Dieses Ding hätte niemand erwartet. Nicht von Erik Buell, der mit seinen gnadenlosen Sportfahrwerken den fetten Harley-Motoren Beine macht. Kürzer als kurz, Massen und Maße zusammengepresst und aufs Allernotwendigste reduziert, dachte selbst mancher beinharte Sportfreak daran, seine Superduper-Rennschüssel gegen eine Harley einzutauschen. 
 Jetzt nimmt Erik Buell die zweirädri-gen Touristen mit einer abenteuerlichen Mischung ins Visier. Ein Drittel Enduro, 
 ein Drittel Supermoto, ein Drittel Racer  macht zusammen »Adventure-Sports«, so die offizielle Bezeichnung für die  Ulysses  XB12X. Was für ein Brocken. Sitzhöhe knapp 900 Millimeter über Grund, also nur was für schwindelfreie Naturen. Wer sich schon im zweiten Stock am Balkongeländer festklammern muss, hat auf der Ulysses verspielt. Ist sie jedoch erst in Fahrt, schwinden die Ängste, und bereits bei der erstbesten Abzweigung zackt die XB12X hurtig ums Eck. Mehr Sportler als Enduro, krallen sich ihre Dunlop-616-Gummis in den Asphalt und vermitteln umgehend das schöne Gefühl: Hier geht was.
 Mit einer absolut entspannten, komfortablen und endurotypischen Sitzposition lässt sich die Buell mit einer imposanten Handlichkeit um Kurven und Kehren dirigieren und zeigt dabei höchst sportliche Qualitäten. Erfreut registriert der Fahrer eine auf Stabilität getrimmte Lenkgeometrie  die Amerikaner haben bei ihrer Reisemaschine die radikalen Maße sinnigerweise aufgegeben  und kann sich beim Kurvenwetzen auf eine ordentliche Rückmeldung und scharfe Lenkpräzision verlassen. Je größer die Schräglagen, desto satter liegt die Ulysses, wechselt dabei zackig die Richtung, ohne dass die relativ langen Federwege (165/163 Millimeter) übermäßig störende Nickbewegungen verursachen. 
 Solche Nettigkeiten haben Gründe. Mit 120/70 ZR 17- und 180/55 ZR 17-Bereifung geht der Zuschlag ganz klar Richtung Straßeneinsatz, auch wenn die grobe Profilierung der Dunlop-Pneus Offroad-Qualitäten vorgaukelt. Und mit sensationellen 228 Kilogramm vollgetankt ist die XB12X trotz des massigen 1200er-Harley-Aggregats im Maschinenraum leichter als die meisten Groß-Enduros. Ein Vorteil, den sie im MOTORRAD-Testparcours auf beeindruckende Art und Weise umsetzt. Sowohl beim Slalomtanz durch die Pylonen als auch in der Kreisbahn spielt die Ulysses vergleichbare Konkurrenten stumpf an die Wand und steht sogar knackigen Sportskanonen kaum nach. Da wird sich in 
 Zukunft so manche Rennsemmel in Acht nehmen müssen, denn auch die Schräglagenfreiheit der neuen Buell wurde so 
 großzügig bemessen, dass selbst im 
 Grenzbereich lediglich die Aluminium-Rasten über den Asphalt schmirgeln. 
 Einzig bei der Bremsmessung stößt das Konzept an die physikalischen Grenzen. Bedingt durch den hohen Schwerpunkt in Verbindung mit 1370 Millimeter Radstand schwebt die Ulysses bereits 
 bei einer mittleren Bremsverzögerung von 
 9,1 m/s2 mit abgehobenem Hinterrad über die Messstrecke und muss durch akrobatischen Einsatz in die Spur gezwungen 
 werden. Ein weiterer Schwachpunkt im 
 unbarmherzigen Top-Test: Die innenumfassende, nicht sonderlich fein dosierbare Bremsanlage verlangt nach kräftigen Pranken, zudem zerrt die nur rechtsseitig montierte Sechskolbenzange gewaltig an den Tauchrohren und verwindet die Upside-down-Gabel spürbar. 
 Dritter und wohl größter Mangel der Buell ist der unbefriedigende Geradeauslauf. Bereits ab Tempo 140 macht sich ein leichtes, unregelmäßiges Taumeln um die Längs- und Hochachse breit, das sich mit zunehmender Geschwindigkeit verstärkt und bei Topspeed speziell leichte Fahrer 
 in Alarmbereitschaft versetzt. Zig Versuche mit unterschiedlichen Fahrwerkseinstellungen und Reifenluftdrücken brachten keine wirkliche Besserung. Die stellte sich erst ein, als die Dunlop-Pneus versuchshalber gegen einen Satz reinrassiger Straßenreifen vom Typ Michelin Pilot Power 
 getauscht wurden. Damit brauste die 
 Ulysses bis auf ein zartes Pendeln bei 
 über 180 km/h auf welliger Autobahn um 
 Klassen stabiler daher. 
 Aufgrund des enorm hoch eingebauten Motors sitzt auch das Schwingenlager mit 460 Millimeter ein paar Zentimeter zu weit oben, weshalb die extrem schräg angelenkte Schwinge beim Beschleunigen ausfedert. Das führt mitunter dazu, dass das Hinterrad auf welligen Strecken kurz den Bodenkontakt verliert und leichte Fahrer über ein unsensibles Ansprechverhalten klagen. Aus diesem Grund wählte die 
