Honda präsentierte in Afrika – wo sonst? – die neue Honda Africa Twin. Hat sich das Warten gelohnt? Im ersten Teil des Tests geht es über kurvige Pässe und schier endlose Asphaltgeraden nahe Kapstadt, im zweiten Teil dann ins Gelände.
Honda präsentierte in Afrika – wo sonst? – die neue Honda Africa Twin. Hat sich das Warten gelohnt? Im ersten Teil des Tests geht es über kurvige Pässe und schier endlose Asphaltgeraden nahe Kapstadt, im zweiten Teil dann ins Gelände.
Kult ist ja heute vieles. Vor allem das, was irgendwann mal irgendwie aus der Masse herausstach. Da fragt man sich mitunter schon mal: Warum eigentlich? Sicher nicht im Fall der Honda Africa Twin, die galt schon zu ihrer Zeit als etwas Besonderes. Eher ungewöhnlich, dass sie nicht wie manch andere echte oder vermeintliche Motorradlegende mit Superlativen glänzte. Im Gegenteil, von der Papierform her bot die Africa Twin eher Durchschnittliches. Sie war auf der Straße nicht besonders stark, als sie 1988 als XRV 650 mit anfänglich schlaffen 50 PS auf den Markt kam. Ein Springinsfeld war sie im Gelände bei 220 Kilogramm Lebendgewicht auch nicht eben.
Trotzdem zog die Honda Africa Twin von Anfang an die Fans in ihren Bann. Ihr sportliches Outfit, der Kampfanzug der siegreichen HRC-Dakar-Renner, ihr Wüsten-Image, auch der sich schnell an den Lagerfeuern der Sahara verbreitende Nimbus der Unkaputtbarkeit – all das wirkte und begeisterte Abenteurer und Fernreisende. Wenn du auf einer Honda Africa Twin beim Clubtreffen im Nachbardorf vorfuhrst, schien förmlich der Wüstensand aus allen Ritzen zu rieseln. Andererseits überzeugte die XRV selbst nüchterne MOTORRAD-Tester, sammelte mit Qualitäten diesseits aller Extremwerte Testsiege am laufenden Band – und selbst am Ende ihrer Laufbahn Ende der 1990er konnte sie sich noch gegen erheblich stärkere, modernere Maschinen durchsetzen.
Große Fußstapfen also, in welche die Honda CRF 1000 L Africa Twin heute treten will. Entsprechend lange brauchte Honda, um sich zu sortieren, um überhaupt erst einmal ein Anforderungsprofil zu finden. Da wurde während der Entwicklungsphase ein ums andere Mal nachjustiert und korrigiert, noch bis kurz vor Toresschluss gefeilt und gehobelt. Sicher ein Grund, weswegen Präsentation und Markteinführung bis zuletzt mehrfach verschoben werden mussten. Doch nun ist sie da. Und die Erwartungen sind nach dem ganzen Wirbel im Vorfeld umso höher. Kann, wird die neue Honda Africa Twin dem gerecht werden?
Werfen wir vor dem Onroad-Testtag östlich von Kapstadt zunächst einmal einen kurzen Blick auf die Technik. Wer Sensationelles erwartet, wird auch bei der Neuauflage der Wüstenmaschine enttäuscht, ähnlich wie Ende der 1980er bietet auch die aktuelle Honda Africa Twin heute nichts Herausragendes. Sie ist mit rund 230 Kilogramm nicht besonders leicht; das unterbot eine KTM 950 Adventure vor gut zehn Jahren schon locker. Besonders stark ist sie auch nicht. 95 PS aus einem Liter Hubraum ist eine solide Leistung, doch schaffen das heute selbst 800er-Enduros.
Jedoch verbirgt sich unter dem vom italienischen Honda-Designer Maurizio Carbonara gestylten Plastikkleid eine Menge interessanter Technik. Die Ingenieure investierten viel Gehirnschmalz in das Projekt Wiederauferstehung, mehr als 30 Patente verstecken sich in der neuen Honda Africa Twin. Der frühere V-Motor musste einem Paralleltwin weichen, der ist kompakter und leichter – und natürlich auch ein bisschen günstiger in der Herstellung. Damit der V2-Charakter erhalten bleibt, sind die Hubzapfen um 270 Grad versetzt, ein heute gängiger Kunstgriff. Im Zylinderkopf rotiert nur eine Nockenwelle, die die Einlassventile über Tassenstößel und die Auslassventile über Kipphebel betätigt. Unicam heißt das bei Honda, dort wurde es zuerst bei den CRF-Crossern eingesetzt, nach Auslaufen des Patents darf die Technik nun kopiert werden (siehe Fahrbericht KTM 690 Duke Seite in MOTORRAD Ausgabe 26/2015). Der Motor besitzt eine Trockensumpfschmierung, bunkert seinen Schmierstoff abgeschottet im Motorgehäuse. Zwei Ausgleichswellen sollen Schwingungen auf ein Minimum reduzieren.
