Eile mit Weile, immer langsam mit den jungen Pferden – Sprüche wie diese standen bestimmt nicht zur Debatte, als Anfang der 1980er die neuen, zukunftsweisenden Big Bikes entwickelt wurden. 1984 sorgten schließlich zwei Maschinen für staunende Gesichter in der Motorradwelt und sollten den Beginn einer neuen Ära markieren. Jede auf ihre Weise, und doch Brüder im Geiste.
Beiden gemeinsam war das Ziel, ein sportliches Highlight bei den Big Bikes zu schaffen. Motorseitig setzten dabei sowohl Yamaha als auch Kawasaki auf nunmehr vier Ventile im Kopf. Letztere ging gar den konsequenten Weg hin zur Wasserkühlung, während die FJ nach wie vor auf die Wärmeableitung per großzügig verrippter Zylinder vertraute. Bei Kawasaki ging der Reihe der luftgekühlten Vierzylinder mit 550, 750 und 1100 Kubikzentimetern nämlich im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. Trotz Einspritzung bei der 1100er schienen der sportlichen Weiterentwicklung Grenzen gesetzt. Zwischenzeitlich an den Start geschobene, prestigeträchtige Turbomotoren, bei Yamaha in Form der XJ 650 Turbo, bei Kawasaki mit der GPZ 750 Turbo, brachten nicht den großen Durchbruch und erwiesen sich in Sachen Verkaufszahlen als Rohrkrepierer.
Bereit zur Ausfahrt

Abspecken war angesagt, Modernisierung des Fahrwerks und eine gründliche Umstellung des Motorenkonzepts. Im Hause Kawasaki kehrt man zurück zum einst so erfolgreichen Hubraum von 900 cm³, der schon der Ur-Z1 zu heute legendärem Erfolg und nachhaltigen Ruhm verhalf. Doch statt auf den Fahrtwind zu vertrauen, sorgen bei der GPZ nun vier Liter Kühlflüssigkeit für den gesunden Temperaturhaushalt. GPZ-Motorenguru Inamura gestaltet den Ventilwinkel der nun erstmals bei Kawasaki verbauten vier Ventile pro Zylinder sehr spitz, was flache Brennräume und leistungsfördernde hohe Verdichtung ermöglicht. Der ungezügelte GPZ-Vierer leistet im Ausland 115 PS, für Deutschland muss er mittels geänderter Vergaserdeckel auf 100 PS gedrosselt werden. Immer noch genug, um aufhorchen zu lassen, denn selbst die deutsche Version rennt mit liegendem Fahrer satte 240 km/h. Dass die Leistung der gedrosselten Version nach oben streut, ist bald kein Geheimnis mehr – die Besitzer jedenfalls freut’s.
Möglich wird die hohe Leistungsausbeute des Motors übrigens auch durch die Verlegung der neuartigen „Silent Chain“-Steuerkette nach links, was nun in der Mitte Platz schafft für kurze, gerade Ansaugwege. Genug erst mal mit der Theorie – die GPZ steht auf dem Hotelparkplatz bereit zur Ausfahrt und will bewegt werden. MOTORRAD Classic hat die Winterflucht angetreten, doch auch hier im sonnigen Südfrankreich sind die Morgenstunden noch frisch. Mit voll gezogenem Chokehebel muss der Starter nur kurz orgeln, bis der Vierer zum Leben erwacht und Kawa-typisch erst mal aufjault, um dann mit erhöhtem Standgas warmzulaufen. Das Motorgeräusch wird vom Wassermantel gut gedämpft. Das kernige Grummeln kommt aus den schwarz verchromten Endtöpfen und signalisiert Leistungsbereitschaft.
Schmal und schlank, etwas staksig-hochbeinig wirkt die GPZ, vor allem im Vergleich zur bauchigeren FJ. Eine sportlich gestreckte Haltung nimmt der Fahrer ein, die Hände an die schmalen, stark gekröpften Lenkerstummel gereckt. Ein deutliches Signal. Die Kupplung ist trotz hydraulischer Betätigung nicht sehr leichtgängig, dafür rasten die Gänge, übrigens nun insgesamt deren sechs an der Zahl, trocken und exakt ein. Der fast zehn Jahre alte Dunlop-Vorderreifen deutet darauf hin, dass unsere 1988er-GPZ in den letzten Jahren kaum bewegt wurde, was die geringe Laufleistung von kaum 18 000 Kilometern erklärt. Besitzer Wolfgang Kleinschmidt, der uns die GPZ freundlicherweise überlassen hat, kaufte sie erst vor einem knappen Jahr und erfreut sich am tollen Pflegezustand der 26 Jahre alten Lady. Ich erfreue mich quasi stellvertretend für ihn heute an der verblüffenden Handlichkeit bei geringem Tempo.
Die GPZ reißt mächtig an

