Familienduell: Triumph Tiger 800 XC und Tiger Explorer
Triumph Tiger 800 XC oder Tiger Explorer?

Der kleinen Tiger, die in ihrem Segment bleibenden Eindruck hinterließ, stellt Triumph die große Explorer zur Seite. Auch hier ist BMW der Hauptgegner. Bleibt die Frage: Welches Motorrad tigert besser?

Triumph Tiger 800 XC oder Tiger Explorer?
Foto: Bilski

Triumph Tiger 800 XC und Tiger Explorer im Vergleich

Als zu Saisonbeginn 2011 die ersten Tiger 800 XC in den Showrooms der Triumph-Händler standen, hat sich manch einer verwundert die Augen gerieben: Nanu, seit wann verkaufen die denn hier auch BMW? Oft mussten sich die Engländer den Vorwurf eines Plagiats anhören. Und zumindest was die Optik betrifft, ist er auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Und was die Funktionalität angeht, ist es mit Sicherheit kein Nachteil, wenn man sich an erfolgreichen Vorbildern orientiert.

Das Ergebnis ist bekannt: Vom Start weg lag die kleine Tiger mit ihren Talenten auf Augenhöhe mit ihrer bayerischen Konkurrentin. Bei der jüngst präsentierten Tiger Explorer verhält es sich ähnlich, nur dass hier der Angriff in Richtung Boxer-GS geht.

Unsere Highlights

Gehen wir mal davon aus, dass der Enduro-Reisende in spe grundsätzlich die Entscheidung pro Triple getroffen hat. Bleibt die Frage, welche es sein soll. Ein Blick auf die Preisliste liefert auf einen Schlag 3300 Argumente für die 800er. Beide jeweils in Grundausstattung und ABS. Damit lassen sich einige Touren finanzieren. Dann sollte sich der Tigerist über das Einsatzspektrum im Klaren sein. Zwar laufen beide Tiger unter dem Label Reiseenduro, was per se auch den Einsatz abseits befestigter Straßen ermöglichen soll, aber nur die 800er lässt sich dank 21-Zoll-Vorderrad auch mit entsprechenden Gummis bestücken, mit denen sich offroad etwas anfangen lässt.

Bilski
Die Tiger 800 XC war vom Start weg eine starke Konkurrenz für BMW.

Die Explorer hingegen kommt mit einem normal talentierten Fahrer im Gelände – wegen ihres 19-Zoll-Gussvorderrads, den rund 270 Kilo­gramm Kampfgewicht samt hohem Schwerpunkt – auch nicht viel weiter als sagen wir mal eine Honda CBF 1000. Was im westlichen Europa auch nicht so tragisch ist, asphaltierte Straßen gibt’s genug.

Entgegen ihrer massigen Erscheinung lässt sich die Explo­rer recht easy von einer Schräglage in die andere werfen, bleibt dabei weitgehend neutral und stets gutmütig. Auf ebenem Untergrund lassen sich ordentliche Schräglagen realisieren, bevor die Fußrasten mit Straßenmalerei beginnen. Auf holprigem Geläuf kommt aber die straff abgestimmte Gabel mitunter an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Damit sich Entdeckungsreisende unterschiedlichster Statur auf der Dicken wohlfühlen, lässt sich sowohl die Sitzhöhe mit wenigen Handgriffen in zwei Höhen (850 und 870 Millimeter) einstellen als auch die Lenkerposition um 20 Millimeter verändern. Am teildigitalisierten Cockpit können mittels linkem Daumen reichhaltige Informationen zum Thema Reiseverlauf und Motorradbefindlichkeit abgelesen sowie das ABS ausgeschaltet und der Grad des Traktionskontrollen-Eingriffs gewählt werden.

Bilski
Trotz massiger Erscheinung kommt die Explorer recht leicht von einer Schräglage in die andere.

