Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster im Vergleich

Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster im Vergleich
Volle-Hütte-Sofa-Cruiser

Zuletzt aktualisiert am 20.08.2015

Natürlich sind sie nicht wirklich alt, die beiden Volle-Hütte-Sofa-Cruiser Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster. In vielerlei Hinsicht sind sie sogar ziemlich jung und modern. Die Electra Glide Ultra Limited, Milwaukees Flaggschiff, trägt seit letzter Saison Teilwasserkühlung, hat Integral-ABS und mit der „Boombox“ ein State-of-the-Art-Infotainmentsystem, das manchen Mittelklasse-Pkw beschämt.

Die Indian Roadmaster ist, gedankt sei’s dem Polaris-Konzern, unter dessen Zügeln die jüngst wiederauferstandene Traditionsmarke galoppiert, sogar eine völlige Neukons­truktion. Die Kavallerie-Attacke auf den Ultra-Limited-Platzhirsch verfügt über Alurahmen, Sitzheizung, CAN-BUS und Bluetooth. Doch für das gefühlte Alter der beiden spielt all das keine Rolle, denn ihre spirituelle Herkunft liegt irgendwo im tiefsten 20. Jahrhundert. Als die Duo Glide 1965 durch den magischen Starterknopf zur Electra Glide wurde, träumte die Menschheit noch von der Mondlandung. Und während der Bauzeit der ersten Chief Roadmaster zwischen 1950 und 1953 empfahlen vier von fünf Ärzten noch Marlboro. Diese beiden Urgesteine wiederum können ihre Wurzeln bis zum Anfang des Jahrhunderts verfolgen, in eine Zeit, als die Ventile noch unten lagen, als man unter CAN-BUS einen mobilen Konservenhändler verstanden hätte und unter Boombox eine Kiste Dynamit.

Nicht retro, sondern historisch

Vor uns haben wir also die beiden dicksten und luxuriösesten Schiffe der ältesten und amerikanischsten Motorradhersteller der Welt (okay, Indian war mal kurz weg), zwei Eisen von ganz besonderem Format. Sie sind Baujahr 2015, stehen auf den Schultern von Giganten und tragen ihr gewichtiges Erbe mit Selbstverständlichkeit und amerikanischem Stolz. Untenliegende Nockenwellen, Stoßstangen, Zweiventiltechnik, Hubraum, der noch vom Hub kommt, großzügigster Umgang mit Eisen und Chrom. Dazu Formen irgendwo zwischen Barock und Art déco – die zwei sind nicht retro, sondern historisch. Und genau darin liegt ihr Appeal für all jene, die offen sind für diese Form der zweirädrigen Brauchtumspflege. So wie bei jeder Form der Nostalgie steckt auch in Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster ein Versprechen. „Ich nehm dich mit zurück in eine Zeit, in der alles besser war“, murmeln sie dir zu. „Lass uns zusammen an einen Ort fahren, wo die Straßen gerade sind und am Horizont verschwinden, wo in den Bächen Benzin fließt und wo immerzu die Sonne untergeht. Wir halten am Roadside Diner. Im Radio spielen sie Bob Seger, du trinkst Kaffee mit den Truckern. Und Mindy, die Barfrau, nennt dich Honey.“ Oder wenigstens so ähnlich. 

Schön und gut, soll ja jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Was aber, wenn man sich in Ermangelung der Gnade früher Geburt noch nicht zurücksehnt nach den besseren Zeiten? Was, wenn man als Maßstab an ein Motorrad Funktionalität, Fahrdynamik und Preis-Leistungs-Verhältnis anlegt? Was, wenn das Versprechen der großen Freiheit und des amerikanischen Lebensgefühls auf graue Montagmorgen in Merkels Republik trifft und auf innerstädtisches Stop-and-go? Dann stehen da plötzlich gut 400 Kilo Metall, vorangetrieben von läppischen 80 PS, und das für fast 30.000 Euro. Dann hätten die vollgasverstrahlten Testkollegen aus der ganz schnellen Ecke recht mit ihrem hämischen Grinsen, die eben den etwas unbeholfenen Erstkontakt zwischen Jungredakteur und den zwei ziemlich reifen, und, sagen wir mal amerikanisch proportionierten Damen beäugeln. Denn ganz nüchtern betrachtet, im kalten Licht der Tiefgarage, sehen die Dream Machines auch ein ganz kleines bisschen aus wie zweirädrige Realitätsverweigerung.