Das 16-Zoll-Vorderrad wirkt sich, trotz stattlicher Breite von 120 Millimetern, ebenso wie die tiefe Einbaulage des Motors Handling-fördernd aus. Möglich macht dies die kompakte Bauweise – stattliche 123 Millimeter schmaler als der luftgekühlte Vierer der bislang stärksten 1100er-GPZ baut der 900er-Motor. Ein gutes Argument für die Neukonstruktion. Auch in Sachen Laufruhe hat sich Gewaltiges getan. Die unter der Kurbelwelle mit doppelter Drehzahl rotierende Ausgleichswelle leistet ganze Arbeit, Vibrationen sind bei kaum einer Drehzahl zu spüren, und wenn, dann nur sehr dezent. Das helle Heulen und Pfeifen des Primärtriebs bei fast jeder Drehzahl hingegen wird auf Dauer schon eher lästig und ließe fast auf einen Defekt schließen, wenn man es nicht besser wüsste.
Mit zunehmendem Tempo geht dieses jedoch im Windrauschen unter, und in Fahrt kommt die 900er gewaltig. Sie hängt prächtig und gut dosierbar am Gas, nimmt Befehle jederzeit spontan an. Bei 2000/min das Gas aufreißen? Kein Problem. Der 900er zieht sanft, aber noch nicht allzu bestimmt an, legt ab 4000 Touren eine Schippe zu, holt noch mal Luft, um dann ab etwa 7000/min mit Vehemenz anzureißen, was auch heute noch Respekt abnötigt. Bis zum roten Bereich bei 10500/min und darüber hinaus könnte man drehen, doch weder muss man das, noch wollen wir dies heute. Keine Frage, die GPZ galt damals zu Recht als das sportlichste und schnellste Serienbike und zieht mir auch heute noch die Arme lang. Bei hohem Tempo auf der Geraden liegt die Kawa wie ein Brett, in lang gezogenen Kurven gibt sie sich leider ebenfalls stoisch und wehrt sich stur gegen eventuelle Kursänderungen. Die straffe, ja harte Fahrwerks-Grundeinstellung ist Segen und Fluch zugleich. Dabei haben die Japaner beim Rahmen und vor allem bei der Gabel enormen Aufwand betrieben und zusätzlich zum Anti Dive-System noch ein automatisch variierendes Dämpfungssystem für die Druckstufe verbaut.
Bei aller Sportlichkeit auch tourentauglich

Wer A wie Angasen sagt, muss aber auch B wie Bremsen sagen. Die Doppelscheibe vorn lässt hier nichts anbrennen und packt trotz vergleichsweise schlichter Konstruktion mit Einkolben-Schwimmsätteln an 280er-Scheiben (erst ab Modelljahr 1990 gab’s Vierkolbensättel und 300er-Scheiben) vehement zu, ohne allzu bissig zu wirken. Die hintere Bremse agiert dagegen eher digital, sprich alles oder nichts und führt bei unachtsamem Tritt leicht zum Blockieren des Hinterrads. Dass die GPZ bei aller Sportlichkeit auch tourentauglich sein wollte, belegt der große 23-Liter-Tank, dem man sein Fassungsvermögen gar nicht direkt ansieht. Und weil Tourenfahrer ordentlich Strecke machen und dabei ein verlässliches Gefährt erwarten, hat MOTORRAD die 900er einst einem Dauertest über 100000 Kilometer unterzogen, den die Kawa mit Bravour, also ohne Ausfälle, absolvierte.
Die abschließende Demontage offenbarte einen technisch gesunden Zustand, nach Austausch eines Kolbens mit zu viel Laufspiel hätte die Japanerin wieder zusammengebaut und weiter auf Tour geschickt werden können. Bis zu dieser Laufleistung hat unsere Foto-GPZ dann ja noch viele Jahre vor sich. Wir haben heute gerade mal 250 Kilometer dazu beigetragen, dabei viel Spaß gehabt und alte Erinnerungen aufgefrischt. Meine Erfahrungen mit GPZ und FJ reichen schließlich schon eine Weile zurück. Ende der 1980er, Anfang der 1990er besaß ich sie beide. Okay, ich gebe es zu, ich hatte nur die kleine GPZ-Variante, die 750er mit kleineren Bohrungs- und Hub-Maßen (70 x 48,6 mm) und nur 92 PS, ansonsten aber identischen Features und Fahrwerk. Die kleine Schwester riss zugegebenermaßen keine Bäume aus und war nicht signifikant günstiger, weswegen sie auch nach kurzer, recht erfolgloser Bauzeit wieder aus dem Programm genommen wurde.
Die FJ ist der sportliche Tourer

