Vergleichstest Zweizylinder-Tourer

Vergleichstest Zweizylinder-Tourer

BMW R 850 R und Yamaha TDM 850 wollen das Tourenfahren schmackhaft machen. Jede auf ihre Art und Weise.

Gesucht: Ein hubraumstarkes, gut motorisiertes Tourenmotorrad mit zwei Zylindern, möglichst wenig Plastik drumherum. Klassisch unverkleidet am besten und von hohem praktischen Nutzwert. Ein deutsches Fabrikat muß es sein, nur bitte nicht so teuer. Die Antwort auf dieses Anforderungsprofil fällt nicht nur Kennern der Szene leicht - eine BMW R 850 R, der Roadster der neuen Boxer-Baureihe, nominell 70 PS stark, ist für 17 159 Mark der preiswerteste Einstieg in die moderne Welt mehrzylindriger BMW-Motoren. Alle anderen Modelle aus gleichem Hause knabbern allzu sehr am Geldbeutel eines durchschnittlichen Haushaltes.

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Vielleicht besser, man geht gleich fremd, wenn’s Geld nicht reicht oder das Herkunftsland des gesuchten Objekts piepegal ist. Andere Mütter haben auch schöne Töchter, oder: Andere Hersteller bauen ebenfalls tolle, tourentaugliche Motorräder.

Die neue, zweite Auflage der Yamaha TDM 850 zum Beispiel muß sich hinter der BMW R 850 R nicht verstecken: ebenfalls zwei Zylinder, aber parallel angeordnet, mit 849 cm3 nahezu gleicher Hubraum und mit 80 PS Leistung gleichermaßen der Mittelklasse zuzuordnen. Alles zusammen im Sonderangebot: Gerade mal 15 950 Mark kostet der Sporttourer. Glatt 1200 Mark weniger als der kleine Roadster, aber dafür mit Halbschalenverkleidung inklusive, die zumindest den Wind abhält.

So etwas kann die R 850 R serienmäßig nicht bieten. Erst ein Griff ins BMW-Zubehörregal und xxx Mark aus dem eigenen Portemonnaie verhelfen der Münchenerin zu einem lenkerfesten Plexiglaswindschild und somit zu vergleichbar gutem Wind- und Wetterschutz. Überhaupt gewichten die Bayern das Thema Grundausstattung bei Tourern ganz eigen: Sind bei der TDM Tachometer, Drehzahlmesser und Temperaturanzeige noch Standard, findet sich im Cockpit der R 850 R lediglich ein großer, mittig angeordneter Tachometer. Sonst nichts. Analoge Uhr und Drehzahlmesser, zierlich klein und wegen ihrer schrägen, seitlichen Anordnung und labilen Lagerung schwer abzulesen, kosten extra.

Dafür bietet BMW serienmäßig eine Sitzhöhenverstellung des Fahrersitzes. In drei Positionen läßt sich das Fahrerniveau über eine Höhe von neun (!) Zentimetern von 760 Millimetern Sitzhöhe aufwärts justieren. Genügend Spielraum für kleine wie große Fahrer und Fahrerinnen, um auch im Stand oder beim Rangieren noch eine gute Figur zu machen. Nebst Seitenständer findet sich auch ein Hauptständer an der BMW, über den sich 247 Kilogramm Eigengewicht leicht aufbocken lassen, um eventuelle Kontrollen, Reifenwechsel oder auch Wartungsarbeiten durchzuführen. Und die halten sich in bescheidenen Grenzen. An der Einarmschwinge ist das Hinterrad ruckzuck ausgebaut und der Kardanantrieb arbeitet absolut wartungsfrei.

Der TDM-Besitzer hat indes alle Hände voll zu tun: Sein 234 Kilogramm schweres Motorrad kann sich nur über einen Seitenständer abstützen, die O-Ring Kette braucht regelmäßig Pflege, und das Hinterrad etliche Handgriffe, bevor es ausgebaut ist. Da wäre ein Hauptständer wirklich sinnvoll. Auch die Sitzposition, zwar nicht minder aufrecht und bequem als bei der R 850 R, kann nicht variiert werden. Im Falle der TDM besonders ärgerlich, denn die Sitzhöhe von 810 Milimetern - eine Folge der langen Federwege - ist alles andere als bescheiden und für kleine Fahrer fast schon indiskutabel, zumal die langbeinige TDM sich nicht so leicht rangieren läßt wie der Boxer mit seinem niedrigen Schwerpunkt.

Während bei der TDM 850 Preis und Ausstattung eine feste Größe sind, läßt sich die BMW noch weiter aufrüsten. Das knapp 2000 Mark teure ABS sei erwähnt. Schließlich dient es der Sicherheit. Nur entrückt die R 850 R damit, nunmehr an die 20 000 Mark teuer, jeglicher Vorstellung von einem preiswerten Tourenmotorrad.