Gegen die beiden ist eine Rocket III handlich

Wir gehen trotzdem unvoreingenommen an die Sache heran, das gebieten journalistischer Ehrgeiz und der Respekt vor zwei Denkmälern. Respekt, das ist dann auch die unmittelbare Reaktion, die Indian Roadmaster und Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited beim Rangieren abnötigen. Gegen die beiden ist eine Triumph Rocket III handlich. Kraft, Balance und Planung sind gefragt, gilt es, die Kolosse in die richtige Windrichtung zu bugsieren. Einmal bergab in einer engen Sackgasse richtig dumm eingeparkt, und es braucht hilfreiche Passanten oder gleich einen Abschleppdienst, um da wieder rauszukommen. Stadtverkehr bedeutet mehr Schwerstarbeit. Zum ersten Mal machst du dir auf ­einem Motorrad Gedanken über die Platzverhältnisse im Verkehrsraum. In Parkhäusern, durch die du sonst gedankenverloren durchgerollt bist, will jetzt eine Linie gefunden werden. Durchschlängeln an der Ampel? No Sir! Schon der Gedanke verbietet sich. Neben der Indian wirkt ein Smart wie Spielzeug. Immerhin, die Begegnung mit dem Cityflitzer führt uns vor Augen, unter welcher Flagge die großvolumigen Bigger-is-better-Buden segeln. Im uniformierten Einerlei von grauen Vertreterdieseln und ewig schwarzen Mutti-mit-Kind-SUVs, Rollern und Kleinstwagen wirken sie wie ein blutiges T-Bone-Steak in einer Schüssel Rohkostsalat, in deutschen Innenstädten so herrlich deplatziert wie ein Clown bei einer Beerdigung. Allein das verdient Applaus.

Trotzdem, erst mal will sich keine Harmonie einstellen. Die Harley gibt sich bei niedrigen Geschwindigkeiten unruhig, die Kupplung der Indian geht so schwer, als wäre sie mit Kleister geschmiert, dazu grillt dir der Straßenmeister dein rechtes Bein wie Stockbrot am Lagerfeuer. An einem so ungeeigneten Treffpunkt fängt keine Liebesgeschichte an. Also schnellstens diesen Großstadtwahnsinn beenden und raus an irgendeinen Ort, wo so etwas wie Prärie-Feeling aufkommt. Dahin, wo die Straßen weit sind, die Autos selten und die Siedlungen dünn gesät. Hinaus auf’s Land, hinaus auf die Schwäbische Alb!

Harley-Davidson E-Glide cleaner, schnörkelloser

Kaum hier draußen angekommen, wo sich fein geschwungene Sträßchen durch die spätsommerlich goldglühenden Felder schlängeln, verführen die Kilometerfresser-Kolosse mit einer Charme-Breitseite. Hier erbringen Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster den Beweis, dass Liebe auch auf den zweiten Blick möglich ist. Es ist zwar nicht Kansas oder Kentucky, aber auch zwischen Geislingen und Albstadt fühlen sie sich gleich heimisch. Mit kernigem Kalonk, für das man an der Fußgängerzone noch mitleidiges Lächeln geerntet hätte, einmal den korrekten Gang herbeigewippt, der Fünfer oder Sechser passt eigentlich immer, dann dem Maschinenraum den Befehl auf halbe Kraft telegrafiert, die Drehzahl pendelt sich diesseits der 2000 Touren ein, die Motoren huben vor sich hin. Bässe massieren die Seele, aus dem Radio singt Bruce Springsteen von seiner Heimatstadt. Was die Watte-Fahrwerke an Unebenheiten nicht schlucken, fressen die Sofakissen unterm Allerwertesten. ­Panorama-Windschutzscheiben und Beinschilder halten Böen und lästiges Kleingetier effektiv von Kapitän und Besatzung fern, einstellbare Windabweiser dosieren exakt die passende Menge an Frischluftzufuhr. Unangestrengt liefern die Motoren das bisschen Vortrieb, was es hierzu braucht. Ein Puzzleteil fügt sich ins andere, und plötzlich ist es da, das viel beschworene Cruiser-Feeling. Und es ist da in hochdestillierter Form, über Jahrzehnte im Eichenfass verfeinert wie – Sie wissen schon. 

