Vergleich Yamaha FJR 1300A/FJR 1300 AS

Vergleich Yamaha FJR 1300A/FJR 1300 AS Fehlt Ihnen was?

Völlig entkuppelt gleitet er dahin, Yamahas Raumgleiter FJR 1300 AS. Ist das der Anfang einer neuen, komfortableren Zeitrechnung auf zwei Rädern oder nur eine weitere Fingerübung experimentierfreudiger Jungingenieure? Ein Vergleich mit der Standard-FJR.

Fehlt Ihnen was? fact

Bevor nun gleich der Einwand kommt: »Das braucht kein Mensch!« – gehen Sie in sich! Horchen Sie einmal tief in sich hinein. Und überprüfen Sie Ihre Gewohnheiten. Mahlen Sie Kaffee noch mit der Hand? Schrubbeln Sie die Wäsche auf dem Waschbrett? Und spülen Sie jeden Teller einzeln ab? Vermutlich nicht. Aber, werden Sie sagen, das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Hier die lästige Pflicht, dort die kurzweilige Kür. In meiner Freizeit will ich aktiv sein. Okay, dann etwas aus dem Reich der Mobilität. Drehen Sie im Auto Ihre Seitenscheibe noch mit der Kurbel herunter? Sehen Sie, so ist das. Und jetzt also automatisch Kuppeln beim Motorrad. Auch wenn Sie das bisher nie vermisst haben.
Es könnte so kommen, damit muss man rechnen. Wie alles, was funktioniert und das Leben leichter gestaltet. Die spannende Frage lautet daher: Ist das Yamaha Chip Controlled Shift-System (YCC-S) gut genug, um die menschliche Kupplungshand zu ersetzen? Kann es dieser Technik ein standesgemäßes Entree in die Motorradwelt garantieren? Oder hinterlässt eine voreilige Markteinführung so viel verbrannten Boden, dass dieses Thema auf Jahre hinaus tabu ist?
Eines jedenfalls ist schon sicher, bevor man den ersten Meter auf der FJR 1300 AS gefahren ist. Trotz YCC-S ist es immer und in jedem Fall der Fahrer, der das Kommando zum Gangwechsel gibt. Im Unterschied zu modernen Pkw-Automatik-getrieben, bei denen der Schaltzeitpunkt
sowohl manuell als auch automatisch festgelegt werden kann, muss auf der FJR nämlich zwingend die linke Hand oder der Schaltfuß aktiv werden, bevor sich etwas in der elektro-hydraulischen Geisterwelt tut. Dann gleicht ein Rechner die Daten von Motordrehzahl, Fahrzeuggeschwindigkeit, Drosselklappenstellung und Gangposition ab, um anschließend zwei Stellmotoren zu aktivieren. Einer baut den hydraulischen Druck für die ansonsten unveränderte Kupplung auf, während der zweite das Getriebe bemüht.
Und zwar mit aller Akkuratesse. In dieser Hinsicht trug die lange Tüftelei,
die wohl auch die Auslieferung der ersten Testmotorräder verzögerte, Früchte. Beinahe so, als wäre da die eigene Linke im Einsatz. Na ja, nicht ganz, aber fast.
Trotzdem für Fortschrittsskeptiker und Kupplungshebelfetischisten vorab bereits eine kleine Entwarnung: Es gibt sie noch, die Situationen, in denen der menschliche Prozessor namens Hirn sehr viele Parameter sehr schnell zur besten aller Lösungen verarbeitet, während die zentrale 32-bit-Steuereinheit des YCC-S-Systems nur die zweitbeste anbietet. Doch woher soll der Yamaha-Rechner auch wissen, dass es daheim vor der Haustür leicht bergab geht und die FJR nach dem ersten Schubser praktisch von alleine rollt, so dass flottes Einkuppeln bei langsamer Geschwindigkeit und fast geschlossenen Drosselklappen angesagt wäre. Sie rechnet mit den ihr bekannten Größen Gang, Kühlwassertemperatur, Drosselklappenstellung, Geschwindigkeit, Drehzahl – und entscheidet sich für ein betont zaghaftes Einrückmanöver, dem nur mit geöffneten Drosselklappen auf die Sprünge geholfen werden kann. Der gegenteilige Fall: Der Bürgerkäfig vor uns gönnt sich nach sehr verhaltenem Ampelstart auch beim Schalten in Fahrstufe zwei eine ausgeprägte Pause. Das Tempo ist noch derart niedrig, dass die FJR beim Gaswegnehmen auskuppelt. Werden dann, wenn es endlich weiter vorwärtsgeht, die Drosselklappen wieder geöffnet, fällt das Einkuppelmanöver rabiater aus, als es die Kupplungshand vermocht hätte.
