BMW F 800 GT, Ducati Hyperstrada, Kawasaki Z 800, Triumph Tiger 800 im Test
Konzeptvergleich 800er-Klasse

In der besonders vielfältigen 800er-Klasse treten völlig verschiedene Motorradkonzepte zum Trip durch die Eifel an. Mit zwei Zweizylindern, einem Triple und einem Vierzylinder auf Tour zwischen Radioteleskop, Rennstrecken und himmlischer Ruhe.

Konzeptvergleich 800er-Klasse
Foto: Rivas

Der Gigant hebt sich. Eine riesige weiße Schüssel greift nach den Sternen. Das Radioteleskop Effelsberg, eröffnet 1972, ist noch heute das zweitgrößte voll bewegliche weltweit. 100 Meter Durchmesser hat das Halbrund, erinnert an „Krieg der Sterne“. Es wiegt 1600 Tonnen, seine Verankerung und Kinematik noch mal so viel. Wow. Wir, Georg, Luca, Stefan und ich, staunen ehrfürchtig. Eigentlich müssten wir 800 Meter entfernt auf dem Besucherparkplatz stehen. Doch Peter Vogt, Techniker am Giganten von Effelsberg, fährt selbst eine modifizierte Yamaha XJR 1300.

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Für Peter ist es Ehrensache, das MOTORRAD-Team auf dem Gelände fotografieren zu lassen. Vielen Dank dafür! Nur schwer eisen wir uns wieder los. Aber wir sind ja nicht zur Erforschung Millionen Lichtjahre entfernter Pulsare hier, sondern zur Erkundung erdnaher Motorradreviere. Wie sagte Peter? „Man kann sich in der Eifel nicht verfahren: Im Westen liegt Belgien, im Süden die Mosel und im Osten der Rhein – da findet man auch ohne Karte und Navi den Weg.“ Na, dann los, wichtige Fragen klären: Wie viel Fahrspaß unterwegs bieten vier völlig verschiedene Maschinen der neuen gehobenen Mittelklasse mit 800 Kubik?

Die BMW F 800 GT hält mit 90 PS starkem Zweizylinder-Reihenmotor die Fahne der Sporttourer hoch, einer bedrohten Motorradgattung. Dagegen steht die Ducati Hyperstrada für ein tourentauglich getrimmtes Funbike von Supermoto. Feurig, leicht, stark. Satte 110 PS leistet ihr V2-Motor offiziell. Sogar 113 PS soll das Naked Bike im Bunde drücken, die Kawasaki Z 800. Wie die BMW und die Ducati ist sie ein neues Modell für 2013. Aber alle drei basieren auf Vorgängern oder Schwestermodellen. Aus der Reihe tanzt die dreizylindrige, 95 PS starke Triumph Tiger 800. Der Trendsetter erschien bereits zur Saison 2011.

Triumph Tiger 800: Echte Straßenenduro

Die Tiger verkörpert einen Allrounder, eine Straßenenduro. Denn Triumph offeriert mit gleichem Motor noch die XC-Version als echte Reiseenduro. Mit Speichenrädern, vorne als 21-Zöller, und längeren Federwegen eine Tiger fürs Grobe. Unsere Standardversion hat Gussräder, vorne als 19-Zöller. Sie bevorzugt eindeutig Asphalt. Und wie! Samtpfötig schraubt sich die 800er aus dem Effelsberger Talkessel hoch. Linientreu und neutral tigert die Triumph ums Eck, wenn auch ganz leicht untersteuernd. Leicht fällt sie in Schräglage, lässt sich mit dem breiten, zu den Enden hin dünner werdenden Alu-Lenker leicht dirigieren.

Beim Handling profitiert sie vom schmalsten Hinterreifen, einem 150er. Nur der größte Wendekreis des Quartetts nervt beim Umdrehen. Herrlich, wie der Dreizylinder anschiebt. Er lässt sich höchst elastisch bereits in den Untiefen des Drehzahlkellers ganz weich an die Kandare nehmen. Den Blick auf die im Gegensatz zur BMW serienmäßige Ganganzeige kann Stefan sich eigentlich sparen. Egal, bei welcher Drehzahl, unten, Mitte, oben, der Triple packt immer kräftig zu. Fast wirkt die lineare Leistungsabgabe zu gleichmäßig, unspektakulär.

Rivas
Gussräder, 19-Zoll-Rad vorn und tiefer Frontkotflügel wollen Asphalt!

