Vor 28 Jahren musste die Honda Africa Twin 650 zum ersten Test in MOTORRAD vorreiten – und wurde aus dem Stand des Testers Liebling. Jetzt schwang sich Werner "Mini" Koch in den Sattel der Neuen.
Vor 28 Jahren musste die Honda Africa Twin 650 zum ersten Test in MOTORRAD vorreiten – und wurde aus dem Stand des Testers Liebling. Jetzt schwang sich Werner "Mini" Koch in den Sattel der Neuen.
Schlüssel, Papiere, alles da, nur das Wetter macht Faxen. Morgens noch lauwarmer Frühlingsduft, ab Mittag dreht der Wind auf Nordost. Temperatursturz, gefühlte fünf Grad und mehr Wolken als Sonne. Aber es gibt bei Gott Schlimmeres, als zwei Tage durch die Landschaft zu streifen. Impression heißt es in der Überschrift. Eindrücke sammeln, kein Test, keine Messwerte, keine Punktewertung, einfach nur drauf sitzen, Gas geben, der Sonne entgegen. Und wenn die nicht will, hangeln wir uns von einem Wolkenloch zum nächsten. Das wird schon werden.
Auch deshalb, weil man für die neue Honda Africa Twin keine PC-Schulung besuchen muss. Auf dem Display gibt’s ein gelbes Rädle fürs ABS und drei weiße Balken für die Traktionskontrolle – fertig. Sehr sympathisch. Bei der elektronisch hochgerüsteten Konkurrenz weiß ich nie so recht, welcher Sender gerade drin ist. Tour? Komfort? Regen-Modus oder volle Pulle? Tausendundzwei Einstellmöglichkeiten zum Hoch- und Runterscrollen, Menü, Set-, Reset-Tasten. Alles Banane, eigentlich will ich nur Enduro fahren und keinen rollenden Laptop in Gang bringen. Keyless Go? Pfeifendeckel, die Africa Twin kann das viel, viel besser: Schlüssel reinstecken, rumdrehen, losfahren. So einfach ist das.
Die Pflicht ist rum, die Fotos im Kasten. Lichtbildner Dave Schal staubt die Kameras ab und packt zusammen. Buenos dias und Tschüss. Der warme Föhnwind, so berichtet Claudia Kleinert, putzt die bayrischen Alpen noch mal richtig raus, während es im Norden schon tröpfelt. Ich bring die Honda CRF 1000 L Africa Twin in Position: Kurs Südsüdost. Kein Meter Autobahn, dafür Schotter über die Schwäbische Alb und kleinstes Winkelwerk durchs bayrische Allgäu. Navi? Gibt’s nicht, aber ein Landkartenfach im Tankrucksack. So wie vor 28 Jahren, als man mir als Neuling in der MOTORRAD-Redaktion auch die Honda-Africa-Twin-Schlüssel in die Hand drückte: Doppeltest mit der BMW R 80 GS – ohne Strich.
Den Test in MOTORRAD Ausgabe 13/1988 hab ich noch einmal grinsend überflogen. „Die Honda rennt, als wäre der Teufel hinter ihr her, dabei war’s nur die brave R 80 GS.“ Zitat Ende. 168 km/h waren für die Enduro-Szene damals also die Hölle. Heute brettern die Über-Enduros mit 250 km/h über die Bahn. Die neue Honda Africa Twin nicht, die steckt bei 199 km/h im Fahrtwind fest. Will man das auf einer Enduro überhaupt? 199 km/h schnell geradeaus fahren? Ich nicht.
Hinter der Münsinger Alb verschwindet der Weg in den sonnigen Süden in felsigen Schluchten und Schotterpisten. Kernig ackert der gezähmte Twin den Hohlweg entlang, die Honda Africa Twin hält sauber die Spur und das samtige Fahrwerk bügelt glatt, was sich hinterhältig unter der fetten Laubschicht in den Weg stellt. Zitat: „Das Pro Link-System arbeitet perfekt: sensibel bei kleinen Wellen, straff und gut gedämpft, wenn es mit zwei Personen beladen in tiefe Löcher und Bodenwellen kracht.“ Copy and paste – das stand so 1988 in MOTORRAD und kann eins zu eins auf 2016 übertragen werden. Lange Nase, bääähhh – denn das schafft die Honda ohne elektronischen Fahrwerks-Hokuspokus. Und zwar so elegant, dass man nicht im Ansatz darüber nachdenkt, den Schraubenzieher auszupacken. Und wenn in der Wüste Gobi das Gabelöl aus den Simmerringen trieft, mach ich an der nächsten besten Schlosserwerkstatt neue rein. Viel Spaß dann beim Hantieren mit Sky-Hook, ESA und Konsorten. Nein, diese Honda muss man sich nicht übers Menü erarbeiten, man muss nur drauf sitzen und losfahren. Wie 1988 auch.