Beides lässt sich mit der Standard-FJR also sanfter bewerkstelligen, ebenso wie ein Überholmanöver mit Gangwechsel (siehe Seite 19, unteres Diagramm). So ganz nebenbei funktioniert das aber auch ohne YCC-S nicht. Denn zum einen geht die Umstellung auf progressive Gasgriffumlenkung für das Modelljahr 2006 mit einem deutlich ausgeprägteren »Losbrechmoment« einher, welches die Dosierung unnötig erschwert. Zum anderen verlangt der Kupplungshebel der FJR beinahe nach der Handkraft eines Eisenbiegers. Neun Kilogramm oder ungefähr 90 Newton Gewichtskraft muss man bei jedem Kuppeln über einen Weg von 60 Millimeter aufbringen. Auf einer 100 Kilometer langen Landstraßentour entspricht das bei angenommenen 280 Schaltvorgängen (drei pro Kilometer) der Arbeit von über 1500 Newtonmetern. Bildlich ausgedrückt: Drei Sack Zement wären über einen Meter in die Höhe zu befördern – aber nicht am Stück, sondern peu à peu mit einer Kinderschaufel.
Dann doch lieber »entkuppelt«, zumal das YCC-S im touristischen Landstraßenbetrieb – und dafür ist es ausdrücklich konzipiert – am besten funktioniert. Sanft und zügig wird auf Knopfdruck (oder Fußtritt, diese Option besteht jederzeit) aus- und eingekuppelt. Beim Runterschalten entpuppt sich das Yamaha-System gar als Meister seines Fachs. Und noch etwas: Auch auf das übliche Gas zu, Gas auf kann man getrost verzichten, solange die Drosselklappen nicht ganz oder sehr weit auf Durchzug stehen. Dann schaltet die FJR-AS auf leichten Knopfdruck flott durch, ohne dass der Motor in der Kuppelphase unangenehm aufheult.
Das ändert sich erst, wenn es ernst wird. Wer bei Vollgas den nächsten Gang anwählt – was in dieser technischen Konfiguration so gar nicht vorgesehen ist, denn dazu wäre wie bei der R6 ein weiterer Stellmotor für die Drosselklappen notwendig –, erntet bei jedem Kuppeln einen deutlichen Drehzahlsprung nach oben. Aber auch zügige Schaltvorgänge (siehe Diagramm links) und flotte Beschleunigungszeiten. Beim Spurt von null auf
200 km/h verliert die AS (12,0 Sekunden) nur 1,3 Sekunden auf ihre voll durchbeschleunigte Schwester (10,7 Sekunden), bei der man sich das Kuppeln auf der Zeitenjagd ganz spart und nur kurz die Gashand lupft. 0,1 Sekunden dauert so ein Schaltvorgang, mit YCC-S 0,3 Sekunden. Zum Vergleich: Wer bewusst und ohne Hektik schaltet, benötigt pro Schaltvorgang knapp unter einer Sekunde und erreicht erst nach 14 Sekunden 200 km/h (siehe Diagramm oben).
In dieser Hinsicht schlägt sich das System also ebenfalls wacker. Das gilt übrigens auch, wenn es um flottes Anfahren geht. Wo man sonst mit viel Gas und schleifender Kupplung arbeitet, rückt YCC-S zügig und ohne spür- und messbaren Drehzahlverlust bei zirka 2500/min ein. Einfach voll am Kabel ziehen, fertig. Wer das mit der Standard-FJR probiert, muss Gas und Kupplung genau aufeinander abstimmen, erntet aber in der Regel
in dem Moment, in dem die Kupplung voll einrückt, einen Drehzahlabfall und somit Zeitverlust.
Doch es ist ja nicht die Hatz nach Sekunden, die Yamaha mit YCC-S im Sinn hatte, sondern der Gewinn an Komfort. Und den kann man dem System unterm Strich besonders dann attestieren, wenn die FJR ihrer Bestimmung entsprechend unterwegs ist. Bei der gepflegten Land-partie ist die automatische Kupplung eine feine Sache, in der Stadt und beim Sprint zumindest kein Nachteil. So gesehen dürfte jenen Kunden, die sich für die FJR-AS entscheiden, der gewohnte Kupplungshebel sicher nicht fehlen. Ob das auch für die deftigen 1691 Euro gilt, die Yamaha für YCC-S als Aufpreis verlangt (17495 Euro mit Heizgriffen statt 15495 ohne), ist eine ganz andere Frage.

Yamaha Chip Controlled Shift (YCC-S)

So einfach ist das – wenn man
Sensoren hat. Zwei Stellmotoren, einer für die Kupplungsbetätigung, einer
für das Getriebe, das ist es schon. Die zentrale Rolle fällt dem 32-bit-Steuergerät zu, das die Informationen der Sensoren verarbeitet. Gut vorstellbar wäre beim YCC-S ein dritter Motor, der
die Drosselklappen beim Schaltvorgang selbständig schließt

So einfach ist das!

So einfach ist das – wenn man
Sensoren hat. Zwei Stellmotoren, einer für die Kupplungsbetätigung, einer
für das Getriebe, das ist es schon. Die zentrale Rolle fällt dem 32-bit-Steuergerät zu, das die Informationen der Sensoren verarbeitet. Gut vorstellbar wäre beim YCC-S ein dritter Motor, der
die Drosselklappen beim Schaltvorgang selbständig schließt

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