 MOTORRAD-Testcrew für den Soloeinsatz 
 die kleinstmögliche Federvorspannung am 
 direkt angelenkten Zentralfederbein in Verbindung mit einer eher straffen Zugstufeneinstellung. Was auch für den flotten Ritt mit Sozius taugt, bei dem die Buell tadellose Kurven- und Fahreigenschaften an den Tag legt. Einziger Störfaktor: der rutschige Sitzbankbezug des Soziusplatzes. 
 Gut gemacht dagegen ist der kurze Windschild, der ausreichenden Schutz 
 bietet und den Fahrtwind ohne lästige 
 Turbulenzen an Helm und Oberkörper vorbeileitet. Marathonetappen sind auf 
 der Buell durchaus machbar, zumal der vollständig in Gummi gelagerte V2-Ballermann über 4500/min seidenweich und fast vibrationsfrei voranschiebt. 
 Womit wir beim Herzstück der XB12X angelangt sind, denn eine Harley, und sei es eine Buell, lebt und bebt in erster Linie durch die klassische, luftgekühlte Maschine. Und da macht die Ulysses keine Ausnahme. Im Standgas verschütteln die Motormassen die Erde, der Reiter sieht doppelt und 
 dreifach. Unter reichlich Anstrengung das 
 knochige Getriebe bemüht, setzt sich die XB12X in Bewegung, die Sicht wird klar und genüssliches Dahingleiten zur Erholung. Wird das Gas jedoch kräftig aufge-
 zogen, müht sich der Motor unter 4000/
 min mit einer röchelnden Zähigkeit. Dieser 
 Bereich ist nicht gerade das Ding des 
 Milwaukee-Twins, dessen ursprüngliche Kraft durch strenge Geräusch- und Abgasnormen stranguliert wurde. 
 Klettert die Nadel über diese Marke, besinnt sich der Motor seines ureigenen Charakters und reißt, akustisch beeindruckend intoniert, an der Leine. Selbst wenn der elektronische Begrenzer bei knapp 7000/min sanft einen Riegel vorschiebt, darf der Buell eine regelrechte Drehfreudigkeit attestiert werden. Was man von einem Stoßstangen-Twin mit 
 Harley-Technik in der Form nicht erwartet. Langeweile ist auf der Ulysses ein Fremdwort, weil das agile Chassis eine höchst 
 eigenständige, aber wunderbare Liaison mit der wuchtigen Motorcharakteristik 
 eingeht. Es braucht etwas Zeit, das knorrige Getriebe und die mächtigen Schwungmassen des V2 mit dem leichtfüßigen, 
 kurvengierigen Handling in Einklang zu bringen. Doch wer den Bogen raus hat, 
 erlebt das Thema Reise-Enduro spannend wie selten. Das reinste Vergnügen, das den hochmotivierten Reiter auch vor milden Offroad-Einlagen nicht kapitulieren lässt. Tatsächlich, es geht. Nicht im derben Endurostil, aber mit ruhigem Fluss über losen Untergrund, weiche Bögen, sanfte Linien, so ackert die Buell durch die Landschaft.
 Eine sorgfältige Abdeckung des Zahnriemens schützt dabei vor zerstörerischem, grobkörnigem Staub und Schottersteinchen, und den Gabeltauchrohren spendierten die Techniker wirksame Kunststoffprotektoren. Womit die Ulysses XB12X 
 eindeutig belegt, dass es Erik Buell mit 
 seiner Reisemaschine für alle Wege ernst gemeint hat.
War sonst noch was?
Plus
 Geringer Verbrauch (zirka fünf Liter)
 Wartungsfreier, leiser Zahnriemenantrieb
 Gut zugängliche Federelemente 
 Rahmenprofile mit Sturzprotektoren
 Trotz Auspufftopf unter 
 dem Motor große Bodenfreiheit
 Laute, wirkungsvolle Hupe
 Minus
 Geräuschvoller Lüftermotor 
 des hinteren Zylinders läuft fast ständig
 Rutschiges Sitzpolster im Soziusbereich
 Mäßige Lichtausbeute in Abblendstellung
 Instabile Arretierung der Handprotektoren
 Zu kleine Rückspiegel
 Nach dem Volltanken kann Sprit über den 
 Entlüftungsschlauch vors Hinterrad tropfen
 Rahmen heizt sich im Kniebereich stark auf
 Seitenständer ist aus der Sitzposition 
 schwierig auszuklappen
 Fahrwerkseinstellungen*
 Gabel
 Zugstufendämpfung ½ bis 1 Umdrehung offen
 Druckstufendämpfung 1 bis 
 1 ½ Umdrehungen offen
 Federvorspannung 5 Ringe sichtbar
 Federbein
 Zugstufendämpfung ¾ bis 1 Umdrehung offen
 Druckstufendämpfung ½ (im Soziusbetrieb) 
 bis 1 ½ Umdrehungen offen
 Federvorspannung ganz offen, entspricht einem Negativfederweg von 15 mm ohne Fahrer, im Soziusbetrieb 10 Klicks Vorspannung
MOTORRAD-Messungen
Fahrleistungen
 Höchstgeschwindigkeit* 219 km/h
 
