Test BMW K 1200 LT
Auf die feine Tour

Nobel, nobel. Der Anblick des neuen bayerischen Luxusliners K 1200 LT nötigt seinem Betrachter unweigerlich ein gewisses Maß an Respekt ab. Stellt sich nur die Frage, ob man mit so einer Edelkarosse noch Motorradfahren kann?

Es ist kalt, saumäßig kalt. Minus vier Grad zeigt das kleine digitale Display des Bordcomputers. Die Brenner-Autobahn ist wie leergefegt. Sind bestimmt alle beim Skifahren. Was sollte man Mitte Januar auch sonst machen? Motorradfahren vielleicht? Interpretiert man das mitleidige Kopfschütteln der wenigen Autofahrer richtig, dann ist das im Moment sicher nicht die ideale Beschäftigung.
Mit einer Ausnahme, und die heißt BMW K 1200 LT. Denn bei dieser Maschine gibt es fast gegen alle Widrigkeiten des Motorradlebens einen passenden Knopf. Zum Beispiel den für die elektrisch verstellbare Windschutzscheibe. In oberster Position bietet sie für Fahrer bis zu 1,85 Meter perfekten Schutz vor dem eiskalten Fahrtwind und unangenehmen Windgeräuschen. Wer größer ist, sollte sich für die wahlweise angebotene, um 180 Millimeter höhere Scheibe entscheiden.
Lassen sich die Bayern den Knopf für die Griffheizung bei ihren großen Tourern und Enduros als Sonderzubehör bezahlen, ist dieser Luxus bei der K 1200 LT selbstverständlich. Und sie bietet als einzige BMW auch noch eine Sitzheizung für Fahrer und Sozius, die allerdings mit 590 Mark extra berappt werden muß.
Ein Spielzeug von hohem Unterhaltungswert ist der Tempomat. Kurz angetippt, zieht die BMW unbeirrt von äußeren Umständen mit der momentanen Geschwindigkeit weiter. Diese beim Motorrad doch recht ungewohnte Art der Geschwindigkeitsregelung erscheint einem vor allem auf kurvenreicher Strecke immer ein bißchen wie eine Mutprobe. Was unweigerlich für eine - je nach gewähltem Tempo - mehr oder weniger starke Adrinalinausschüttung sorgt. Auf langer Tour ein prima Mittel gegen Müdigkeit oder Langeweile.
Damit diese aber erst gar nicht aufkommt, hält die K 1200 LT weitere Spielereien bereit. Für die musikalische Unterhaltung der Fahrgäste sorgen acht Boxen vom serienmäßigen Radio und Kassettenrekorder oder - gegen Aufpreis - vom sechsfach CD-Wechsler. Natürlich paßt sich die gewählte Lautstärke der gefahrenen Geschwindigkeit an. Und der Bordcomputer informiert außer über Umgebungstemperatur auch über die gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit, den Durchschnittsverbrauch und die verbleibende Distanz, bis der Sprit ausgeht. Bei einem ermittelten Verbrauch im Landstraßenbetrieb von 4,9 Litern und 24 Litern Tankinhalt sind knapp 500 Kilometer ohne Pause drin.
Wer solch lange Etappen überstehen will, der muß bequem sitzen. Mit superweichen Polstern, ergonomisch perfekt geformt und für den Fahrer mit einer kinderleicht zu bedienenden Sitzhöhenverstellung ausgestattet, könnte die K 1200 LT sogar für Bandscheibenpatienten auf Krankenschein verschrieben werden. Auf dem Soziussitzplatz wird die wohlige Bequemlichkeit noch durch die beheizbare Rückenlehne und die breiten Fußrasten ergänzt.
In Sachen Bedienkomfort läßt die LT ebenfalls kaum Wünsche offen. Die weit ausladenden, riesigen Rückspiegel sorgen für eine sensationell gute Rundumsicht. Und um auch bei Dunkelheit nicht die Übersicht zu verlieren, läßt sich das Abblendlicht blitzschnell über ein Handrad im vorbildlich durchgestylten Cockpit auf die gewünschte Höhe einstellen. Für sämtliche Schlösser von Tankdeckel bis zu den Koffern paßt der Zündschlüssel. Die Schließmechanik der Koffer ist ohne Gefummel mit einer Hand zu bedienen. Ebenso die hydraulische Federvorspannung des Federbeins: Sitzbank auf, Handrad ausklappen, und ruckzuck ist die LT für den Zweipersonenbetrieb oder die Beladung der rund 120 Liter Stauraum vorbereitet. Wer angesichts dieser Massen Probleme beim Rangieren befürchtet, der sei an dieser Stelle beruhigt. Einfach im Leerlauf den Hebel für den Rückwärtsgang umlegen, den E-Starter drücken, und schon bewegt sich die Fuhre bei leicht erhöhtem Standgas mit 1,2 km/h rückwärts. Selbst auf den Hauptständer läßt sich der Koloß ohne übermäßigen Krafteinsatz hieven.