Auch am Fahrwerk wurde nicht gespart, die Federelemente sind vorn wie hinten komplett einstellbar. Zwar besitzt die Honda CRF 1000 L Africa Twin „nur“ ein Rückgrat aus Stahl, doch, so Projektleiter Tetsuya Kudo, ist ein Stahlrahmen robuster und überall auf der Welt leicht zu reparieren. Gleich an sechs statt der üblichen vier Stellen ist der Motor als tragendes Element mit dem Chassis verschraubt. Das ersparte einen sonst möglicherweise nötigen Lenkungsdämpfer. Dass die neue Honda Africa Twin ein breites Einsatzspektrum von Touring über Adventure bis Offroad abdecken soll, zeigen die Speichenräder in klassischer Enduro-Dimension: hinten 18, vorne 21 Zoll.
Für eine 1000er-Enduro wirkt die neue Honda Africa Twin bei der ersten Sitzprobe schlank. Gerade am Übergang von Tank und Sitzbank ist die Maschine schmal tailliert, um die Schrittbogenlänge niedrig zu halten und im Gelände für guten Knieschluss zu sorgen. Die Sitzhöhe kann zweifach variiert werden; wenn das nicht reicht, gibt es alternativ eine niedrigere und eine höhere Bank. Dass Lenker und Armaturen bestens in der Hand liegen, darf man gern unter Honda-typisch verbuchen. Schmal erscheint auch die fest angeschraubte Verkleidungsscheibe, die aber von ausgeklügelten – natürlich patentierten – Lüftungskanälen umzingelt ist und so einen überraschend guten Windschutz bietet. Eine Verstellmöglichkeit vermisst man daher nicht.
Sehr leicht lässt sich der Kupplungshebel dank des in die Kupplung integrierten Assist-/Slipper-Mechanismus betätigen. Ungewöhnlich erscheint, dass die neue Honda Africa Twin die Drosselklappen noch über konventionelle Gaszüge betätigt. „Wir wollten für Tourenfahrer das gewohnte, ruhige Feeling am Gasgriff erhalten“, so Projektleiter Kudo. Mit japanischer Zurückhaltung, aber sehr sonor-bassig blubbert der Reihenmotor aus dem gewaltigen Schalldämpfer, natürlich mit patentiertem Innenleben. Wie geschmeidig dieser Zweireiher läuft, fällt bereits auf den ersten Metern auf. Nur ganz zart vibriert er im mittleren Drehzahlbereich, hängt ungeheuer sanft am Gas.
Dass es beim Anfahren nicht das Vorderrad in die Luft reißt, dürfte angesichts der Spitzenleistung klar sein. Honda wollte auch charakterlich an die alte Africa Twin anknüpfen und gab dem neuen Motor eine ähnliche Charakteristik, freilich auf einem deutlich höheren Leistungs- und Drehmomentniveau. Dementsprechend entwickelt der Twin seine Kraft nie explosiv, sondern stetig und gleichmäßig. Das ist sicher nicht spektakulär, bringt aber kontinuierlichen Schub und einfache Kontrollierbarkeit in jeder Situation. Eigentlich ist es ziemlich egal, welcher Gang gerade eingelegt ist, der Motor der neuen Honda Africa Twin fühlt sich niemals unpässlich an. Mit niedrigen Drehzahlen gemütlich dahinzuckeln erledigt er ebenso gut wie die Gänge bis zum Begrenzer auszudrehen. Bei Topspeed stehen immerhin mehr als 210 km/h auf der Uhr, übrigens bei tadelloser Stabilität, zumindest solo.
Höchstgeschwindigkeit ist bei solch einem Fernreisekonzept wie der Honda Africa Twin aber nicht das Thema, der Verbrauch schon. 400 Kilometer Reichweite stand im Lastenheft. Das soll trotz nur 18,8 Litern Tankvolumen möglich sein, was einen Reiseverbrauch von um die 4,5 l/100 km voraussetzen würde. Bei den Test- und Fotofahrten vermeldete der Bordcomputer gut einen Liter mehr, aber da wird ja auch nicht mit dem Brennstoff gespart.
Elektronisch beschränkt sich die neue Honda Africa Twin auf das Nötigste: Eine dreistufige Traktionskontrolle ist bei der ABS-Version – und nur die dürfte heutzutage in Deutschland noch zu verkaufen sein – serienmäßig an Bord. Sie greift in die Kraftstoffzufuhr ein, funktioniert ordentlich und mit deutlich spürbarer Bandbreite beim Eingriff. Das ABS ist für Offroad-Einsätze nur am Hinterrad abschaltbar. Für unterschiedliche Fahrmodi oder einen Tempomaten fehlen mangels Ride-by-Wire derzeit die technischen Voraussetzungen.
Jede Menge Elektronik gibt es allerdings bei der DCT-Version der Honda CRF 1000 L Africa Twin, die mit Doppelkupplung und elektrohydraulischer Betätigung fast zehn Kilogramm mehr auf die Waage bringt. Über Funktion und Vorteile der Honda-Automatik ist ja bereits ausgiebigst diskutiert worden. Doch bringt der Test der aktuellen Version einige neue Erkenntnisse. Zunächst einmal verbessert sich die Performance mit jeder Evolutionsstufe. Das gilt auch für die DCT-Africa-Twin, die sehr fein dosierbar anfährt und sich wunderbar sanft schalten lässt. Gangwechsel laufen mit nahezu perfekter Geschmeidigkeit ab, trotzdem wollen viele Traditionalisten und Sportfahrer lieber selbst per Fuß schalten – und wenn es nur die Macht der Gewohnheit ist. Auch wird man im direkten Vergleich das Gefühl nicht los, dass immer etwas Leistung in der komplexen Mechanik/Hydraulik hängen bleibt.
