Vergleichstest Tourer

Vergleichstest Tourer Ganz nah dran

Ob alpine Bergriesen oder die sanften Hügel der Toskana: Auf diesen Tourern liegt die Ferne doch so nah. Aber wie nahe rückt Hondas neuer Vorzeigetourer Pan European dem Klassenprimus Yamaha FJR 1300 und der renovierten BMW R 1150 RT?

Ganz nah dran Jahn

Fatalismus ist eine Geisteshaltung, die sich immer dann einstellt, wenn die eigenen Möglichkeiten erschöpft sind. Und damit der erste Schritt auf dem Weg in eine optimistische Zukunft. »Es kommt, wie es kommt«, ist die Erkenntnis, die beinahe zwangsläufig einem »schlimmer geht nimmer« nachsteht. Und in der man sich - vorausgesetzt, man ist mit Tourenmotorrädern moderner Prägung unterwegs - erwartungsfroh einrichten kann. Denn nirgendwo in der ernst zu nehmenden Welt des motorisierten Zweirads lassen sich die ausgedehnten Tiefdruckgebiete unserer Breiten eher ertragen als hinter den ausladenden Verkleidungen und hohen Scheiben dieses Trios, das unter erbärmlichen Bedingungen von Stuttgart aus aufgebrochen ist, um die Sonne zu putzen.
Flächendeckend zerplatzen gut gesättigte Regentropfen an den Windschildern; nur vereinzelt verirren sie sich bis zu Oberkörper und Visier. Die wenigsten auf Hondas neuer Pan European, die Plexiglas im Format eines Wintergartens vor sich herträgt. Die Scheibe ist unter solchen Bedingungen per Stellmotor ganz hochgefahren und erlaubt unabhängig von der gewählten Sitzbankposition einen relativ behaglichen, wenn auch nicht ungetrübten Blick auf das wogende Meer voraus. Ganz im Ernst: Honda sollte einen Scheibenwischer anbieten. BMW und vor allem Yamaha bieten zwar etwas weniger Wetterschutz, dafür aber etwas mehr Über-Blick, weil sich deren ebenfalls per Stellmotor ganz ausgefahrenen, durchsichtigen Schutzwälle hoch, jedoch nicht über Augenhöhe vor dem Fahrer aufbauen.
Es sei denn, Großgewachsene wählen bei der BMW neben der hohen Scheibe auch die höchste von drei Sitzbankpositionen. Dann kann die Aussicht nach vorn durch die obere Kante des Windschilds geteilt werden. Eine Perspektive, die auf der Yamaha unter keinen Umständen geboten wird. Deren Sitzbankhöhe ist fix. Als Mangel wird das nicht empfunden, Klein- wie Großgewachsene sind komfortabel untergebracht. Nichts stört das Wohlbefinden, während auf der Honda je nach Sitzbankposition schon mal die Schienbeine und das Verkleidungsplastik rund um den V4 Kontakt aufnehmen, was vor allem der Lackqualität auf Dauer nicht zuträglich ist.
Ebenso wenig wie das Wetter dem Befinden der Fahrer. Es macht trotz des Protektorats der ausladenden Tourer-Verkleidungen mürbe. Stuttgart, Regen, München, Regen, Brenner, Regen - aber dann. Die Wolken reißen auf, Südtirols Sonnenstrahlen versöhnen die Gemüter. Die Freude am Fahren erwacht. Und damit die Aufmerksamkeit für das, was sich im unteren Stockwerk tut, denn die Antriebsquellen könnten unterschiedlicher nicht sein: Reihenvierzylinder in der Yamaha, längs eingebauter V4 in der Honda und der typische Bayern-Boxer in der BMW.
Was bisher in der tristen Eintracht nur verhalten vorwärts trieb, wird nun ganz anders gefordert - und registriert. Besonders der komplett neu konstruierte V4 der Pan European überrascht, und zwar angenehm. Im Vergleich zum Vorgänger in der ST 1100 hat er deutlich an Temperament gewonnen. Schiebt die immerhin 328 Kilogramm schwere Fuhre nach wie vor gleichförmig, aber deutlich behender aus dem Drehzahlkeller, ist selbst in den jetzt kürzer übersetzten oberen Gängen jederzeit auf dem Sprung, macht einfach Laune. Dass ihm jenseits der 7000/min die Luft ausgeht – sei’s drum. Wirklich nutzen muss man diesen Bereich nicht, um zügig voranzukommen.
