Altbewährt gegen neu gemixt - die Yamaha XJ 600 S hat schon viel gesehen, die Honda Deauville verpackt bewährte Technik in neuer Haut. Welche bringt den Vielfahrer besser durchs junge Jahr?
Altbewährt gegen neu gemixt - die Yamaha XJ 600 S hat schon viel gesehen, die Honda Deauville verpackt bewährte Technik in neuer Haut. Welche bringt den Vielfahrer besser durchs junge Jahr?
Es ist soweit: der Frühling läutet mit steigenden Temperaturen die Motoradsaison ein, die müden Knochen lechzen nach ersten Ausfahrten. Ein treuer Begleiter muß her, ein genügsamer Freund für die tägliche Fahrt zur Arbeit und den genußreichen Umweg nach Feierabend, ein zuverlässiger Gefährte für den Ausflug am Wochenende und natürlich für die Fernreise zu zweit mit Gepäck.
Viel verlangt von einem einzelnen Moped? Mitnichten. Honda und Yamaha bieten zwei interessante Allrounder mit bewährter Technik. Ganz neu und doch altbekannt rundet die Honda Deauville, mit 14270 Mark nicht unbedingt ein Sonderangebot, die hauseigene Tourerpalette nach unten ab. Spektakulär ist vor allem das ausladende Kunststoffkleid, an dem sich die Gemüter etwas entzünden: Nun, über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. Unter der Plastikdecke verrichtet im Prinzip die zehn Jahre alte NTV 650, natürlich leicht modifiziert, ihren Dienst.
Längst etabliert ist die Yamaha XJ 600 S. Das von Natur aus schlanke Motorrädchen leidet optisch unter nachträglich angeflanschten Koffern aus dem Yamaha-Zubehör- Programm - die Dinger hängen wie zwei Zeppeline an der XJ. Trotzdem, mit 11490 Mark inklusive Koffern und Gepäckbrücke belastet sie den Geldbeutel weit weniger als die Honda.
Technisch gehen die Konkurrentinnen getrennte Wege: Die Deauville trägt ihren wassergekühlten V-2-Motor in einem stählernen Brückenrahmen. Via Kardan gelangt die Leistung ans Hinterrad, das anders als bei der NTV (Einarmschwinge) von einer Zweiarmschwinge geführt wird. Die Yamaha fixiert ihren luftgekühlten Reihenvierzylinder in einem ebenfalls stählernen Doppelschleifenrahmen. Wartungsarmer transportiert eine Kette die Motorleistung ans Hinterrad. Beim Aufsitzen wird deutlich, daß Honda ergonomisch weiter gedacht hat als Yamaha. Die Sitzposition auf der Deauville ist einfach gelungener. Klein- wie Großgewachsene empfinden ein Mehr an Kontrolle, hervorgerufen durch die ganz leicht vorgebeugte Haltung und das lässige Thronen auf, nicht im Motorrad. Die Deauville macht ihren Reiter nicht zum Passagier, sondern zum Kontrolleur. Die perfekt plazierten Fußrasten helfen dabei ebenso wie der angenehm gekröpfte Lenker und das übersichtliche Cockpit (mit Uhr) - alles im Griff, alles im Blick.
Die Yamaha bettet ihren Piloten etwas sportlicher, erzeugt jedoch ein passiveres Fahrgefühl,. Aber auch hier gibt es eigentlich keinen Grund zur Klage. Auch die XJ ist auf kurzen wie langen Strecken sehr bequem, glänzt mit einstellbaren Handhebeln und übersichtlichem, vollständig ausgestattetem Cockpit. Der Passagierkomfort leidet etwas unter der kurzen Sitzbank und vor allem unter den unglücklich angebrachten Koffern. Die Gepäckkisten schränken die Fußfreiheit des Beifahrers drastisch ein - lediglich für die Fersen bleibt Platz auf den Rasten. Und Auf- oder Absteigen gelingt nur noch mit angewandter Akrobatik. Richtig weit sollte der gemeinsame Urlaub deshalb nicht geplant werden.
Deauville-Fahrer haben es da leichter, denn die Designer schneiderten die integrierten Staufächer um die Besatzung herum. Allzuviel Fracht nehmen die Serienkoffer leider nicht auf. Wer mit größerem Gepäck verreisen will, muß zu den voluminösen Kofferdeckeln aus dem Zubehörprogramm greifen.