Der 800er-Drilling dürfte ruhig peppiger, emotionaler sein. Wie der 675er, auf dem er basiert. Dafür begeistert die seidig-vibrationsfreie Laufkultur. Die Ausgleichswelle erledigt einen guten Job. Alles untermalt vom herrlich rauchigen Sound aus dem kaminrohrgroßen Schalldämpfer. Leichtgängig agiert das Getriebe, die Kupplung lässt sich auf den Punkt dosieren (im Gegensatz zu Ducati und Kawasaki). Wahrhaft, ein cremiger Motor. Wir passieren schroffe Schieferfelsen im östlichen Ahrtal. Glasklar, die Wasser der Ahr. Wir wollen rauf zum Aussichtspunkt oberhalb von Dernau.

BMW F 800 GT: Guter Kompromiss aus Touring und Sport

Unser Sporttourist heißt Leicht, Luca Leicht. Seine eher stattliche Erscheinung lässt die BMW F 800 GT unbeeindruckt. Flüssiges Geläuf mit meist weiten, schnellen Kurven ist ihr Revier. Gemäßigte Fahrwerkseckdaten machen die GT nicht überragend handlich. Sie mag in Wechselkurven ein wenig Nachdruck am breiten Lenker. Zielgenauigkeit? Gut, aber nicht messerscharf. Dabei rollt die GT auf superben Reifen, Metzeler Roadtec Z 8 Interact, die selbst bei Nässe bestens haften. Individuell baut das BMW-Fahrwerk auf den einzigen Alu-Brückenrahmen des Quartetts. Er heizt sich bei hochsommerlichen Temperaturen ziemlich auf: Der optionale Bordcomputer vermeldet 32,5 °C Lufttemperatur!

Pause oberhalb der Weinberge, an den Reben hängen rote Trauben. Gran Turismo ist eines der klangvollsten Kürzel der Motorradgeschichte. Tatsächlich offeriert die BMW hohen Sitzkomfort, einen wahrhaft guten Kompromiss aus Touring und Sport. Prächtig ins Motorrad integriert sitzt Luca hinter dem breiten, ausreichend hohen Lenker auf der bequemen Sitzbank. Mit nominell 90 PS, fünf mehr als bei der einstigen F 800 ST, bleibt die BMW auf dem Papier das schwächste Motorrad dieses Tests. Auch wenn der Twin echte 94 PS abdrückt, bei nur 8400 Umdrehungen. Die Tiger liefert ihre maximal 93 PS 1400 Touren später.

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Den Anspruch, zugleich sportiv wie komfortabel-tourentauglich zu sein, löst die BMW wahrhaft ein.

Luca erfreut die ordentliche Zuladung der GT, 199 Kilogramm ohne Koffer. Zu den technischen Schmankerln der F 800-Reihe zählt der Schwenkpleuel als Massenausgleich zwischen den parallel auf- und ablaufenden Kolben. Eigentlich eine ideale Motorisierung: Dieser Motor ist von allen vier am wenigsten kurzhubig ausgelegt. Im Leerlauf tönt der Twin wie ein Tuning-Boxer. Brummt auch oben heraus wie einer. Akustische Täuschung? Nein, er hat dieselbe, gleichmäßige Zündfolge.
Bei Schleichfahrt lässt der exklusive, stramm agierende Lenkungsdämpfer die GT leicht taumeln. Gut hängt ihr Motor am Gas, aber bestimmt nicht gierig. Unterhalb von 3000/min dringen mechanische Geräusche aus dem Maschinenraum, ein heftiges Klackern. Rund um die 5000er-Marke machen sich derbere Vibrationen bemerkbar, doch dann verwöhnt der Parallel-Twin auch mit einer Extraportion Punch. Trotzdem muss sich die BMW ziemlich am pflegeleichten Zahnriemen reißen, dem einzigen in diesem Testfeld und im gesamten BMW-Programm, um bei flotter Fahrt am restlichen Trio dranzubleiben.

Denn die F 800 GT ist sehr lang übersetzt. Für 100 km/h reichen ihr 3800 Umdrehungen im sechsten Gang, die Kurbelwellen von Ducati und Triumph rotieren da bereits 4500- bzw. 4600-mal. Das dreht die BMW im Vierten! Und die durstige Kawasaki macht’s beim legalen Landstraßenlimit nicht unter 5050/min im Sechsten! Kein Wunder, dass der BMW-/Rotax-Motor am sparsamsten ist. Subjektiv kickt er aber auch wenig, zwingt wegen des schlechtesten Durchzugs im Sechsten öfter zum Runterschalten. Einen Wunsch frei? Die rallige Variante aus der Husqvarna Nuda 900 in BMWs F-Modellen – mit mehr Hubraum und Drehmoment sowie einer Kurbelwelle, deren 270-Grad-Zündfolge Tonart und kernigen Charakter eines 90-Grad-V-Zwos imitiert.