Dementsprechend fällt die Drehzahlreserve der FJR 1300 von rund 1000/min weniger ins Gewicht als die Tatsache, dass der ebenfalls per Einspritzung mit Brennstoff versorgte Reihenvierer auch unten noch kräftiger zupackt. Weshalb die FJR Durchzugs- und Beschleunigungswerte (siehe Messwerte Seite 30) hinlegt, denen die Pan European auf der Messstrecke nicht viel entgegensetzen kann. In der Praxis wirkt sich das jedoch weit weniger gravierend aus als jene Leistungsgalaxie, die zwischen Yamaha und BMW liegt. Da stehen gemessene 136 mickrigen 91 PS gegenüber, toppen beachtliche 129 Newtonmeter deren 91 haushoch, zumal die RT mit 281 Kilogramm vollgetankt sechs Kilo schwerer als die Yamaha ist.
Mit dem Ergebnis, dass selbst beim gelassenen Touren die BMW dort, wo die FJR beim Überholvorgang ganz locker vor sich hinschiebt und die Pan European auf etwas höherem Drehzahlniveau folgt, nur unter Anstrengungen mithalten kann. Konkret gestaltet sich das folgendermaßen: Mindestens einen, wenn nicht zwei Gänge im traditionell nicht mustergültigen Getriebe runterschalten und den Boxer in Regionen jenseits der 6000/min drehen, sich zur Leistungsspitze bei 7400/min hochangeln. Das fällt nicht leicht, weil der 1150er seine Unlust bei solchen Exzessen deutlich herausvibriert. Sein muss es dennoch, weil auf der Flucht vor eben diesen Erschütterungen oft der drehzahlsenkende, lange sechste Gang bemüht wird, der den Vortrieb bei Zwischenspurts nochmals bremst.
Noch mehr als auf der Autobahn oder der gut ausgebauten Landstraße fällt das Leistungsdefizit dort auf, wo der Bayern-Boxer nicht in guter alter BMW-Tradition, also gleichmäßig, aber mit Schwung um die Ecken getrieben werden kann. Sterzing, rechts ab, Jaufenpass. Im Gegensatz zur R 1150 RT sticht die FJR 1300 mit der bekannten Souveränität ins Stop-and-go der engen Kehren, schert sich weder um Asphaltqualität noch Bodenwellen, bügelt mit ihren sensiblen Federelementen alles glatt. Dass der Druckpunkt der Bremsen exakter, die Handkraft geringer, die Schräglagenfreiheit etwas größer sein könnte, nimmt ihr niemand ernsthaft übel. Vibrationen, Windschutz, auf der Autobahn wegen des fehlenden sechsten Gangs und den deutlichen Verwirbelungen noch Kritikpunkte, spielen keine Rolle mehr. Für Irritation sorgt beim Yamaha-Treiber nur die ausladende Front der Pan European, die sich trotz der forschen Gangart tapfer im Rückspiegel hält.
Noch überraschter ist der Honda-Fahrer, wie einfach sich dieses Schiff bewegen lässt. Schon zarte Lenkimpulse lassen es in Schräglage kippen, leichtes Antippen des Fuß- oder Handbremshebels animiert die ABS/CBS-Kombination (siehe auch Kasten Seite 24/25) zu wirkungsvollem Zupacken, herzhaftes Gasanlegen den V4 zu sattem Schub aus jeder Ecke. Und auch das Fahrwerk spielt mit. Zwar sind Gabel und Federbein nicht mit so feinem Ansprechverhalten gesegnet wie die Yamaha-Pendants, halten aber ebenfalls solo wie zu zweit ausreichend Reserven für eine beherzte Gangart bereit. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Japanerinnen: Mit zwei Personen und Gepäck kratzen Rasten und sonstige Anbauteile schon mal energisch am Geläuf und mahnen ein touristischeres Tempo an.
Das ist der R 1150 RT aufgrund der phlegmatischeren Motorcharakteristik ohnehin in die Wiege gelegt, trifft aber im Gegenzug auf Handlingqualitäten, die geeignet sind, die sportlichen Aspekte einer Tour zu betonen. Tadellos ausbalanciert, ist die Bayerin in dieser Beziehung der Yamaha ebenbürtig, der Honda gar überlegen, weil die bei schnellen Wechselkurven ihre 326 Kilogramm vollgetankt nicht verleugnen kann. Zudem verfügt die BMW über die größte Schräglagenfreiheit.
