Auf Achse mit Berneg Fario/Iridea
Gäste aus Bologna

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Berneg Fario/Iridea fühlen sich als Gäste in Deutschland auch knapp fünf Jahrzehnte nach ihrer Geburt in Bologna pudelwohl.

Gäste aus Bologna
Foto: Foto: Nöll

Zwei kleine Italiener ... (Teil 1)

Alles begann mit einem Anruf aus den Vereinigten Staaten. Erwin Becker und sein amerikanischer Bekannter, beide Liebhaber kleiner italienischer Sportmaschinen, hatten sich 2003 beim Moto Giro in Bologna kennengelernt. Seitdem pflegten sie einen lockeren Informationsaustausch via Telefon.

Die Botschaft „Bei dir in der Nähe sind zwei Berneg zu verkaufen“ traf Erwin wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Was die meisten für einen Erholungsort im Fränkischen halten, ist nur Insidern ein Begriff, und vielleicht noch langjährigen Lesern von MOTORRAD. Bereits 1960 hatte Ernst „Klacks“ Leverkus in den höchsten Tönen von einer Testmaschine namens Berneg geschwärmt.

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Der Bericht war Erwin noch gut in Erinnerung. Jetzt bloß nichts anbrennen lassen! Ganze zwei Exemplare hatte der zeitweilige Generalimporteur Edmund Bühler damals nach Deutschland verkauft. Damit war die Berneg tatsächlich nichts Alltägliches. Ein Anruf beim Besitzer schaffte Klarheit. Die Maschinen waren noch zu haben, aber nur im Doppelpack.

Die Besichtigung in der Nähe von Augsburg birgt eine Überraschung. Bei einer Berneg handelt es sich um eine 175er-Fario in der Tourenversion, bei der zweiten um eine 160er-Iridea. Damit hat sich die Frage, was Erwin mit zwei Maschinen des gleichen Typs anfangen soll, bereits erledigt. Weil dem Verkäufer Erwins Begeisterung offensichtlich nicht entgeht, gibt es preislich keinen Spielraum. So ist das eben mit dem „Haben wollen“.

Foto: Archiv
Eine ungespannte Duplexkette trieb die Nockenwelle der Iridea an, eine Simplexkette mit Spanner die der Fario.

Beide Maschinen sind komplett; die kleinere sogar restauriert, soweit sich das von außen erkennen lässt. Nähere Angaben über den Zustand der Motoren kann der Verkäufer ohnehin nicht machen, weil er die Maschinen aus dem Nachlass seines Schwiegervaters lediglich verkaufen soll. Die rund 400 Kilometer lange Heimreise beherrscht ein einziges Thema: die Bernegs auf dem Anhänger!

Wie lange die Fertigstellung der Maschinen wohl dauern wird? Woher Ersatzteile beschaffen für Maschinen, die scheinbar so selten sind wie ein Sechser im Lotto? Auf solche Fragen gibt es in dieser frühen Phase keine Antworten. Aber die zwei vereinbaren bereits auf der Rückreise, in drei Jahren mit den Bernegs an der ADAC MotoClassic teilzunehmen.

Eine gut eingerichtete Werkstatt mit Dreh- und Fräsmaschinen steht Erwin zur Verfügung, das nötige Fachwissen aus vorangegangenen Restaurierungen ebenfalls. Während sich der Aufwand an der Iridea in Grenzen hält – die Lack- und Chromteile benötigen lediglich eine Auffrischungs-Politur – muss die Fario eine Komplett-Kur über sich ergehen lassen. Dennoch zerlegt Erwin Becker die Motoren und Getriebe beider Maschinen und untersucht den Verschleiß. Diese Maßnahme erweist sich im Nachhinein aufgrund der starken Ablagerungen in den Ölkanälen als die richtige Entscheidung.

Die aus Einzelteilen gebauten und von Schrauben geklemmten Kurbelwellen mit mittig angeordneter Schwungscheibe zentriert er neu und ersetzt, wo erforderlich, alte Lager durch neue. Die Gehäuseteile, Zylinder und Köpfe der beiden Paralleltwins sind zum Glück frei von Rissen, so dass sich die Arbeit an den Motoren auf die üblichen Instandsetzungsmaßnahmen beschränkt.

