Geschichte der Ducati 916: Revolution im Motorrad-Design

Ducati 916 – Meilenstein im Motorrad-Design
Eine eigene Ära im Motorrad-Design

Veröffentlicht am 26.07.2025

Sie kam wie ein Naturereignis über uns alle. Als Ducati die 916 im November 1993 auf der EICMA erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, zog sie alle Blicke auf sich, war ständig von Massen umlagert, und allen war klar: Hier hat eine neue Zeitrechnung begonnen.

Ducati 888 – zu einfach gemacht

Ducati hatte schon in den Jahren zuvor Stärke bewiesen, als sie 1990 mit Raymond Roche und 1991 und 1992 mit Doug Polen die Superbike-Weltmeisterschaft gewannen. Doch wenn die 851 und 888 auf der Rennstrecke auch eine Macht bildeten, fehlte ihnen die Ausstrahlung der 750 SS von 1974 oder der Mike Hailwood Replika von 1979. Die 888 SP2 war zwar leistungsstark, wirkte jedoch zu hemdsärmlig.

Ducati 916 – Schön, schnell, stark

Bei der 916 stimmte alles: Die Verarbeitungsqualität ließ nichts zu wünschen übrig und ihre Optik eröffnete eine ganz neue Welt. Sie gewann jeden Design-Preis, den es weltweit gab, und die Nachahmer brachten sich schnell in Position.

Doch so richtig begann der Stern der Ducati 916 erst bei ihrer Fahrpräsentation am 20. Januar 1994 in Misano zu strahlen, wo sie nach dem Mailänder Messe-Publikum dann die Fachjournalisten in der Praxis überzeugen musste. Und die kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Obwohl ich einige hundert dieser Premieren mitgemacht habe, ist mir diese eine in Erinnerung geblieben, als wäre sie gestern gewesen.

Erste Fahrt, erster Crash

Am Vorabend spazierte ich mit dem Fotografen bei milden Temperaturen am Strand entlang, während es bei uns zu Hause Frost gab. Der nächste Morgen in Misano war zwar noch recht frisch, doch die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel. Sogar die Götter schienen diesem epochalen Kunstwerk zuzulächeln.

Nur vier Vorserien-Prototypen standen für die ausgewählten Journalisten bereit, und Massimo Tamburini, dessen kleine rote Augen verrieten, dass er die Nacht zuvor an ihnen durchgearbeitet hatte, flehte uns vor der ersten Ausfahrt an: "Bitte seid vorsichtig. Wir haben nur diese vier, und so gut wie keine Ersatzteile." Und prompt kamen nur drei von ihnen aus der ersten Runde zurück. Ein belgischer Kollege, den der Lumpensammler zurück zur Box brachte, wirkte wie ein begossener Pudel. "Ich verstehe das nicht, ich bin noch nie gestürzt", stammelte er. Wir verstanden umso besser: kalte Reifen.

Zum Glück waren nur die linke Verkleidungsseite und der linke Stummellenker kaputt, die Teile konnten vom sogenannten "Muletto", der für Fotos im Fahrerlager stand, demontiert werden. Es konnte weitergehen. In der zweiten Gruppe war ich mit den Kollegen Norbert Kappes und Michael Pfeiffer dran, und als wir wieder zurückkamen, schauten wir uns mit strahlenden Augen und offenen Mündern an.

Ducati 916 – Wahnsinn!

Wie auf Kommando entwich uns allen drei nur ein Wort: "Wahnsinn!" Ich fuhr privat seit 1981 Ducati, meine Pantah war das erste Motorrad, das mir wie ein Handschuh passte. Das tat die 916 genauso, nur auf einem ganz anderen Level. Mit mehr als doppelt so viel PS und einem Fahrwerk, wie ich es zuvor noch nie erlebt hatte.

Japaner unter Tränen

Auch für Martino Bianchi, der damals Pressechef der Cagiva-Gruppe war und heute bei Ducati deren zukünftigen Einsatz in der Motocross-WM vorbereitet, brachte dieser Tag unvergessliche Erinnerungen. "Ich habe unzählige Präsentationen organisiert, aber diese eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben", bekommt Martino noch heute Gänsehaut, wenn er davon erzählt. "Massimo Tamburini war unheimlich engagiert, zusammen mit seinen Leuten von CRC und denen der Entwicklungsabteilung waren sie bemüht, das Fahrwerk so perfekt wie möglich hinzubekommen. Tamburini wollte, dass jeder Journalist seine Fahreindrücke niederschreibt, und ich habe sie alle persönlich eingesammelt. Die Reaktionen waren überwältigend. Claudio Castiglioni hat sie alle gelesen, und dann hat er von jedem Kommentar ein Poster gemacht und diese überall bei Ducati in Bologna und Cagiva in Varese aufgehängt.

Was ich nie vergessen werde, war die Reaktion des japanischen Testers von Riders Club, Ken Enomoto. Er hat geweint, als er von dem Motorrad gestiegen ist und meinte nur: "Das ist nicht möglich." Ich bin eigentlich ein Offroad-Fan, aber diese Veranstaltung ist die schönste Erinnerung aus den vierzig Jahren, die ich in der Motorradindustrie verbracht habe."