Ducati Hyperstrada: Reisetaugliche Supermoto gibt sich variabel

Oder gleich das Original fahren, den 821 Kubik großen V2 aus der Ducati Hyperstrada. Der neue „Testastretta 2“ hat Ducati-typisch zahnriemenbetätigte und desmodromisch zwangsgesteuerte Ventile. Zahme elf Grad Ventilüberschneidung machen ihn durchaus umgänglich, er läuft bereits niedertourig schön rund. Doch wie er dann explosiv aus der Mitte rausschnalzt, ist Faszination pur. Echte 107 PS katapultieren das 207-Kilogramm-Leichtgewicht spritzig nach vorn. Drei Fahrmodi bietet die feuerrote Maschine an, Sport, Touring und Urban.

Die per Ride-by-Wire elektronisch betätigten 52er-Drosselklappen reagieren ex­trem schnell auf Gasbefehle. Fast schon zu ruppig-forsch. Speziell im Sportmodus hängt der „L-Twin“, so nennt Ducati den Motor, supersensibel am extrem leichtgängigen Gasgriff. Sanfter agiert der Touringmodus, macht ebenfalls richtig Laune. Und „Urban“ serviert nur noch moderate 75 PS. Allen Fahrmodi gemeinsam: Der V2 prustet und trompetet seine Lebensfreude akustisch heraus. Fast schon nervig laut, trotz oder gerade wegen der Auspuffklappe. Leiser wäre nicht nur für die Anwohner besser.

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Luftig, leicht, hoch. Dazu sportlich, schmal und kompakt.

Feinfühliger dürfte die leichtgängige Seilzug-Kupplung mit Servo-Effekt zupacken. Im Stop-and-go-Verkehr von Altenahr rupft sie beim Anfahren extrem. Digitales Kuppeln: an, aus, wieder an … Wenigstens unterbindet die Anti-Hopping-Funktion Stempeln und Schlingern des Hinterrads beim heftigen Runterschalten. Sportlich: Abschalten lässt sich das zweistufig justierbare ABS. Es hat eine wirksame Abhebeerkennung fürs Heck, regelt prima. Achtstufig und ebenfalls ausschaltbar: die wirkungsvolle Traktionskontrolle. Ein gutes Gefühl, wenn am Kurvenausgang die rote Warnlampe blinkt. Weil man alles rausgeholt hat, während noch ein Schutzengel wacht. Wie auch an der BMW, dort gegen Aufpreis.

Kawasaki Z 800: Ein Streetfighter von der Stange

Klasse: Ducatis lang gestreckte 15 000er-Wartungsintervalle. BMW und Triumph ­rufen alle 10 000 Kilometer zum Service, ­Kawasaki übervorsichtig nach 6000 Kilo­metern. Dabei stehen doch japanische Vierzylinder zuallererst für unbedingte Zuverlässigkeit. Dieser hier punktet zusammen mit dem V2 der Duc mit prima Beschleunigung. Schön weich geht die Z ans Gas, den doppelten Drosselklappen sei Dank. Wegen ihrer knackig-kurzen Endübersetzung fährt die Z 800 die bulligsten Durchzugswerte ein. Und trotzdem sogar die höchste Topspeed, volle 230 km/h. Anstrengend, auf ­einem Naked Bike. Der Motor ist eine Wucht. Weshalb gibt es eigentlich keine Z 800 SX mit Halbschale?

Bis über 11 000-mal pro Minute jagt der quirlige Kawa-Motor seine Kurbelwelle im Kreis, ohne gleich die 16 Ventile in den Orbit zu schießen. Drehfreudig kombiniert er kleinste Einzelhubräume und kurzhubigste Auslegung. Lästig: Die hohe Kupplungshandkraft der Kawa erschwert die Dosierung. Warum ist der Handhebel nicht einstellbar? In Adenau beziehen wir Quartier im Hotel „Blaue Ecke“. Das ist bei Motorradfahrern aus ganz Europa beliebt.

