Zugegeben: Sie verbreiten weder Glamour noch Glitzer oder den Duft der großen weiten Welt. Dafür aber auch keinen Stress und keinen Leistungsdruck. Die vier Allrounder machen in den Alpen vieles ganz einfach - ein typischer Fall für Genießer.
Zugegeben: Sie verbreiten weder Glamour noch Glitzer oder den Duft der großen weiten Welt. Dafür aber auch keinen Stress und keinen Leistungsdruck. Die vier Allrounder machen in den Alpen vieles ganz einfach - ein typischer Fall für Genießer.
Die Zusammenstellung der einzelnen Gruppen ist beim Alpen-Masters mitunter ein Puzzlespiel. Etwa bei den Allroundern: Eigentlich hätte der neue BMW-Roller sein Genre in dieser Gruppe vertreten sollen, und die kleine MV Agusta Brutale wäre natürlich ebenfalls äußerst interessant gewesen. Bei beiden gab es aber kurz vor knapp eine Absage, also mussten Alternativlösungen her. Daher geht als Vertreter der Rollerzunft der aktuell renovierte Yamaha TMax an den Start. Und statt der kleinen MV darf dann doch eine BMW mit, nämlich die optisch geliftete BMW F 800 R. Diese beiden treten gegen Hondas neuartigen Preisbrecher NC 700 S und die renovierte Kawasaki ER-6n an.
Der TMax ist sicher mehr als ein Notnagel, immerhin der ungekrönte Rollerkönig Südeuropas, seit seinem Debüt vor gut zehn Jahren über 180 000-mal verkauft und neuerdings mit mehr Hubraum, mehr PS, mit ABS und weniger Gewicht versehen. Dennoch bleibt er mit 227 Kilogramm der dickste Brummer der Gruppe, ist für knapp 11000 Euro am teuersten und mit 47 PS und 52 Newtonmetern das schwächste Glied der Viererkette.
Für den Roller scheint das Desaster angesichts der Leistungsdaten und der steilen Passstraßen programmiert. Doch gar so schlimm kommt es nicht: Zwischen den fadendünnen Spitzkehren des Col de la Lombarde und den großzügigen Schwüngen des Bonette entpuppt sich der TMax als überraschend agiler Kumpel, der einen ausgesprochen gemütlichen Sitzplatz bietet und dank stufenloser Automatik oberlässiges Cruisen ermöglicht. Einfach rechts am Lenker drehen und es geht voran, einigermaßen zügig, sofern man es mit dem Reisetempo nicht übertreibt.
Dass der TMax beim Leistungsgewicht gehandicapt ist, kann die Variomatik nicht ganz kaschieren. Beim Durchzug am Berg liefert der TMax abgeschlagen die langsamsten Messwerte, obwohl er seine Übersetzung kontinuierlich optimiert, während die Motor
räder im zweiten Gang bleiben müssen. Beim Sprint von 50 auf 100 km/h schafft er dank des Automatik-Tricks aber 7,2 Sekunden, mit denen er voll bei der Musik ist – natürlich nur, solange die Motorräder nicht runterschalten. Bei verschärfter Gangart wird allerdings TMax ein T-Mäxchen. Die kleinen 15-Zoll-Räder schränken zudem die Schräglagenfreiheit ein und machen die Fuhre kippelig, das Einlenken gelingt längst nicht so präzise wie mit einem Motorrad. Auch die passive Sitzhaltung trübt das Passvergnügen auf Dauer ein wenig. Gepäck immerhin passt ausreichend ins Staufach unter der Sitzbank, bei Bedarf liefert Yamaha gegen Aufpreis eine Tunneltasche oder ein Topcase.
