Yamaha Niken GT Fahrtest
Ein gutes Gefühl trotz oder wegen 3 Räder

Yamaha Niken GT im Fahrtest von MOTORRAD. Mit der neuen GT-Version will Yamaha in Deutschland endlich Erfolg mit dem dreirädrigen Konzept einzufahren.

In diesem Artikel:
  • 3 Räder, mehr Grip
  • 45 Grad Schräglage
  • Reifenwahl eine Qual
  • Mehr Hubraum für mehr Räder
  • CP3-Motor als Landstraßenkönig
  • Triple zu Touren
  • 2 Gabeln mit Top-Performance
  • Hartes Heck
  • Yamaha Niken GT
  • Aufbocken der Niken geht locker
  • Teurer Exot
  • Fazit

Wer als Hersteller ein Motorrad im Mikro-Kosmos von Sardinien präsentiert, weiß, was sein Gefährt(e) können muss: Bloß Kurvenkünstler bestehen in diesem Kurve-Eldorado im Mittelmeer. Und genau hierhin lädt Yamaha selbstbewusst zur Vorstellung der Niken GT. Nun war das unkonventionelle Konzept bisher nicht gerade ein durchschlagender Erfolg: Nur 3000 der Dreiräder verließen die Produktions-Bänder in Japan seit 2018. Trotzdem folgt nun die zweite Generation: Passt doch zu Yamaha: drei Stimmgabeln im Logo, drei Räder an der Niken GT.

Motorrad-Neuheiten

3 Räder, mehr Grip

Die Grundidee dabei: Schneller sicher fahren, sicherer schnell. 80 Prozent mehr Traktion an der Front verspricht Yamaha. Die Angst vor einem rutschenden Vorderrad (oder deren zwei) sollte damit der Vergangenheit angehören. Grip durch Grips. Ganz ehrlich: Einschüchternd durch die breite Front wirkt die Niken GT bloß im Stand. In der ersten Kurve, im ersten Kreisverkehr hast du das vergessen. Ist eben ein echtes Motorrad für Motorradfahrer: Bei 410 Millimeter Spurweite reicht ein Pkw-Führerschein nicht aus. Also stürzen wir uns mit dem "Alien" (Außerirdische werden vermutlich auch nicht mehr bestaunt) ins Kurven-Karussell.

45 Grad Schräglage

Tatsächlich ist das Sicherheitsgefühl und damit das Vertrauen immens. Einfach abgefahren, wie man volle Lotte ins Kurvendickicht stechen kann. Zielsicher segelt dieses Kurvensuchgerät durch sämtliche Biegungen, gibt sich erstaunlich handlich und behände. So lässt sich der dicke Brummer frech in die Ecken werfen. Stabilität trifft Agilität. Auch wenn die Lenkkräfte einen Tick höher ausfallen, als auf der einen Tag später gefahrenen Trace 9 GT+. Bis 45 Grad Schräglage bringt die ausgeklügelte Kinematik nach dem Prinzip der Ackermann Lenkgeometrie beide Vorderräder parallel in Schräglage.

Reifenwahl eine Qual

Dann schrabbeln auch bereits die langen Angstnippeln unter den Fußtasten, ziehen dem Asphalt einen Scheitel. Und selbst dann gilt: Auf trockener Fahrbahn bekommt man die zweistufig einstellbare uns zusätzlich abschaltbare Traktionskontrolle fasst nie zum Regeln. Genügend Grip bieten die Bridgestone-Reifen unter diesen Bedingungen. Allerdings schränken die 15-Zöller vorn die Auswahl erheblich ein. Die aufgezogenen Bridgestone A 41 haften erwiesenermaßen nicht besonders gut bei Nässe. Erfahrene Besitzer rüsten daher auf Michelin-Reifen mit Geschwindigkeitsindex H (bis 210 km/h) um.

Mehr Hubraum für mehr Räder

Fahrleistungen liegen im Zentrum der Modellpflege: Endlich befeuert der durch längeren Hub größere Dreizylinder mit 890 cm3 auch den 270-Kilo-Koloss. Damit rückt die Niken GT näher an Tracer & Co. Allerdings mit kleinen Abweichungen: Ihre Kurbelwangen fallen acht Prozent schwerer aus. Dies verbessert den Rundlauf im Drehzahlkeller nochmals. Macht den Triple beim Ausdrehen allerdings auch einen Tick weniger spritzig als in der Tracer 9 GT+. Er leistet in dieser Konfiguration "nur" 115 statt 119 PS im Einspur-Fahrzeug, drückt 91 statt 93 Newtonmeter. Immerhin liegt das maximale Drehmoment 1.500 Umdrehungen früher an, als im "alten", 847er-Triple.

CP3-Motor als Landstraßenkönig

Turbinenartig dreht das elastische Triebwerk der Niken GT hoch, läuft sanft, bietet Dampf ohne Ende, begeistert die Sinne: "wrrrouumm, wrrrouumm" halt es von den Felsen zurück. Der Bordcomputer gibt Schaltempfehlungen hoch wie runter. Und per Blipper sind Gangwechsel ruckzuck noch ohne den Griff zur leichtgängigen Kupplung erledigt. Und zwar im Bereich von 2.500 Touren aufwärts und zwischen Drehzahlen von 9.100 bis 2.000 abwärts. Allerdings arbeitet der Schaltassistent etwas knochig-harsch. Er ignoriert mitunter mal den einen oder anderen Schaltbefehl. Ab dem vierten Gang und Tempo 50 lässt sich zudem der Tempomat aktivieren.