Da läßt sich motorenseitig zwischen Boxer und Twin schon leichter Bilanz ziehen, ohne den Taschenrechner zwecks ständiger Preiskalkulation bemühen zu müssen.

Zuerst die BMW: Der unverkleidete Roadster kennt eigentlich zwei Motorvarianten: Den 1100er mit 80 PS und eben diese kleinere Hubraumvariante mit 854 cm3 und 70 PS. Trotz Leistungs- und Hubraummanko ist dieser Motor die bessere Wahl. Der weiche Leistungseinsatz, die Drehfreudigkeit, das breite nutzbare Drehzahlband und der vibrationsärmere Motorlauf verschaffen ihm dem Vorzug gegenüber dem ruppigeren, etwas träger wirkenden Hubraumriesen aus der gleichen Familie, der seine Fahrer obendrein noch durch deutliches Schieberuckeln bei konstanter Drehzahl nervt.

Und die angegebenen 70 PS stehen auch dieses Mal nur auf dem Papier. Mit gemessenen xx PS demonstriert die R 850 einmal mehr ihre motorischen Stärken. Kraftvoll und quirlig dreht der Boxer beim Beschleunigen in den einzelnen Gängen hoch, läßt, wenn vorhanden, die Drehzahlmessernadel schnell und ohne Verzögerung gegen den roten Bereich bei 7 500/min eilen. Aber auch schaltfaule Fahrweise und flotte Gangart schließen sich nicht aus. Überholvorgänge sind oft bereits abgeschlossen, bevor man einen Gang heruntergeschaltet hat.

Apropos schalten: Beim etwas überarbeiteten 1996er Getriebe lassen sich zwar die einzelnen Gänge leichter wechseln, doch Gefühl für die richtige Drehzahl ist beim Schalten noch immer angesagt, wenn der Schaltstufenwechsel nicht deutlich zu hören sein soll.

Knapp 190 km/h rennt die R 850 R solo und mit Windschild. Auf alle Fälle genug. Sie könnte aber auch schneller laufen, würde der Motor bei dieser Geschwindigkeit nicht schon voll in den roten Bereich hineindrehen. Eine größere Endübersetzung oder auch nur ein längerer fünfter Gang würden die Endgeschwindigkeit anheben, zumindest aber die Drehzahl senken. Letzteres hätte wenigstens einen niedrigeren Kraftstoffkonsum zur Folge, denn Verbräuche bis zu neun Litern auf hundert flotten Autobahnkilometern sind alles andere als günstig. Da kann auch der serienmäßige Katayator das Umweltgewissen kaum mehr beruhigen.

Der Fünfventil-Twin in der TDM 850 ist von anderem Kaliber, als die Leistung von 80 PS - gemessen sind es mit xx PS auch hier wieder mal mehr als angegeben - und das maximale Drehmoment von 80 Nm bei 6000/min vermuten lassen. Mit 270 Grad Hubzapfenversatz wie bei der TRX 850 und zwei Ausgleichswellen grummelt der Zweizylinder vibrationsarm vor sich hin. Bereits knapp über Standgas legt der Twin los, als gäbe es kein Halten mehr. Mit jedem kleinen Dreh am Gasgriff macht die TDM spontan einen Satz nach vorn, stiebt blitzschnell und druckvoll davon. Solch kraftvoller Antritt aus niedrigen Drehzahlen begünstigt schaltfaule, niedertourige Fahrweise. Die Drehzahlmessernadel sieht selten rot, und wenn, dann meint sie es nicht ernst: Willig und kontinuierlich steigerte der Testtwin sich gelegnetlich in den roten Bereich hinein. In Wahrheit jedoch eine Täuschung, eilt doch die Nadel der wahren Motordrehzahl weit voraus.

Dennoch: Die schier unbändige Kraft der TDM 850 hinterläßt einen solch nachhaltigen Eindruck, daß der durchaus quirlig kräftige Boxer dagegen wie eine lahme Ente wirkt. Gesegnet mit einer Endgeschwindigkeit deutlich über zweihundert Stundenkilometer und reichlich Kraftreserven, fällt auch der Verbrauch der TDM günstiger aus als bei der BMW. Bis zu einem Liter weniger auf hundert Kilometern zerstäuben die Vergaser als die Einspritzanlage der BMW.

Doch nicht auf alle Eigenschaften der TDM läßt sich ein Loblied singen. Das Getriebe schaltet sich trotz diverser Modifikationen gegenüber dem 1995er Modell noch immer laut und hakelig, und die Lastwechselreaktionen erweisen sich einmal mehr als eine Zumutung. Mit jedem Gaswechsel geht ein hartes Rucken durch die Maschine, so daß es in eng gefahrenen Kurven und Spitzkehren oft genug die saubere Linie verhagelt.