Dabei sind Indian Roadmaster und Harley-Davidson E-Glide, so ähnlich sie sich auch auf den ersten Blick sein mögen, bei genauer Betrachtung zwei Maschinen mit recht unterschiedlichem Wesen, und das wiederum hängt mit ihrer Herkunft zusammen. Einfach gesagt ist die Harley-Davidson Electra Glide das Original. FLHTK wird in diesem Jahr 50 und war nie wirklich weg. Die Indian ist, wenn wir ein bisschen grausam sind, hier der Nachahmer, auch wenn sie sich auf ihr historisches Vorbild berufen kann. Die Ultra Limited ist wie Mick Jagger, ein mit allen Wassern gewaschener, abgebrühter Rocker, und muss niemandem mehr etwas beweisen. Ihr 103 Cubic Inch Twin (1690 Kubikzentimeter) vibriert stärker (aber nie störend), röhrt, dank allerlei Klappentrickserei, viel brünstiger und bei voller Fahrt voraus ein bisschen obszön. Das Design, mit der Zeit gereift so wie gut abgehangenes Beef Jerky, wirkt im Vergleich cleaner, schnörkelloser.

Indian Roadmaster geschliffener, frischer

Die Indian Roadmaster dagegen muss es als New Kid besser machen. Außen trägt sie mehr Schminke, und unter dem noch üppigeren, verspielten Blechkleid ist sie das geschliffenere, frischere Motorrad. Sie rollt runder, besonders bei niedrigen Geschwindigkeiten, federt noch mal weicher. Ihr Thunderstroke-V-Twin mit mächtigen 111 Cubic ­Inches oder 1811 metrischen Kubikzentimetern unterstreicht den Auftritt als noble Rothaut. Er läuft sahnig und geschmeidig und schiebt mit seinem Büffelrücken-Drehmomentverlauf aus dem tiefsten Drehzahlkeller noch mal standesgemäßer an. Jedes noch so kleine Teil an der Indian ist bis ins Letzte ausdesignt. Die Sitzbank aus echtem Leder, üppig vernäht und mit Zier-Buttons versehen, die Lenkerarmaturen massiv und verchromt, perfekt schmiegen sich die Auspuffenden an die Koffer an, ja selbst die Scharniere der Seitenkoffer sind ein kleines Kunstwerk. Was nicht bedeutet, dass sie die Harley in die Tasche steckt. Die hat einen Tick mehr Schräglagenfreiheit, bremst dank elektronischem Bremskraftverteiler viel souveräner, geht oben heraus besser und hat neben dem hervorragenden Boombox-Entertainment-Navi auch ein Radio mit an Bord, das einen Sender findet. Nicht unerheblich, schließlich bringst du mit den beiden immer deinen eigenen Soundtrack mit, und der darf aus mehr als Schlagerradio bestehen. 

Unterm Strich funktionieren beide Motorräder als das, was sie sein wollen, ausnehmend gut. Mit beiden könnte man zu zweit Kontinente in großem Komfort durchqueren, wenn man wollte. Auf gut ausgebauten Straßen, im ganz, ganz gemütlichen Stil. Die Entscheidung für die eine oder andere ist Geschmackssache. Cowboy oder Indianer eben, zu welchen gehörst du?

Wichtiger als blanke Funktionalität ist hier aber, was die beiden wirklich eint, und das ist ihre Fähigkeit, dich, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit, in ihren Bann zu ziehen und den kleinen Feierabendausflug mit einer Extradosis American Spirit zu fluten. Pack deine Liebste auf den Soziusthron, da kann sie ein Buch lesen oder ein Kreuzworträtsel machen oder auch mal ein Nickerchen. Nimm die passende Musik mit, MP3 und Bluetooth haben beide, es empfehlen sich amerikanische Liedermacher vom Schlage eines Dylan oder eben der Boss, auch Bob Marley funktioniert. Nur um Himmels Willen nicht Steppenwolf. Dann segelst du schön rum und erlebst das Ende des ewigen „Den da vorne, den überhol ich noch, dann hab ich endlich freie Bahn“ und den Anfang von „Lass mal, so eilig hab ich’s nicht, ist doch schön hier“.