Bei allem bislang nur von einer Honda Gold Wing bekannten Luxus darf freilich die eigentliche Bestimmung dieser Karosse nicht aus den Augen verloren werden. Und die lautet Fahren. Auf der langen Autobahnetappe hat sich die LT prima geschlagen. Selbst bei Höchstgeschwindigkeit, und das sind immerhin 203 km/h, liegt der 285 Kilogramm schwere Reisedampfer sicher in der Spur. Die leichten Pendelbewegungen beim Überfahren von Bodenwellen oder Spurrillen sind wenig beunruhigend und treten unter Zuladung eines Sozius gar nicht erst auf. Der Windschutz ist, wie bereits erwähnt, perfekt, und der typische Unterdruck, der sich normalerweise hinter hohen Scheiben bei schneller Fahrt aufbaut, ist kaum der Rede wert.
Als die Temperaturen langsam über den Gefrierpunkt klettern, wird es Zeit, das Dickschiff über kleinere Landstraßen zu manövrieren. Und siehe da, die BMW fühlt sich pudelwohl, überzeugt durch kinderleichtes Handling, ordentlich Schräglagenfreiheit, prima Federungskomfort und ein für diese Gewichtsklasse ausgesprochen stabiles und zielgenaues Fahrwerk. Hat man sich erst einmal an die mächtigen Ausmaße und das Gewicht gewöhnt, gehen schnelle Schräglagenwechsel oder Wendemanöver auf engen Landstraßen wie von selbst von der Hand. Wer allerdings den reichlich bemessenen Lenkeinschlag ganz nutzen möchte, braucht lange Arme. Die extrem nach hinten gezogenen Lenkerrohre scheren wie bei einem Schwertransporter weit aus.
Die Straßen rund um den Gardasee werden enger - und schlechter. Mit ersterem hat die BMW kein Problem, mit letzterem dafür um so mehr. Sobald der Asphalt holprig wird, zeigt die LT eine Unart, die schon von den K 1200 RS-Modellen bekannt ist - ein metallisches Klackern im Antriebsstrang. Wer schon mal mit einem alten Auto mit ausgeschlagenen Achsschenkelbolzen gefahren ist, kann sich ungefähr vorstellen, wie sich das anfühlt: billig und nicht sehr vertrauenerweckend. Das paßt so gar nicht zu dem luxuriösen, perfekten Eindruck, den die LT bis jetzt hinterlassen hat.
Ein weiterer, wenn auch nicht so gravierender Schwachpunkt zeigt sich bei einer etwas steileren Paßabfahrt. Die Bremsanlage ist reichlich schlapp. Der Einsatz der hinteren Stopper bringt wenig, und die vorderen sind nur mit der ganzen Hand und unter Aufbringung höchster Kraft überhaupt bis an den Regelbereich des serienmäßigen ABS zu bringen. Wer eine Zwei-Finger-Bremse gewohnt ist, sollte sich angesichts der hier schiebenden Massen schnell umstellen.
Umstellen muß man auch seine Schaltgewohnheiten. Obwohl der fünfte Gang als Overdrive ausgelegt wurde, ist er der eigentliche Fahrgang. Die restlichen vier Gangstufen werden lediglich als Anfahrhilfe oder bei Geschwindigkeiten unter 50 km/h benötigt. Der modifizierte, aus der K 1200 RS stammende Vierzylinder gibt sich ausgesprochen gutmütig und flexibel. Ein wahrer Cruiser-Antrieb, fürs Dahingleiten gemacht. Ab Standgasdrehzahl schiebt er ruckfrei an, und bereits bei 2000/min wird die 100-Nm-Grenze überschritten. Mehr als 4000/min sind nur selten auf der bis 8000 Touren reichenden Drehzahlmesserskala abzulesen. Mit seinen gemessenen 103 PS ist der bayerische Ziegelstein aber durchaus in der Lage, die LT bei einem Überholvorgang zügig nach vorn zu katapultieren. Immerhin kann der blauweiße Brummer in Sachen Beschleunigung und Durchzug locker mit einer fast zierlich wirkenden, gut einen Zentner leichteren Honda ST 1100 mithalten.
Die ersten K 1200 LT sollen schon am 27. Februar für stolze 34 400 Mark Grundpreis bei den Händlern stehen.

