Von Vernunft, Sinn oder Verstand reden wir hier gar nicht. Hier geht es um etwas völlig Irrsinniges, extrem Prickelndes: einen wilden Trip durch die Wüste Perus mit dem Offroad-Monster KTM 1290 Super Adventure R.
Von Vernunft, Sinn oder Verstand reden wir hier gar nicht. Hier geht es um etwas völlig Irrsinniges, extrem Prickelndes: einen wilden Trip durch die Wüste Perus mit dem Offroad-Monster KTM 1290 Super Adventure R.
Wer möchte in Gruppe eins mit Chris Birch als Tourguide? Die Begeisterung bei den Journalisten hält sich in Grenzen. Denn Gruppe eins heißt im KTM-Jargon: Nix für Weicheier, hier geht es profimäßig voll zur Sache. Außerdem ist Chris Birch kein Unbekannter: x-facher Enduro-Champion in Neuseeland, dreimaliger Sieger des berüchtigten Offroad-Wettbewerbs „Roof of Africa“. Liegt also nahe, dass die Messlatte in dieser Gruppe verdammt hoch gehängt wird. Am Ende wird der Autor kurzerhand zwangsverpflichtet, und es finden sich tatsächlich noch vier Freiwillige, von KTM-Personal hinter vorgehaltener Hand auch Opfer genannt. „Say no to slow“ – diesen Button findet man auf der Homepage von Chris Birch. Vielleicht hat KTM ihn deshalb zum Botschafter der Adventure-Linie ernannt. Denn dazu passt das Vehikel, um das es hier und heute gehen soll: Die neue KTM 1290 Super Adventure R ist alles andere als „slow“, quasi die Vmax unter den Enduros. 160 PS stark, 250 km/h schnell und fast 240 Kilogramm schwer, im Gelände garantiert nichts für schwache Nerven. Als 1290er bekam das Offroad-Monster nun noch mehr Qualm und ein Elektro-Update.
Auf dem Tagesplan steht eine knapp 200 Kilometer lange Runde mit der KTM 1290 Super Adventure R um Paracas, 300 Kilometer südlich von Lima gelegen. Was die Landschaft hier zu bieten hat, ist schwer zu beschreiben. Eine schier endlose Wüste aus Sand und Stein, eingerahmt vom blauen Pazifik und schneebedeckten Andengipfeln. Niederschlag 0,9 mm – im Jahr. Einer der trockensten Plätze der Erde.
Vor dem Start gibt es letzte Tipps vom Profi. „Macht einfach den Offroad-Modus rein, dann kann nichts schiefgehen.“ Na ja, wenn’s so einfach wäre. Im Offroad-Modus ist das ABS der KTM 1290 Super Adventure R nur noch am Vorderrad aktiv, die Traktionskontrolle lässt mehr Schlupf zu, die Motorleistung ist auf „schlappe“ 100 PS reduziert, das Ansprechverhalten auf Gasbefehle weniger aggressiv. Hört sich nach betreutem Fahren an, aber die Elektronik kann heute viel. Allerdings nicht alles, wie wir später lernen werden. Der optionale ABS-Dongle sorgt dafür, dass die Einstellung selbst nach Ausschalten der Zündung erhalten bleibt. Sicher ein Tipp für echte Abenteurer, die viel unter wechselnden Bedingungen fahren.
Für einen Tag dürfen wir uns also in diesem fantastischen Sandkasten für große Jungs austoben. Es beginnt mit steinigen Schotterpisten, auf denen man die KTM 1290 Super Adventure R ordentlich fliegen lassen kann. Dafür reichen selbst gedrosselte 100 PS locker. Sanft hängt der geschmeidig laufende V2 am Gas, denn ihm kamen die aktuellen Verbesserungen der S-Variante zugute. Gegenüber der Vorgängerin, der 1190 R, wurden die Kolben zwar größer, trotzdem fast 50 Gramm leichter, gleichzeitig hat KTM das Gewicht der Kurbelwelle um ein Kilogramm erhöht. An den Einlasskanälen beruhigen Resonatorkammern die Gasschwingungen.
Das ergibt einen äußerst kultiviert laufenden Antrieb, der an Spritzigkeit nicht nennenswert eingebüßt hat. Elegant kann man die KTM 1290 Super Adventure R so auf rutschigem Terrain übers Hinterrad steuern. Die Traktionskontrolle lässt im Offroad-Modus satte 100 Prozent Schlupf zu. Das erlaubt auf Geröll ansehnliche Drifts, reduziert aber das Risiko, vom eigenen Hinterrad überholt zu werden.
Dann geht es endlich in die Dünen, das Geläuf wird tiefer, sandiger. Eine gar nicht einmal sonderlich steile Auffahrt quält sich die KTM 1290 Super Adventure R im Ersten so gerade noch hoch. „Im Sand müsst ihr die Traktionskontrolle abschalten, das Hinterrad muss richtig schaufeln können.“ Okay, kapiert, ohne Schlupfbegrenzer geht es gleich viel besser.