Dabei endete der Tag alles andere als geschmeidig. Der gleiche Kollege, der die 916 am Morgen in den Kies geworfen hatte, schmiss sie an genau der gleichen Stelle wieder hin. Dieses Mal wegen zu heißer Reifen und irreparabel. Damit war das Testen vorbei. Massimo Tamburini war stinksauer, und als ich eine halbe Stunde später wieder in die Box ging, um meinen Helm zu holen, war er in der Ecke in einem Klappstuhl eingeschlafen. Er hatte sich für diesen wichtigen Tag für sich und Ducati völlig verausgabt.

Massimo Tamburini – Vater der Ducati 916

Tamburini hatte sich bereits seit 1988, als der Desmoquattro in der 851 erstmals in Serie ging, Gedanken gemacht, wie das optimale Motorrad um dieses Triebwerk herum aussehen könnte. Ab 1990 und dann so richtig ab 1992 drehte sich seine Welt und die seines Teams, dem auch Pierre Terblanche und der spätere Bimota-Designer Sergio Robbiano angehörten, nur noch um dieses Motorrad. Sechs Jahre Entwicklungszeit – das würde heute kein Hersteller der Welt einem Modell zugestehen. Doch bei der 916 führten sie zu einem außergewöhnlichen Ergebnis. "Wir haben 30.000 Stunden an diesem Motorrad gearbeitet. Davon waren 10.000 für die Entwicklung, 20.000 für die Konsultationen mit den Zulieferern, damit sie die Teile genauso fertigen, wie ich sie haben wollte", hatte Tamburini bei der Präsentation aus dem Nähkästchen geplaudert.

Ducati 916 vs. Ducati 888

Sein hartnäckiger Perfektionismus bis ins Detail brachte erstaunliche Lösungen. Tamburini war klar, dass er das Handling, das ihm vorschwebte, nur mit einem kürzeren Radstand als dem der 888 hinbekommen kann. Dem stand aber die Baulänge des Motors mit seinem Vierventil-Desmo-Zylinderkopf im Weg. So konstruierte er den Rahmen so um ihn herum, dass er den Motor um zwei Grad nach hinten kippte. Für mehr Stabilität ließ er das Gitterrohrgeflecht hinten so enden, dass es die im Motor gelagerte Schwingenachse an beiden Seiten von außen zusätzlich abstützt. Um auf die gewünschte Gewichtsverteilung zu kommen, platzierte Tamburini die Batterie neben dem liegenden Zylinder.

Motor der Ducati 916

Massimo Bordi und Gianluigi Mengoli entwickelten währenddessen den Motor weiter, gaben ihm mit 66 mm zwei Millimeter mehr Hub gegenüber der 888, bei unverändert 94 mm Bohrung erreichten sie damit 916 cm³. Daraus ergaben sich mit einer sehr linearen Leistungsentfaltung in Serie 114 PS bei 9.000 Touren. Tamburini tobte sich an so winzigen Details aus, wie geknickte Brems- und Kupplungshebel, damit die Hauptbremszylinder waagerecht, die Hebel aber im gleichen Winkel wie die Lenkerstummel stehen. Das Ergebnis war schließlich eine Optik und eine Verarbeitungsqualität, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat – schon gar nicht bei Ducati.

Ducati 916 – Design von Honda?

Dass er sich bei der Formgebung an anderen Motorrädern orientiert hat, gab Tamburini zu, wurde dabei nie konkret. Man kann aber davon ausgehen, dass ihn beim flachen Doppelscheinwerfer, der schmalen Taille und dem unter den Sitz verlegten Auspuff die Honda NR 750 von 1992 inspiriert hatte, nur gab er viel italienische Eleganz hinzu. Und die beiden ovalen Schalldämpfer unter dem Heck hatten einen weiteren Grund: Sie ermöglichten die Krümmerlängen für die gewünschte Leistungsentfaltung und lagen bei einem Sturz geschützt.

Mythos Einarmschwinge bei Ducati

Dass er unverhohlen eine Einarmschwinge verbaute, die dem der Honda RC30 verblüffend ähnlich sah, und dem ein Elf-Patent zugrunde lag, das Honda in den 1980ern von den Franzosen gekauft hatte, tat Tamburini mit einem Lächeln ab. "Da hat das Patentamt nicht aufgepasst. Solch eine Schwinge hatte bereits 1950 die Moto Guzzi Galletto." Es kam nie zu einer Klage, und bis in die 2020er-Jahre war diese Schwinge eines der Markenzeichen von Ducatis sportlichsten Motorrädern.

Ducati 916 – Ungetrübte Strahlkraft

Im Nu avancierte die 916 zu einer Stilikone, die vielfach kopiert, doch nie erreicht wurde. Ein volles Jahrzehnt blieb sie im Ducati-Programm, in der schnelllebigen Welt der Sportmotorräder eine Ewigkeit. Trotzdem verlor sie bei der immer höheren Motorleistung, die ihre Entwickler ihr verpassten, nie ihre Souveränität. Ihr Nachfolger, die 999, eigentlich ein richtig gutes Motorrad, trat ein schweres Erbe an und ging sang- und klanglos unter. Dafür strahlt die 916 selbst 32 Jahre nach ihrem Erscheinen wie eine Skulptur – sie scheint einfach nicht zu altern.