Biss. Hohe Hinterradlast lässt die bullige Kraft fast vollständig in Vortrieb umsetzen. Ab 3.000 Touren bis hin zum roten Bereich 6.000 ist der Schub beachtlich. Dabei liegt der Bolide satt und vermittelt, einmal in Fahrt, viel Vertrauen. Fühlt sich gut an.
Der Kapitän des Luxusliners sitzt perfekt integriert, nur 74 Zentimeter tief. Ergonomie kann Honda. Sitz und Lenker wirken wie für dich maßgeschneidert. Schon mal zugeschaut, wie echte Könner eine 1800er durch Serpentinen scheuchen? Das Gold Wing-Geheimnis? Der tiefe Schwerpunkt einer prima austarierten, ausgewogenen Konstruktion. Okay, auf übelst zerfurchtem Asphalt merkt man den Federelementen an, dass es nicht so leicht ist, so große gefederte Massen in der richtigen Balance zu halten. Immerhin: Der Alu-Brückenrahmen ist 11 Kilo leichter als die Stahlkonstruktion der 1500er. Für perfekte Langstreckentauglichkeit sorgt der üppige 25-Liter-Tank, der größte der Gold Wing-Geschichte. Und die riesige Scheibe mit je nach Hitze oder Kälte zu öffnender oder verschließender Klappe. Mechanische Schieberiegel für die Höhenverstellung waren jedoch schon 2001 nicht mehr up to date, da hatten BMW K 1200 LT und Yamaha FJR 1300 elektrische Scheiben. Positiv: 150 Liter Stauraum in Topcase und nicht abnehmbaren Seitenkoffern.

Sichere Sänfte: ABS war direkt an Bord und ab 2006 der erste Airbag in einem Serienmotorrad. Auf zu neuen Horizonten. Seit 2012, der schnittigeren Variante SC 68, kommt die Gold Wing wieder aus Japan. Nur das Bedienkonzept ist wirklich von gestern – mit 55 wild über die Front und riesigen Lenkerarmaturen verteilten Schaltern, Knöpfen und Drehreglern. Nur eine echte Ganganzeige fehlt. Reiner vom GWCD sagt: „Für viele unserer Mitglieder ist die alte 1800er immer noch die Krönung.“ 2017 war sie nicht mehr offiziell in Deutschland zu haben: „Warten auf Euro 4“ – die Neue.
2018: Honda GL 1800 Gold Wing Tour DCT
Nach 17 Jahren war die Erwartungshaltunggroß. Auch bei MOTORRAD rückte die neue Gold Wing in den Fokus. Mit Freude stürzten wir uns mit diesem Motorrad in den Langstreckentest über 100.000 Kilometer, die übliche, halbe Dauertestdistanz wäre einfach zu wenig. Mehr als ein Fünftel davon ist bereits abgespult, in drei Monaten. Respekt. Sie ist für alle Unternehmungen zu haben, wie zuletzt in Ausgabe 16/2018 beim Alpen-Masters. Verwöhnt alle Testfahrer und Sozias mit überragendem Sitzkomfort. Und charismatischem Sound, aggressiver als je zuvor. Allerdings läuft der Vierventiler auch mechanisch ein wenig rauer. Diese Maschine bleibt uns mit ihrer Top-Ausstattung noch lange erhalten. Daher ist sie Anlass, aber nicht Grund des Gold Wing-Generationentreffens. Schnittig elegant, fast „zierlicher“ erschließt sie sogar neue Käufergruppen. Laut Tobias Fuchs kommt nur rund die Hälfte der Kunden von älteren Gold Wings. Mit tollem DCT und Airbag wiegt die Top-Version „nur“ 385 Kilogramm, weniger als große US-Tourer von Harley und Indian. Aus gekappten Federwegen, nur 109 und 104 Millimeter, und dem breiten 200er-Heckschlappen macht die moderne Grundkonstruktion das Beste in Sachen Federungskomfort und Handling. Alles gut für lockeren Kurvenswing. Den kleineren Tank kompensiert gesunkener Benzinverbrauch. Zerklüftet und schlecht nutzbar sind die Seiten-koffer, auch nicht übermäßig groß das Topcase. „Da passt kein Campingtisch mehr rein“, sagt Reiner. In Summe nennt Honda optimistische 110 Liter Volumen.

Endlich: Eine elektrisch verstellbare Scheibe an Bord. Paradox: Auf der Anreise ins Weserbergland über A2 oder A7 ist just die neueste, stärkste Gold Wing aller Zeiten theoretisch die langsamste. Der E-Gasgriff gibt nicht den vollen Querschnitt der einzelnen Drosselklappe frei, Topspeed ist auf Tempo 180 begrenzt. Angeblich mit Rücksicht auf den Temperaturhaushalt des auf moderate 126 PS und 170 Nm erstarkten Motors. Warum vertrugen das dann fünf Generationen davor? Nun, freie Fahrt ist eh Glückssache in Deutschland und mit fast 200 säuft jeder Sechszylinder wie ein Loch. An mäßigem Geradeauslauf kann das bordeigene Tempolimit nicht liegen, bis 180 km/h liegt die Goldene Schwinge prima. Kritik erntet Hondas Modellpolitik. Wer das famose Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe will (es passt perfekt zu diesem Bike, wie die Pommes zum Burger), der muss auch „Ja“ sagen zu Airbag, Topcase und Siebenzoll-Navi mit mäßiger Menüführung. Macht summa summarum über 36.000 Euro. Uff! Ohne Topcase und Co. geht es mit Sechsgang-Schaltgetriebe bei auch nicht zimperlichen 26.000 Euro los. Bei dieser Preispolitik werden die bisherigen GL-Generationen nicht entwertet. Gut so. 2018 kommen bundesweit 400 neue Gold Wings in drei Modellversionen dazu. Rund 800.000 Gold Wings entstanden in knapp 44 Jahren. Die Erfolgs-Geschichte geht weiter.