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Ein Kämpfertyp mit Ecken und Kanten. Erstaunlich: Die Z 800 ist das schwerste Motorrad dieses Testfelds.

Georg hat genug im harten Sitz der Z 800. Geringster Abstand zwischen wenig kommodem „Polster“ und hoch montierten Fußrasten führt zu engem Kniewinkel. Zu spitz für lange Kerls. Flach und tief ist der Lenker montiert. Vorderradorientiert. Selbst die mäßig ablesbaren Instrumente ducken sich weit ab. Designmäßig auf Zack, die Zett, hat eine extrem eckig-kantige Linie. Stahl für Brückenrahmen und Zweiarmschwinge macht die Kawa üppige 231 Kilogramm schwer. Mit den federleichten Packtaschen von Vanucci sind’s 234 Kilogramm. Da bleiben bloß noch 177 Kilogramm Zuladung. Zum Glück entert sowieso niemand freiwillig den Soziussitz. Am Sondermodell „Performance“ weicht er konsequent einer Abdeckung. Und der klobige Serien-Endtopf einem schlanken Karbondämpfer von Akrapovic. Der gibt sich ganz Kawa-gemäß: dumpf, tief, heiser grollend. Aber eben nicht krawallig. Fein. Zusätzlich trägt die „Performance“ noch eine Mini-Scheibe. Macht summa summarum 10 395 Euro, 900 mehr als für eine Standard-Z-800. Kein Schnäppchen, die Kawa, angesichts der kargsten Ausstattung.

Ducati auf leeren Straßen voll in ihrem Element

Am nächsten Morgen treffen wir Jan Leek. Der Buchautor und gebürtige Schwede wohnt seit einem Vierteljahrhundert am Nürburgring, ist großer Nordschleifen-Kenner. Aber die ist heute von Porsche gebucht. Nicht schlimm, wir haben ja eh keine MV Agusta F3 800 dabei. Mit seiner Ducati GT begleitet uns Jan nach Breidscheid, zur alten Auffahrt zur Nordschleife. In seinem Imbiss treffen wir dort Rainer Strack, der von 1959 bis 1995 an der Nordschleife arbeitete, mit den Benzinköpfen dieser Welt. Er erzählt von einem bewegten Leben. Die Menschen in der Eifel sind Fremden gegenüber aufgeschlossen.

Oder doch eher die Kurven Richtung GP-Strecke, wo sich die GSX-Rs, CBRs und R1 versammeln zum freien Fahren, die Runde à 23 Euro? Wir fahren weiter, passieren „Paddock-Café“, „Marios Boxenstopp“ und „Rent a race car“. Ein bisschen verrückt sein hilft in dieser Region. Kaum zehn Kilometer weiter ist die Ducati auf menschenleeren Sträßchen voll in ihrem Element.
Hinter Insul winden sich Serpentinen die mit dichtem grünen Pelz überzogenen Hänge hinauf. Dynamisch, agil und spritzig folgt die Duc dem mäandernden Teerband. Hyper, hyper. Auf kurvigen Bergsträßchen bietet die Touren-Supermoto eindeutig den größten Fahrspaß.

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Die Supermoto-Gene der Ducati Hyperstrada schlagen auf menschenleeren Sträßchen voll durch.

Superhandlich wuselt und wieselt die Signora durch unterschiedlichste Kurvenradien, schlägt die zackigsten Haken. Wie ein Hase auf der Flucht. Für Kurskorrekturen jederzeit offen. Linien lassen sich ständig neu finden. Ohne, dass die Duc dabei nervös wäre. Ihre Supermoto-Gene schlagen voll durch. Schließlich basiert die Hyperstrada auf der sehr ähnlichen Hypermotard. Ist nur tourentauglicher. Dank höherer Scheibe, minimal gekappten Federwegen und reduzierter Sitzhöhe. Vor allem aber wegen besserer Ausstattung (Steckdosen, Handprotektoren, Hauptständer) und den durchaus gut nutzbaren, weit abstehenden 25-Liter-Softbags mit wasserdichten Innentaschen.

Spielerisch tänzelnd jagt sie die Berge rauf. Absolut begeisternd. Bis du merkst, wie sie nach den Fußrasten auch Brems- und Schaltpedal sowie letzten Endes deine Stiefelspitzen abraspelt. Sogar den (leicht bedienbaren) Hauptständer schleift es bald an. Das kann beim Durchsacken in voller Schräglage auch mal übel aushebeln. Dabei animieren die Pneus, Pirelli Scorpion Trail, zum Toben. Einen Tick größer dürfte die Rückmeldung vom Vorderrad sein, das Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage gern noch geringer. Die komfortorientierte 43er-Upside-down-Gabel nimmt Asphaltverwerfungen erstaunlich gelassen.