Nützt aber alles nichts, wenn man in diesen gemeinen Pulversand gerät, den man in der Sahara Fesh-Fesh nennt. Bis zu den Achsen versinken die Räder unserer KTM 1290 Super Adventure R augenblicklich im Sand, ihr hohes Gewicht scheint sie förmlich in den Boden hineinzupressen. Abtrieb statt Vortrieb, das Hinterrad wühlt im grundlosen Boden. Wer hier keine Hilfe hat, kann einpacken; allein bekommt man den 240-Kilo-Koloss jedenfalls nicht mehr raus.
Lektion gelernt, bleiben wir lieber weiter unten, statt Dünenkämme zu erklimmen. Dort ist der Boden fester, aber auch steiniger. Nicht so einfach, das Vorderrad der KTM 1290 Super Adventure R im Notfall durch einen herzhaften Gasstoß über eine Kante zu heben. Die Gasannahme ist im Offroad-Modus zwar schön sanft auf rutschigem Untergrund, aber hier ein bisschen langsam. Chris empfiehlt: „Nimm den Street-Modus, dann reagiert sie direkter. Im tiefen Sand fahre ich sogar am liebsten im Sportmodus. Aber Vorsicht, dann kommt immer ziemlich viel Schub.“ Okay, für unsereins reicht der Street-Modus, der in der Tat spontaner reagiert.
Lassen wir die 160 Pferdchen der KTM 1290 Super Adventure R mal traben. Eine auf Speed-Passagen stets lauernde Gefahr sind rippenartige, knüppelharte Wellen. Du bretterst mit 150 km/h über die feste, topfebene Sandoberfläche, und dann kommen urplötzlich diese hundsgemeinen, viel zu spät erkennbaren Waschbretter. Beim Reinfahren haut es die Gabel hart bis zum Anschlag durch. Sie wurde zwar gegenüber der 1190er deutlich straffer und progressiver ausgelegt, hat aber in solchen Situationen immer noch keine Chance gegen das Fahrzeuggewicht von fast 240 Kilogramm.
Hinten arbeitet nun ein PDS-Federbein wie bei den EXC-Modellen, das dank eines zweiten Dämpferkolbens mehr Progression bringt. Doch es gilt prinzipiell das Gleiche wie vorn: Es gibt Grenzen der Physik, allzu große Sätze an den Kuppen der Dünen sollte man mit der KTM 1290 Super Adventure R lieber meiden. Solange die Unebenheiten den Federweg von 220 mm nicht wesentlich übersteigen, arbeitet die Federung jedoch sehr schön und sorgt hinten wie vorn für gute Traktion.
Wo wir gerade bei unangenehmen Dingen sind: Heftiges Lenkerschlagen gehört auch dazu. Der Grund ist das steife Chassis, das solch eine brachiale Rase-Enduro auf der Straße zwingend braucht. Im Gelände wäre mehr Flexibilität wünschenswert. Wobei anzumerken ist, dass diesen Wüsten-Speed wohl kaum jemand vorlegen wird, einfach mangels des dazu nötigen Auslaufs. So viel Raum wie hier gibt es in unserem engen Europa im Gelände nirgendwo. Erstaunlich ist trotzdem, wie gut sich der Brocken in der Wüste schlägt. Die KTM 1290 Super Adventure R wirkt fein ausbalanciert, nicht so kopflastig und übers Vorderrad schiebend wie befürchtet. Auch passt die Ergonomie, die einteilige Sitzbank gibt Bewegungsfreiheit. Und auf den breiten Zubehör-Fußrasten Rally steht man wie auf Trittbrettern.
Mittlerweile ist vom anfangs empfohlenen Offroad-Modus wenig übrig geblieben. Wir fahren mit voller Power, direktem Ansprechverhalten und ohne Traktionskontrolle. Nur das Offroad-ABS ist immer noch drin. „Auch bei mir“, schwört Chris. „Wir haben es probiert. Mit der KTM 1290 Super Adventure R ist es mir selbst auf lockerem Geröll nicht gelungen, ohne ABS kürzere Bremswege als mit zu produzieren.“
Zum Schluss steht herrliches Surfen zwischen den steilen Hängen hoher Dünen auf dem Programm. Oben in diesem Artikel gibt es ein hübsches Video davon. Ein unglaublicher Spaß mit diesem Powergerät, die Conti-Grobstoller TKC 80 fräsen dank unkastrierter Power tiefe Rillen in die steilen Hänge. Schade nur, dass man für solch ein Erlebnis um den halben Erdball fliegen muss.
Am Ende bröselt den Teilnehmern der Gruppe eins der Sand aus den Zähnen, als sie grinsend den Helm abnehmen. Und passiert ist nichts, zumindest nichts Nennenswertes. Ein Kollege ging formatfüllend über den Lenker; der Autor legte die KTM 1290 Super Adventure R auch einmal auf die Seite, nachdem die bissige Hinterradbremse den Motor abgewürgt hatte. Selbst der ausgebuffte Enduro-Profi Chris Birch war begeistert: „Thank you, guys. Fantastischer Trip, und eine tolle Maschine. Sicher braucht kein Mensch offroad die 160 PS – aber stören tun sie auch nicht.“ Da hat er recht.