 Beschleunigung
 0100 km/h 4,4 sek
 0140 km/h 7,6 sek
 0200 km/h 19,4 sek
 
 Durchzug 
 60100 km/h 5,4 sek
 100140 km/h 6,5 sek
 140180 km/h 8,5 sek
 
 Tachometerabweichung
 Effektiv (Anzeige 50/100) 50/99 km/h
 
 Drehzahlmesserabweichung
 Anzeige Maximaldrehzahl 6800/min
 Effektiv 6700/min
 
 Verbrauch im Test
 bei 130 km/h 5,3 l/100 km
 Landstraße 4,9 l/100 km
 Theor. Reichweite 341 km
 Kraftstoffart Super Plus
 
 Maße und Gewichte
 L/B/H 2190/900/1360 mm
 Sitzhöhe 885 mm
 Lenkerhöhe 1100 mm
 Wendekreis 6270 mm
 Gewicht vollgetankt 228 kg
 Zuladung 203 kg
 Radlastverteilung v/h 49/51%
 Fahrdynamik1
 Bremsmessung
 Bremsweg aus 100 km/h 42,5 Meter
 Mittlere Verzögerung 9,1 m/s2
 Bemerkungen: Aufgrund der Fahrwerksgeometrie hebt das Hinterrad früh vom Boden ab und verhindert einen kürzeren Bremsweg. Handkraft und Dosierbarkeit der innenumfassenden Bremse sind nur befriedigend.
 
 Handling-Parcours I (schneller Slalom)
 Rundenzeit 21,3 sek
 vmax am Messpunkt 104,5 km/h
 Bemerkungen: Dank der guten Fahrstabilität und einer überraschenden Handlichkeit erreicht die Buell durchweg gute Werte. 
 
 Handling-Parcours II (langsamer Slalom)
 Rundenzeit 28,2 sek
 vmax am Messpunkt 54,1 km/h
 Bemerkungen: Eine gute Lenkpräzision, viel Schräglagenfreiheit und griffige Reifen erlauben hohe Kurvengeschwindigkeiten und kurze Rundenzeiten. Auch am engen Wendepunkt einfach und neutral zu fahren.
 
