MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS im Test
Massig Ausstattung, sportliche Fahreigenschaften

Die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS ist mit Koffern, verstellbarer Scheibe, reichhaltigem Elektronikpaket, semiaktiver Dämpfung und automatischer Kupplung äußerst luxuriös ausgestattet. MOTORRAD testete die Euro-5-Version.

MV Augusta Turismo Veloce Lusso SCS Test
Foto: Markus Jahn

Seit Jahrzehnten bin ich gewohnt, vor dem Einlegen des ersten Gangs den Kupplungshebel zu ziehen. Die wenigen Male, als ich aus Versehen bei eingerückter Kupplung mit dem Stiefel den Schalthebel streifte, der Gang krachend einrastete und das Motorrad einen Satz nach vorne machte, sind mir noch schmerzlich in Erinnerung. Und jetzt stehe ich an der Ampel, drücke den ersten Gang ein, ohne den Kupplungshebel zu berühren, es wird grün, ich gebe einfach Gas und fahre los. Wenn ich forsch am Griff drehe, sogar sehr zügig. Im Leistungsdiagramm zeigt der steile Anstieg der Kurve bei 3.000/min, wie energisch die Kupplung einrückt.

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Hebel am Bremspedal aktiviert Feststellbremse

Andererseits ist es ohne Weiteres möglich, mit der Lusso-SCS-Variante der Turismo Veloce auch ohne manuelle Dosierung des Kupplungseinsatzes ganz langsam am Lenkanschlag zu wenden. Es gab während der Testfahrten nur eine Situation in einer besonders engen Kehre – enger noch als ein U-Turn –, während der die Kupplung im schnellen Wechsel von Schiebebetrieb auf Zug einen Tick zu langsam den Kraftschluss aufbaute und für einen Moment der Unsicherheit sorgte. Damit die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS sicher steht, wenn man sie am Berg abstellt, erhielt das Bremspedal einen Hebel, der die hintere Bremse als Feststellbremse aktiviert und mit einem Druck aufs Pedal wieder löst.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist die manuelle Betätigung der Kupplung. Zum einen, weil die Hebelkräfte relativ hoch sind. Zum anderen, weil die Kupplung im ausgerückten Zustand verbleibt, wenn man bei niedrigen Geschwindigkeiten und Drehzahlen auf die Blipper-Funktion verzichtet und lieber mit Hand und Fuß herunterschaltet. Die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS rollt ohne das erwartete Motorbremsmoment weiter, und der Kraftschluss stellt sich erst nach einem Gasstoß wieder ein. Nur wenn der Fahrer sofort nach dem Einrasten des Gangs den Hebel wieder schnalzen lässt, bleibt dieser Effekt aus.

Dass man überhaupt auf die Idee kommt, konventionell zu schalten, liegt an der trotz einiger Änderungen immer noch ziemlich rustikalen Getriebebetätigung. Bei der MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS funktioniert, wie bei vielen anderen Motorrädern, der Schaltassistent bei höheren Drehzahlen und Geschwindigkeiten am geschmeidigsten. Vermutlich weisen die Klauen der Getrieberäder bei den MV-Dreizylindern einen ausgeprägten Hinterschliff auf; das bedingt höhere Schaltkräfte, lässt jedoch die Gänge exakt und sicher einrasten.

Euro 5-Dreizylinder mit halbem PS mehr

Erfreulicherweise hat der Dreizylinder in Turismo-Veloce-Spezifikation durch die Euro-5-Homologation nichts an Dynamik eingebüßt. Der MOTORRAD-Prüfstand wies bei der MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS sogar ein halbes PS mehr aus als beim Vorgängermodell. Wie von MV-Motoren gewohnt, entfaltet auch dieser eine prägnante mechanische Geräuschkulisse und läuft trotz Ausgleichswelle nicht ganz so vibrationsarm wie die Dreizylinder von Yamaha und Triumph. Gummigelagerte Lenkererhöhungen und Gummiblöcke auf den Fußrasten lassen jedoch kaum etwas von den Vibrationen spüren.

Das Ansprechverhalten des Motors und die Öffnungskurve der Drosselklappen lassen sich einstellen, was über die App MVRIDE am bequemsten funktioniert. In den mittleren Einstellmodi vollzieht sich die Gasannahme nicht ganz mit der Geschmeidigkeit eines konsequent auf Laufkultur getrimmten Motors; der MV-Dreizylinder reagiert spontan und energisch auf Gasgriffbefehle, vermeidet aber harte Lastwechsel beim Gasanlegen im Kurvenscheitel.

Wie es sich für "Turismo" gehört, zieht er im unteren und mittleren Drehzahlbereich sauber durch und wirkt sehr gefällig, wenngleich nicht so durchzugsstark wie der hubraumstärkere Yamaha-Dreizylinder. Wenn der MV-Drilling auf freier Strecke höher drehen darf, zeigt er sehr deutlich, dass "veloce" seiner Herkunft und seinem Charakter eher entspricht. Dokumentiert wird diese Erkenntnis durch den Anstieg der Drehmomentkurve ab 6.000/min. Der 800er-Dreizylinder bleibt eben in tiefster Seele ein Sportler.

Turismo Veloce Lusso SCS im Holperstrecken-Test

Neben dem üblichen "home-road-testing" und einer schnellen Autobahnfahrt absolvierte die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS eine lange Testrunde, die auch etliche rabiate Holperstrecken enthielt. Dort zeigten sich die Vorteile ihrer langen Federwege – vorn sind es 160, hinten 165 Millimeter. Federung und semiaktive Dämpfung arbeiten zwar auf der straffen Seite des für Tourenmotorräder üblichen Spektrums, sorgen aber für guten Federungskomfort.

Zusammen mit dem agilen Einlenkverhalten ermöglicht die Abstimmung der Federelemente eine durchaus sportliche Gangart; auch in diesem Punkt gelingt die Kombination von "Turismo" und "veloce". Mit einer kleinen Einschränkung: Wer tiefer in Kurven hineinbremst, wünscht sich für die Gabel eine stärker gedämpfte Zugstufe. Beim Lösen der Bremse in Schräglage federt die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS vorn nämlich relativ schnell aus und die damit verbundene Änderung der Fahrwerksgeometrie zwingt zur Kurskorrektur.

Deutlich zu spüren ist auch die Bewegung der gummigelagerten Lenkerböcke, und alles in allem lenkt sich die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS nicht mit der hohen Präzision eines sportlich orientierten Naked Bikes oder gar eines Supersportlers. Gerne hätten die MOTORRAD-Tester eine tiefere und etwas nach vorn versetzte Lenkerposition probiert, um im Bedarfsfall mehr Gewicht auf das Vorderrad verlagern zu können. Das käme wohl auch dem Geradeauslauf bei hohen Geschwindigkeiten zugute. Doch wahrscheinlich wälzen sie hier Probleme, die sich den meisten Fahrern der Turismo Veloce gar nicht stellen. Es ist ja auch in Ordnung, dass gerade bei diesem Motorrad eine möglichst bequeme Sitzposition Vorrang vor der Fahrdynamik erhält.

Fazit

Die Bezeichnung "schneller Tourismus" bringt es auf den Punkt: Die MV Agusta Turismo Veloce Lusso SCS schafft es dank reichhaltiger Ausstattung, langen Federwegen und großem Tankvolumen, Tourentauglichkeit und dezent sportliche Fahreigenschaften zu verbinden – zu einem stattlichen Preis. Die hier getestete Turismo Veloce rollt für 21.600 Euro auf den Hof.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023