Keine Vorwürfe gibt´s für den Antrieb der Honda- die Freude beginnt schon beim Kaltstart. Zwei Umdrehungen, und der V-Twin blubbert auch bei Minusgraden sonor aus dem Schalldämpfer. Schon nach kürzester Zeit erübrigt sich die Kaltstarthilfe. Willig und spontan nimmt der 650er Gas an, überzeugt mit sattem Drehmoment und ordentlicher Laufkultur - der kernige Charakter setzt bei soviel Perfektion angenehme Akzente. Übrigens bedient sich der sehr kompakte Motor eines kulturfördernden Konstruktionskniffs: Um 76 Grad versetzte Hubzapfen lassen den 52-Grad-V2 schwingungstechnisch zum 90-Grad-Motor werden.
Freude über Freude auch bei der Kraftübertragung. Fast schon unglaublich ist die Leichtgängigkeit der Kupplung. Die 56 Pferde gelangen über das knapp gestufte und perfekt funktionierende Getriebe ans Hinterrad. Und das reaktionsfrei, trotz Kardan. Bremsen? Kräftiger Biß bei moderater Handkraft - tadellos.
In Punkto Verzögerung kann die XJ locker mit der Deauville mithalten, ansonsten hat sie aber einen schweren Stand. Gemessen am Twin der Honda wirkt ihr recht langhubige Reihenvierer in allen Drehzahlbereichen saftlos. Der Zweiventiler drückt seine mit seidenweicher Laufkultur generierte Leistung eher phlegmatisch ans Hinterrad. In Beschleunigung und Durchzug liegen die Kontrahenten trotzdem auf ähnlichem Niveau. Getriebeseitig kündet ein laut vernehmliches Klack, beim Einlegen des ersten Ganges mit leichtem Vorwärtsruck verbunden, vom Einrasten der Gangstufen. Nun, alles funktioniert, nur eben nicht so gut wie bei der Honda. Immerhin, beim Verbrauch verbucht die XJ ebenso Pluspunkte wie beim Gewicht.
Gemessen an ihrer Vorgängerin NTV hat die Deauville nämlich ganz schön zugelegt. Im Fahrbetrieb merkt man die Pfunde aber nicht. Handlich und sehr souverän nimmt sie jede Art von Biegungen in Angriff, läßt sich nicht vom einmal eingeschlagenen Kurs abbringen. Die Honda vermittelt ein angenehmes Gefühl von Sicherheit - draufsetzen, gasgeben, fahren, genießen. Nicht wenige fühlen sich an einen großen Roller erinnert (wohl auch durchs Design...). Die komfortablen, sehr sensibel ansprechenden Federelemente halten, kollegial vom angenehmen Sitzpolster unterstützt, die Kanten und Beulen des Asphalts vom geschätzten Sitzfleisch fern. Schön, daß sich die Federbasis am hinteren Federbein per Handrad verstellen läßt. So kann die Deauville bedienungsfreundlich an verschiedene Beladungszustände angepaßt werden. Lästig, daß dazu der Seitendeckel demontiert werden muß.
Der schon mehrfach angesprochene, hohe Preis hätte zudem ruhig noch eine verstellbare Zugstufendämpfung am Zentralfederbein zulassen dürfen. Oder auch eine Spoilerscheibe, denn bei hohen Geschwindigkeiten, bei denen die Honda vorbildlich ruhig ihre Bahn zieht, trifft der Fahrtwind Sitzriesen mit Wirbelgewalt am Helm. Apropos Wetterschutz: Zwar schützt die Verkleidung einigermaßen vor Nässe und Minusgraden, doch sind die Hände einmal kalt, sucht der Deauville-Fahrer vergeblich nach einem Loch in der Verkleidung, das im Zugang zur helfenden Motorwärme verschaffen könnte. Hilfreich sind da die optionalen Heizgriffe.
Solche Problemchen kennt der XJ-Fahrer nicht - die knappe Halbschale läßt den Motor frei, leider aber auch viele Türen für Fahrtwind und Wetter offen. Doch nicht nur die Elemente, sondern auch leichte Fahrwerksunruhen schütteln die Yamaha bei hohen Tempi. Dafür glänzt die XJ mit mustergültigem Handling und messerscharfer Zielgenauigkeit. Die Federelemente sind komfortbetont soft abgestimmt. Schön bequem auf welligen Fahrbahnen, aber eben auch schnell mal überfordert. Fürs Rasen ist die XJ aber ohnehin nicht gebaut. Das gilt erst recht im Zweimannbetrieb, wo jede Welle die XJ in schweren Seegang versetzt. Immerhin, der Zubehörhandel hält hilfreiche und auch bezahlbare Gabelfedern und Federbeine bereit.