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Die konventionelle, weiche Teleskopgabel der BMW federt und dämpft viel weg.

Besser als die weiche, konventionelle 43er-Teleskopgabel der BMW. Sie schluckt zwar viel weg, spricht nicht schlecht an, ist jedoch nicht besonders gut gedämpft. Niedlich: der Gabel-Stabilisator der F 800 GT, wie in den 80er-Jahren. Am Heck dreht sich das Bild um: Beide Federbeine verzichten auf Umlenkhebel. Sind direkt angelenkt, was Kosten und Gewicht spart. Aber auch die progressive Wirkung einschränkt.

Das Federbein der F 800 macht dabei die bessere Figur, fischt mehr Bodenunebenheiten raus. Entbehrlich scheint das „Mini-ESA“ des Midsize-Sporttourers: Elek­tronisch per Knopfdruck einstellbar ist bloß die Zugstufe hinten. Für die Federbasis gibt’s ein Handrad, wie es auch die Ducati bietet. Straffer federt und dämpft das Hyperstrada-Federbein. Da nehmen die Lendenwirbel „Schlag-Löcher“ öfter wörtlich.

Zwei Seiten hat die Sitzposition à la Italia: Man(n) hockt nah am breiten Lenker. Und der auf hohen Risern. Bedingt tollen Überblick und fast aufrechte Haltung. Aber es bleibt stets eine Körperspannung, gemacht für Attacken. Prima in Wechselkurven, anstrengend auf Langstrecke. Weil dich die muldenförmige Sitzbank „alternativlos“ nah an den Tank packt. Immerhin fällt der Abstand zu den Rasten schön groß aus. Am wirkungsvollsten sowie bestens dosierbar verzögern die radial angeschlagenen Brembo-Monoblocks. Zudem ist die inklusive Nebenkosten 12 895 Euro teure Ducati am besten verarbeitet. Die BMW kostet bei 10 300 Euro Grundpreis inklusive aller Extras einen ganzen Tausender weniger.

Auf der Tiger sitzt es sich „passiver“ als auf der Ducati

Einkehr am Motorradtreff „Haus Waldfrieden“ in Schuld. Die bekannte Kurvenstrecke „Wasserscheide“ hat durchgängig Unterfahrschutz an den Leitplanken, aber ­leider auch Tempolimit 70. Hm. Auf der Tiger sitzt es sich „passiver“ als auf der Ducati, weiter weg vom Vorderrad. Stefan mag die tourentaugliche Haltung: „Ich habe null Gewicht auf den Handgelenken. Und selbst bei 1,86 Meter schirmt dich die Scheibe wirkungsvoll ab, sogar mit Crosshelm und 210 Sachen auf der Bahn.“ Im Handumdrehen ist die Sitzhöhe um 20 Millimeter verstellt. Klingt wenig? Für kleine Fahrer bedeutet dies einen Riesenunterschied im Sitzgefühl und der wichtigen Standsicherheit!

Über Bad Münstereifel erreichen wir Schleiden-Gemünd und den Rursee. Schon bei moderater Schräglage sprühen die
Tigerkrallen Funken – gezackte Fußrasten mit herausnehmbaren Gummi-Einlagen. Wie bei der Duc. Mit dem größten Federungskomfort verwöhnt die Triumph, gefolgt von der F 800 GT. Allerdings spricht die Triumph-Gabel mit ihrem hohen Losbrechmoment und starker Dämpfung auf pockigem Asphalt schlecht an. Sie stuckert über kleinere, dicht aufeinanderfolgende Buckel hinweg, lässt die gesamte Front erzittern. Weit ab stehen die elastisch im Duett schwingenden Hartschalenkoffer. Sie wirken außen riesig, haben aber innen wenig Nutzvolumen. Der rechte, weit ausgeschnittene fasst im Gegensatz zum viel enger anliegenden Pendant der F 800 GT keinen Helm, nur Kleinkram. Ginge besser.

