Zweizylinder-Naked-Bikes im Alpen-Masters 2014
Honda NC 750, Moto Guzzi V7 Special, Yamaha MT-07, Yamaha XV 950

Honda NC 750, Moto Guzzi V7 Special, Yamaha MT-07, Yamaha XV 950: Vier Zweizylinder mit ganz unterschiedlichen Konzepten ringen um die Alpen-Masters-Krone in der kleinsten Klasse, vom Cruiser über ein Classic und ein Naked Bike bis hin zum Allrounder.

Honda NC 750, Moto Guzzi V7 Special, Yamaha MT-07, Yamaha XV 950
Foto: Foto: jkuenstle.de

Damit eines gleich klar ist: Der Name „Beginner“ bedeutet nicht, dass diese vier Motorräder die Krabbelgruppe des Alpen-Masters 2014 darstellen und lediglich ein mitleidiges Lächeln verdienen. Für absolute Motorradanfänger eignen sich die Twins nur bedingt, denn außer der Moto Guzzi V7 bringen sie mehr Power mit, als die 48-PS-Klasse erlaubt. Der Begriff „Beginner“, gewählt mit Rücksicht auf die internationalen Partner beim Alpen-Masters, meint vielmehr Alpen-Neulinge oder einfach genussfreudige Menschen, die lieber entspannt durch die Dolomiten gleiten, als gestresst von Pass zu Pass zu jagen.

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Die vier Motorräder verfolgen unterschiedliche Konzepte. Yamaha steuert zwei brandneue Modelle bei, nämlich den coolen Cruiser Yamaha XV 950 und das aufsehenerregende Naked Bike Yamaha MT-07. Moto Guzzi stellt den bildschönen Klassiker V7 Special, bei dem die Lichtmaschine im Unterschied zum Vorjahresmodell nun im Ölbad läuft. Das macht fahrerisch zwar keinen Unterschied, berechtigt die charismatische Italienerin aber zum neuerlichen Start beim Alpen-Masters. Von Honda kommt schließlich der Allrounder NC 750 X, der im Vergleich zum Vorgänger mit 50 cm³ mehr Hubraum aufwartet, was dank des verbesserten Drehmoments tatsächlich spürbar ist.

Mit einem Cruiser in die Alpen – Yamaha XV 950

Die ungewöhnlichste Wahl für eine Alpentour ist zweifelsohne Yamahas fünf Zentner schwerer Cruiser XV 950. Vergleichsweise langer Radstand, flacher Lenkkopfwinkel, niedrig verlegte Fußrasten – nicht die besten Prämissen für die Pirsch durchs Kurvenrevier. Die lässt sich dennoch verheißungsvoll an, denn der Sitzplatz fällt kuscheliger aus als erwartet, die Fußrasten erlauben einen bequemen Kniewinkel, und der Lenker liegt lässig in der Hand. Ein großer Pluspunkt ist der luftgekühlte V2-Motor mit gemessenen 54 PS, der schon bei 3000 Touren seinen Höchstwert von 81 Newtonmetern drückt. Mit einem solchen Antrieb kann man sich in den Dolomiten schwindelig fahren. Oder besser gesagt: könnte, denn wegen der Auspuffanlage steht die rechte Fußraste weit nach außen und setzt früh auf, und zwar mitsamt ihrem massiven Träger, was im schlimmsten Fall das Motorrad böse aushebeln kann.

Solch trübe Aussichten dämpfen den Vorwärtsdrang erheblich, und so bleibt Zeit, den weiteren Macken der Yamaha XV 950 auf die Spur zu kommen. Dazu zählen der mangelnde Federweg, der auf Schlaglochpässen wie dem Campolongo besonders unangenehm auffällt. Der nicht einstellbare Bremshebel lässt sich manchmal fast bis zum Lenker ziehen, und die üppige Zuladung hilft wenig, weil es keine Möglichkeiten zur Gepäckbefestigung gibt. Insgesamt eignet sich die XV trotz ihres schönen Motors doch nicht so gut zum unbeschwerten Kurventurnen in luftiger Höhe. Wer’s dennoch tut, sollte gerade Rechtskurven vorsichtig angehen.