Wie alle Triumph-Triples glänzt auch das 1,2-Liter-Trumm mit lehrbuchartiger Leistungs- und Drehmomentabgabe. Bereits ab Standgas büffelt es los und überschwemmt das Getriebe mit gleichmäßig und druckvoll wachsendem Drehmoment, bis bei 9500/min dann Feierabend ist. Dort wird es, portioniert in sechs Stufen, über den massigen aber weitgehend reaktionsfreien Kardanantrieb und eine sehr lange Sekundärübersetzung ans Hinterrad weiter­geleitet. Die im Alltag benötigte Kraft schüttelt der flotte Dreier so lässig aus dem Ärmel, dass ihm 4,7 Liter Normal für 100 Kilometer reichen.

Unter gleichen Bedingungen schluckt der kleine Triple ähnlich wenig, aber nicht weniger. Im direkten Vergleich wirkt dieser auch ein wenig schmalbrüstig, wie ein Zahlenbeispiel belegt: Während der 800er zwischen 3000 und 4000/min 80 Nm auf die Kurbelwelle stemmt, muss diese bei der 1200er im gleichen Bereich bis zu 105 Nm verkraften. In der Spitze liegt die Differenz dann bei gemessenen 79 Nm bei 7850/min zu 110 Nm bei 6300/min zugunsten der Explorer. Dennoch fährt die Große nicht wirklich davon, wie die Durchzugswerte zeigen. In den ­Standard-Disziplinen 60–100 km/h, 100–140 km/h oder 140–180 km/h ist die große Tiger bestenfalls eine halbe Sekunde schneller. Das ist diesseits der Rennstrecke vollkommen be­deu­tungslos und ein Beweis dafür, dass eine gelungene Gesamtübersetzung in Verbindung mit schlanker Statur jede Menge Pferdestärken einsparen helfen kann. Allerdings zum Preis eines etwas höheren Drehzahlniveaus, womit auch das eingangs erwähnte Patt im Verbrauch erklärt wäre.


Bei der 800er wird die Kraft via Kette ans Hinterrad geleitet, gedriven wird by Gaszug und nicht by Wire, und die Traktionskontrolle obliegt ausschließlich der rechten Hand. Damit wären die wesentlichen Unterschiede auch schon aufgezählt. Ergonomisch schenken sich beide nichts, die Ausstattung bei der Kleinen ist etwas einfacher. So hat sie zum Beispiel keinen Tempomaten.

Bilski
Bei der Kleinen sorgt eine Kette für den Kraftfluss zum Hinterrad, bei der Großen Tiger Explorer läuft der Kardan in einer Einarmschwinge.

Spätestens beim Rangieren machen sich die rund 34 Kilogramm Mindergewicht der 800er äußerst positiv bemerkbar, im Fahrbetrieb fallen sie erstaunlicherweise kaum auf. Was auch daran liegt, dass die 800er nicht das handlichste Bike ihrer Klasse ist. Dennoch ist dies ein Beleg für die gute Balance der 1200er. Dafür kann die XC ihre Qualitäten auf drittklassigen Sträßchen ausspielen. Straff gefedert, aber nicht zu sehr gedämpft, filtert das Fahrwerk auch üble Wellen heraus, ohne zu verhärten. Dabei kommen ihr die mit 220 mm vorne und 215 mm hinten etwas längeren Federwege zugute. Die Explorer lässt es hier mit 190/194 Millimetern bewenden.

Auch in einem weiteren Punkt haben die Briten das ­bayerische Erfolgsmodell zum Vorbild genommen. Mit einem umfangreichen Katalog an originalem Zubehör lassen sich beide Tiger den Bedürfnissen ihrer Dompteure anpassen und nebenbei den Preis um den einen oder anderen Tausender steigen. Zur Auswahl stehen neben Koffersets und Gel-Sitzbänken in diversen Höhen auch Dinge wie höhere Verkleidungsscheiben, Nebelscheinwerfer, Ölwannenschützer sowie Sturzbügel, Heizgriffe, Handprotektoren oder eine Steckdose. Und für die Kleine gibt es da auch einen Hauptständer.

Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass es für Reisende ohne Geländeambitionen die Tiger 800 auch mit kleinerem, 19 Zoll großem Vorderrad gibt. Die­se steht wie die Explorer auf Gussrädern, ist aber sonst weitgehend identisch mit der hier beschriebenen XC.