Die Tiger 800, ein manierliches Motorrad für aktive Freizeit

Im Gegenzug glänzt die Tiger 800 mit ihrem Enduroerbe: größte Zuladung, größter Tank, größte Reichweite, größte Bodenfreiheit. Ergibt plus längste Federwege ein hochfunktionales, manierliches Motorrad für aktive Freizeit. Gesegnet mit vollen vier Jahren Garantie. Löblich, löblich. Einfach, aber effektiv ist die Triumph-Bremsanlage gestrickt, Doppelkolben-Schwimmsättel vorn. Packen sanft, noch kräftig genug zu, Endurogemäß nicht zu bissig. Das falsche Signal: 600 Euro Extrakosten zu den 8990 Euro Grundpreis fürs leidlich regelnde ABS. Bei der F 800 GT bringt das neue Bosch-ABS kürzere, bessere Regelintervalle. Bremswirkung wie Dosierung der BMW sind dagegen eher mittelprächtig. Es fehlt ein glasklarer Druckpunkt. Das kann die Kawa besser.

Die Kawasaki benötigt eine entschlossene Führungshand

Ihre Eckdaten prädestinieren die Kawasaki Z 800 zum Kurvenräubern. Sie koppelt kompaktesten Radstand mit steilstem Lenkkopfwinkel und kürzestem Nachlauf. Aber am handlichsten fährt sie trotzdem nicht. Am neutralsten schon gar nicht. Denn sie stellt sich bei Bodenwellen oder Bremsen in Schräglage deutlich auf. Das kostet ebenso Vertrauen wie die mäßige Haftung der Dunlop D 214 J. Vor allem bei feuchter Straße rutschen sie früh. Zudem klappt die Kawasaki Z 800 zwar recht leicht ab, wehrt sich aber bei schräger Fahrt gegen weiteres Abwinkeln. Und sie verlangt ständig kleine Kurskorrekturen. Das Motorrad braucht Zug in Kurven, eine entschlossene Führungshand. Da hat Georg immer was zu tun.

Vermutlich brächten bereits andere Reifen den notwendigen Feinschliff fürs Kawa-Fahrwerk. Für mehr Komfort hilft es, die Dämpferschrauben der ziemlich straff abgestimmten Federelemente weit zu öffnen. Auf der Habenseite schlagen die knackigen Bremsen, das fein regelnde ABS und die große Schräglagenfreiheit der etwas überdesignten Z zu Buche. An ihr kantiges Heck lassen sich kaum Packtaschen montieren. Trotzdem ist sie ein echter Erfolgstyp: Sie belegt den fünften Platz der Neuverkäufe in Deutschland, liegt Kawasaki-intern auf dem zweiten Platz. So wie Hypermotard/Hyperstrada bei Ducati und Tiger 800/XC bei Triumph. Die F 800 GT ist im Kommen, Platz 20 im Land, Platz sieben bei BMW.

Und dann gibt es von allen ja noch anfängerfreundliche 48-PS-Versionen der neuen Führerscheinklasse A2. Bei Kawasaki übernimmt diese Rolle das Modell Z 800e mit einfacher gestrickten Federelementen, aber gleich grimmigem Blick zu 8595 Euro.

Die letzte Nacht unserer Vier-Sterne-Reise verbringen wir in Monschau, der „Perle der Eifel“. Tipp: das Hotel „Graf Rolshausen“ mit Gewölbekeller von 1597 und eigener Garage. Unser Fazit? Ohne Zweifel Eifel! Tausende Motorradfahrer an jedem Wochenende können ja nicht irren. Sollen wir noch mal nach Köln zurück, zu den Kranhäusern im Hafen? Oder nach Bonn, wo der Rhein besonders schön ist, der Blick ins Siebengebirge und Museumsmeile locken? Oder in Belgien Fritten fassen, in die Ardennen und an die Rennstrecke Spa-Francorchamps?

Auf jeden Fall wird die nächste Autobahnanreise mit BMW und Triumph am komfortabelsten. Bei der F 800 GT schirmt die Scheibe den Rumpf wirkungsvoll ab, leitet den Fahrtwind allerdings je nach Fahrerstatur genau auf den Hals. Unbedingt ein Halstuch tragen. Der Helm liegt schön ruhig in turbulenzfreier, laminarer Strömung. Noch besser fällt die Protektion auf der Tiger aus. Nicht ganz so gut gerät der Windschutz auf der Hyperstrada, den die Z 800 konzeptbedingt nicht bieten kann, dafür Fahrtwind pur genießen lässt. Hat Spaß gemacht, mit vier völlig unterschiedlichen Maschinen zu touren. Es beginnen harte Zeiten für Big Bikes. Denn mittel ist das neue Groß!

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023