Top-Test Yamaha FJR 1300
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Wird bei Yamaha jetzt bayerisch gesprochen? Nein, aber es wird wieder ein echter Tourer gebaut. Doch auch wenn die FJR 1300 die Münchener Klientel fest im Visier hat, lockt sie mit ganz neuen Mitteln.

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Foto: Jahn

Der Werner, der ist ein ganz alter Hase. Hat alles gefahren, was zwei Räder hat, alles gemessen, alles ausprobiert. Wenn Werner »ich sag dir was« sagt, sollte man gut zuhören, denn es gibt viel zu lernen. Und wenn Werner »Au« sagt und verschmitzt lächelt, sollte man auf der Hut sein. Wie neulich, im schönen Donautal. »Komm Mini« – so heißt Werner, wenn keine Arglist droht – »lass uns mal wieder tauschen.« »Ja klar, kein Problem.« Mini macht Anstalten abzusitzen. Lächelt. Und sagt »Au«. Wird ganz Werner. »Au, muss noch die Aufstellneigung beim Bremsen abchecken.« Beim nächsten Stopp dasselbe Spiel. »Au« sagt Werner – und du kannst gleich sitzen bleiben.
Zugegeben: Das Mini zum Werner wird, kommt selten vor. Aber wenn es ihn erwischt, dann richtig. »Werner, komm jetzt von der FJR runter. Andere wollen auch mal!« Erst der Appell an sein soziales Gewissen hilft. »Ich sag’ dir was. Das ist ein richtig gutes Motorrad!« Ja Mini, was für eine Überraschung! Dass Mini sich angesichts der neuen Yamaha FJR 1300 so begeistern kann, dafür gibt’s einen guten Grund. Endlich hat jemand auf ihn gehört. Denn war er es nicht, der seit Jahren von den Herstellern andere Tourer forderte? War er es nicht, der den konstruktiven Zusammenhang zwischen optimalem Langstreckenkomfort und überbordendem Gewicht nicht einsehen mochte und damit auf taube Ohren stieß?
Nun ist es also passiert. Und wer hat’s gemacht? Yamaha. Irgendwie logisch angesichts der jüngeren Vergangenheit. Weil Parallelen zur R1 nicht zu übersehen sind. Konsequent leicht, konsequent stark, konsequent kompakt: So lautete das Motto, unter dem der Sportler entwickelt wurde. Und von dem Yamaha beim Tourer FJR 1300 keinen Deut abgewich.
Wer jetzt angesichts der doch recht bedeutenden Ausmaße und der zumindest in Sportlerkreisen beachtlichen 237 Kilogramm Leergewicht (mit allen Betriebsstoffen werden es dann noch beachtlichere 275 Kilogramm) die Nase rümpft, möge sich erinnern: Ein Tourer braucht jede Menge Verkleidung (für den Wind- und Wetterschutz), jede Menge Motor (für den Schub), jede Menge Ausstattung (für den Komfort), einen schweren Kardan (für geringe Wartung). Und unter den Tourern ist die FJR 1300 die Leichteste. Wer nun aber sagt: Jawohl, all das braucht ein Tourer, deshalb kann er auch ruhig groß und schwer sein, dem sei eine ausgiebige Probefahrt ans Herz gelegt. Denn die FJR 1300 ist wie keine andere dazu angetan, gerade die Anhänger noch größerer Massenbewegungen ruckzuck zu bekehren.
Das geht schon bei der ersten Sitz- und Standprobe los. Einer Übung, die ohne weiteres als vertrauensbildende Maßnahme durchgeht, weil sich dieses große Motorrad – die Beine über der niedrigen Sitzbank gespreizt – mit nur leichtem Druck ganz spielerisch von einem Oberschenkel zum anderen werfen lässt. Der zweite Aha-Effekt: Hier passt alles. Die beiden Lenkerhälften, die respekteinflößend wie das Geweih eines kapitalen Zwölfenders aus der oberen Gabelbrücke ragen, liegen ganz selbstverständlich in der Hand, während sich die unteren Extremitäten mühelos zwischen Sitzbank und Fußrasten arrangieren. Zu dieser entspannten Position passt der gelungene Knieschluss am 25-Liter-Spritfass, weil Yamaha bei der FJR darauf verzichtete, störende Kanten – wie bei den Fazer-Modellen – serienmäßig mitzuliefern.
Ebenfalls nicht im Lieferumfang enthalten ist der Chokehebel, denn bei der FJR 1300 regelt eine Einspritzung die Gemischaufbereitung und übernimmt auch deren Anreicherung beim Kaltstart. Ziemlich gründlich sogar. 2500/min signalisiert der Drehzahlmesser, von Standgas kann da keine Rede sein. So hat die Gashand beim morgendlichen Roll-out Pause, während das Pendant auf der anderen Seite dem Schaltfuß beim flotten Stepp durch die Gänge assistiert, um die passende Übersetzung für diese von höheren Mächten vorgegebene Drehzahl zu finden. Zum Glück hat der Spuk bald ein Ende und erlaubt es dem etwas irritierten Piloten, sich wieder den Wonnen des FJR-Fahrens zu widmen.
Dazu gehört ohne Zweifel die Leichtigkeit, mit der die große Yamaha den Tücken der urbanen Enge begegnet. Ganz selbstverständlich schlängelt sie sich durchs Getümmel, lässt keinerlei Unsicherheit aufkommen, schlägt Haken nach Belieben. Gerade so, als sei dies ihr angestammtes Revier. Punktet sogar – wenn auch unfreiwillig – beim Durchschmuggeln in die erste Startreihe, weil Yamaha Deutschland zum Testzeitpunkt ein ganz wichtiges Toureraccessoire, die Koffer, nicht liefern konnte. Dafür liefert das komplett neu konstruierte Kraftpaket im Untergeschoss die für den Stadtverkehr notwendige Leistung ganz beiläufig ab. Rund 2000/min reichen aus, um unauffällig mitzuschwimmen, während nur die kurzen Zwischengasstöße davon künden, wo die eigentliche Bestimmung der großen Yamaha liegt.