Der Spaß mit der FJ 1100 fühlt sich anders an, und die Erinnerungen beziehen sich auf andere einst erlebte Reisen. Doch vor allem die FJ hat sich, zusammen mit ihrer 1200er-Nachfolgerin, den Ruf eines zuverlässigen, langlebigen Sporttourers erworben, mit Betonung auf Tourer. Dazu passt denn auch bereits die Sitzposition auf der breiter und wuchtiger als die Kawa wirkenden Yamaha. Höher und ausladender der Lenker, aufrechter die Haltung, entspannter der Beinwinkel – so lässt es sich locker viele Stunden im Sattel aushalten. Auch bei Yamaha war Anfang der 1980er die Entwicklung im Big Bike-Segment in eine Art Sackgasse geraten.
Die XS 1100 war und blieb nun mal ein schwerer Kardan-Tourer, dem man auch als davon abgeleitete XS 1.1 Sport nicht guten Gewissens die Sportler-Krone überstülpen konnte. Eine Neuorientierung war angesagt. Der Luftkühlung blieb man treu, nahezu alles andere wurde umgekrempelt. Um dem sportlichen Anspruch zu genügen, musste Leistung her (ungedrosselt im Ausland immerhin 125 PS), die sich am besten mit moderner Vierventiltechnik realisieren ließ. 16-Zoll-Räder galten als der Geheimtipp für Handlichkeit, der völlig neue Stahlrahmen, „Lateral Frame Concept“ genannt, umschließt quasi den Lenkkopf und ähnelt in gewisser Weise den frühen Bimota-Konstruktionen. Was ja sicherlich keinen Nachteil darstellt. Das Rohr für den Steuerkopf lässt sich so verwindungssteifer gestalten, zudem baut der Rahmen flacher, was wiederum der Einbaulage des mächtigen 24-Liter-Tanks zugute kommt und den Schwerpunkt senkt. Verblüffend handlich galt die FJ denn auch stets in Tests, und auch meine Erinnerungen sind davon geprägt, wie leichtfüßig sich der 261-Kilogramm-Brummer ums Eck zirkeln lässt.
Die FJ-Ergonomie passt perfekt

Also los, Schluss mit der Vorfreude, auf zur Tat. Die kompakte Sitzposition wirkt auf Anhieb vertraut und behagt mir heute ebenso wie damals. Der Choke-Ring, per Daumen und/oder Zeigefinger zu betätigen, lässt mich schmunzeln. Gute, alte Yamaha-Eigenheit. Ganz FJ-typisch meldet sich der Vierer schon beim scharfen Blick auf den Starterknopf zum Dienst und verzichtet nach kurzer Zeit auf weitere Kaltstarthilfe. Er läuft mechanisch rauer als der GPZ-Motor, keine Frage, doch richtig störend sind die Vibrationen nicht, die vor allem im Bereich unterhalb von 5000 Touren in Lenker und Fußrasten durchdringen. Störend werden sie erst durch ihre Auswirkungen auf die Halbschale oder den Verkleidungskiel – die reißen nämlich auf Dauer an den Verschraubungen ein.
An der Foto-FJ von Besitzer Walter Mair ist davon nichts zu sehen. Die ist vom akribischen Franken nach dem Kauf vor rund acht Jahren erst mal komplett überholt und restauriert worden und präsentiert sich heute im Topzustand. So genieße ich den Ausblick auf die Instrumente, die eine geringe vierstellige Laufleistung anzeigen, ebenso die entspannte Sitzposition im recht niedrigen, gut gepolsterten Sattel. Ein Vergleich kommt mir in den Sinn: Wären die Big Bikes Fahrräder, so entspräche die GPZ einem Rennrad, die bequemere FJ einem Hollandrad. Rein ergonomisch betrachtet, ohne Aussage über die Fahrdynamik, versteht sich. Denn hier drängt sich die FJ mit der breiten Brust des größeren Hubraums selbstbewusst nach vorn und schiebt bereits knapp über Standgas an wie der sprichwörtliche Stier. Ohne Hänger und ohne Leistungsexplosion zieht der Vierventiler anschließend durchs Drehzahlband wie die ebenfalls oft zitierte E-Lok und mahnt erst bei 9500/min mit dem Beginn des roten Bereichs. Ein solcher Motor begnügt sich zu Recht mit nur fünf Gängen, und eigentlich sind die ersten vier nur Anfahrhilfen, denn außer Alpenpässen und städtischem Stop-and-go-Verkehr, so glaubt man zumindest schnell, geht ja fast alles im Fünften. Bei Vollgas auf der Bahn, so ergaben die Tests damals, zieht die windschnittigere GPZ der FJ klar davon.
Meinungen zu den beiden Bikes