Zum Teufel mit Schräglagenfreiheit und Preis-Leistung

Jetzt ist es also passiert. Die Grandes Dames haben uns den Kopf verdreht. Zum Teufel mit Großstadtverkehr und mit Preis-Leistung, und zum Teufel mit Schräglagenfreiheit und der harten Realität. Sollen die Kollegen ruhig grinsen, die Ahnungslosen, wenn wir montagmorgens zu „I shot the Sheriff“ tiefenentspannt Anker setzen. Wir wissen, das ist die majestätischste Form der Fortbewegung auf zwei Rädern. Ab jetzt sind wir Brüder im Geiste mit all den Truckern da draußen. Ab jetzt beginnt jeder Tag mit Steak, gebackenen Bohnen und einer Lucky. Und morgen melden wir uns zum Squaredance-Kurs an. Wir haben das Segeln gelernt, und dafür werden wir Harley-Davidson Electra Glide Ultra Limited und Indian Roadmaster für immer dankbar sein.

Warum am Ende trotzdem nichts Festes daraus wurde? Vielleicht war es der Moment, als die Indian Roadmaster sich vor einem gut besuchten Café entschied, doch einen Sender zu finden. Und der musste ausgerechnet „Ein bisschen Frieden“ über den Äther jagen. Oder der auf Harley-Davidson aus dem Nichts aufgekommene Gedanke: „Mist, ich bin nicht angeschnallt.“ Wahrscheinlich war es aber einfach die Lust an der zügigen Fortbewegung, die dann doch wieder zurückgekommen ist. Und da spielen sie halt so gar nicht mit, die Sofacruiser. Und dann fiel der Blick wieder ganz schnell auf die jungen Dinger aus dem Dauertest, die aus Österreich und Italien und Japan, die eben auch ihre Reize haben, das hatte man schon fast vergessen. Vielleicht ist es besser, dass sie nur zu Besuch da waren. 

Es war eine unvorhersehbare Affäre mit vorhersehbarem Ende. Wir hatten unseren Moment, und wir haben ihn genossen. See ya! Bestimmt sieht man sich irgendwann mal wieder!

Ausstattung im Detail

Gargolov

Harley-Davidson E-Glide Ultra Ltd.

Gargolov

Das Original, seit 50 Jahren: Die Harley-Davidson E-Glide Ultra Limited bietet Couch-Komfort für zwei mit Gepäck, gute Verarbeitung und den klassischen Milwaukee-Look. Dazu ein unverschämt gutes Touchscreen-Infotainment-System, dessen Bedienung während der Fahrt mittels zweier Mini-Joysticks an den Lenkerenden etwas Gewöhnung erfordert.

Ausstattung im Detail: 

Bordcomputer mit Fahrzeit, Restreichweite, Umgebungstemperatur, Ganganzeige, Benzin- und Zeituhr, vier verstellbare Windabweiser, Koffersystem (je 32 Liter) und Topcase (70 Liter), Handy-Staufach, Gepäckbrücke, Heizgriffe (sechsstufig), Tempomat, Audiosystem, USB-Anschluss, MP3, Touchscreen, Navigationssystem, Batterieanzeige, zwei Bordsteckdosen, Wegfahrsperre, Zusatzscheinwerfer, Warnblinker, ABS, Diebstahlwarnanlage

Indian Roadmaster

Gargolov

Die Neue, mit ganz großen Ahnen: Auch auf Indian Roadmaster cruisen zwei in großem Komfort. Unerreicht ist die Liebe zum Detail, die sich an allen Ecken und Enden des Motorrads findet, die toll verarbeitete Echtleder-Sitzbank und verchromte Bedienelemente veranschaulichen dies. Das Cockpit informiert und beschallt genau so umfangreich wie bei Harley, nur ein Navi ist serienmäßig nicht mit an Bord.

Ausstattung im Detail: 

Bordcomputer mit Durchschnittsverbrauch, Durchschnittsgeschwindigkeit, Fahrzeit, Restreichweite, Umgebungstemperatur und Ganganzeige, Benzin- und Zeituhr, elektrisch verstellbare Windschutzscheibe, vier verstellbare Windabweiser, verstellbarer Kupplungshebel, Koffersystem (je 32,5 Liter) und Topcase (innen beleuchtet, 64,5 Liter), Zentralverriegelung, drei Staufächer in Verkleidung, Gepäckbrücke, Heizgriffe (zehnstufig), Sitzheizung (Fahrer und Sozius, zweistufig), Tempomat, Audiosystem, USB-Anschluss, MP3, Bluetooth, Batterieanzeige, Reifenluftdruckkontrolle, zwei Bordsteckdosen, Wegfahrsperre, Warnblinker, ABS

Technische Daten