Denn obwohl der Aufenthalt in Örtlichkeiten auf der FJR durchaus angenehm sein kann, ist es wie im richtigen Leben: Man sucht sie in der Regel nur auf, wenn man muss. Eine Tatsache, die für viele Motorräder auch für die Autobahn gilt. Nicht so bei der neuen Yamaha, auf der die möglichst schnelle Durchquerung wenig reizvoller Landstriche sehr entspannend und durchaus kurzweilig werden kann, weil bekannte Tourerqualitäten wie guter Windschutz und starker Motor neu definiert werden. Größter Aktivposten ist dabei zweifellos der kompakte Vierventiler. Zwar liefert der statt der versprochenen 144 nur 137 PS und statt 134 Newtonmetern nur derer 129 bei 8000 beziehungsweise 7000/min: Das reicht aber immer und überall, um genügend Reserven mobilisieren zu können.
Das Getriebe muss dazu nicht bemüht werden, auch wenn sich der Fahrer gerne durch die zwar etwas hakeligen, aber präzise rastenden fünf Gangstufen arbeitet. Pause macht der Schaltfuß dennoch nicht. Mit schöner Regelmäßigkeit begibt er sich schon zu einem Zeitpunkt, wo der Motor seinen Leistungszenit nicht einmal annähernd erreicht hat, auf die Suche nach dem drehzahlsenkenden sechsten Gang. Der Grund: Die FJR ist ganz toureruntypisch so kurz übersetzt, dass sie selbst mit zwei Passagieren locker in den bei 9000/min beginnenden roten Bereich des allerdings atark voreilenden Drehzahlmessers läuft, während der analoge Tacho fast 250 km/h signalisiert.
Zu derartigen Eskapaden kommt es durchaus häufiger, weil die übrigen Qualitäten – einmal abgesehen von deutlichen Vibrationen beinahe über den gesamten Drehzahlbereich trotz zweier Ausgleichswellen – auch Tempi jenseits der 200 km/h ungemein bagatellisieren. Da schaukelt oder wackelt dank des stabilen Aluminiumbrückenrahmens und satten 48-Millimeter-Gabelstandrohren nichts, da zuckt kein Lenker. Und die per Knopfdruck stufenlos verstellbare Scheibe liefert in ihrer höchsten Position – abgesehen von leichten Turbulenzen im Helmbereich – statt Gegen- sogar Rückenwind, der einen in geschwindigkeitslimitierten Zonen rasch mal über polizeilich tolerierte Grenzen hinausschießen lässt.
Ein Ungemach, das auf der Landstraße permanent droht, weil die FJR die Eigenschaft vieler Artgenossinnen, selbst hoch motivierte Piloten mit ihrer Lethargie einzuschläfern, keineswegs teilt. Das Gegenteil ist der Fall: Sie weckt die Freude am Gasgeben auch bei jenen wieder, denen sie im täglichen Umgang mit ihren Dickschiffen für immer verloren schien. Natürlich spielt dabei der fulminante Motor eine Rolle, natürlich reicht auch hier eigentlich immer der Fünfte. Weitaus entscheidender aber ist die Kombination aus vergleichsweise moderatem Gewicht und Fahrwerksqualitäten, die bei den großen Tourern ihresgleichen suchen und praktisch auf Knopfdruck abrufbar sind.
Mit Absenken der Scheibe nämlich wechselt die FJR auch den Charakter. Oder besser: Sie gewinnt neue Qualitäten hinzu. Nicht nur, weil sich das Handling durch die abgesenkte Scheibe verbessert, sondern auch, weil der Blick auf das Kurvenparadies so ungetrübter ist. Dann den Hebel des Federbeins auf »hart« umgelegt (eine von zwei Federn wird dabei blockiert), die Gabel (in Zug-, Druckstufe und Federbasis einstellbar) den Bedürfnissen angepasst, schon sportelt es beträchtlich. Und – das ist das eigentlich Schöne – ganz nach Lust und Laune, weil diese Talente dem gemütlichen Tourengenuss nicht entgegenstehen, sondern ihn sogar noch fördern. Konkret: In forcierter Gangart fährt sich die Yamaha leicht, in verhaltener wie von selbst.
Sauber ausbalanciert und mit fein ansprechenden Federelementen gesegnet, umrundet die FJR jeden Kurvenradius neutral, lenkt präzise ein, hält sauber die vorgegebene Richtung und läuft auch bei üblen Fahrbahnverwerfungen nicht aus dem Ruder. Eine Tatsache, die auch für den Soziusbetrieb gilt, wobei hier die Federbeineinstellung bevorzugt auf »hart« stehen sollte. Zeitweiliges Aufsetzen der Fußrasten vermag diese Maßnahme zwar nicht zu verhindern, aber dieser unerwünschte Bodenkontakt ist, wie eigentlich alles auf der FJR, eher von unterhaltender denn bedenklicher Natur.
Das dokumentiert sich auch in den Fahrversuchen auf abgesperrter Strecke. Egal, ob Slalom oder Kreisbahn, ob mit ein oder zwei Personen besetzt: die 1300er schlägt sich immer überzeugend, erreicht im schnellen Slalom sogar eine bessere Zeit und eine höhere Geschwindigkeit als die 1000er-Fazer aus gleichem Haus und in der Kreisbahn einen höheren Topspeed. Einzige Ausnahme: die vordere Bremse, deren Dosierbarkeit vor allem kalt etwas zu wünschen übrig lässt und die mit harter Hand bedient werden will. Kein großes Malheur, aber eben auffällig bei einem Motorrad, bei dem von der hydraulischen Kupplung bis zum ausgesprochen unauffälligen Kardanantrieb alles sehr geschmeidig arbeitet und das doch so bestimmt und so kraftvoll auftritt.
Genau diese Kombination ist es, die Yamaha zuversichtlich stimmen kann, ordentlich im Revier der Weißblauen zu wildern. Auch, weil man sich in Sachen Umweltverträglichkeit etwas abgeguckt hat. G-Kat und Sekundärluftsystem waren bei Yamaha lange fällig. Parallelen in der Preisgestaltung hingegen hätten nicht sein müssen. Denn schon mit Koffern (1390 Mark), Heizgriffen (524 Mark) und Alarmanlage (623 Mark) schießt die FJR 1300 über die 29000-Mark-Grenze hinaus. In dieser Hinsicht haben die bei Yamaha in der Tat ganz schnell bayerisch gelernt.

