Der britische Motorradbauer Nick Gale ist viel zu jung, als dass er sich an die Swinging Sixties erinnern könnte. Und auch nicht an die Rocker, deren Maschinen damals so berühmte Namen wie Triton, Tribsa, Norvin und Dresda hatten. Ihr großer Treffpunkt war das Londoner „Ace Cafe“, dem Gale heute sehr verbunden ist. Immerhin fuhr er jeden Tag daran vorbei zu seiner Arbeitsstelle. Kommendes Jahr wird das wohl berühmteste Biker-Café der Welt 80 Jahre alt. Grund genug für Gale, dafür ein ganz besonderes Motorrad zu bauen, seine Interpretation eines Café Racers, klassisch britisch, aber zeitgemäß und so ganz anders als die üblichen Custombikes. „Ich habe sehr wenig Sinn darin gesehen, einen Stil wie den von Roland Sands zu kopieren“, sagt Gale. „Ich wollte mein eigenes Ding machen.“ Als einer der führenden Custom-Designer Europas, bekannt geworden mit der gefeierten Memphis Belle aus dem Jahr 2004, machte Gale schnell Nägel mit Köpfen. Vorbild war die Triton, der 60er-Jahre-Archetyp des Café Racers. „Ich wollte einen Manx Norton-Kraftstofftank und eine Höcker-Sitzbank verwenden“, sagt Nick. „Und, was sehr wichtig ist, einen klassischen, runden Scheinwerfer. Ich wollte etwas bauen, das von Weitem für eine Triton zu halten war.“
Als Antrieb wählte er einen luftgekühlten Trockensumpf-V2 mit 1650 cm³ des US-Motorenherstellers S&S. Auf 12:1 verdichtet, mit einer Crane Hi-4 CDI-Zündung und einem 47-mm-S&S-Super-E-Vergaser mit gewundenem Luftfilter-Einlass leistet der Motor 138 PS am Hinterrad bei 5200/min und sagenhafte 156 Nm Drehmoment bei nur 4250/min. Um dieses Kraftpaket zu bändigen, verwendete Gale ein Super Wideline Replica Twin-Shock Norton Featherbed-Chassis von P & D Custom Bikes, das aus edlen Reynolds 531 Chrom Molybdän-Stahlrohren gefertigt wird. Das Ergebnis ist eine bullige Maschine, an die die wunderbaren Öhlins-Federbeine und die ebenfalls aus Schweden kommende Upside-down-Gabel perfekt passen. Die eigens angefertigten Harris Performance-Triple-Gabelbrücken verdecken geschickt die Hydraulik-Einheiten von Bremse und Kupplung. Zusammen mit den in den Rahmenrohren unsichtbar verlegten Zügen entsteht ein extrem cleaner Look.
Die Gewichtsverteilung von 51 zu 49 Prozent wirkt überaus gelungen, und 120 Millimeter Federweg vorn und hinten erzeugen guten Komfort. Der 24,5-Liter-Alutank wurde vom Feinblechner John Williams im schottischen The Tank Shop perfekt auf den Café Racer zugeschnitten. „Die Breite des Rahmens ermöglichte es uns, den Tank sehr tief zu platzieren, wäre es enger gewesen, hätten wir in die Höhe gehen müssen, was rein optisch überhaupt nicht zum Motorrad gepasst hätte.“ Die Sitzbank wurde ebenfalls von Williams aus Aluminiumblech von Hand gedengelt, dann perlgestrahlt wie der Tank. Die Rückleuchten wurden versenkt – ein weiteres Beispiel für die minimalistische Denkweise, die die Konstruktion des Café Racer auszeichnet. So fährt sie sich mit nur 198 Kilogramm leichtfüßig wie ein Fahrrad.
Die Little Miss Dynamite zieht aus dem Drehzahlkeller wie verrückt. Vorbei an Baustellenschildern, entlang der North Circular Road vorbei am „Ace Cafe“, der Racer ist ein Showbike, mit dem man sogar richtig Gas geben kann. Nur in langsamen Passagen fühlt sich der Ace Café Racer etwas klobig und sperrig an. Doch man merkt ihm an, dass er mit Sorgfalt und nicht nur für die Show gefertigt wurde.