Triple zu Touren

Ride-by-wire ermöglicht durch die elektronische Steuerung der Drosselklappen drei verschiedene Fahrmodi, Sport, Street und Rain. Street passt mit geschmeidiger, linearer Gasannahme perfekt ins Umfeld. Bei Tempo 100 rotiert die Kurbelwelle im sechsten Gang nervenschonend bloß 4.000-mal. Ein Dreizylinder gehört einfach in jede gute Garage, basta. Der Autor dieser Zeilen würde sogar sagen: "Ein Leben ohne Drilling ist möglich, aber sinnlos." Dabei ist das Aggregat im Dreirad um fünf Grad stärker geneigt, was ein anderes Kurbelgehäuse, einen größeren Kühler und einen geänderten Hauptrahmen nach sich zieht.

2 Gabeln mit Top-Performance

Vielleicht ist das weltweit sportlichste Dreirad das komfortabelste: Die Vorderradführung mit den vier steil stehenden Gabelholmen (Lenkkopfwinkel 70 Grad) tastet das Fahrbahnrelief sensibel wie ein Seismograf ab. Fast wie ein Luftkissen schwebt die ausladende Front über Frostaufbrüche, Schlaglöcher und Fahrbahnschwellen. Einfach sensationell, alles wird weggebügelt, trotz kompakter 110 Millimeter Federweg. Es gibt Reise-Enduros, deren Frontforken weniger Komfort bieten.

Fakt am Rande: Nur eine der beiden Gabeln an der Niken GT federt und dämpft – diejenige mit 43 Millimeter Durchmesser. Die andere mit 41 Millimeter Durchmesser ist technisch hohl und übernimmt lediglich Führungsaufgaben. Sie hält die Räder in der Spur.

Hartes Heck

Nicht ganz so sänftenartig arbeitet das überarbeitete Federbein. Es reicht trotz eines fast 40 Prozent leichteren Umlenkhebels (aus geschmiedetem Aluminium) und einer erhöhten Federrate von 2,3 statt 1,8 Erschütterungen trockener an den Steiß weiter. Das ist zwar nicht direkt unkomfortabel, dennoch: Eine semiaktive, selbsttätige Regulation der Dämpfung wie an der Tracer GT würde der Niken GT gut zu Gesicht stehen. So muss es das Handrad zur Anpassung der Federbasis an Beladung richten.

Trotzdem gibt die Niken GT einen guten Tourer ab. Klasse liegt der breite, hohe, sich konisch zu den Enden hin verjüngende Lenker zur Hand. Die Sitzposition ist wie es sich gehört: Aufrecht-souverän. Der Allerwerteste fläzt sich in einem langstreckentauglichen, neugestalteten Komfort-Sitz. Ein Fahrtag wird so zur reinsten Wonne. Neu ist ein Einhand-Zweihebelsystem, um die Scheibe ruckzuck sieben Zentimeter in der Höhe verstellen zu können. Besonders leise geht es für kleinere Piloten hinter dem stark gewölbten Windschild allerdings nicht zu. Der recht weit vorn und oben liegende Schwerpunkt vereitelt zwar Top-Bremswerte. Doch verlässliche Partner sind die Stopper allemal.

Yamaha Niken GT

Yamaha spendiert seinem Dreirad hochwertige Ausstattung. Dazu zählen zwei symmetrische Hartschalenkoffer, die jeweils 30 Liter fassen und je einen Integralhelm aufnehmen. Ehrensache sind neue, beleuchtete Schalter an den Lenkerarmaturen, links mit Joystick, und zwei US-Ladebuchsen im Cockpit und unter dem Sitz. Knackscharf informiert das kontrastreiche, hochauflösende 7-Zoll-TFT-Display in drei verschiedenen Anzeige-Modi. Es bietet das volle Programm an Smarthpone-Konnektivität, hin zu optional eingespielter Navigation per Garmin-App.

Aufbocken der Niken geht locker

Info für Dreirad-Touristen: Aufbocken fällt erstaunlich leicht. Gewöhnungsbedürftig sind auf den ersten Kilometern die weit weg liegenden, tief platzierten Spiegel. Tribute fordern rund ein Zentner Mehrgewicht und der viel höhere Luftwiderstand der breiten, zerklüfteten Front an der Tankstelle 5,5 bis 5,8 Liter je 100 Kilometer rauschen nach wirklich flotter Kurvenhatz in den 18 Liter fassenden Tank aus handgearbeitetem Aluminium. Eine Tracer 9 GT+ kommt auf gut einen halben Liter weniger, mit mehr PS.

Teurer Exot

Der Borcomputer zeigt Durchschnitts- wie Momentanverbrauch an, Umgebungs- und Kühlwassertemperatur, Fahrzeit und Durchschnittsgeschwindigkeit etc. Eigentlich fehlt für Kilometerfresser bloß noch ein Kardan. Schade nur, dass die Niken GT angesichts der komplexen Technik recht teuer geraten ist. Für 18.399 Euro wird das Dampfbügeleisen wohl ein Exot auf den Straßen bleiben. Auf Sardinien, wie in Deutschland. Unser Tipp: Wer die Gelegenheit hat, einfach mal ausprobieren, vorurteilsfrei herangehen.

Fazit

Ja klar, die Niken war ein Exot. Und das wird sie als neue, ziemlich teure GT-Version bleiben. Ihr Design mit der breiten Front polarisiert. Über ihre fahrerischen Qualitäten allerdings gibt es keine Zweifel: Sie fährt sagenhaft sicher, gesegnet mit einer höchst sensibel arbeitenden, komfortablen Vorderradführung. Ein Gefühl der Unstürzbarkeit fährt immer mit. Und der 900er-Dreizylinder ist selbst bei 270 Kilogramm Kampfgewicht ein Hammer!

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023