Koffer und Gepäckbrücke bringt die BMW F 800 R schon mit, dazu Heizgriffe, Bordcomputer, LED-Blinker und natürlich ABS – alles zahlungspflichtige Extras. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Die flotte Münchnerin scheint wie für die Alpen geschaffen, fegt mit ihren gemessenen 95 PS wie ein Irrwisch über Berg und Tal, gibt viel Rückmeldung, bremst bestens und biegt präzise um jede Kurve, sei sie nun eng oder weit geschnitten. Eine korrigierende Hand braucht sie praktisch nie. Der Bonette ist so in Windeseile und völlig stressfrei erobert – hurra, wo geht es hier auf kürzestem Weg zum nächsten Pass? In der Gruppe macht man sich mit ihr allerdings nicht beliebt, denn während die anderen Fahrer längst nach der Pause schmachten, fühlt sich der BMW-Treiber noch immer frisch und ausgeruht und giert nach weiteren alpinen Großtaten. Das Motorrad steht ihm da nicht nach, denn dank des geringen Spritverbrauchs liegt die Reichweite bei fast 400 Kilometern. Eine überzeugende Vorstellung, zumal sich die BMW abends dank des geringsten Gewichts der vier Allrounder auch noch prima auf dem Hotelparkplatz rangieren lässt.
Nur 5490 Euro, halb so viel wie der TMax, kostet Hondas Neuerscheinung NC 700 S – einschließlich ABS wohlgemerkt. Mit 49 PS schlägt sie den Roller in Sachen Leistung knapp und bringt zudem zwölf Kilo weniger auf die Waage, doch das hilft ihr nur bedingt auf die Sprünge. In zähen zwölf Sekunden schafft sie es von null auf Tempo 140, und beim Durchzug in dünner Höhenluft geht der Honda die Puste endgültig aus: Fast 19 Sekunden dauert es, bis sie sich von 50 auf 100 km/h müht. Den Überholversuch kurz vor der Spitzkehre sollte man mit ihr daher schön bleiben lassen, zumindest bergauf. Zudem läuft die NC auf der Geraden häufig in den Begrenzer, wenn man, von der BMW verwöhnt, auf der instinktiven Suche nach mehr Druck den Gashahn zu weit aufreißt.
Was also tun? Erst mal ganz ruhig im Kopf ein bis zwei Gänge runterschalten und den Blick über die majestätischen Gipfel der Seealpen schweifen lassen, statt hoffnungslos der BMW hinterherzuhetzen. Und siehe da, sobald die 700er sich nicht überfordert fühlt, sobald sie ihr Tempo selbst bestimmen darf, läuft es richtig rund. Auf ihr Fahrverhalten kann sie nämlich stolz sein, sie zirkelt so spielerisch exakt um engste Serpentinen wie keine ihrer Konkurrentinnen. Bremsen, Kuppeln, Einlenken, das alles beherrscht sie locker flockig. Für den knapp kalkulierten Preis eine richtig gute Vorstellung. Sparsam gibt sich die in Japan gefertigte Maschine obendrein, nur 3,7 Liter verbraucht sie in den Bergen – das ist Rekord beim Alpen-Masters.
Ebenfalls zum kleinen Preis gibt es die Kawasaki ER-6n, wenn auch für knapp 7000 Euro nicht ganz so günstig wie die Honda. Dafür weist sie auf dem Prüfstand gut 20 PS mehr aus, nämlich deren 73. Doch davon ist zunächst wenig zu spüren, bis 6000/min hält sich der Vortrieb sehr in Grenzen. Erst darüber entfaltet sie ihr ganzes Potenzial – untypisch für einen Zweizylinder, dieser fehlende Bums von ganz unten. Hat man sich daran aber erst einmal gewöhnt, lässt sich die Kawa genauso lässig über die Berg- und Talbahnen steuern wie die Honda, nur eben viel flotter. Bei höheren Drehzahlen räubert sie über die Pässe, denn bergauf im zweiten Gang legt sie den besten Messwert der Allrounder-Gruppe hin und hängt sogar die sonst so untadelige BMW ab.
Die wahrt angesichts dieser kleinen Niederlage aber unbeeindruckt die Contenance: Schließlich liegt sie um fast 50 Punkte vor ihren Konkurrentinnen und zieht als Gruppensiegerin hochverdient ins große Finale ein.