Zwei kleine Italiener ... (Teil 2)

Foto: Nöll
Die Erste: Berneg Iridea mit glattem Ventildeckel. Die Nockenwelle steuert den Verteiler. Nicht serienmäßig, die Ölwanne. Der Nachfolger: Berneg Fario mit verripptem Ventildeckel und polierten Seitendeckeln.

Interessant ist die Anordnung der Ein- und Auslassventile. Sie hängen im Zylinderkopf parallel in einer Reihe. Die Nockenwelle liegt direkt darüber. So sparten die Konstrukteure Kipphebel und konnten die bewegten Massen des Ventiltriebs reduzieren. Ungewöhnlich ist auch die Einstellung des Ventilspiels. Oben in den Tassenstößeln sitzen spezielle Verschraubungen, mit deren Hilfe sich mit dem mitgelieferten Spezialwerkzeug das Ventilspiel justieren lässt.

Die Firma Berneg in der Via Porrettana in Bologna war keine Motorradfabrik im üblichen Sinn, sondern ein kleines Unternehmen, das zunächst ausschließlich Zulieferteile für die italienische Motorradindustrie produzierte. Erst in der zweiten Hälfte der 50er-Jahre gab es die ersten Berneg-Motorräder. Die „Fabrikationshalle“ war kaum größer als eine Doppelgarage. Zwei Mann stellten täglich etwa zwei Maschinen auf die Räder; Enthusiasten, die Motorräder für Enthusiasten bauten.

Sie griffen bemerkenswerterweise nicht auf günstige Einbaumotoren zurück, sondern konstruierten und produzierten Motoren, Getriebe, Rahmen und Blechteile selbst. Lediglich Gabeln, Räder und Kleinteile kamen von Zulieferern. Verbesserungen flossen direkt und ohne große Erprobungsmaßnahmen unmittelbar in die Fertigung ein, ohne den üblichen Bürokratismus.

Kein Wunder also, dass kaum eine Berneg der anderen gleicht. Weil die Motoren der frühen Modelle schon bald thermische Probleme hatten, ersetzte bei den späteren Fario eine großflächig verrippte Ölwanne das glatte Pendant der Iridea. Für Erwin übrigens ein Grund, seiner Iridea – Original hin oder her – im Rahmen der Restaurierung die verrippte und 0,8 Liter mehr Motoröl fassende Wanne der späteren Fario-Modelle zu spendieren.

Foto: Nöll
Einfach und sparsam: Zündschlüssel und Kleinkraftrad-Tachometer von Veglia.

Im Frühjahr 2009 sind die Restaurierungsarbeiten an beiden Maschinen so weit gediehen, dass eine erste Probefahrt ansteht. Erwins Teststrecke führt unmittelbar von der Haustüre eine kurvige, wenig befahrene Straße zum drei Kilometer entfernten Nachbarort bergauf. „Wenn es technische Probleme gibt – und das kann bei den ersten Kilometern schon mal vorkommen – kann ich ohne Motorkraft wieder zurück bis an meine Garage rollen“, schmunzelt er. „Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Berneg schon; allein wegen der ungewöhnlichen Lage der Gänge. Die Schaltwippe befindet sich rechts, der erste liegt unten und die drei restlichen Gänge oben.“

Dann folgen die Einstellarbeiten, Optimierung von Zündung und Gemischaufbereitung, Positionierung von Lenker, Brems- und Kupplungshebeln. Allmählich werden die Touren länger, das Vertrauen in die Maschinen wächst. Zur ADAC MotoClassic in Luxemburg sind beide Maschinen startklar. In dreieinhalb Tagen geht es rund 500 Kilometer über Landstraßen zweiter und dritter Ordnung.