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Plus0 Klappbarer Kraftstofftank0 Zustufenverstellung an der Gabel überpraktische Handrädchen0 einfach Montage der passgenauen Sitzbank0 leicht bedienbarer Hauptständer0 Ausstattung mit WarnblinkanlageMinus0 Abblendlichtkegel verkürzt sich durch die weicheGabel beim Bremsen stark0 offen laufendes Kreuzgelenk amGetriebeausgang zum Kardanatrieb0 umständliche Verschraubung derVerkleidungsoberteile0 Batterie und Kühlwasserbehälter unter derVerkleidung schlecht zugänglich0 keine praktische Schnellkupplung ander BenzinrücklaufeitungFahrwerkseinstellungen im TestGabel: Federvorspannung 1 Ring sichtbar,Zugstufendämpfung 10 Klicks,Druckstufendämpfung 3 Klicks, Federbein: Federeinstellung für sportliches Fahrensolo und im Soziusbetrieb auf »hart«.Zugstufendämpfung 10 Klicks.Für komfortablen Solobetrieb auf »weich« mit 12Klicks Zugstufendämpfung.Unterschied des Negativfederwegs mit80 kg-Fahrer zwischen harter und weicherFedereinstellung zirka 10 mm.

Fazit

Zugegeben, es hätte dumm laufen können: Wer von der Papierform her so auftrumpft wie die FJR 1300, läuft Gefahr, zu enttäuschen. Ein Schicksal, das der großen Yamaha erspart bleibt. Sie überzeugt auf ganzer Linie. Mehr noch. Sie hat das Zeug zum Trendsetter. Für eine Tourerzukunft unter neuen, dynamischeren Vorzeichen.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023