Fazit: Sieger BMW F 800 R
Und wieder eine Eier legene Wollmilchsau aus Bayern. Die 800er kann einfach alles, und zwar deutlich besser als die Konkurrenz. In den Alpen ist der unkomplizierte Roadster so schwungvoll und leichtfüßig bei der Musik, dass ihm sogar die Murmeltiere bewundernd hinterherpfeifen. Mehr Motorrad braucht man in den Bergen nur selten.
Daten
Zweizylinder, 798 cm³, 87 PS, 86 Nm, 205 kg, Zuladung 200 kg, ABS, 8400Euro/10301 Euro*
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 4,2 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 384 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 8,5 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 7,9 s
Bremsweg bergab: 24,1 m
Plus
In Sachen Motor, Fahrverhalten und Alltagstauglichkeit liegt die BMW uneinholbar vor den Konkurrentinnen. Sie ist eine Spaßmacherin erster Güte und im Quartett die Einzige, die genug Leistung und Platz für zwei bietet.
Minus
Mitunter spürbare Lastwechselreaktionen und die Neigung, sich beim Bremsen ein wenig aufzustellen - das wars schon an Kritik.
*inkl. ABS (717 Euro). LED-Blinker (96 Euro), Bordcomputer (146 Euro), Heizgriffe (197 Euro), Koffersatz (625 Euro) und Gepäckbrücke (120 Euro)
Daten
Zweizylinder, 670 cm³, 48 PS, 60 Nm, 215 kg, Zuladung 209 kg, ABS, 5490 Euro/6191 Euro*
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 3,7 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 384 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 18,9 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 9,7 s
Bremsweg bergab: 24,9 m
Plus
Für Sparfüchse zum sensationell niedrigen Preis und mit dem geringsten Verbrauch in den Bergen. Typisch Honda, macht es die NC ihrem Fahrer leicht, stresst nie und lässt stets genug Zeit, nicht nur die Kurven, sondern auch das Panorama zu erleben.
Minus
Vom schwächlichen Motor sollte man keine Wunder erwarten und ihn daher nicht über Gebühr mit Gewicht strapazieren, etwas mehr Drehfreude wäre sicher hilfreich.
*inkl. Koffersatz (701 Euro)
Daten
Zweizylinder, 649 cm³, 72 PS, 64 Nm, 208 kg, Zuladung 198 kg, ABS, 6995 Euro
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 4,5 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 359 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 10,9 s
Durchzug im 2. Gang 25-75 km/h: 6,7 s
Bremsweg bergab: 27,1 m
Plus
Der Motor kommt spät, aber gewaltig: Bei 6000/min legt die Kawa einen Zahn zu und eignet sich so selbst bergauf für gelegentliche Sprintduelle. Die Sitzposition ist gut für Fahrer bis etwa 1,70 Meter.
Minus
Zu zweit kein wirklicher Spaß. Zwar zieht der Motor selbst dann noch hurtig voran, doch die Kawa ist einfach zu klein für zwei ausgewachsene Mitteleuropäer.
Daten
Zweizylinder, 530 cm³, 47 PS, 52 Nm, 227 kg, Zuladung 188 kg, ABS, 10995 Euro
Messwerte
Testverbrauch Pässe: 4,4 l/100 km
theor. Reichweite Pässe: 338 km
Durchzug 50-100 km/h in 2700 m ü. NN: 7,2 s
Durchzug 25-75 km/h: 12,0 s
Bremsweg bergab: 27,2 m
Plus
Der Komfortkönig. Mit seiner üppigen Verkleidung schützt er besser vor Wind und Wetter als jedes Motorrad. Wer gemütlich cruisen und dabei auch noch so bequem sitzen will, ist bei dem Automatikroller richtig.
Minus
Er kippelt etwas, stellt sich beim Bremsen leicht auf und lenkt nicht wirklich präzise ein: Beim Fahrverhalten ist der Tmax das Schlusslicht, mit Beifahrer verlassen ihn schnell die Kräfte. Im Vergleich viel zu teuer.