Fazit
Beide Tiger sind begeisternde Motorräder. Bereits die 800er hat von allem genug (Power, Dampf, Ausstattung, Platz etc.) und lässt kaum Mangelgefühle aufkommen. Zudem steht sie kleinen Geländeeinlagen aufgeschlossen gegenüber. Wem aber genug zu wenig ist, weil er aus dem Vollen schöpfen möchte und sich das leisten kann, der wird mit der Explorer glücklich. Vorausgesetzt, er bleibt onroad.

Daten und Messwerte

Bilski
Beide Tiger kommen mit viel Power und Dampf daher.

Motor


Triumph Tiger 800 XC
Triumph Tiger Explorer
Bauart Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor
Einspritzung Ø 44 mm Ø 46 mm
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Bohrung x Hub 74,0 x 61,9 mm 85,0 x 71,4 mm
Hubraum 799 cm3 1215 cm3
Verdichtung 11,1:1 11,0:1
Leistung 70,0 kW (95 PS) bei 9300/min 101,0 kW (137 PS) bei 9000/min
Drehmoment 79 Nm bei 7850/min 121 Nm bei 6400/min

Fahrwerk

  Triumph Tiger 800 XC Triumph Tiger Explorer
Rahmen Gitterrohrrahmen aus Stahl

Gitterrohrrahmen aus Stahl,
Motor mittragend

Gabel Upside-down-Gabel, Ø 45 mm Upside-down-Gabel, Ø 46 mm
Bremsen vorne/hinten Ø 308/255 mm Ø 305/282 mm
Assistenzsysteme ABS ABS
Räder 2.50 x 21; 4.25 x 17 2.50 x 19; 4.00 x 17
Reifen 90/90-21; 150/70-17 110/80 R 19; 150/70 R 17
Bereifung Bridgestone Battle
Wing BW 501/502 „G“
Metzeler Tourance EXP,
hinten „M“

Maße und Gewicht


Triumph Tiger 800 XC Triumph Tiger Explorer
Radstand 1568 mm
1530 mm
Lenkkopfwinkel 66,9 Grad 66,1 Grad
Nachlauf 91 mm 106 mm
Federweg vorne/hinten 220/215 mm 190/194 mm
Sitzhöhe 855-875 mm 850-870 mm
Gewicht vollgetankt 237 kg 271 kg
Zuladung 201 kg 210 kg
Tankinhalt/Reserve 19,0/4,0 Liter 20,0/5,0 Liter
Service-Intervalle 10000 km 10000 km
Preis 10490 Euro 13790 Euro
Preis Testmotorrad 11126 Euro** 14114 Euro***
Nebenkosten 370 Euro 370 Euro


MOTORRAD-Messwerte


Triumph Tiger 800 XC Triumph Tiger Explorer
Höchstgeschwindigkeit* 210 km/h 210 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h 4,0 sek 3,5 sek
0-140 km/h 7,0 sek 5,9 sek
0-200 km/h - 12,0 sek
Durchzug 60-100 km/h 4,1 sek 3,9 sek
100-140 km/h 5,1 sek 4,2 sek
140-180 km/h 8,7 sek 5,3 sek
Verbrauch Landstraße 4,9 Liter/Normal 4,7 Liter/Normal
Reichweite Landstraße 388 km 426 km
Archiv
Leistung Triumph Tiger 800 XC und Tiger Explorer.

Leistung
Beide Drillinge liefern nahezu lehrbuchmäßige Kurven ab. Schon mit der 800er leidet man keinen Mangel, der Zwölfer schöpft aus dem Vollen. Wie man sieht, liegt seine Drehmomentkurve stets rund 30 Nm über der der kleinen Schwester, von der Leistung ganz zu schweigen.

*Herstellerangabe; **inkl. ABS 600 Euro, Hauptständer 199 Euro, Alu-Ölwannenschutz 185 Euro, einstellbarem Kupplungshebel 33 Euro, Motorschutzbügel 219 Euro, Heizgriffen 199 Euro; ***Griffprotektoren 105 Euro, Alu-Ölwannenschutz 219 Euro.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023