Der Startschuss für die famose Honda Africa Twin fiel jedoch schon ein Jahr zuvor, als Honda, besser gesagt die HRC-Rennabteilung, beschloss, die großen Wüsten-Rallyes zu gewinnen. Und wenn HRC einen Beschluss fasst, scheppert’s im Gebälk. NXR 750 hieß das 300.000 Mark teure Rallye-Ross, das ich 1987 durch den badischen Tiefsand in Stollhofen jagen durfte. Was für eine Hammer-Maschine. Stark, schnell, perfekt und von der Honda-Philosophie geprägt, praktisch unstürzbar. Der Wahnsinn als Einzelstück, das ein Jahr später als XRV 650, Kürzel RD 03, Weltenbummler, Abenteurer und mich aus den Cross-Stiefeln haute. Schnell, schick, robust und 10 .750 Mark teuer. Der Durchmarsch bis zur letzten XRV 750, Kürzel RD 07A, war ein Kinderspiel. Testsieger in Serie, Verkaufserfolge noch und nöcher, Fanclubs weltweit, bis Honda im Jahr 2000 den Stöpsel zog. Aus, fertig.
Nur gut, dass mir damals eine herrenlose RD 03, die Ur-XRV 650, zugelaufen ist. Frisches Öl, neue Reifen und eine Zündbox ohne Wackelkontakt war sie mir wert. Vor zwei Jahren hab ich die Africa Twin 650 beim Spezl in Pflege gegeben. Ich hab jetzt eine alte BMW R 80 G/S fürs Endurofahren aufgemöbelt. Keep it simple, war die Devise: 190 Kilogramm und 72 PS machen sooo viel Spaß. Genau das sollten sich die großen Motorradhersteller in ihre Lastenhefte schreiben – und zwar weit oben. Honda hat’s mit der CRF 1000 Africa Twin gemacht.
Gut gemacht sogar. Weil man bei Honda den Mut hatte, sich nicht von den Eckdaten des Platzhirsches aus München treiben zu lassen. Weder beim Hubraum noch bei der Ausstattung und schon gar nicht bei der Motorleistung war die BMW R 1200 GS die Referenz. Ich bin sicher, das gab mächtig Zoff bei den Marketing-Meetings. Wie kann man BMW vom Thron stoßen, wenn nicht mit der Schneller-höher-weiter-Strategie? Auch wenn der Mathematiker bei dem geflügelten Wort sein Veto einlegt – weniger kann im Fall der großen Reiseenduros tatsächlich mehr sein. Man muss nur den Mut dazu aufbringen. Weg vom Klischee, dass alles immer stärker, größer teurer werden muss. Viel hilft viel? Na Dank’ schön, wir haben, nicht nur bei der Honda Africa Twin, gern auch mal Motorräder, die in die andere Richtung zielen. Drauf sitzen und wohlfühlen, das hat ganz viel vom ersten Aufschlag 1988. Schlank eingezogener Tank, kuschelig komfortable Sitzbank und eine herrschaftliche Spielübersicht hinter der zierlichen Verkleidung. Na ja, bei den knapp 19 Liter Sprit haben die Japaner ein bissel geknausert, nach 320 Kilometern flackert die Tankanzeige und die restlichen drei Liter sind nach etwa 70 Kilometern abgefackelt, macht 390 Kilometer Reichweite. Bei meiner RD 03 war das Fass erst nach 500 Kilometern staubtrocken. Und leichter war die erste XRV 650 auch, ganze 13 Kilogramm sogar.
Schluss jetzt mit dem Früher-war-alles-besser-Gejammere. Frau Kleinert hatte recht, nach einem höchst amüsanten Ritt spannt sich vor uns das Alpenpanorama auf wie eine Luis-Trenker-Postkarte.