Dabei leistet sich die TDM 850 fahrwerksseitig im Grunde keine Schwächen. Besonders schnelle, langgezogene Kurven scheinen ihr wie auf den Leib geschnitten. Auch auf heftig mäandernden Straßen mit vielen Richtungswechseln zeigt sie sich von ihrer besten Seite. Zielgenau läßt sie sich in Kurven einlenken und mit maßvollem Kraftaufwand von einer Schräglage in die andere bringen.Die Fahrwerksabstimmung ist ganz auf Komfort ausgelegt, dafür sprechen schon die langen Federwege. Wie geschaffen ist die Yamaha für schlechte, holprige Fahrbahnbeläge, erst auf besonders hartnäckigen Wellblechpisten unterdämpft die Telegabel und wirkt stuckrig, nur ganz schlimme Lankwellen animieren das Heck zum Nachwingen. Voller Beladung jedoch hält der hintere Stoßdämpfer kann trotz zuschaltbarer zweiter Feder - ein Handgriff unter der Sitzbank genügt - nur unzureichend standhalten. Bisweilen geht die Feder im Zwei-Personen-Betrieb völlig auf Block.

Keinerlei Anlaß zur Kritik liefert die Bremsanlage der TDM. Die Doppelscheibenbremse im Vorderrad verzögert, was das Zeug hält. Geringe Handkraft und feinfühlige Dosierbarkeit lassen kaum Wünsche offen. Kurzum: Perfekt.

Das läßt sich von den BMW-Stoppern im Vorderbau der R 850 R nicht immer behaupten. Sie gehen zwar auch recht vehement zur Sache, doch mit der Dosierbarkeit der Doppelkolbenzangen ist es nicht so weit her. Ein stetig wandernder Druckpunkt am Handhebel trübte nicht nur an dieser Testmaschine den sonst so guten Eindruck der Doppelscheibenbremse im Vorderrad.

Indes erstrahlt die Fahrwerksabstimmung des Roadsters in glanzvollem Licht. Der sensibel ansprechenden Telelever-Gabel wurde bislang nichts ebenbürtiges entgegengesetzt. Noch so holprige Fahrbahnoberflächen bügelt sie glatt, als seien sie gerade frisch geteert. Ein weiterer Vorteil der unkonventionellen Vorderradführung: Sie taucht beim Bremsen weder ein und verschenkt kostbaren Federweg, noch beeinflußt sie das Lenkverhalten in Kurven negativ. In Sachen Handling kann sie weitere Vorteile für sich verbuchen. So handlich wie die R 850 R ist die TDM 850 bei weitem nicht. Wo der Yamaha-Pilot bereits kräftig nachhelfen muß, um den Sporttourer von einer Schräglage in die andere zu bringen, läßt sich der Roadster noch spielerisch leicht einlenken, ohne an Zielgenauigkeit einzubüßen. Nicht minder gut ist es um die gute Stabilität des nahezu unverkleideten Roadsters bestellt. Sportlich schneller Fahrweise begegnet das Fahrwerk mit stoischer Gelassenheit.

An den Federungskomfort der TDM allerdings reicht das Fahrwerk der R 850 R nicht heran. Gerade das hintere Federbein erweist sich als zu straff und stark gedämpft und gibt so manchen Kanaldeckel und tückisch tiefes Schlagloch ungefiltert weiter. Die straffe Hinterradfederung mag im positiven Sinne aber auch mit dafür verantwortlich sein, daß dieser Boxer praktisch keine Kardanreaktionen kennt.

Bei voller Beladung und Zwei-Personen-Betrieb übrigens stimmt die Federungabstimmung wieder, wenngleich der BMW-Fahrer wegen der leicht nach hinten abfallenden Sitzbank nicht den gleichen guten Sitzkomfort vorfindet wie auf anderen BMW-Modellen.

Überhaupt scheint nur die BMW der Aufgabe als Lastesel gewachsen zu sein. Mehr als 200 Kilogramm Gewicht kann sie aufnehmen, bevor sie bezüglich ihrer erlaubten Zuladung an Grenzen stößt. Der TDM scheinen die Techniker da weniger zuzutrauen. Vielleicht haben sie auch nur den Gedanken, ein konsequentes Tourenmotorrad bauen zu wollen, nicht zu Ende gesponnen: Gerade mal 175 Kilogramm Zuladung wird ihr zugestanden. Das langt gerade für zwei ausgewachsene Personen, Zahnbürste und Eurocard. Ein bißchen wenig, nicht wahr?

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