Lange, monotone Autobahn-Etappen sind manchmal die ungeliebte Pflicht vieler Motorradreisen. Für eine möglichst stressfreie An- und Abreise kommt es hier auf pragmatische Tugenden an wie Windschutz, Komfort und Souveränität bei hohem Reisetempo. Aspekte, bei denen die neue BMW R 12 G/S das Erbe der ersten Reiseenduro überhaupt nicht ganz so ernst zu nehmen scheint.
"Alles, was technisch möglich ist" an der Africa Twin
Als edle, aber auf den sportlichen Einsatz reduzierte Neuinterpretation steht die BMW im klaren Kontrast zur Honda CRF 1100L Africa Twin ES DCT. Oder einfacher gesagt: dem Honda-Flaggschiff mit Doppelkupplungs-Automatik und semiaktivem Fahrwerk. Bis auf Name und Farbschema ist der Japanerin der puristische Spirit des Urmodells weitgehend abhandengekommen. Dafür reicht ein Blick auf die Schalter-Armee am Lenker – das Konzept lautet unmissverständlich: "Alles, was technisch möglich ist."
Automatik schaltet blitzschnell
Diese mit Hightech erkaufte Flexibilität verschafft der Honda CRF 1100 L Africa Twin ES DCT gerade auf der langen Fahrt entscheidende Vorteile. Im zähflüssigen Verkehr nicht mehr mit der Kupplung spielen zu müssen, schont Kraft und Konzentration. Im Modus "D" sortiert die Automatik die Gänge defensiv, aber nachvollziehbar, schaltet blitzschnell und ohne jedes Rucken in die nächste Fahrstufe und trennt den Kraftschluss beim Anhalten butterweich.
Wer es eiliger hat, wählt einen der drei schärferen Sportmodi, die beim Zwischenspurt knackiger runterschalten und die Gänge weiter ausdrehen. Wer bei eiliger Fahrt die volle Kontrolle will, muss in den manuellen Modus wechseln. Vor allem bei zügiger Kurvenhatz empfehlenswert, um unberechenbare Gangwechsel beim Anbremsen zu vermeiden.
Auch das elektronische Showa EERA-Fahrwerk steigert den Komfortfaktor gegenüber der BMW R 12 G/S spürbar. Spurtreu und fein ansprechend im weichen Setting, fahraktiv-straff im Sportmodus – und das alles ganz ohne Werkzeug auf Knopfdruck. Praktisch. Ärgerlich nur, dass die Honda Africa Twin ihr Komfortpotenzial an anderer Stelle wieder verschenkt. Beim Windschild zum Beispiel, der den Oberkörper zwar spürbar entlastet, aber nervende Turbulenzen am Helm verursacht.
BMW R 12 G/S mit optionalem "Enduro-Paket Pro"
Das Kürzel G/S steht für "Gelände und Straße" und damit für jene Vielseitigkeit, die Anfang der Achtziger das gesamte Genre der Reiseenduros begründete. Sie schmeichelt dem Auge mit einer gelungenen Hommage an ihre Urahnin R 80 G/S. Die Basis-G/S rollt auf 21-/17-Zoll-Rädern, besohlt mit straßenorientierten Metzeler Karoo Street. Im kürzlichen MOTORRAD-Top-Test bewies die BMW R 12 G/S sich damit als hochdynamische Spaßmaschine für die Landstraße.
Dieses Mal kommt das Testbike mit optionalem "Enduro-Paket Pro": das Hinterrad in offroad-typischen 18 Zoll, ab Werk besohlt mit grobstolligen Metzeler Karoo 4 – der radikalste Reifen im Testfeld. Dazu ein erhöhter Lenker und breite Enduro-Fußrasten. Und der obligatorische Enduro-Pro-Fahrmodus mit Offroad-Traktionskontrolle und deaktivierbarem Hinterrad-ABS.