Eigentlich ist das DCT-Konzept eher für Touristen und Genießer gedacht, bei gemäßigtem Tempo funktioniert die Automatik wunderbar lässig. Allerdings ertappt sich auch der Sportfahrer dabei, dass die automatisierte Schaltung der Honda Africa Twin im Kurvengeschlängel etwas bringt, weil sie den Kopf frei hält, was wiederum der Konzentration förderlich ist. Um die Schaltstrategie den individuellen Anforderungen anzupassen, gibt es nun neben dem Touringmodus gleich drei verschieden konfigurierte Sportmodi. Da muss man sich erst einmal zurechtfinden. Und dann ist da noch dieser ominöse G-Knopf fürs Gelände, mehr darüber im zweiten Teil.
Ob mit oder ohne DCT, das Fahrwerk beider Honda Africa Twin unterscheidet sich nicht. Im Lastenheft stand auch hier sanftes Ansprechverhalten für maximalen Fahrkomfort. Was zweifelsohne gelungen ist. Lange Federwege von 220/230 mm, weiche Federn und eine softe Grundabstimmung bügeln praktisch alles weg, was das südafrikanische Straßennetz zu bieten hat – und das will etwas heißen.
Verbunden ist das natürlich mit viel Bewegung im Chassis, vor allem bei zügiger Fortbewegung. Typisches Enduro-Feeling eben, dazu passt die schmale Bereifung mit 21-Zoll-Vorderrad. Das zieht einen sauberen Strich durch Kurven aller erdenklichen Radien dank minimalisiertem Aufstellmoment, braucht aber zum Einlenken besonders bei höheren Geschwindigkeiten Nachdruck. Aufgezogen ist eine mit breiten Rillen offroadmäßig ausschauende Bereifung des Typs Dunlop Trailmax, die mit dem rutschigen südafrikanischen Terrain doch hier und da ein paar Probleme hat.
Erstes Zwischenfazit: Im Prinzip ist die neue Honda Africa Twin das, was sie immer war: ein Motorrad, das nicht mit Bestleistungen protzt, das eher auf Understatement macht, das mit enormer Bandbreite glänzt und dessen Qualitäten sich seinem Besitzer möglicherweise nicht auf den ersten Metern, aber sicher nach und nach erschließen. Was die Africa Twin abseits des Asphalts draufhat, dazu mehr in MOTORRAD Ausgabe 1/2016, wenn es in den Busch geht.
Geboren wurde die Honda Africa Twin in den Sanddünen der Sahara. Dort hatte Anfang der 1980er-Jahre bei der berühmten Rallye Paris – Dakar BMW eine Reihe von spektakulären Erfolgen errungen und Honda den Sieg entrissen. Die Japaner setzten den Konter, indem sie 1986 spezielle V2-Werksmaschinen aufbauten, die NXR 750. Der Franzose Cyril Neveu gewann damit auf Anhieb, bis 1989 siegte Honda viermal hintereinander. Diese Erfolge brachten der NXR den Beinamen „Queen of Africa“ ein. Schließlich leiteten die Japaner davon 1988 die Serienmaschine XRV 650 Africa Twin ab. Auch im Markt hieß übrigens damals der wichtigste Gegner BMW – in Gestalt der beliebten Boxer-Enduro R 80 GS. Zwar lehnte sich die Honda Africa Twin optisch an die NXR-Rennmaschine an, technisch hatten beide aber wenig gemeinsam. Denn die Basis der Serien-XRV 650 mit dem internen Code RD03 bildete die biedere XL 600 V Transalp.
Trotz 220 kg Gewicht bei nur 50 PS Leistung glänzte die 650er von Anfang an mit typischen Honda-Tugenden wie Ausgewogenheit und Zuverlässigkeit. 1990 stockte Honda mit der RD04 den Hubraum auf einen Dreiviertelliter auf, optisch und technisch gab es kleine Retuschen. 1993 folgte dann mit der RD07 ein gründlich überarbeitetes Modell, das bis 1999 gebaut wurde. Das Grundrezept änderte sich nicht: Die Honda Africa Twin war immer eine Allround-Enduro, robust und pflegeleicht machte sie auf der Straße wie im Gelände eine gute Figur. Diese Bandbreite konnte die Nachfolgerin Varadero 1000 nicht bieten, sie war eher touristisch orientiert und zu massig für derbere Geländeausflüge. Auch folgte die Varadero dem damaligen und bis heute anhaltenden Trend zu immer größeren und stärkeren Reiseenduros mit 19-Zoll-Vorderrad. Dagegen knüpft die neue Honda CRF 1000 L Africa Twin wieder an das ursprüngliche Konzept an.