 Kreisbahn Ø 46 Meter
 Rundenzeit 10,3 sek
 vmax am Messpunkt 54,0 km/h
 Bemerkungen: Mit 54 km/h und einer Rundenzeit von 10,3 Sekunden liegt die Buell fast auf Sportler-Niveau und lässt sich in Schräglage durch die Trennfugen nicht aus der Ruhe bringen.
Technische Daten
Motor: luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-45-Grad-V-Motor, Kurbelwelle querliegend, vier unten liegende, zahnradgetriebene Nockenwellen, zwei Ventile pro Zylinder, Hydrostößel, Stoßstangen, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 49 mm, Lichtmaschine 520 W, Batterie 12 V/12 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Zahnriemen.
 
 Bohrung x Hub 88,9 x 96,8 mm
 
 Hubraum 1203 cm³
 
 Verdichtungsverhältnis 10,0:1
 Nennleistung
 74,6 kW (101 PS) bei 6600/min
 Max. Drehmoment 110 Nm bei 6000/min
 Schadstoffwerte (Homologation) in g/km
 CO 4,693 / HC 0,165 / NOx 0,942
 
 Fahrwerk: Brückenrahmen aus Aluminium, geschraubtes Rahmenheck, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, innenumfassende Scheibenbremse vorn, Ø 375 mm, Sechskolben-Festsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
 Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
 Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
 Bereifung im Test Dunlop D 616
 
 Maße und Gewichte: Radstand 1370 mm, Lenkkopfwinkel 66,5 Grad, Nach-
 lauf 122 mm, Federweg v/h 165/163 mm, zulässiges Gesamtgewicht 431 kg, Tankin-
 halt/Reserve 16,7/3,1 Liter.
 
 Service-Daten
 Service-Intervalle alle 8000 km
 Öl- und Filterwechsel alle 8000 km 
 Motoröl H.-D. 360 / 2,4 l
 Telegabelöl H.-D. Typ E
 Zündkerzen H.-D. 10R12A
 Leerlaufdrehzahl 1100±50/min
 Reifenluftdruck solo (mit Sozius)
 vorn/hinten 2,5/2,6 (2,5/2,6) bar
 
 Garantie zwei Jahre
 
 Farben Orange, Schwarz
 
 Preis 11499 Euro
 
 Nebenkosten 310 Euro
Punktewertung: Motor
Mit 93 gemessenen PS reißt die Buell keine Bäume aus und kann deshalb in allen Kriterien der Fahrleistungen keine herausragenden Noten einsammeln. Die knorrige, mitunter laute Schaltung verdient nur zehn Punkte, während der 
 weiche Zahnriemenantrieb in Sachen Lastwechsel positiv zu Buche schlägt. Abzüge gibt es für die etwas zu kurze Gesamtübersetzung.
Punktewertung: Fahrwerk
wegen der schlechten Stabilität bei hohem Tempo zücken die 
 Tester die rote Karte: nur zehn Punkte. Dafür kassiert die XB12X mit Sozius dank guter Kurven- 
 und Fahreigenschaften 24 von 
 30 möglichen Punkten.
Punktewertung: Sicherheit
Ohne nennenswerten Ansatz zum Lenkerschlagen brettert die Buell über die wellige und zerfurchte Teststrecke, was mit 17 Punkten belohnt wird. Nur zart aufsetzende Fußrasten in knackigen Schräglagen sind 18 Zähler wert. Von 
 der Bremsanlage wünscht man sich mehr Biss. Auch die spürbare 
 Verwindung der Gabel kostet in der Bremsstabilität und beim Aufstellmoment Punkte.
Punktewertung: Alltag
Im Vergleich zu den etablierten 
 Reiseenduros fehlt es der XB12X an Ausstattungsdetails. Dank 
 des geringen Verbrauchs ist 
 die Reichweite trotz des kleinen 
 16,7-Liter-Tanks ordentlich.
Punktewertung: Komfort
Mit der breiten, bequemen Sitzbank und einer gelungenen Ergonomie kassiert die Buell 31 Zähler. Die derben Vibrationen bei niedrigen Drehzahlen sorgen dagegen für Punktabzug.
Punktewertung: Kosten / Umwelt
Die guten Verbrauchswerte machen sich positiv, die schlechten Ab-
 gaswerte negativ bemerkbar. Und dass eine Buell beim Preis-Leistungs-Verhältnis abfällt, war nicht anders zu erwarten, denn der subjektive Spaßfaktor der XB12X wird leider nicht mit Punkten belohnt.