Ein anderes Manko, das beide Maschinen betrifft, läßt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen: Die Lichtausbeute beider Scheinwerfer ist eher dürftig und den Ansprüchen, die an Vielfahrermotorräder gestellt werden, nicht gewachsen.
Daß beide Motorräder keine Leuchten sind, ändert aber nichts daran, daß die neue Honda unterm Strich mit deutlichem Vorsprung aus dem Vergleich hervorgeht - wenngleich der hohe Preis einen fahlen Nachgeschmack hinterläßt. Die Deauville trägt mit frecher Selbstverständlichkeit billige Anbauteile wie etwa die Fußhebel oder das lieblose Cockpit zur Schau. Vollverschalung und zweite Bremsscheibe können den preislichen Abstand zur Vorgängerin NTV 650, aber auch zur Yamaha XJ 600 S, eigentlich nicht erklären. Die Honda mag das bessere Motorrad sein - die Zeit des Erwachens kommt aber spätestens beim Preisvergleich.
Die Deauville sei, so verspricht Honda, eine Maschine von durch und durch europäischem Zuschnitt. Worunter unsereins, wenns um Tourer ging, bislang eher bodenständige Dinge wie gehobene Solidität und schnörkellose Praxistauglichkeit faßte. NTV eben, denn der unkaputtbare Deauville-Vorläufer war im besten Sinne multifunktional. Doch die Zeiten ändern sich und auch ihr Zuschnitt. Heute gehört an einen Tourer wohl zwanghaft eine Vollverkleidung, und die Koffer müssen Teil werden einer integrierten Gesamtverschalungslösung. Das Bike zum Handy, dichtete ein Kollege, und dem ist nur noch hinzuzufügen: Laßt sie fahren damit, denn dann fahren sie wenigstens Motorrad, und sie fahren gewiß nicht schlecht mit dieser Deuaville. Laßt sie Hondas Werbetextern glauben, dieser Mittelklässler habe »starken Appeal für Erfolgsmenschen«. Und laßt sie zahlen: 3000 Mark Aufpreis von der NTV zur Deauville - da steig ich aus. Nein, um. Auf eine CB 500 mit 60 PS für rund 9000 Steine, zum Beispiel.
Yamaha
Die nicht mehr ganz frische Yamaha landet nicht nur wegen schlappem Motors und unterdämpftem Federbein auf dem zweiten Platz. Unentschuldbar ist vor allem, daß mit montierten Yamaha-Koffern die Soziustauglichkeit drastisch leidet. Trotzdem gehört die XJ zu den guten Angeboten unter den Alltagsbikes - günstiger Preis und unkomplizierte, genügsame Natur, gute Bremsen und bequeme Sitzposition - das alles schafft Sympathie. Flink und handlich ist sie obendrein.
Honda NT 650 VC Deauville
Geschickt arrangierte, leicht modifizierte Teile aus dem Ersatzteilregal, ummantelt von einem opulenten Plastikgebäude - und fertig ist der Testsieger. Die NT 650 V Deauville überzeugt durch ihre ausgewogenen Eigenschaften und ihr narrensicheres Fahrverhalten. Über die Optik läßt sich natürlich trefflich streiten, die Funktion stellt hingegen niemand in Frage. Trotzdem - bei aller Perfektion richtet sich der Preis schon sehr auf Gewinnmaximierung aus.
Warum nicht ähnlich klever sein wie die Marktstrategen von Honda? Die Komponenten dafür sind nämlich für jedermann käuflich. Die neue Honda Deauville hat ihrer Vorgängerin, der populären und unverwüstlichen NTV 650, neben Detailmodifikationen eine Zweischeibenbremse, straffere Federelemente und vor allem die Vollverkleidung voraus. Allerdings kostet sie auch einen Batzen mehr als eine NTV, die es aus Restbeständen beim Grauimporteur um 9000 Mark, gebraucht für 4000 und 8000 Mark gibt. Dann noch ein Koffersystem und eine Vollverkleidung aus dem Zubehörhandel (etwa von Pichler, Foto rechts) für rund 2500 Mark, und der Coup ist perfekt. Mit dem gesparten Geld gehts dann auf Urlaubsreise.