Trotzdem will sich die Leichtigkeit, mit der speziell die Honda diese Etappe nimmt, nicht einstellen. Kernige Lastwechselreaktionen des Paralever-Antriebsstrangs und das aus den Lastwechseln resultierende rege Auf und Ab der Telelever-Frontpartie verderben bei den unvermeidlichen Gangwechseln ebenso den Spaß wie die nach wie vor schlecht zu dosierende ABS-Verbundbremse mit Bremskraftunterstützung, bei der sich ein schwergängiger Hebel mit plötzlich einsetzender Bremsleistung paart. Ein weiterer Kritikpunkt: Mitunter reicht eine harte Bodenwelle, um das ABS in den Regelbereich zu bringen. Dann macht die RT einen ungewollten Satz nach vorn, ehe der Bremsdruck wieder aufgebaut wird. In dieser Beziehung wirkt die Antiblockierregelung der Honda deutlich ausgewogener.
Doch auch bei der Pan European ist keineswegs alles zu Ende gedacht. Wie sich im weiteren Verlauf der Tour herausstellt. Vorbei am Gardasee, die Toskana ruft, die Temperaturen steigen. Auch im linken von zwei Staufächern in der Honda-Verkleidung. Die Abstrahlung des Motors, die der Fahrer deutlich zu spüren bekommt, macht einer Tafel Schokolade den Garaus, die braune Masse verteilt sich über die Fahrzeugflanke. Bei der BMW – hier ist im linken Staufach das optional erhältliche Radio untergebracht – mit ihren weit im Fahrtwind stehenden Zylindern wäre das nicht passiert. Und erst recht nicht bei der Yamaha – sie hat keine Staufächer.
Außerdem verabschiedete sich im kurvenreichen Autobahnteilstück von Bologna nach Florenz die Gepäckrolle vom Gepäckträger der Honda, weil als Verzurrmöglichkeit lediglich zwei Nasen statt solider Ösen oder Bügel zur Verfügung stehen. Dauerhaftes Festzurren wie bei den beiden anderen Tourern ist so nicht möglich. Und aus einem weiteren Grund ist eine Gepäckrolle nicht empfehlenswert: Die latent vorhandene Pendelneigung der Pan European bei Tempi jenseits der 180 km/h wird dadurch deutlich verstärkt. Selbst die als fahrstabil bekannte FJR neigt unter solcher Beladung zum Wankelmut, während die BMW sich weitgehend unbeeindruckt zeigt.
Sehr lobenswert hingegen, dass alle drei Kandidatinnen bei flottem Autobahn-Reisetempo zwischen 160 und 180 km/h genügsam mit dem Kraftstoff umgehen. Ebenso die sehr guten Schadstoffwerte – G-Kat und SLS sei Dank. Sieben Liter (Yamaha) beziehungsweise 6,4 (BMW) und 6,3 Liter (Honda) lassen die Reiseschnitte bei Tankinhalten von 25 bis 29 Litern in die Höhe schnellen und das Umweltgewissen ruhen. Auf Landstraßen sind bei deutlich geringerem Verbrauch gar Etappen von 500 Kilometern und mehr machbar. Wer sich auf der Autobahn an die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h hält, kommt fast ebenso weit.
Und auf allen dreien entspannt ans Ziel. Sogar in der zweiten Reihe, wobei die RT das bequemste Plätzchen bietet, dicht gefolgt von der Pan European. Bei der Yamaha könnten die Soziusrasten etwas weiter vorn sein. Und die Koffer etwas billiger. Die schlagen mit satten 672 Euro zu Buche und treiben den Preis sogar über den der RT, die ihr bekannt gutes Gepäcksystem serienmäßig spazieren fährt. Genau wie die Pan European. Wer sie je ohne die integrierten Koffer gesehen hat, weiß, warum. Wieso aber bei einem Motorrad für rund 16000 Euro die Schlösser derart hakelig und labil sein müssen, dass jeder Verriegelungsversuch zum Geduldspiel verkommt, bleibt Honda-Geheimnis. Wie auch die Methode, mit der eine behandschuhte Hand westeuropäischer Ausmaße die Druckschalter für das überaus reichhaltig Multifunktionsdisplay (Uhrzeit, Kilometerstand, Tageskilometerzähler, Außentemperatur, Verbrauchsanzeige, Restkilometer- und Mengenanzeige bei Reserve) bedienen soll.
Aber solche Dinge werden nebensächlich, wenn Florenz und Siena passiert werden, die sanften Hügel der Toskana in einen atemberaubenden Sonnenuntergang gebettet sind und der herrliche 1999er Montalcino in den Gläsern funkelt. Wichtig hingegen die Erkenntnis: Mit diesen Motorrädern rückt der Frühsommer in der Toskana ganz nah an einen trüben Regentag in Stuttgart. Und die neue Honda Pan European ABS – so heißt sie offiziell – ganz nah an die etablierte FJR 1300 heran. Wenn das kein Grund für einen guten Schluck ist.