Unsere Highlights

Technik im Detail - BMW K 1200 LT

Die Basisarbeit für die K 1200 LT wurde bereits beim Sporttourer RS geleistet. Um Fahrwerk, Motor und Getriebe ihrem neuen Aufgabengebiet anzupassen, waren allerdings umfangreiche Änderungen nötig.Fahrwerk: Für stabileren Geradeauslauf wurde Schwinge und somit Radstand von 1555 auf 1630 Millimeter verlängert, ein steiler stehender Lenkkopf und weniger Nachlauf (64 Grad und 109 Millimeter; RS: 62,75 Grad und 124 Millimeter) sorgen für leichteres Handling, verstärkter Hilfsrahmen für erhöhte Zuladung.Motor: Geringere Verdichtung von 10,8:1 statt 11,5:1 durch geänderte Kolbenbodenform, geänderte Steuerzeiten und geänderte Ansaug- und Auspuffanlage sorgen für eine fülligere Leistungskurve im unteren und mittleren Drehzahlbereich.Getriebe: Verwendung des RS-Getriebes, Reduzierung auf fünf Gangstufen, wobei der fünfte Gang als benzin- und nervensparender Overdrive ausgelegt wurde. Die Abstufung des vierten Gangs wurde ebenfalls geändert. Der Anlassermotor fungiert als Antrieb für den Rückwärtsgang. Zur Entlastung der Batterie wird dabei die Leerlaufdrehzahl auf 1500/min angehoben.Reifen: Spezielle Entwicklungen mit erhöhter Tragfähigkeit von Bridgestone, Dunlop und Michelin.

Fazit - BMW K 1200 LT

Wenn schon, denn schon. BMW hat bei der K 1200 LT keine halben Sachen gemacht und allen verfügbaren Komfort und Luxus in diesen Reisedampfer gepackt. Und obwohl diese sehr automobile Art des Zweirads die Puristen erschaudern lassen wird, weiß die LT zu gefallen. Der Spaß am Motorradfahren bleibt nämlich keinesfalls auf der Strecke. Der samtweiche, durchzugsstarke Motor, das handliche, gutmütige Fahrwerk und knapp 40 Grad Schräglagenfreiheit machen den Supertourer auch auf der Landstraße zu einem echten Spaßmobil. Nur die schlappen Bremsen und das schwächelnde Getriebe werfen einen dunklen Schatten über das durchweg gelungene Gesamtkonzept.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023