Gerhard Eirich (Redakteur) zur Kawasaki GPZ 900 R

Langlebiger Renner oder pfeilschneller Tourer? Die GPZ 900 R ist irgendwie beides. Wie die 30 Jahre alte Japan-Lady ab mittleren Drehzahlen oben raus feuert, kann auch heute noch begeistern. Die vielseitige Allzweckwaffe vereint eine nicht wegzudiskutierende sportliche Härte eines Sprinters für die Rennstrecke mit den Tugenden eines Langstreckenläufers. Wer sich ein bisschen auf das handliche, aber auch mit Eigenheiten aufwartende 16-/18-Zoll-Fahrwerk eingeschossen hat, erlebt, wie viel sportlichen Fahrspaß ein frisch gebackener Oldtimer machen kann.
Walter Mair, Besitzer der Yamaha FJ 1100

Als Späteinsteiger kaufte ich mir die FJ vor acht Jahren als erstes Motorrad. Es sollte ein gutmütiges Big Bike mit bulliger Leistungscharakteristik und dezent sportlicher, eher aufrechter Sitzhaltung sein. Die Yamaha erfüllt all diese Kriterien und lässt mich auch nach mehreren Stunden Fahrt entspannt absteigen. Das Handling der doch recht schweren FJ verblüfft, Fahrwerk und Bremsen genügen meinen Ansprüchen und der erst vor wenigen Tausend Kilometern komplett revidierte Motor wird mir mit Sicherheit noch viele Jahre unbeschwerten Spaß bereiten.
Abschließende Worte
Auf kurvigem Terrain, so merke ich heute wieder, lässt sich die einen Tick handlichere Yamaha nichts bieten, sie profitiert von ihrer gelungenen Gewichtsverteilung und dem kleinen 16-Zöller hinten (Kawa hinten 18 Zoll). Der gute Knieschluss dank passender Einbuchtungen am Tank, die entspannte Sitzhaltung und die gelungene Fahrwerksauslegung machen Kurskorrekturen und Einlenken zum Kinderspiel. Auf schlechten Nebenstraßen helfen weiterhin die softe Auslegung der stabilen Gabel mit (fast wirkungslosem) Anti Dive-System und das über eine Kette in der Vorspannung stufenlos und in der Zugstufendämpfung fünffach einstellbare Zentralfederbein.
Eine gewisse Aufstellneigung beim Bremsen in Schräglage kann die FJ natürlich ebenso wenig verhehlen wie die GPZ: Beide rollen ja auch auf einem Vorderrad in der wulstigen Größe 120/80-16. Kein Problem, schnell habe ich mich wieder auf die gute alte FJ eingeschossen und spüre den Sportsgeist erwachen, welcher der 1100er einst mit in die Wiege gelegt wurde.
Angesichts der montierten Bridgestone BT 45 mache ich mir um die Reifenhaftung keine Sorgen. Eher schon um die Bremswirkung: Zwar hat die FJ innenbelüftete 282-Millimeter-Scheiben vorn wie hinten zu bieten, doch die fein dosierbaren Zweikolben-Festsattel-Bremsen beißen nicht so derb zu wie die Stopper der Kawa. Egal. Jedenfalls schafft es die Yamaha irgendwie, sich nach Big Bike, also mächtig und souverän, anzufühlen, ohne schwer oder gar schwerfällig zu wirken. Und der Charme des bulligen, luftgekühlten Vierventilers mit seinem gedämpft kernigen Sound wirkt noch heute.
Kein Wunder also, dass der Motor in seiner Evolutionsstufe drei Jahrzehnte später noch in der XJR 1300 weiterlebt, wie auch der GPZ-Vierzylinder als Basis für hubraumstärkere Kawa-Motoren fast drei Jahrzehnte überlebt hat. Power auf Dauer eben.