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1. Platz - Yamaha FJR 1300

Das war knapp. Sechs Pünktchen rettet die FJR 1300 aufs Siegerpodest. Aber nicht, weil sie der bessere Tourer ist, sondern das universellere Motorrad. Koffer ab – und schwupps mutiert die Yamaha zum tadellosen Sporttourer oder Cityflitzer. Auch würde der Vorsprung mit 26 oder gar 36 Punkten weitaus deutlicher ausfallen, wenn Yamaha der FJR endlich ein ABS oder gar die Kombination ABS/Verbundbremse spendieren würde.

2. Platz - Honda Pan European ABS

Knapp daneben ist in diesem Fall gar nicht vorbei. Die Nachfolgerin der ST 1100 hat vor allem durch den neuen Motor deutlich gewonnen. Quicklebendig, handlich, komfortabel: Auf diesem Motorrad lässt sich die Welt im Wortsinn mühelos erobern. In Sachen Qualität hingegen dürfte sich die neue Pan mitunter getrost an der alten orientieren. Solche Kofferschlösser haben in diesen Preisregionen ebenso wenig verloren wie die haltlos den Tank flankierende Sitzbank.

3. Platz - BMW R 1150 RT

Der Abstand zu den beiden anderen ist deutlich – und vor allem auf den Motor zurückzuführen. Der Boxer kann den beiden Vierzylindern weder in Laufkultur noch Leistung das Wasser reichen, wirkt in diesem starken Feld immer bemüht. Das Fahrwerk hingegen ist – abgesehen von den gewöhnungsbedürftigen BMW-typischen Eigenheiten – auf der Höhe der Zeit. Handlich, stabil und zielgenau, lässt sich mit der RT trefflich reisen, zumal auch die Ausstattung Tourenansprüchen gerecht wird.

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