Mitten ins Herz – Moto Guzzi V7 Special

Im ähnlichen Preisbereich wie die Yamaha XV 950, nämlich bei gut 8500 Euro, liegt die Moto Guzzi V7 Special, die mit aufrechter Sitzposition und klassischer Linie ganz andere Motorradfahrer anspricht. Auch bei ihr steht der Motor auf der Habenseite, selbst wenn er auf dem Prüfstand nur 45 PS leistet und das Drehmoment mit knapp 59 Newtonmetern eher schwächlich ausfällt. Doch dafür entschädigt dieses unnachahmliche Schütteln, mit dem sich der italienische V2 in Bewegung setzt und seinen Fahrer fortan mit bassigem Blubbern betört.

Die gediegene Verarbeitung und die schönen analogen Rundinstrumente tragen zum Wonnegefühl im Sattel bei. Nicht ganz so genau nahmen es die Guzzi-Werker offenbar mit der Montage, denn zweimal gingen unterwegs Kleinteile verloren, darunter die Anschlagschraube für die Fußbremse. Eher unterdurchschnittlich schneidet das Getriebe ab, denn die Schaltwege sind lang, und die schwammige Kupplung trennt nicht gerade messerscharf. Dafür protzt die Moto Guzzi V7 Special dank 21-Liter-Tank mit einer Reichweite von satten 457 Kilometern – in den Bergen, wo Tankstellen nicht allzu dicht gesät sind, von echtem Vorteil.

Nicht blenden lassen sollte man sich vom recht kommod wirkenden Plätzchen für den Sozius: Die Sitzbank ist zu kurz, die Haltegriffe sind kaum erreichbar, und die Fußrasten liegen viel zu hoch, mal ganz abgesehen davon, dass der Guzzi mit Beifahrer die Puste noch früher ausgeht. Und doch: Einigt man sich mit sich selbst darauf, dass es nicht nassforsch zur Sache gehen muss, beschert die Moto Guzzi V7 Special echtes Alpenglück und spielt ihre Stärken aus, beschleunigt linear und folgt in engen Kehren der Linie genauso wie in weiten Kurven. Kurz: Sie wirkt wie aus einem Guss und begeistert mit harmonischem Fahrverhalten. Keine Frage, die kleine Guzzi trifft auch sechs Jahre nach ihrem Erscheinen immer noch mitten ins Herz. Auf einen der vorderen Plätze hat sie mit ihrer eher knappen Leistung und ohne ABS aber keine Chance.

Schnalzt von Kehre zu Kehre – Yamaha MT-07

So läuft es auf ein Duell zwischen der Yamaha MT-07 und der Honda NC 750 X hinaus, den beiden günstigsten Maschinen im Quartett. Zunächst scheint alles klar, denn in Sachen Antrieb liegt die Yamaha MT-07 mit ihren gemessenen 76 PS weit vorn und entpuppt sich mit knackigem Durchzug als wackere Alpenheidi. Bergauf mit Beifahrer schafft sie es im zweiten Gang von 25 auf 75 km/h in nur 4,9 Sekunden. Völlig unangestrengt schnalzt sie von Kehre zu Kehre, wieselt genauso flink durchs flüssige Geläuf am Pordoi wie über das fadendünne Sträßchen zum Falzarego-Pass. Der 689-cm³-Twin ist für die Berge prima abgestimmt und produziert bereits bei 3000/min ein Drehmoment von knapp 60 Newtonmetern. Besonders erfreulich ist das geringe Gewicht: Nur 184 Kilogramm bringt Yamahas Naked Bike vollgetankt auf die Waage. Für nicht ganz so routinierte Fahrer im anspruchsvollen Kurvengeschlängel der Alpen eine wahre Erleichterung.

Bescheidene Durchzugsfähigkeiten – Honda NC 750 X

Der Allrounder von Honda kann da nicht mithalten. Die Honda NC 750 X schleppt fast 40 Kilo mehr mit sich herum, und ihre Durchzugsfähigkeiten fallen eher bescheiden aus; in 2000 Metern Höhe legt sie mit 14,6 Sekunden von 50 auf 100 km/h gar den schlechtesten Wert im ganzen Alpen-Masters hin, was an ihrem extrem langen sechsten Gang liegt. Die 57 gemessenen PS, unterstützt durch ein vom Start weg fülliges Drehmoment, würden dennoch für ein gelun­genes Alpenspektakel reichen, doch leider hat Honda eine echte Spaßbremse eingebaut: Schon bei 6500/min läuft die 750er in den Begrenzer, was beim Beschleunigen auf den meist kurzen Geraden zwischen den zahlreichen Spitzkehren ungemein nervt. Gas und Kupplung lassen sich in engen Kehren immerhin schön feinfühlig dosieren, ansonsten hechelt die Honda der Yamaha hinterher.