Die kleinen Twins können zeigen, was in ihnen steckt. Erwin fährt die rote 160er, sein Freund Peter die blauweiße 175er. Wo die beiden auftauchen, betört das Duo die Motorradfreunde optisch wie akustisch gleichermaßen. Es fasziniert immer wieder aufs Neue, wie die kleinen Sportler mit Maschinen deutlich größeren Hubraums mithalten können. Selbst in den Ardennen sind die Berneg immer mit von der Partie.

„Die Motörchen haben gedreht, dass ich mir nicht vorstellen wollte, was da unten vor sich geht“, sagt Erwin mit einem Blick auf den Zweizylinder. „Geschaltet haben wir bestimmt tausend mal, um die kleinen Biester am Laufen zu halten“. Das war freilich schnell vergessen, nachdem die Jury die blauweiße Fario zur schönsten Maschine ihrer Klasse kürte und sie im Concours d’Elégance den ersten Platz belegte. Eine schönere Bestätigung für die Qualität einer Restaurierung ist kaum denkbar.

Rückblick

Foto: Archiv
Der erste Test der Berneg in einer Ausgabe von 1960 von "Das MOTORRAD".

Es sollte immerhin bis 1960 dauern, bis Das MOTORRAD die erste Berneg testete. Dabei hatten die Väter der Berneg, Paride BERnardi und Corrado NEGrini, die Iridea bereits 1955 in Mailand vorgestellt.

Der modern gezeichnete Paralleltwin mit 160 cm³ hatte eine oben liegende Nockenwelle, Grauguss-Zylinder und Leichtmetallköpfe. 1957 erschien mit der überarbeiteten Iridea die baugleiche Fario mit 175 cm³. 1959 stellte Berneg die Iridea und die normale Fario ein, nur die Sportversion überlebte.

1961 gab Berneg die Produktion auf. Beim Test der Fario, selbstverständlich in der Sportausführung, kam MOTORAD-Tester Ernst „Klacks“ Leverkus schwer ins Schwärmen: „175 cm³, zwei Zylinder und obenliegende Nockenwelle! Was ist da noch ein Einzylinder, wenn man diesen kleinen Twin erlebt hat? Sie ist so ganz nach unserem Geschmack.“

Technische Daten

Foto: Nöll
Die zwei Kassiker Berneg Fario (oben) und Iridea.

Technische Daten Berneg Iridea (Fario)

MOTOR
Bauart: Zweizylinder-Viertaktmotor, zwei Ventile pro Zylinder, über eine oben liegende Nockenwelle und Tassenstößel betätigt
Bohrung: 48 (50) mm
Hub: 44 mm
Hubraum: 159 (173) cm³
Leistung: 7,7 PS bei 6500/min (11 PS bei 8000/min)
Schmierung: Druckumlaufschmierung
Gemischaufbereitung: Rundschiebervergaser, Ø 16 mm, Dell’Orto MA 16 B

ELEKTRISCHE ANLAGE
Starter: Kickstarter
Batterie: 6 VoltZündung Batterie-Spulenzündung, kontaktgesteuert
Lichtmaschine: Gleichstrom-Lichtmaschine

KRAFTÜBERTRAGUNG
Kupplung: Mehrscheiben-Ölbad
Getriebe: Viergang, klauengeschaltet
Primärtrieb: Kette
Sekundärantrieb: Kette

FAHRWERK
Rahmenbauart: Einschleifenrahmen mit geteilten Unterzügen aus Stahlrohr
Radführung vorn: Telegabel, Marzocchi
Radführung hinten: Zweiarmschwinge, zwei Federbeine
Räder: Drahtspeichenräder
Reifen vorn: 2.50 – 19
Reifen hinten: 2.75 – 19
Bremse vorn: Simplex-Trommelbremse
Bremse hinten: Simplex-Trommelbremse

MASSE UND GEWICHTE
Gewicht: 110 kg
Tankinhalt: 16 (18) Liter

FAHRLEISTUNGEN
Höchstgeschwindigkeit: 100 (110) km/h

HERSTELLER
Berneg, Costruzioni Meccaniche, Bologna, Italien

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD CLASSIC 10 / 2023

Erscheinungsdatum 01.09.2023