Beim Fahrverhalten holt sie dann aber auf. Zwar gibt sich die deutlich leichtere Yamaha MT-07 noch eine Spur handlicher, agiert dafür aber nicht ganz so präzise und stabil. Im Vergleich zur Honda wirkt sie kippeliger, was in manchen Schräglagen eine unschöne Schrecksekunde beschert. Außer bei wirklich groben Kanten sprechen die Federelemente der Honda gut an, die MT-07 hingegen macht selbst kleine Unebenheiten im oft schadhaften Asphalt der Dolomitenpässe spürbar. Bei der Vollbremsung bergab steht die Honda trotz ihrer Einzel-bremsscheibe vorn früher, sofern der Fahrer wirklich beherzt in die Eisen greift. Die Stopper der MT-07 brauchen viel weniger Handkraft und entfalten gute Wirkung, doch leistet sie sich einen Stoppie – das gibt Punktabzug fürs ABS. In Sachen Komfort schließlich eilt die Honda weit voraus, bietet Fahrer und Beifahrer kommode Sitzgelegenheiten sowie einen annehmbaren Wetterschutz. Federn lässt die MT-07 auch in Sachen Gepäckunterbringung, und den hohen Beifahrersitz ohne Haltegriffe wünscht man für eine längere Alpentour niemandem. Insgesamt verliert die MT-07 trotz ihres quirligen Motors und des geringen Gewichts so weit an alpinem Boden, dass sich die nicht ganz so pfiffige, aber grundsolide Honda NC 750 X mit 16 Punkten Vorsprung durchsetzt und in der kleinsten Klasse der Alpenbezwinger gewinnt.

Platzierungen und Fazit

Foto: MRD
Die Daten und Messwerte der Beginner-Bikes.

Platz 1: Honda NC 750 X

Foto: www.jkuenstle.de
Auf dem 1. Platz und somit weiter ist die Honda NC 750 X.

Plus
anständiges Fahrwerk
geringster Verbrauch im ganzen Alpen-Masters
ordentlicher Wetterschutz
praktisches Staufach unter der Tankattrappe
bequem für Fahrer und Beifahrer

Minus
Drehzahlbegrenzer nervt bereits bei 6500/min
durchwachsene Durchzugswerte

Platz 2: Yamaha MT-07

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Den 2. Platz belegt die Yamaha MT-07.

Plus 
stark bei Durchzug
und Beschleunigung
glänzend abgestimmter Gute-Laune-Motor
geringes Gewicht
niedriger Preis

Minus
Fahrwerk nicht auf Höhe des Motors
leicht kippelig in Schräglage
Stoppie bei Vollbremsung
schlechter Soziussitz

Platz 3: Moto Guzzi V7 Special

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Auf dem 3. Platz landet die Moto Guzzi V7 Special.

Plus 
charakterstarker Motor
unnachahmlicher Sound
schöne Details,
gute Verarbeitung
enorme Reichweite

Minus
kein ABS
mäßiger Durchzug,
vor allem bergauf
eher mickrige Fahr-
leis­tungen
schwammige Kupplung, lange Schaltwege

Platz 4: Yamaha XV 950

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Den 4. Platz belegt die Yamaha XV 950.

Plus 
viel Drehmoment aus dem Keller
großvolumiger Motor
gutes Ansprechverhalten
niedrige Sitzhöhe
unerwartet ergonomischer Sitzplatz

Minus
setzt rechts sehr früh auf
Federung schlägt durch
Gepäckunterbringung schwierig
hohes Gewicht

Fazit

Foto: MRD
Die Bewertung der Bikes.

Spannender alpiner Wettkampf mit überraschendem Ergebnis: Die neue Yamaha MT-07 kann sich nicht durchsetzen, dem quirligen Motor und dem pfiffigen Konzept zum Trotz. Mit mehr Komfort und besserem Fahrwerk gewinnt die alltagstauglichere Honda NC 750 X und zieht ins Finale ein. Moto Guzzi V7 Special und Yamaha XV 950 landen auf den Plätzen drei und vier.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023